Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hagen, Beschl. v. 12.01.2017 - 44 Qs 8/17
Leitsatz:
44 Qs 8/17
Landgericht Hagen
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
hat die 4. große Strafkammer des Landgerichts Hagen auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 19.12.2016 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 14.10.2016, Az.: 67 Gs-615 Js 87/16-1646/16, durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am 12. Januar 2017 beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 14.10.2016 (Az.: 67 Gs-615 Js 87/16-1646/16) getroffene Durchsuchungsmaßnahme rechtswidrig ist.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Beschuldigten insoweit entstanden Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
I.
Mit Schriftsatz vom 03.03.2016 erstattete Rechtsanwalt pp. im Auftrag der Frau pp. Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht. Zur Begründung trug er vor, dass der Beschuldigte der Vater der am 23.01.2006 geborenen Tochter pp., welche aus der Beziehung mit Frau pp. hervorging, sei. Durch Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Hagen vom 02.10.2014 sei der Beschuldigte zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet worden. Der Titel sei dynamisch gestaltet, so dass sich die Unterhaltshöhe aus der jeweiligen aktuellen Düsseldorfer Tabelle ergebe. Derzeit sei ein Betrag in Höhe von 289,00 Euro geschuldet. In der Zeit vom 01.08.2015 - 31.12.2015 seien je 284,00 Euro, davor 272,00 Euro geschuldet gewesen. Nach Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses habe der Beschuldigte allerdings immer nur 180,00 Euro gezahlt. Die Restbeträge konnten teilweise bei dem Beschuldigten gepfändet werden. Ab Februar 2016 habe der Beschuldigte allerdings jegliche Unterhaltszahlungen eingestellt, so dass der Lebensbedarf des Kindes ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre.
Im Rahmen einer Zeugenvernehmung bei der Polizei hat die Zeugin pp. am 06.04.2016 ferner angegeben, dass das ihr bekannte Konto des Beschuldigten nicht genügend Deckung aufweise und sie erfahren habe, dass der Beschuldigte über ein weiteres Konto verfügen solle, über das dieser seine Geschäfte abwickele. Als sie noch zusammengelebt hätten (bis ca. Anfang 2010) habe der Beschuldigte monatlich ca. 10.000 bis 15.000 Euro verdient. Er habe sich auch mehrere Immobilien in Kroatien gekauft, welche er teilweise vermiete. Über ihre Tochter habe sie zudem erfahren, dass der Beschuldigte sich eine Eigentumswohnung in pp. gekauft haben soll. Sie sei der Ansicht, dass seine Geschäfte nach wie vor gut liefen und er Einkünfte in nicht geringer Höhe habe. Auf die Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung vom 11.04.2016 meldete sich für den Beschuldigten sein Verteidiger und beantragte zunächst Akteneinsicht. Nachdem ihm diese erteilt worden war, trug der Verteidiger mit Schriftsatz vom 07.06.2016 vor, dass es richtig sei, dass der Beschuldigte lediglich Unterhalt in Höhe von 180,00 Euro gezahlt habe. Hintergrund sei, dass der Beschuldigte in größerem Umfang nicht leistungsfähig sei, weil seine bereinigten Nettoeinkünfte die 1. Stufe der Düsseldorfer Tabelle nicht überschreiten würden. Aus diesem Grund werde durch ihn, den Verteidiger, derzeit auch ein Abänderungsverfahren gem. § 238 FamFG vorbereitet. Er beantrage deshalb vorliegend, das Verfahren einzustellen, jedenfalls vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Abänderungsverfahrens. In der Folgezeit wurden seitens der Staatsanwaltschaft Hagen verschiedene Kontoverdichtungen von den Konten des Beschuldigten angefordert und zwischenzeitlich unter dem 15.07.2016 und dem 29.08.2016 bei dem Verteidiger angefragt, ob bereits das angekündigte Abänderungsverfahren eingeleitet worden sei.
Mit Schriftsatz vorn 09.09.2016 teilte der Verteidiger des Beschuldigten der Staatsanwaltschaft mit, dass bisher noch kein Abänderungsverfahren habe eingeleitet werden können. Davon unabhängig sei allerdings die strafrechtliche Bewertung des Sachverhalts, weshalb er beantrage, dass Verfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hagen vom 11.10.2016 ordnete das Amtsgericht Hagen mit Beschluss vom 14.10.2016, Az.: 67 Gs 1646/16, die Durchsuchung der Person, der Wohnung und der sonstigen Räume einschließlich der dazugehörigen Sachen und Behältnisse, Nebengelasse, Kraftfahrzeuge und Garagen des Beschuldigten zum Zwecke der Auffindung folgender Beweismittel an: Zahlungsbelege, Einnahmen-Ausgaberechnungen, Bilanzen, Kontounterlagen, Gehaltsabrechnungen, Computer und Datenträger mit entsprechendem Inhalt.
