Gericht / Entscheidungsdatum: AG Kehl, Urt. v. 29.04.2016 - 2 Cs 303 Js 19062/15
Leitsatz: Zu den Voraussetzungen einer Durchsuchung von Gegenständen an einem angeblichen Kriminalitätsschwerpunkt (gefährlicher Ort im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG).
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln
hat das Amtsgericht Kehl durch am 29.04.2016 beschlossen:
Tenor:
1. Der Erlass des beantragten Strafbefehls wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten vor, er habe am 29.10.2005 über den Grenzübergang Kehl/Straßburg sieben Subutex-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je 8 mg Buprenorphin in das Bundesgebiet verbracht, ohne, wie er gewusst habe, im Besitz der für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis gewesen zu sein, strafbar als vorsätzliche unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG.
II.
Am 29.10.2005, um 14:30 Uhr, wurde der Angeschuldigte in der Allmendzeilstraße/Ecke Flurstraße in Kehl von zwei Polizeibeamten des Polizeireviers Kehl einer Personenkontrolle unterzogen. Dabei fragten die Polizeibeamten, denen der Angeschuldigte als Betäubungsmittelkonsument bekannt war, ob er damit einverstanden sei, dass seine mitgeführte Tasche durchsucht werde, was der Angeschuldigte bejahte. Bei der Durchsuchung wurde ein Blister mit sieben Subutex-Tabletten aufgefunden.
In der Beschuldigtenvernehmung zum Vorwurf des Verstoßes gegen § 29 BtMG gab der Angeschuldigte zu, die Subutex-Tabletten zuvor in Straßburg gekauft zu haben.
III.
Gegen den Angeschuldigten besteht kein hinreichender Tatverdacht. Eine Verurteilung ist mit den zur Verfügung stehenden, verwertbaren Beweismitteln nicht zu erwarten.
1. Die in der Tasche des Angeschuldigten aufgefunden und sichergestellten Tabletten sind durch eine rechtswidrige Durchsuchung erlangt worden (a.) und unterliegen deshalb einem Beweisverwertungsverbot (b.).
a) Die Durchsuchung der vom Angeschuldigten mitgeführten Tasche erfolgte ohne Rechtsgrundlage.
(1.) Die Voraussetzungen für eine Durchsuchung der Tasche nach § 30 Nr. 4 BWPolG, worauf sich die Polizeibeamten in ihrer Stellungnahme vom 08.03.2016 berufen, lagen nicht vor.
(a) Nach § 30 Nr. 4 BWPolG kann die Polizei eine Sache durchsuchen, wenn sie sich an einem der in § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG genannten Orte befindet, also wo sich erfahrungsgemäß Straftäter verbergen, Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben, sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel oder ausländerrechtliche Duldung treffen oder der Prostitution nachgehen. Um einen solchen gefährlichen Ort handelt es sich dann, wenn Tatsachen bekannt sind, die nach kriminalistischen Erfahrungen darauf hindeuten, dass dort die in § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG genannten Tätigkeiten regelmäßig stattfinden (vgl. zum gleichlautenden Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18.11.2014, Az. 10 C 14.2284, veröffentlicht bei juris.de). Das kann hier nicht festgestellt werden.
Es ist weder allgemein noch gerichtsbekannt, dass im Bereich der Kontrollstelle Allmendzeilstraße/Ecke Flurstraße eine höhere oder spezifische Kriminalität im Vergleich zum übrigen Gebiet der Stadt Kehl besteht. Dies ergibt sich auch nicht aus der Akte, insbesondere nicht aus der Stellungnahme der Polizeibeamten zur Rechtsgrundlage für die Durchsuchung der Tasche des Angeschuldigten. Im Übrigen genügt es für die Annahme eines gefährlichen Orts im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG nicht, dass die Stadt Kehl in ihrer Gesamtheit wegen der Grenzlage und der unmittelbaren Nähe zur französischen Metropole Straßburg, eine vergleichsweise sehr hohe allgemeine Kriminalitätsrate aufweist, zumal die Allmendzeilstraße abseits der üblichen, vom Grenzverkehr genutzten Orte liegt.
(b) Selbst wenn es sich tatsächlich um einen gefährlichen Ort im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG handeln sollte, bedeutet dies nicht, dass damit ohne Weiteres auch eine Durchsuchung von Gegenständen des Angeschuldigten gemäß § 30 Nr. 4 BWPolG zulässig wäre.
