Gericht / Entscheidungsdatum: BGH, Beschl. v. 24.11.2016 - III ZR 209/15
Leitsatz: 1. Die Entscheidung über Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe (hier: Sicherstellung durch Arrest gemäß § 111b Abs. 2, 5 i.V.m. § 111d StPO) steht im pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörde.
2. Zur Frage der Zulässigkeit des Absehens eines Antrags auf Anordnung des dinglichen Arrestes durch die Staatsanwaltschaft
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZR 209/15
vom
24. November 2016
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die Richter Seiters und Reiter sowie die Richterinnen Pohl und Dr. Arend
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Re-vision in dem Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 11. Juni 2015 - 1 U 93/15 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Streitwert: 34.000
Gründe:
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fort-bildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung er-forderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
Die Staatsanwaltschaft hat dadurch, dass sie nach der Verhaftung des Beschuldigten E. zunächst von Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe nach §§ 111b ff StPO abgesehen hat, keine Amtspflichtverletzung im Sinne von § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 Satz 1 GG begangen. Die Frage der Drittge-richtetheit etwaiger Amtspflichten ist somit nicht entscheidungserheblich und kann dahinstehen.
1. Die Entscheidung über Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe (hier: Si-cherstellung durch Arrest gemäß § 111b Abs. 2, 5 i.V.m. § 111d StPO) steht im pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörde. In die gebotene Prü-fung des Sicherstellungsbedürfnisses des Geschädigten sind insbesondere ein-zustellen die Belange des Opferschutzes, die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten, seine Rechte selbst durchzusetzen, die Schwere des Eingriffs in das Eigentumsrechts des Betroffenen, der Verdachtsgrad, die Schadenshöhe und der die Strafverfolgungsbehörden treffende Aufwand (BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 2005 - 2 BvR 1822/04, StraFo 2005, 338 = juris Rn. 45 f, 51, 55; OLG Karlsruhe, NJW 2008, 162, 164; BeckRS 2004, 09009; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 111d Rn. 4; KK-StPO/Spillecke, 7. Aufl., § 111b Rn. 18). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Strafver-fahren nicht der Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen dient (KK-StPO/ Spillecke aaO) und durch die Möglichkeit eines dinglichen Arrestes zugunsten des Verletzten diesem nicht eigene Arbeit und Mühen abgenommen werden sollen. Es geht vielmehr nur darum, den Verletzten zu unterstützen, soweit dies erforderlich ist (BVerfG aaO Rn. 51; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2002, 173; OLG Karlsruhe, BeckRS aaO). Dementsprechend ist ein ausschließlich zugunsten des Verletzten wirkender dinglicher Arrest nur dann angezeigt, wenn allein die Maßnahme nach § 111d StPO den Geschädigten davor bewahrt, seiner Er-satzansprüche verlustig zu gehen (OLG Karlsruhe aaO; Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 111b Rn. 6; KK-StPO/Spillecke aaO).
Bei der Beurteilung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungshandlungen im Amtshaftungsprozess ist ferner zu berücksichtigen, dass diese nicht auf ihre "Richtigkeit", sondern allein darauf zu überprüfen sind, ob sie vertretbar sind. Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die betreffende Entscheidung nicht mehr verständlich ist (z.B. Senatsurteil vom 18. Mai 2000 - III ZR 180/99, NJW 2000, 2672, 2673; BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 158 [Stand: 1. Juli 2016] jew. mwN).
2. Nach diesen Maßgaben war die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, zunächst keine Sicherungsmaßnahmen nach § 111b Abs. 2, 5 i.V.m. §111d StPO zu ergreifen und erst auf eine entsprechende Anregung des Klägers tätig zu werden, nicht amtspflichtwidrig.
Die Vorinstanzen haben - von der Beschwerde unbeanstandet - festge-stellt, dass es dem Kläger ohne weiteres möglich und zumutbar war, die zivil-rechtlichen Ansprüche seiner Mutter gegen den Beschuldigten E. rechtzei-tig vor den Überweisungen vom 20. Dezember 2010 und 14. Januar 2011 durch Erwirkung eines dinglichen Arrestes zu sichern. Der Kläger hatte das Ermitt-lungsverfahren durch seine Strafanzeige im Mai 2009 initiiert, nahm auf den Gang der Ermittlungen persönlich Einfluss und sagte im April und November 2010 umfassend als Zeuge aus. Spätestens im Sommer 2010 wusste er, dass der Beschuldigte über erhebliches Vermögen auf Bankkonten verfügte. Nach der Vernehmung vom 5. November 2010 war ihm bekannt, dass der Beschul-digte eingeräumt hatte, von dem (geschäftsunfähigen) Vater des Klägers ein Kuvert mit 200.000 Bargeld erhalten zu haben. Der inzwischen anwaltlich ver-tretene Kläger unternahm in der unmittelbaren Folge dennoch nichts zur An-spruchssicherung. Akteneinsicht beantragte er erst am 14. Dezember 2010. Erstmals mit Anwaltsschriftsatz vom 21. Februar 2011 unterrichtete er die Staatsanwaltschaft darüber, bislang nichts zur Anspruchssicherung getan zu haben. Bei dieser Sachlage durfte die Staatsanwaltschaft - jedenfalls bis Feb-ruar 2011 - davon ausgehen, dass der Kläger der staatlichen Rückgewinnungshilfe nicht bedurfte und vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 111b Abs. 2, 5 i.V.m. § 111d StPO nicht angezeigt waren. Da die Rückgewinnungshilfe im Interesse des Geschädigten vorgenommen wird, begründet die Untätigkeit des über Anspruch und Gegner informierten Verletzten regelmäßig keine Hand-lungspflicht der Staatsanwaltschaft (vgl. BVerfG aaO Rn. 59; OLG Karlsruhe, NJW 2008, 162, 164).
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halb-satz 2 ZPO abgesehen.
Herrmann Seiters Reiter
Pohl Arend
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 10.12.2014 - 15 O 28958/13 -
OLG München, Entscheidung vom 11.06.2015 - 1 U 93/15 -
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