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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Untätigkeitsbeschwerde, Bewährungswiderruf, Ablauf der Bewährungszeit

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 04.03.2016 – 2 Ws 41/16

Leitsatz: 1. Eine Untätigkeitsbeschwerde ist jedenfalls seit dem 3. Dezember 2011 grundsätzlich nicht mehr statthaft.
2. Bei einem Zeitablauf von über fünf Jahren nach Ende der Bewährungszeit ist ein Bewährungswiderruf in der Regel unzulässig.



GVG §§ 198 ff.
StGB § 56f

KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
2 Ws 41/16
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Betruges
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 4. März 2016 beschlossen:

Die Untätigkeitsbeschwerde des Verurteilten wird als unzulässig verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
I.
Mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Januar 2009, rechtskräftig seit demselben Tag, wurde der Beschwerdeführer wegen siebenfacher Beihilfe zum Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Voll-streckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Nach Ablauf der Bewährungszeit erließ das Landgericht Berlin mit Beschluss vom
16. Februar 2011 die Strafe, obwohl der zuständigen Kammer die Existenz eines noch laufender Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer bekannt war, dessen Tatvorwurf in die Bewährungszeit fiel. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin hob der Senat deshalb den Straferlass des Landgerichts mit Beschluss vom 25. Mai 2011 auf.

Mit Schreiben vom 9. Juni 2011 wurde der Beschwerdeführer durch das Landgericht darauf hingewiesen, dass ein Straferlass derzeit nicht in Betracht komme und vor einer Entscheidung über Straferlass oder Widerruf der Abschluss des bei der
Staatsanwaltschaft Braunschweig zum Aktenzeichen 103 Js 56021/09 geführten
Ermittlungsverfahrens abgewartet werden solle.

Am 26. August 2011 gelangte der in einem weiteren Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder – 222 Js 5731/11 – erlassene Haftbefehl vom
14. Juli 2011 zum Bewährungsheft, dessen Gegenstand mehrere in die Bewäh-rungszeit fallende Straftaten waren. Für dieses Verfahren befand sich der Beschwer-deführer vom 17. August 2011 bis zum 11. Mai 2012 in Untersuchungshaft, Anklage wurde zum Landgericht Frankfurt/Oder am 22. März 2012 erhoben. Die dortigen
Akten wurden in der Folge aus dem vorliegenden Bewährungsheft nicht ersichtlichen Gründen am 18. Juni 2012 an die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder zurückgegeben und verblieben dort, bis die Staatsanwaltschaft unter dem 14. Juni 2013 eine neue Anklage gegen den Beschwerdeführer erhob.

Das ursprünglich von der Staatsanwaltschaft Braunschweig geführte Ermittlungsver-fahren wurde an die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder abgegeben (dortiges
Az.: 270 Js 34356/11) und soll nach dem Vortrag des Verteidigers des Beschwerde-führers eingestellt worden sein. Sachstandsanfragen der die Bewährungsaufsicht führenden Kammer wurden ab Oktober 2012 ausschließlich an das Landgericht Franfurt/Oder – 23 KLs 10/12 – gerichtet, bei dem mit Anklageerhebung das den Haftbefehl enthaltende Verfahren – 222 Js 5731/11 – anhängig geworden war. Sie blieben jedoch aufgrund der dortigen Aktenrückgabe an die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder, die erst nach dem Ablauf nahezu eines Jahres eine neue Anklage erhob, ohne Erfolg. Auch das hiesige Bewährungsheft war von April 2012 bis
März 2013 zum dortigen Verfahren übersandt. Ein von dem Verurteilten am
27. September 2012 erneut gestellter Antrag auf Straferlass wurde nicht beschieden. Halbjährlich gestellte Sachstandsanfragen bei dem Landgericht Frankfurt/Oder führ-ten weiterhin nicht zu neuen Erkenntnissen. Eine telefonische Anfrage des Senats bei dem Landgericht Frankfurt/Oder ergab, dass bisher noch nicht über die Eröff-nung des Hauptverfahrens entscheiden ist.

Mit Schreiben vom 27. Juni 2013 wurde der Beschwerdeführer erstmals darauf
hingewiesen, dass auch der Abschluss des bei dem Landgericht Frankfurt/Oder
anhängigen Verfahrens vor einer Entscheidung über einen Straferlass abgewartet werden soll. Ein gleichlautendes Schreiben wurde dem Verurteilten unter dem
14. September 2015 übersandt.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30. Dezember 2015 beantragte der
Beschwerdeführer erneut, den Straferlass nunmehr zu beschließen. Für den Fall des Festhaltens an der Zurückstellung dieser Entscheidung bat er, seine Eingabe als
Beschwerde zu werten und dem Obergericht zur Entscheidung vorzulegen.