Bei der Durchsuchung von Sachen, die eine Person mit sich führt, deren Identität nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG festgestellt werden darf, sind unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne strengere Anforderungen an die Höhe der abstrakten Gefahr zu stellen als bei der bloßen Identitätskontrolle. Denn das eine Durchsuchung mitgeführter Sachen kennzeichnende Element ist das Eindringen in die private Sphäre eines Betroffene im Wege eines ziel- und zweckgerichteten Suchens oder Ausforschens und stellt damit einen schwerwiegenden Eingriff in die Privat- und Intimsphäre dar (vgl. zum gleichlautenden Art. 21 Abs. 1 Nr. 4 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 07.02.2006, Az. Vf. 69-VI-04, NVwZ 2006,1284). Es bedarf deshalb besonderer Anhaltspunkte für das Vorliegen einer gesteigerten Gefahr im Hinblick auf die in § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG erfassten Handlungen. Andernfalls würde die Befugnis zur Durchsuchung von Gegenständen gemäß § 30 Nr. 4 BWPolG einen beliebig großen Personenkreis erfassen. Jeder, der sich an diesem als gefährlich eingestuften Ort aufhält, könnte einer Durchsuchung ausgesetzt sein, ohne dass dies mit seinem Verhalten in Beziehung gebracht werden könnte oder durch ihn veranlasst wäre. Damit wären potentiell breite Kreise der Bevölkerung von dieser weitgehenden Eingriffsmöglichkeit betroffen, ohne dass eine spürbare Einschreitschwelle existiert (vgl. die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs a.a.O.). Es bedarf deshalb einer erhöhten abstrakten Gefahr, die das Einschreiten gegen eine konkrete Person rechtfertigt. Der bloße Aufenthalt an einem gefährlichen Ort genügt dafür nicht. Es müssen zusätzliche und als solche hinreichend greifbare Erkenntnisse hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG tätig ist, also sich an diesem Ort als Straftäter verbirgt, Straftaten verabredet, vorbereitet oder verübt, sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel oder ausländerrechtliche Duldung mit anderen trifft oder der Prostitution nachgeht, ohne dass jedoch die Anforderungen dafür überspannt werden dürfen (vgl. die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs a.a.O.).
Nach dieser Maßgabe waren die im Verhältnis zu § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG gesteigerten Voraussetzungen des § 30 Nr. 4 BWPolG bei dem Angeschuldigten nicht erfüllt. Es liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass hinsichtlich des Angeschuldigten eine erhöhte abstrakte Gefahr hinsichtlich der besonderen Verhaltensweisen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG gegeben war, insbesondere ergeben sich solche Erkenntnisse nicht aus der Stellungnahme der Polizei vom 08.03.2016, in der als Rechtsgrundlage der Durchsuchung der Tasche des Angeschuldigten ausdrücklich § 30 Nr. 4 BWPolG i.V.m. § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG genannt wird. Im Gegenteil ist der Angeschuldigte lediglich als Konsument von Betäubungsmitteln polizeilich bekannt, wobei er sich die Betäubungsmittel vornehmlich in Straßburg besorgt.
(2) Die Durchsuchung wäre auch nicht aufgrund alternativer Rechtsgrundlagen rechtmäßig gewesen.
(a) Zur Eigensicherung der Polizeibeamten war die Durchsuchung der vom Angeschuldigten mitgeführten Tasche nicht erforderlich. Solange der Angeschuldigte keinen Zugriff auf die Tasche hatte, ist ausgeschlossen, dass er daraus gefährliche Gegenstände hätte entnehmen können. Es wäre ausreichend gewesen, ihm die Tasche für die Dauer der Kontrolle abzunehmen.
(b) Für eine Durchsuchung nach § 102 StPO hätte es den begründeten Anfangsverdachts einer Straftat bedurft. Dafür fehlte es jedoch an tatsächlichen Anhaltspunkten. Allein der Umstand, dass der Angeschuldigte den die Durchsuchung durchführenden Polizeibeamten als Betäubungsmittelkonsument bekannt ist, genügt dafür jedenfalls nicht. Darüber hinaus hätte es einer richterlichen Anordnung bedurft; in Anbetracht der Uhrzeit wäre ein Richter voraussichtlich erreichbar gewesen.
(3) Die fehlende Rechtsgrundlage wird nicht durch die Zustimmung des Angeschuldigten in die Durchsuchung seiner Tasche ersetzt. Die Einwilligung des Angeschuldigten ist nämlich unwirksam.
