Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 26.05.2016 - 1 Ws 245/16
Leitsatz: 1. Die Verwirkung eines Kostenfestsetzungsanspruchs setzt neben dem Zeitmoment auch ein Umstandsmoment voraus.
2. Zur Erstattungsfähigkeit von Ausdrucken von einer auf CD endgültig überlassenen Aufzeichnung einer Telekommunikation.
1 Ws 245/16
34 KLs 10/11 LG Hannover
In der Strafsache
gegen pp.
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde des Verteidiger gegen den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 9. März 2016 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht - zu I, als Einzelrichter - am 26. Mai 2016 beschlossen:
I. Das Verfahren wird dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II. Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 9. März 2016, durch den die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. Februar 2014 mit der Begründung zurückgewiesen wurde, dass der Rechtsbehelf verwirkt und damit unzulässig sei,
Der Beschwerdeführer, Rechtsanwalt K beantragte mit Schriftsatz vom 4. September 2012, die ihm zustehende Vergütung als Pflichtverteidiger auf 10.487,17 E festzusetzen. Der zuständige Rechtspfleger teilte ihm daraufhin unter dem 13, September 2012 seine Einwände gegen den Vergütungsfestsetzungsantrag mit. Die Längenzuschläge für die Termine am 8. Mai 2012 und 19. Juni 2012 seien nicht gerechtfertigt. Zudem bestünden Bedenken hinsichtlich der Erstattung der beantragten Auslagen für die Ablichtung der auf CD endgültig überlassenen Aufzeichnung der Telekommunikation im Umfang von insgesamt 33.394 Seiten. Die beantragten Kosten für die Kopien der Gerichtsakten im Umfang von 11.161 Seiten seien dagegen nicht zu beanstanden. Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2012 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Rechtspflegers an seinem Antrag in vollem Umfang festhalte. Der Rechtspfleger ersuchte daraufhin die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Hannover um Stellungnahme zu dem Vergütungsfestsetzungsantrag. Diese erklärte hierzu am 22. Oktober 2012, dass jedenfalls zum Zwecke der Kostenersparnis ein kostensparender Druck von zwei Bildschirmseiten auf eine DIN-A4 Seite vorzunehmen sei. Unter dem 10. Januar 2014 nahm der Beschwerdeführer zu den Aufführungen der Bezirksrevisorin umfassend Stellung.
Mit Beschluss vom 6. Februar 2014 setzte die 2. Jugendkammer des Landgerichts Hannover die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlende Pflichtverteidigervergütung auf 4.269,30 fest. Für zwei Verhandlungstage wurde kein Längenzuschlag gewährt und die Auslagen für den Ausdruck der CD wurden abgesetzt. Hierzu führte der Beschluss aus, dass der Ausdruck zur Ausübung einer die Interessen des Mandanten wahrenden sachgemäßen Verteidigung nicht erforderlich sei. Die Entscheidung wurde umfangreich begründet und im Rahmen der Rechtsmittelbelehrung auf das gern. § 56 Abs. 1 RVG zulässige Rechtsmittel der Erinnerung hingewiesen. Ebenfalls am 6. Februar 2014 wurde die Kostenanweisung gefertigt. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 10. Februar 2014 zugestellt. Hiergegen legte er erst mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2015, eingegangen beim Landgericht Hannover am selben Tage, Erinnerung ein. Er hielt weiterhin an seinem ursprünglichen Antrag fest und verwies zur Begründung auf seine Schriftsätze vom 5. Oktober 2012 und 10. Januar 2014. Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Hannover führte hierzu unter dem 27. Januar 2016 aus, dass die Erinnerung ihrer Ansicht nach verwirkt sei. Die zuständige Rechtspflegerin half der Erinnerung am 7. März 2016 nicht ab und legte sie dem Richter zur Entscheidung vor. Mit Beschluss vom 9. März 2016 wies der Einzelrichter der 2. Jugend-kammer des Landgerichts Hannover die Erinnerung zurück. Diese sei bereits unzulässig, weil der Rechtsbehelf verwirkt sei. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 22. März 2016 zugestellt. Hiergegen richtet sich die am 30. März 2016 beim Landgericht Hannover eingegangene sofortige Beschwerde.
