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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Strafvollstreckungsverfahren, Widerrufsverfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Paderborn, Beschl. v. 28.10.2016 - 1 Qs 125/16

Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Widerrufsverfahren.


Landgericht Paderborn
Beschluss
In der Bewährungssache pp.
Verteidiger:
wird der Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 21.09.2016 aufgehoben.

Rechtsanwalt pp. wird dem Verurteilten als Pflichtverteidiger für das Widerrufsverfahren beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last, die auch die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu tragen hat.

Gründe:

Durch Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 29.01.2014 wurde gegen den Betroffenen wegen Steuerhinterziehung in 8 Fällen, Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelt in 20 Fällen sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Am 07.01.2015 verurteilte ihn das Amtsgericht Paderborn, Az.: 78 Ds 274/15, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu fünf Monaten Freiheitstrafe, die abermals zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Am 10.02.2016 verurteilte ihn das Amtsgericht Paderborn, Az.: 78 Ds 274/15, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 EUR.

In einem Ermittlungsverfahren zum Az.: 21 Js 179/14 wirft die Staatsanwaltschaft Paderborn dem Verurteilten Steuerhinterziehung sowie Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelten vor und erhob am 08.07.2016 Anklage.

Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Paderborn existieren darüber hinaus zwei weitere Ermittlungsverfahren gegen den Verurteilten.

Die Staatsanwaltschaft Paderborn beantragte am 20.07.2016, die Strafaussetzung zur Bewährung aus der Eingangsverurteilung zu widerrufen, da die Verurteilung vom 10.02.2016, wie auch das weitere angeklagte- und die zwei noch im Ermittlungsstadium befindliche Verfahren zeigten, dass sich die der Strafaussetzung zur Bewährung zu Grunde liegende Erwartung einer zukünftigen straffreien Führung des Verurteilten nicht erfüllt habe. Mildere Maßnahmen schieden aus.

Mit Schreiben vom 28.07.2016 hörte das Amtsgericht Paderborn den Verurteilten schriftlich zu dem beantragten Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung an und verwies dabei auf die Verurteilung des Amtsgerichts Paderborn vom 10.02.2016 sowie die Anklageschrift in dem Verfahren 21 Js 179/14 und die von der Staatsanwaltschaft erwähnten weiteren zwei Ermittlungsverfahren.

Daraufhin zeigte sich Rechtsanwalt R. aus D. als Verteidiger des Verurteilten an, und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger in dem Widerrufsverfahren analog § 140 Abs. 2 StPO.

Mit Beschluss vom 21.09.2016 wies das Amtsgericht Paderborn nach Anhörung der Staatsanwaltschaft Paderborn den Antrag des Verteidigers auf Beiordnung als Pflichtverteidiger zurück. Es verwies dabei darauf, dass vor dem Hintergrund der Anlasstat und der dort verhängten Freiheitsstrafe ein Fall der notwendigen Verteidigung nicht gegeben sei. Die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erfordere nicht die Mitwirkung eines Verteidigers; auch sei nicht ersichtlich, dass sich der pp.-jährige gerichtserfahrene Verurteilte nicht selbst verteidigen könne.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 18.10.2016. Zur Begründung lässt der Verurteilte ausführen, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegend erfüllt seien, da eine schwere Sach- und Rechtslage vorliege. Dies gelte vor dem Hintergrund, dass die Staatsanwaltschaft zur Begründung ihres Widerrufsantrages Ermittlungsverfahren gegen den Verurteilten anführe, die noch nicht rechtskräftig abgeschlossen seien. Es sei auch unklar, ob der Verurteilte von diesen Ermittlungsverfahren Kenntnis habe, so dass er sich dagegen nicht sachgerecht verteidigen könne. Für die Frage, ob und in welchem Umfang derartige Verfahren in einem Widerrufsverfahren berücksichtigt werden können, bedürfe er eines rechtskundigen Beistands. Auch weise der Verurteilte Schwierigkeiten im Bezug auf die deutsche Schriftsprache auf.

Mit Entscheid vom 20.10.2016 half das Amtsgericht Paderborn der Beschwerde des Verurteilten nicht ab und legt die Sache der Kammer zur Entscheidung vor.

II.
1. Die Beschwerde ist gemäß der §§ 304 Abs. 1, 305 S. 2 StPO statthaft und zulässig. Sie ist auch begründet.

Dem Verurteilten ist analog § 140 Abs. 2 StPO Rechtsanwalt R. aus D. als Pflichtverteidiger für das Widerrufsverfahren beizuordnen, da dies die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und die Schwere der Tat gebieten.

Dabei beurteilt sich die Schwere der Tat vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 140 Rn. 23), und damit danach, ob eine längere Freiheitsstrafe, eine gravierende Maßregel der Besserung und Sicherung, oder sonst eine erhebliche Folge der Entscheidung droht, die nicht unmittelbar im Rechtsfolgenausspruch liegt. Die Rechtsprechung hat sich dahin verfestigt, dass dies bei einer Straferwartung um ein Jahr Freiheits- oder Jugendstrafe anzunehmen ist. Eine Straferwartung von mehr als einem Jahr gibt daher in aller Regel Anlass, die Mitwirkung eines Verteidigers als notwendig anzusehen (vgl. Meyer-Goßner, aaO).

Überdies liegt vorliegend auch eine schwierige Sach- und Rechtslage dadurch vor, dass der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Paderborn auf eine erhobene Anklage und zwei weitere laufende Ermittlungsverfahren, die näher nicht bezeichnet wurden, abhebt. Wegen der für den Verurteilten geltenden Unschuldsvermutung können aber nur solche Taten als Grundlage für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung herangezogen werden, die entweder bereits rechtskräftig abgeurteilt wurden oder für die ein glaubhaftes Geständnis vorliegt, weil nur dann die schuldhafte Begehung einer neuerlichen Straftat feststeht. (vgl. Fischer, StGB, § 56f Rn. 4 ff.)

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO analog.
Paderborn, den 28.10.2016
Landgericht, 1. gr. Strafkammer


Einsender: RA T. Rößler, Düsseldorf

Anmerkung:


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