(a) Eine wirksame Einwilligung setzt die Kenntnis aller hierfür maßgeblichen Umstände voraus. Dies gilt umso mehr, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Durchsuchung, die gegebenenfalls auch gegen den Willen des Betroffenen durchgesetzt werden könnte, nicht vorliegen. Der Betroffene muss deshalb darüber informiert werden, dass die Maßnahme nur durchgeführt werden kann, wenn er damit einverstanden ist, eine zwangsweise Durchsetzung nicht in Betracht kommt und die Verweigerung der Zustimmung keinerlei negativen Konsequenzen für ihn hat, weil andernfalls wegen des Machtgefälles zwischen Staat und Bürger ein Betroffener eher geneigt sein wird, in eine Maßnahme einzuwilligen, die er sonst abgelehnt hätte, wodurch eine latente Missbrauchsgefahr bestehen würde, unter Umgehung der gesetzlichen Voraussetzungen, den Betroffenen zu einer Einwilligung in die angestrebte Maßnahme zu bewegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.10.2003, Az. 2 BvR 1500/03, veröffentlicht bei juris.de; OLG Hamburg StV 2008, 12; LG Hamburg StV 2011, 528; LG Bremen StV 2005, 318; LG Saarbrücken StV 2003, 434; LG Stuttgart, Beschluss vom 02.12.1988, Az. 11 Qs 37/88, veröffentlicht bei juris.de; Bruns in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage 2013, § 105, Rn. 1; Tsambikakis in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2014, § 105, Rn. 2 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 58. Auflage 2015, § 105, Rn. 1; Hegmann in Beck'scher Online-Kommentar StPO, 23. Edition, Stand 16.11.2015, § 105, Rn. 2).
(b) Diesen Anforderungen wird die Einwilligung des Angeschuldigten in die Durchsuchung nicht gerecht. Die Polizeibeamten haben den Angeschuldigten lediglich gefragt, ob er etwas dagegen habe, wenn seine Tasche durchsucht werde, was der Angeschuldigte verneinte. Eine Erklärung der Polizeibeamten über die Rechtsgrundlage erfolgte nicht, ebenso wenig der Hinweis, dass die Durchsuchung allein von der Zustimmung des Angeschuldigten abhängt.
b)
Die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung der Tasche des Angeschuldigten führt zum Verbot der Verwertung der aufgefundenen Subutex-Tabletten als Beweismittel im Strafverfahren gegen ihn.
(1) Zwar führt nicht jede rechtswidrige Durchsuchung zur Unverwertbarkeit aufgefundener Beweismittel. Vorliegend ist aber aufgrund des Schweregrades der Rechtswidrigkeit und der wegen Fehlens jeglicher Dokumentation der Umstände, insbesondere der Rechtsgrundlage und der die Durchsuchung rechtfertigenden Tatsachen, gegebenen objektiven Willkürlichkeit der Maßnahme im Hinblick auf die Geringfügigkeit der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Straftat von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einleitung, Rn. 55 ff., und § 94, Rn. 21). Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, dass die Polizeibeamten annahmen, rechtmäßig zu handeln, und die Maßnahme auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft nachträglich begründeten, nachdem das Gericht bereits Zweifel an der Rechtmäßigkeit und der Verwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel äußerte.
(2) Das Beweisverwertungsverbot ist bereits jetzt bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zu berücksichtigen, auch wenn es womöglich tatsächlich erst zum Tragen kommt, wenn gegen die Verwertung Widerspruch erhoben wird (sogenannte Widerspruchslösung, siehe dazu Eschelbach in Beck'scher Online-Kommentar StPO, a.a.O., § 257, Rn. 20). Denn es ist bereits jetzt damit zu rechnen, dass entweder der Angeschuldigte selbst nach entsprechender richterlicher Belehrung oder ein Verteidiger der Verwertung widersprechen wird. Dies ist der Bewertung der Verurteilungswahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.
2. Eine Verurteilung des Angeschuldigten kann auch nicht auf sein Geständnis gestützt werden. Dieses erfolgte nämlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der rechtswidrigen Durchsuchung und Sicherstellung der Subutex-Tabletten (vgl. LG Berlin StV 2011, 89). Für eine Verwertbarkeit des Geständnisses des Angeschuldigten wäre eine qualifizierte Belehrung vor seiner Vernehmung erforderlich gewesen, d.h. er hätte auf die Unverwertbarkeit der aufgrund der rechtswidrigen Durchsuchung der Tasche sichergestellten Subutex-Tabletten hingewiesen werden müssen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der ihn vernehmende Polizeibeamte selbst von der Unverwertbarkeit ausging oder nicht (vgl. LG Heilbronn StV 2005, 380). Eine qualifizierte Belehrung des Angeschuldigten in diesem Sinne erfolgte nicht. Auch hier ist davon auszugehen, dass der Angeschuldigte oder ein Verteidiger der Verwertung des Geständnisses widersprechen wird.
3. Der Erlass des beantragten Strafbefehls ist nach alldem aus tatsächlichen Gründen abzulehnen.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
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