Das Landgericht Hannover half dieser mit Beschluss vom 3. Mai 2016 nicht ab und legte den Vorgang dem Senat zur Entscheidung vor.
Mit dem am 18. Mail 2016 eingegangenen Schriftsatz begründet der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel und führte aus, dass keine Verwirkung gegeben sei. Diese hätte frühestens zum 1. Januar 2016 eintreten können. Das Rechtsmittel sei jedoch bereits am 30. Dezember 2015 eingelegt worden.
II.
1. Das Verfahren wird dem Senat infolge der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gern. § 56 Abs. 2 in Verbindung mit § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG übertragen.
2. Die Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.
Allerdings war der Rechtsbehelf der Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 6. Februar 2014 im Zeitpunkt seiner Einlegung nicht verwirkt (lit. a). In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg (lit. b).
a)
Grundsätzlich ist eine Nach- oder Rückforderung von Anwaltsgebühren dann nicht mehr möglich, wenn die Geltendmachung so lange verzögert wird, dass die Kostenberechnung längst abgewickelt ist und sich alle Beteiligten darauf eingestellt haben (OLG Brandenburg, Beschlüsse vom 25. August 2009 = AGS 2011, 280 und vom 10. September 2009 = JurBüro 2010, 307; OLG Rostock, Beschluss vom 07. November 2011 1 Ws 298/11 (RVG) juris; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. Januar 2016 L 3 R 68/15 13,- juris; SG Detmold, Beschluss vom 26. November 2013 S 2 SF 271/13 E juris). Die Verwirkung des Rechts zur Erinnerung setzt danach sowohl ein Zeitmoment als auch ein Umstandselement voraus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04. Februar 2016 I-101N 5 - 14/16, 1-10 W 17 - 28/16,
1-10 W 5116, 1-10 W 17/16, 1-10 W 14/16, 1-10 W 28116, 10 W 5- 14/16, 10 W 17 - 28/16 juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.4.2006 5 WF 40/06,- juris, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Hier fehlt es jedenfalls an dem eine Verwirkung begründenden Umstandselement. Angesichts der relativ kurzen regelmäßigen Verjährungsfrist von nur drei Jahren kann Verwirkung unterhalb der Verjährungsfrist nur im Ausnahmefall angenommen werden. Die Landeskasse muss sich aufgrund des Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet haben, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und wegen des geschaffenen Vertrauenstatbestands muss sich die verspätete Geltendmachung des Rechtes als eine mit Treu und Glauben unvereinbare Härte darstellen (OLG Zweibrücken, a.a.O.). Allein die zeitliche Verzögerung von einem Jahr und zehn Monaten reicht hierzu nicht aus. Auch unter Berücksichtigung der beharrlichen Bemühungen des Antragstellers auf Festsetzung der vollen von ihm geforderten Vergütung vor Erlass des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses und seines anschließenden Schweigens sind derartige besondere Umstände nicht gegeben. Es wäre ein Zirkelschluss, allein von der langen zeitlichen Verzögerung auf das Umstandselement zu schließen.
b.
Der Beschwerdeführer hat jedoch in der Sache keinen Anspruch auf Festsetzung der überschießend beantragten Vergütung in Höhe von 6.217,87 E.
aa) Die durch Ausdrucken der kompletten Telekommunikationsinhalte auf der ihm dauerhaft überlassenen CD im Umfang von 33.394 Seiten entstandenen Auslagen sind nicht erstattungsfähig.
Nach Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a W RVG erhält der Rechtsanwalt die Aufwendungen für Ausdrucke aus Gerichtsakten ersetzt, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit der Ausdrucke kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Beschwerdeführers oder darauf an, ob in seiner Kanzlei eine elektronische Aktenbearbeitung üblich ist oder nicht. Vielmehr ist auf die objektive Sicht eines verständigen sachkundigen Dritten abzustellen. Dabei besteht zwar ein gewisser Ermessenspielraum; andererseits ist der allgemeine Grundsatz der kostenschonenden Prozessführung zu beachten (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2011 - 1 Ws 415418/11 - NJW 2012, 1671 mit weiteren Nachweisen).
