Gericht / Entscheidungsdatum: AG Dresden, Beschl. v. 26.09.2016 - 231 Ls 422 Js 17360/15
Leitsatz: Die Verletzung des rechtlichen Gehörs im Zwischenverfahren ist nicht ohne weiteres ein Grund, Misstrauen in die Unvoreingenommenheit eines Richters zu begründen. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn im Ablehnungsverfahren der Richter, der wegen vor Ablauf der ausdrücklich bestimmten Erklärungsfrist erfolgter Eröffnung abgelehnt worden ist, als dienstliche Äußerung lediglich auf Akteninhalt Bezug nimmt.
Aktenzeichen: 231 Ls 422 Js 17360/15
In dem Strafverfahren
gegen pp-
Verteidiger:
wegen Vergehens nach § 29 BtMG
ergeht am 26.09.2016
durch das Amtsgericht Dresden - Schöffengericht - nachfolgende Entscheidung:
Das Gesuch des Angeklagten, den zuständigen Richter am Amtsgericht wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist begründet.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Dresden hat in dem Verfahren pp. am 14.07.2015 Anklage zum Amtsgericht Dresden - Strafrichter - erhoben.
Mit Beschluss vom 11.02.2016 hat der abgelehnte Richter die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Dresden - Strafrichter - eröffnet.
Da der Angeklagte zu einem am 24.05.2016 anberaumten Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen ist, hat der abgelehnte Richter gegen ihn Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO erlassen.
Nachdem der Angeklagte daraufhin am 22.07.2016 festgenommen worden war, wurde dem Verfahren Fortgang gegeben.
Am 10.08.2016 hat die Staatsanwaltschaft Dresden in dem Verfahren pp. gegen den Angeklagten, gegen den in dieser Sache seit 14.07.2016 ein Untersuchungshaftbefehl besteht, eine weitere Anklage erhoben. Der für dieses Verfahren zuständige Richter des Referates pp. hat mit Verfügung vom 15.08.2016 dem Verteidiger des Angeklagten die Anklageschrift zugestellt und deren formlose Übersendung, nach Übersetzung in die arabische Sprache, an den Angeklagten angeordnet.
Der Referatsrichter pp. räumte mit der genannten Verfügung dem Angeklagten und dessen Verteidiger eine Frist von zwei Wochen ein, um zu der Anklage der Staatsanwaltschaft vom 10.08.2016 Stellung zu nehmen und übersandte gleichzeitig die Akten dem abgelehnten Richter mit der Bitte, das Verfahren in sein Referat zum Zwecke der Verbindung und gemeinsamen Verhandlung mit dem Verfahren pp. zu übernehmen.
Dem Verteidiger des Angeklagten wurde die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dresden vom 10.08.2016 ausweislich des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses am 17.08.2016 zugestellt. Die vom Referatsrichter gesetzte Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1 StPO lief daher bis zum 31.08.2016.
Mit Beschluss vom 16.08.2016 hat der abgelehnte Richter u.a. das ihm angetragene Verfahren übernommen und zu dem bei ihm bereits anhängigen Verfahren verbunden.
Mit weiterem Beschluss vom 23.08.2016 hat der abgelehnte Richter dann u.a. die Anklage der Staatsanwaltschaft Dresden vom 10.08.2016 - mit Ausnahme des Anklagepunktes 3 - zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Dresden - Schöffengericht - eröffnet.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 09.09.2016 lehnte der Angeklagte den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil dieser die Anklage der Staatsanwaltschaft Dresden vom 10.08.2016 zur Hauptverhandlung zugelassen hatte, obwohl die richterlich gesetzte Erklärungsfrist noch nicht abgelaufen war. Da sich weder der Angeklagte noch dessen Verteidiger bis dahin zu der Anklageschrift vom 10.08.2016 geäußert hätten, habe der abgelehnte Richter dem Angeklagten das rechtliche Gehör verweigert. Die Erklärungsfrist des Angeklagten sei nämlich erst am 31.08.2016 abgelaufen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Angeklagten wird auf den Schriftsatz seines Verteidigers vom 09.09.2016 Bezug genommen.
Der abgelehnte Richter hat zum Antrag des Angeklagten dienstlich Stellung genommen. Seine dienstliche Erklärung lautet: Ich nehme auf den Akteninhalt Bezug."
Die Staatsanwaltschaft Dresden hat sich zum Gesuch des Angeklagten ebenfalls geäußert.