Auf Grundlage dieses Beschlusses kam es am Morgen des 30.11.2016 zu einem Polizeieinsatz in der Wohnung des Beschuldigten, pp. in Hagen.
Aufgefunden und sichergestellt wurden hierbei Kopien der Gewinnermittlung des Geschäftsbetriebes des Beschuldigten aus den Jahren 2014 und 2015 sowie die Einkommenssteuererklärungen dieser Jahre, Kopien von einer Quittung über eine Barzahlung in Höhe von 400,00 Euro als Unterhalt an pp und einem Kontoauszug der Commerzbank, aus welchem eine Überweisung in Höhe von 289,00 Euro als Unterhalt an pp vom 01.11.2016 hervorgeht.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19.12.2016 legte der Beschuldigte Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Hagen vom 14.10.2016 ein. Zur Begründung führt er aus, dass schon kein Tatverdacht bestehe, weil die subjektive Tatseite nicht nachgewiesen werden könne. Im Übrigen ergebe sich der Tatverdacht" nur aus den Angaben der Kindesmutter.
Ferner wird auf einen in Kopie beigefügten familiengerichtlichen Vergleich bei dem Familiengericht Hagen, Az. 129 F 161/15, verwiesen. Insgesamt sei die Durchsuchung deshalb unverhältnismäßig gewesen. Auch ist einer Verwertung der etwaig gewonnenen Beweismittel widersprochen worden.
II.
Die gem. § 304 StPO statthafte Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Beschwerde nach § 304 StPO ist trotz der durch den Vollzug der oben genannten Maßnahme eingetretenen Erledigung zulässig.
Eine Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer durch Vollzug oder auf andere Weise erledigten richterlichen Anordnung oder die Weiterführung des Verfahrens zu diesem Zweck ist zwar grundsätzlich unzulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, Vor § 296 StPO Rn. 18), bei einem tiefgreifenden, tatsächlich nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriff bleibt die Beschwerde jedoch zulässig, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann (BVerfG NJW 1997, 2163; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, § 98 StPO Rn. 23 und Vor § 296 StPO Rn. 18 a). Ein solcher tiefgreifender Grundrechtseingriff ist in der Regel zu bejahen, wenn wie hier eine Wohnungsdurchsuchung Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, Vor § 296 StPO Rn. 18 a). Vor diesem Hintergrund war die Beschwerde mit dem Antrag der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auszulegen.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Die - dargestellte auf den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts basierende polizeiliche Durchsuchungsmaßnahme vom 30.11.2016 war rechtswidrig. Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Hagen vom 14.10.20016 entspricht nicht den gesetzlichen Anfordernissen gem. §§ 102, 105 StPO.
a) Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat.
Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG ist somit der Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei. Das Gewicht des Eingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderung liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht finden lassen. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vorn 26. Oktober 2011 2 BA 15/11
Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss indes nicht gerecht.
Die Annahme eines ausreichenden Tatverdachts ist nicht haltbar. Der Verdacht der Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 Abs. 1 StGB) beinhaltet als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Leistungsmöglichkeit des Täters, denn dieser muss tatsächlich zu einer mindestens teilweisen Leistung imstande sein (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 170 Rn, 8). In der angegriffenen Entscheidung finden sich keine Ausführungen dazu, dass und in welcher Höhe die Einkünfte des Beschuldigten über dem notwendigen Selbstbehalt liegen und er somit leistungsfähig ist.
Der Tatverdacht, dass der Beschuldigte über nicht deklariertes Einkommen in erheblicher Höhe verfügt, das er im Rahmen seiner Unterhaltspflichten nicht einsetzt, wird allein auf die Behauptungen der Kindsmutter in der Strafanzeige bzw. der polizeilichen Zeugenvernehmung gestützt. Dort hatte sie angegeben, dass der Beschuldigte über ein bislang unbekanntes Konto verfüge, über das er seine Geschäfte als selbständiger Trockenbauer abwickle. Zurzeit bezahle der Beschuldigte keinen Unterhalt, obwohl er in der Vergangenheit, als sie noch eine Beziehung geführt hätten, monatlich zwischen 10.000 und 15.000 Euro verdient habe. Sie gehe davon aus, dass er auch jetzt noch einen guten Verdienst habe. Auch habe der Beschuldigte noch Einkünfte aus der Vermietung mehrerer Immobilien in Kroatien.
