Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.11.2016 - (2) 53 Ss 64/16 (39/16)
Leitsatz: Die Äußerung eines Strafgefangenen, bei der Durchsuchung seiner Wäsche durch eine Jus-tizvollzugsbedienstete handele es sich um ein fetischistisches Verhalten , stellt nicht ohne weiteres eine strafbaren Beleidigung dar (§ 185 StGB).
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Beleidigung
hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch am 17. November 2016
einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Lübben (Spree-wald) vom 27. Januar 2016 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht sprach den Angeklagten durch Urteil vom 27. Januar 2016 wegen Beleidi-gung schuldig und verhängte gegen ihn eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40,00 . Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung mate-riellen Rechts gerügt wird.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, die Revision des Ange-klagten als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Feststellungen eine Verurteilung wegen Beleidigung nicht tragen, § 349 Abs. 4 StPO.
1. Nach den Feststellungen verbüßte der Angeklagte seit August 2012 aufgrund einer Verur-teilung durch das Landgericht Cottbus eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Luck-au-Duben. Am 23. Dezember 2013 fand eine Durchsuchung seines Haftraums statt, die von der Justizvollzugsbediensteten S. aufgrund einer entsprechenden Anweisung ihres Dienst-vorgesetzten vorgenommen wurde. Diese Maßnahme nahm der Angeklagte zum Anlass, am 24. Dezember 2013 ein Schreiben an das Landgericht Cottbus, Strafvollstreckungskammer, zu verfassen, welches dort am 30. Dezember 2013 einging.
Dieses Schreiben, mit dem der Angeklagte u.a Strafantrag stellt und sich über Maßnahmen des Justizvollzugs beschwert, hat u.a. folgenden Inhalt:
(...) 3. Am 23. Dezember wurde meine Wohnung/Zelle durchsucht im Alleingang durch die Bedienstete Frau S. Es wurde auch meine Wäsche durchsucht, was ein Verstoß gegen den § 85 des Brandenburger Justizvollzugsgesetzes dar-stellt.
Dieses fetischistische Verhalten zeige ich hiermit an. (...)
Das Amtsgericht hat diese Äußerung als Beleidigung gewertet. Dem Angeklagten sei es nicht darum gegangen, sich lediglich kritisch über das vermeintlich rechtswidrige dienstli-che Verhalten der Justizvollzugsbeamtin zu äußern, sondern (...) ihr einen über die vermeint-liche Rechtswidrigkeit der Handlung hinausgehenden sexuellen Bezug zu unterstellen, näm-lich zu vermitteln, dass seine Unterwäsche als Stimulus der sexuellen Erregung und Befrie-digung der Bediensteten gedient habe. Durch die Nutzung des Wortes fetischistisch habe der Angeklagte die private Person der Justizvollzugsbeamtin in den Vordergrund gestellt und nicht deren Tätigkeit als Vollzugsbeamtin.
2. Die Bewertung der festgestellten Äußerung als eine durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB nicht gerechtfertigte Beleidigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Bereits die Einordnung der Bezeichnung fetischistisches Verhalten als tatbestandsmä-ßige Beleidigung erweist sich aufgrund der nur unzureichenden tatgerichtlichen Würdigung der Gesamtumstände als nicht tragfähig.
Eine nach § 185 StGB strafbare Beleidigung liegt vor, wenn eine Äußerung eine Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung enthält. Dies ist der Fall, wenn dem Betroffenen der ethische oder soziale Wert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch dessen grundsätz-lich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird (Fischer, StGB 63. Aufl. § 185 Rdnr. 4 m. w. N.). Ob eine solche Missachtung oder Nichtachtung vorliegt, ist durch Auslegung des objektiven Sinngehalts der Aussage zu ermitteln, der unter Berücksich-tigung der gesamten Begleitumstände zu ermitteln ist. Maßgebend ist dabei nicht, wie der Empfänger, sondern wie ein verständiger Dritter die Äußerung versteht (StGB, Fischer a. a. O.).
Das Tatgericht hat sich insoweit bereits nicht rechtsfehlerfrei mit den in Betracht zu ziehen-den Deutungsmöglichkeiten der schriftlichen Erklärung auseinandergesetzt. Die nicht näher begründete Annahme, der Angeklagte habe durch die Nutzung des Wortes fetischistisch die private Person der Justizvollzugsbeamten in den Vordergrund gestellt und nicht deren Tätigkeit in der Justizvollzugsanstalt, lässt die Formulierung der Äußerung im Gesamtzu-sammenhang der Ausführungen unberücksichtigt. Der Angeklagte hat den Sachverhalt der Durchsuchung seines Haftraums durch die Beamtin im Alleingang gegenüber der Straf-vollstreckungskammer des Landgerichts angezeigt und hierbei beanstandet, dass dieses Vor-gehen seiner Auffassung nach vorschriftswidrig gewesen sei. Er hat sich hierbei erkennbar rechtsirrig auf eine Regelung bezogen, nach der die Durchsuchung männlicher Gefangener nur von Männern vorgenommen werden darf und das Schamgefühl zu schonen ist (§ 86 Abs. 1 BbgJVollzG). Die Textfassung seines Schreibens stellt dabei nicht die Person, sondern das Verhalten in den Vordergrund (Es wurde meine Wäsche durchsucht, dieses (...) Verhal-ten). Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass der Angeklagte das Attribut "feti-schistisch" nicht notwendig einer bestimmten persönlichen Haltung der Bediensteten zu-schreiben, sondern eine lediglich allgemeine, verhaltensbezogene Kritik an einer derartiger Durchsuchungspraxis beanstanden wollte. Darüber hinaus greift die Reduzierung auf eine allein sexuell zu verstehende Konnotation des Begriffes fetischistsch, die das Amtsgericht unterstellt, zu kurz. Nach allgemeinem Sprachgebrauch kommt insoweit auch ein bloß kli-scheehaft formulierter Hinweis auf die Zumessung einer übermächtigen Bedeutung für be-stimmte Sachen ohne weiterführenden abwertenden Sachgehalt in Betracht.