Sie ist der Ansicht, dass sich der abgelehnte Richter in der Haftsache offensichtlich vom Beschleunigungsgrundsatz hat leiten lassen, die Nichtbeachtung der Erklärungsfrist (nach § 201 Abs. 1 StPO) deshalb nicht willkürlich sei und darum auch keinen erkennbaren Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör darstelle.
II.
Die Ablehnung des zuständigen Richters am Amtsgericht pp. ist begründet.
Nach § 24 Abs. 2 StPO findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist dann gerechtfertigt, wenn aus Sicht eines vernünftigen und besonnenen Angeklagten nach ihm zumutbarer Prüfung der Sachlage Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters aufkommen.
Die Beanstandung, dass vor Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des hinzuverbundenen Verfahrens pp. die nach § 201 Abs. 1 StPO bestimmte Erklärungsfrist nicht eingehalten worden ist, wird zu Recht erhoben.
Die richterlich bestimmte Erklärungsfrist lief bis 31.08.2016 lief. Mit ihrer Bestimmung ging die gerichtliche Zusicherung einher, dass vor Ablauf der Erklärungsfrist keine Entscheidung über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung und die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen wird.
Der abgelehnte Richter hat dennoch bereits am 23.08.2016 diese Entscheidungen getroffen, ohne dass sich der Angeklagte oder dessen Verteidiger zu der hinzuverbundenen Anklage geäußert haben. Der Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör, dem das Gesetz einen hohen Stellenwert einräumt, wurde damit verletzt.
Allerdings ist die Verletzung des rechtlichen Gehörs im Zwischenverfahren nicht ohne weiteres ein Grund, Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu begründen. Aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten ist dafür vielmehr darauf abzustellen, aus welchem Grund das rechtliche Gehör verweigert worden ist. Das kann zum einen z.B. unter bewusster Missachtung der prozessualen Rechte des Angeklagten durch den abgelehnten Richter geschehen sein, andererseits aber auch möglicherweise auf Grund eines Versehens oder eines Irrtums über den Ablauf der Erklärungsfrist. Letztere Umstände ließen auch dann keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters aufkommen, wenn das Versehen oder der Irrtum unschwer zu vermeiden gewesen wäre. Anderes gilt allerdings dann, wenn der abgelehnte Richter bewusst und willkürlich vor Ablauf der ausdrücklich bestimmten Erklärungsfrist und der damit einhergehenden gerichtlichen Zusicherung, dass vor Ablauf dieser Frist keine Entscheidung getroffen werde, das Hauptverfahren bereits eine Woche vor Ablauf der Erklärungsfrist eröffnet hätte.
Mit der nach § 26 Abs. 3 StPO zwingend vorgeschriebenen dienstlichen Stellungnahme, die sich auf den Ablehnungsgrund zu beziehen hat, kann der abgelehnte Richter ein zu beanstandendes Verhalten durch Klarstellung beseitigen.
Eine solche Klarstellung ist vorliegend mit der dienstlichen Erklärung des abgelehnten Richters, mit der er lediglich auf den Akteninhalt Bezug nimmt, nicht erfolgt.
Aus dem Akteninhalt ergibt sich nämlich gerade nicht, ob der abgelehnte Richter bei der Eröffnung des Hauptverfahrens bewusst und willkürlich die richterlich bestimmte Erklärungsfrist verkürzt" hat oder ob er einem Irrtum über dem Fristablauf unterlag oder ob er sich bei der vorzeitigen" Entscheidung von anderen nachvollziehbaren Gründen, die ein rein willkürliches Hinwegsetzen über Rechte des Angeklagten entfallen ließen, hat leiten lassen.
Auch aus Sicht eines besonnenen und verständigen Angeklagten ist deshalb zu besorgen, dass ersteres der Fall ist und sich der abgelehnte Richter bewusst über seine prozessualen Rechte hinweggesetzt hat und er diesen keine Bedeutung beimisst. Misstrauen in die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters ihm gegenüber ist damit gegeben.
Dass der abgelehnte Richter mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht befangen ist, was auch die Nichteröffnung hinsichtlich des Anklagepunktes 3 der Anklage vom 10.08.2016 vermuten lässt, ist dabei ohne Belang.
Richter am Amtsgericht
Einsender: RA A. Boine, Dresden
Anmerkung:
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