Mit Vermerk vom 7. Januar 2016 half die Strafkammer der Beschwerde nicht ab,
vertrat weiter die Auffassung, dass über den Straferlass erst nach Abschluss des bei dem Landgericht Frankfurt/Oder (nunmehr unter dem Aktenzeichen 23 KLs 24/13) anhängigen Verfahrens zu entscheiden sei und legte die Akten dem Senat zur Ent-scheidung vor.



II.

1. Das im Schreiben des Verteidigers des Verurteilten vom 30. Dezember 2015 ent-haltene Begehren, seine Eingabe im Fall des Festhaltens der Strafkammer an der Zurückstellung der Entscheidung über den Straferlass als Beschwerde zu werten, stellt eine Untätigkeitsbeschwerde dar. Denn die darin formulierte Bitte, die Sache dem Obergericht zur Entscheidung vorzulegen, zeigt, dass er eine Entscheidung des Beschwerdegerichts begehrt.

2. Diese Untätigkeitsbeschwerde ist nicht statthaft und war daher als unzulässig zu verwerfen. Die früher von Teilen der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur befürwortete Untätigkeitsbeschwerde ist jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermitt-lungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) am 3. Dezember 2011 grundsätzlich nicht mehr statthaft (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. November 2013
2 Ws 516/13 Vollz – und vom 3. Dezember 2014 – 2 Ws 364/14 –, jeweils ausführ-lich und mit weit. Nachweisen). Da der Gesetzgeber mit dieser Neuregelung die bis-herige Rechtsschutzlücke schließen und den Rechtsschutz einheitlich und aus-schließlich über einen Anspruch außerhalb des Ausgangsverfahrens regeln wollte (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 15 f.), besteht auch keine Regelungslücke mit der Folge, dass für eine analoge Anwendung der gesetzlich nicht vorgesehenen, richterrechtlich entwickelten Untätigkeitsbeschwerde regelmäßig kein Raum mehr ist (vgl. Senat, a.a.O. und Beschluss vom 26. Mai 2015 – 2 Ws 104/15 – zu möglichen Ausnahme-fällen). Der Beschwerdeführer kann eine Förderung des Verfahrens nur durch die Erhebung einer Verzögerungsrüge nach § 198 GVG zu erreichen versuchen, der nach § 199 GVG auch in Strafverfahren anwendbar ist.

3. Der Senat merkt an, dass im vorliegenden Fall der Widerruf der Bewährung auf-grund der oben dargestellten Umstände des Einzelfalls wohl nicht mehr in Betracht kommen dürfte. Die Bewährungszeit ist seit mittlerweile mehr als fünf Jahren abge-laufen. Zwar musste die Strafkammer grundsätzlich vor einer Entscheidung über den Straferlass den Ausgang der noch offenen weiteren Strafverfahren gegen den Verur-teilten abwarten (vgl. Senat in seinem dieses Verfahren betreffenden Beschluss vom 25. Mai 2011 – 2 Ws 182/11 –). Ein Widerruf kommt aber dann nicht mehr in Be-tracht, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eine Entscheidung nicht mehr vertretbar wäre, etwa weil sie ungebührlich hinausgezögert worden ist (vgl. schon OLG Düsseldorf VRS 89, 365 [366] sowie Senat StV 2013, 393). Dabei macht es aus Sicht des Verurteilten keinen Unterschied, ob die Ent-scheidung durch die die Bewährungsaufsicht führende Kammer oder – wie hier – von einem anderen Gericht, dessen Verfahrensausgang abgewartet werden soll, unge-bührlich verzögert worden ist. Letztes scheint hier der Fall zu sein. Entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot einer funktionierenden Strafrechtspflege, das auch den Abschluss strafgerichtlicher Verfahren in angemessener Zeit umfasst, scheint das Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt/Oder nach erneuter Anklageerhebung im Juni 2013 zum völligen Stillstand gekommen zu sein. Jedenfalls bei einem Zeitab-lauf von über fünf Jahren nach Ende der Bewährungszeit dürfte daher ein Bewäh-rungswiderruf ausscheiden, wenn sich nicht anhand eigener Aktenauswertung des Bezugsverfahrens durch die Strafkammer außergewöhnliche Gründe ergeben, die ein solches Zuwarten ausnahmsweise vertretbar erscheinen lassen. Vor einem etwa-igen Straferlass wird die Kammer daher zu prüfen haben, ob solche außergewöhnli-chen Gründe vorliegen, die beispielsweise in einem Verschulden des Verurteilten an der eingetretenen Verfahrensverzögerung zu sehen wären.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiLG K. P. Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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