Hierbei handelt es sich indes nicht um zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer über dem notwendigen Selbstbehalt liegende Einkünfte erzielt und er seine Unterhaltsverpflichtung erfüllen kann. Insoweit hat er durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 07.06.2016 der Staatsanwaltschaft Hagen gegenüber erklärt, dass es richtig sei, dass der Beschuldigte lediglich Unterhalt in Höhe von 180,00 Euro gezahlt habe. Hintergrund sei allerdings, dass der Beschuldigte in größerem Umfang nicht leistungsfähig sei, weil seine bereinigten Nettoeinkünfte die 1. Stufe der Düsseldorfer Tabelle nicht überschreiten würden. Aus diesem Grund werde durch ihn, den Verteidiger, derzeit auch ein Abänderungsverfahren gem. § 238 FamFG vorbereitet.
Tatsachenfundierte Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht an diesen Angaben des Beschwerdeführers zweifeln durfte, zeigt das Amtsgericht derweil nicht auf. Die Einlassung des Beschuldigten findet in dem Beschluss nicht einmal Erwähnung.
In diesem Zusammenhang ist zudem zu sehen, dass die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers, zu denen die Kindsmutter meint, Angaben machen zu können, sich auf den Zeitpunkt der gemeinsam geführten Beziehung beziehen, welche bereits Anfang 2010 beendet wurde. Diese Angaben wurden von ihr allerdings nicht anhand von Tatsachen näher konkretisiert.
Die Annahme einer Unterhaltspflichtverletzung beruhte daher auf bloßen Vermutungen, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre nicht zu rechtfertigen vermögen.
b) Überdies ist vorliegend jedenfalls auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen worden.
Eine Durchsuchung scheidet aus, wenn andere, weniger einschneidende den Ermittlungszweck nicht gefährdende Maßnahmen verfügbar sind (Meyer-Goßner/Schmitt, aa0, § 103 Rn. 15 m.w.N.). Zudem muss die Durchsuchung auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der (konkreten) Straftat und zur Stärke des Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren sowie der Grad des auf verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu berücksichtigen (Meyer-Goßner/Schmitt, aa0, § 103 Rn. 15a m.w.N,)
Bereits mit Schriftsatz vom 07.06.2016 hat der Verteidiger des Beschwerdeführers als Reaktion auf die Vorladung des Beschuldigten vom 11.04.2016 zur Beschuldigtenvernehmung und der erteilten Akteneinsicht mitgeteilt, dass der Beschuldigte in größerem Umfang als der von ihm gezahlten 180,00 Euro nicht leistungsfähig sei und aus diesem Grund werde durch ihn derzeit auch ein Abänderungsverfahren gem. § 238 FamFG vorbereitet. Folglich wusste der Beschwerdeführer bereits seit Mitte April 2016, dass gegen ihn wegen Verletzung der Unterhaltspflicht ermittelt und was ihm von der Kindsmutter konkret vorgeworfen wird. Bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses im Oktober 2016, mithin 6 Monate nach Kenntniserlangung von dem Ermittlungsverfahren, konnte deshalb nicht mehr mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem Auffinden von entsprechenden Beweismitteln gerechnet werden.
Vor diesem Hintergrund war festzustellen, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 14.10.2016 (Az.: 67 Gs-615 Js 87/16-1646/16) getroffene Durchsuchungsmaßnahme rechtswidrig ist.
3. Dass der Beschuldigte zugleich auch die mit dem richterlichen Durchsuchungsbeschluss verbundene allgemeine Beschlagnahmeanordnung angreifen wollte, lässt sich der Beschwerde, die sich ausdrücklich nur auf die Durchsuchungsanordnung bezieht, nicht entnehmen. Insoweit wäre eine Entscheidung der Kammer ohnehin nicht veranlasst gewesen. Denn grundsätzlich ist eine Beschwerde" gegen die allgemeine im Rahmen des Durchsuchungsbeschlusses angeordnete Beschlagnahme, die die einzelnen Beweismittel nur pauschal angibt, diese jedoch nicht hinreichend konkretisiert, als Antrag auf richterliche Bestätigung gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO umzudeuten (Meyer-Goßner/Schmitt, aa0, § 98, Rn. 19 m.w.N.; Nack, in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 98, Rn. 2 m.w.N.), da eine nur allgemein gehaltene Beschlagnahmegestattung wie vorliegend lediglich die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung hat und noch keine wirksame Beschlagnahmeanordnung ist (BVerfG, Beschluss vom 29.01.2002 - 2 BvR 1245/01, in NStZ-RR 2002, 172; Nack, in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl,, § 98, Rn. 2 m.w.N). Über einen solchen Antrag hätte zunächst das Amtsgericht Hagen zu befinden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA P. Ziental, Bochum
Anmerkung:
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