Der Senat hat zwischenzeitlich seine von dem Beschwerdeführer zitierte vorherige Rechtsprechung (OLG Celle, NJW 2012, 1671) nach der aus der allgemein anerkannten Beweislastverteilung nach § 46 Abs. 1 RVG gefolgert wurde, dass auch bei der Anwendung von Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a W RVG die Staatskasse darlegen und beweisen müsse, dass die Aufwendungen nicht notwendig waren, aufgegeben (OLG Celle, Beschluss vom 11. Dezember 2015 1 Ws 518/15 juris). Da das Vergütungsverzeichnis nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG als Anlage zum RVG ausgestaltet worden ist, sind seine Reglungen Bestandteil des Gesetzes. Deshalb hat in der hier zu beurteilenden Frage die speziellere Regelung in Nr. 7000 Ziff. 1 Buchst. a VV RVG Vorrang; diese weist aber die Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit der Ausdrucke dem zu, der hierfür Aufwendungen geltend macht, also dem Rechtsanwalt (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.09.2014 - 111-1 Ws 247/14, 111- 1 Ws 293/14,- juris; OLG Rostock JurBüro 2014, 637; OLG Braunschweig Nds. Rpfl. 2015, 332).
Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist nicht erkennbar, dass der Ausdruck der CD für die sachgerechte Bearbeitung durch den Beschwerdeführer im Sinne von Nr. 7000 Abs. 1 a VV RVG geboten war.
Dem Beschwerdeführer stand die gesamte Aufzeichnung der Telekommunikation dauerhaft in digitalisierter Form zur Verfügung. Er konnte darauf - das Vorhandensein entsprechender Hard- und Software vorausgesetzt - jederzeit Zugriff nehmen. Eine Fallkonstellation, in der die Gerichtsakten dem Rechtsanwalt nur vorübergehend überlassen wurden und er deshalb daraus Dateien für seine eigenen Unterlagen ausdrucken musste, war deshalb nicht gegeben. Das gilt auch während der Teilnahme an der Hauptverhandlung.
Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Beschwerdeführer. persönlich nach seinem Vortrag im Schriftsatz vom 5. Oktober 2012 jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit einem Computer gearbeitet habe. Denn dies belegt nicht die Notwendigkeit der Ausdrucke vom Standpunkt eines objektiven Dritten.
Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, sich aufgrund langjähriger Erfahrung eine spezielle Lesetechnik erarbeitet zu haben, die es ermögliche, physisch in Papierform vorliegenden Text quasi zu scannen, rechtfertigt auch dies keine andere Beurteilung, weil es nicht auf die subjektive Sicht des Rechtsanwalts, sondern auf die objektive Sicht eines sachkundigen Dritten ankommt.
Das Studium umfangreicher Akten am Bildschirm mag von dem Beschwerdeführer als unangenehmer und für die Augen ermüdender empfunden werden als das Lesen von Papierakten. Eine objektive Notwendigkeit, die Dateien deshalb (vollständig) auszudrucken, folgt daraus auch angesichts der vorgetragenen - auch starken - Sehbeeinträchtigung nicht. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese nicht mit eine Sehhilfe korrigiert werden kann.
bb) Dem Beschwerdeführer stehen auch die begehrten Längenzuschläge für die Hauptverhandlungstermine vom 8. Mai und 19. Juni 2012 nicht zu.
Der Senat teilt insoweit - nicht zuletzt auch im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der niedersächsischen Oberlandesgerichte in dieser Frage - die vom hiesigen 2. Strafsenat (Beschluss vom 10. Juli 2007 - 2 Ws 124/07, Nds. Rpfl. 2007, 385) und vom OLG Oldenburg (OLG Oldenburg, Beschlüsse vom 23. April 2014 1 Ws 153/14 und vom 12. Juni 2007 - 1 Ws 310/07,- juris) sowie vom überwiegenden Teil der Oberlandesgerichte vertretene Auffassung, dass die Zeit der Mittagspause unabhängig von ihrer Länge grundsätzlich und regelmäßig in vollem Umfang von der Dauer der Hauptverhandlung abzuziehen ist (OLG Celle, Beschluss vom 12. März 2014 1 Ws 84/14 -, juris; OLG Bamberg AGS 2006, 124; OLG Koblenz NJW 2006, 1149; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2006, 191; OLG München StRR 2009, 199; a.A. OLG Karlsruhe Beschluss vom 10. Oktober 2013 1 Ws 166/12 mit weiteren Nachweisen,- juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
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