Insoweit hätte es näherer Differenzierung bei der tatgerichtlichen Beurteilung bedurft, denn bei dieser Sachlage liegt es nicht auf der Hand, dass die Äußerung ihrem objektiven Sinn die Bekundung einer Missachtung der Beamtin darstellte und dem Angeklagten dies bewusst war.
b) Jedenfalls ist die Äußerung als Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB nicht strafbar.
Das Amtsgericht hat angenommen, der Angeklagte habe den Schutzbereich der freien Mei-nungsäußerung (...) verlassen, als er sich nicht mehr darauf beschränkte, darauf hinzuweisen, dass die Kontrolle des Haftraums seiner Ansicht nach rechtswidrig war. Diese Würdigung lässt außer Acht, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf. Inso-weit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (BVerfG, Beschl. v. 29. Juni 2016 1 BvR 2646/15, zit. nach Juris).
Die Meinungsfreiheit tritt zwar regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück, wenn es sich um eine Formalbeleidigung oder Schmähkritik handelt (BVerfG, aaO). Dies ist nach den ge-troffenen Feststellungen jedoch nicht der Fall. Eine Kränkung ergibt sich nicht bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt, so dass eine Formalbeleidigung ausscheidet. Die Annahme einer Schmähkritik setzt voraus, dass die Äußerung jenseits po-lemischer und überspitzter Kritik eine persönliche Herabsetzung darstellt, bei der losgelöst vom Sachbezug die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfGE 82, 272). Dafür geben die Feststellungen ebenfalls nichts her. Aus dem Schreiben ist zu ersehen, dass sich der Vorwurf keinesfalls in einer Diffamierung der Justizvollzugsbeamtin losgelöst von jedem Tatsachenbezug erschöpft, sondern die Art und Weise der beanstandeten Haftraum-kontrolle betrifft, die vom Angeklagten als rechtswidrig bewertet wird.
Handelt es sich demnach um eine Meinungsäußerung, die weder eine Formalbeleidigung noch eine Schmähkritik darstellt, ist eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Ehrenschutz geboten, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der jedoch alle wesentlichen Umstände des Falles zu berücksichtigen sind und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt (vgl. OLG Koblenz, Beschl v. 7. Oktober 2009 2 Ss 130/09, zit. nach Juris; BayObLG NStZ 2005, 2015). Diese Abwägung muss hier dazu führen, dass der Meinungsfreiheit der Vorzug zu geben ist.
Dem Angeklagten ging es ersichtlich darum, zum Ausdruck zu bringen, dass die Durchsu-chung seiner Wäsche durch eine Frau eine Verletzung seiner Intimsphäre darstelle und die-ses Verhalten gegen Vorschriften des Strafvollzugs verstoße. Auch wenn die rechtliche Be-wertung des Angeklagten nicht zutraf, waren die erhobenen Vorwürfe aus seiner Sicht und mit seinem Kenntnisstand nicht völlig aus der Luft gegriffen. Ferner wäre die Ehrverletzung, wenn eine solche anzunehmen wäre, jedenfalls nicht als besonders gravierend zu bewerten.
Hinzu kommt, dass der Angeklagte mit seinem Schreiben an das Landgericht eine gerichtli-che Auseinandersetzung anstrebte. Beteiligte an gerichtlichen Verfahren dürfen im Kampf um Rechtspositionen auch drastische Bewertungen von Vorgängen als persönliche Rechts-auffassung zum Ausdruck bringen, selbst wenn sie objektiver Beurteilung nicht standhalten (vgl. BGH NJW 1982, 2248; BayObLG NJW 2001, 1511; KG, Urt. v. 11. Januar 2010 - 1 Ss 470/09, zit. nach Juris). Ein Beteiligter muss und darf daher Kritik üben und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen dürfen, ohne sogleich befürchten zu müssen, der Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. BayObLG NStZ-RR 2002, 40, 42). Dies gilt im be-sonderen Maße insoweit, als sich das Werturteil auf staatliche Einrichtungen, deren Be-dienstete und deren Vorgehensweisen bezieht. Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Ge-walt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28. Juli 2014 1 BvR 482/13, zit. nach Juris).
Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil auszuschließen ist, dass weitere erheb-liche Feststellungen getroffen werden können, und die Aufhebung des Urteils nur wegen fehlerhafter Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt (§ 354 Abs. 1 StPO). Der Angeklagte ist hinsichtlich des ihm vorgeworfenen Tatgeschehens aus rechtli-chen Gründen freizusprechen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
VorsRiin OLG Pisal ist nach Versetzung
an ein anderes Gericht gehindert
zu unterschreiben.
Heck Fischer Heck
Einsender: 2. Strafsenat des OLG Brandenburg
Anmerkung:
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