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Leitsatz: Will das Gericht seiner Entscheidung eine vom Bußgeldbescheid abweichende rechtliche Beurteilung der Ordnungswidrigkeit zugrunde legen, ist es erforderlich, dem Betroffenen während des gerichtlichen Verfahrens besonders auf die Veränderung dieses rechtlichen Gesichtspunktes nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO hinzuweisen, so dass er Gelegenheit hat, seine Verteidigung darauf einzustellen. Dafür ist eine Akteneinsicht des Verteidigers nicht ausreichend. Denn Adressat dieses förmlichen Hinweises ist der Betroffene, der persönlich und individuelle zu informieren ist.
KAMMERGERICHT Beschluss 3 Ws (B) 140/16 - 162 Ss 30/16 340 OW1304/16 In der Bußgeldsache gegen pp. hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 13. April 2016 beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Dezember 2015 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe:
Auf den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 29. April 2015, der ihm eine fahrlässige innerörtliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen und u.a. eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt hat, hat das Amtsgericht Tiergarten den Betroffenen am 16. Dezember 2015 wegen einer vorsätzlichen innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung nach §§ 3 Abs. 3 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, 24 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 4a (ergänzt: Satz 1), 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV, lfd. Nr. 11.3.6 eine Geldbuße in Höhe von 320,00 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts steuerte der Betroffene seinen PKW mit dem amtlichen Kennzeichen B - AZ 1044 am 25. März 2015 um 11.24 Uhr den Altstädter Ring in Richtung Moritzstraße. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war auf 50 km/h beschränkt, was ihm bewusst war.- Er fuhr jedoch mit einer Geschwindigkeit von 84 km/h nach Toleranzabzug von 3 km/h, wobei er sich bewusst war, dass er die geltende Geschwindigkeitsbeschränkung deutlich überschritt.
II. Die gegen dieses Urteil gerichtete, gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist zulässig, mit der er eine Verfahrensrüge wegen Verletzung rechtlichen Gehörs und die allgemeine Sachrüge erhoben hat, die keiner Entscheidung bedarf. Denn das Rechtsmittel hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg.
a) Die Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen des fehlenden rechtlichen Hinweises des Gerichts an den Betroffenen, dass auch eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht kommt, ist zulässig, weil sie den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. Die Rüge hat den geltend gemachten Verfahrensmangel hier die Hinweispflicht des Gerichts nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 265 Abs.1 StPO so genau bezeichnet, dass das Rechtsbeschwerdegericht ohne Rückgriff auf die Akten prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt.
Nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers ergibt sich folgender Verfahrensablauf: Nach rechtzeitiger Einspruchseinlegung beraumte die zuständige Richterin eine Termin zur Hauptverhandlung für den 26. August 2015 an und verfügte, dass der Ladung an den Betroffenen und dem Verteidiger folgender Zusatz beizufügen ist: Es wird gemäß § 265 StPO darauf hingewiesen, dass bei der gemessenen Geschwindigkeitsüberschreitung von über 50% auch eine Ahndung als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt. Die Buße könnte also ggf. deutlich erhöht werden."
Des Weiteren ordnete sie die Ladung von zwei Zeugen an.
Die Verfügung der Richterin wurde nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Der Ladung des Betroffenen und des Verteidigers fehlte der förmliche Hinweis auf eine Ahndung wegen Vorsatzes. Auch zu einem späteren Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens erfolgte ein solcher rechtlicher Hinweis nicht.
Die eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Richterin und der Justizbeschäftigten ergaben nicht das Gegenteil. Vielmehr wurde der Vortrag des Betroffenen im Grundsatz bestätigt.
b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet, weil es dem Betroffenen gelungen ist, das von ihm behauptete Verfahrensgeschehen zu beweisen.
Hat das Gericht seiner Entscheidung eine vom Bußgeldbescheid abweichende rechtliche Beurteilung der Ordnungswidrigkeit wie im vorliegenden Fall zugrunde gelegt, ist es erforderlich, dem Betroffenen während des gerichtlichen Verfahrens besonders auf die Veränderung dieses rechtlichen Gesichtspunktes nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO hinzuweisen, so dass er Gelegenheit hat, seine Verteidigung darauf einzustellen. Dies ist durch ein im Bereich des Gerichtes liegendes Missverständnis nicht geschehen. Der von der Richterin verfügte Zusatz ist versehentlich in die Ladung der beiden Zeugen aufgenommen worden, wie sich aus dem Vordruck StP 22 (Aktenvermerk bei Ladungen u.a. in Bußgeldsachen) ergibt. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist dieses Kanzleiversehen auch nicht durch die Akteneinsicht des Verteidigers geheilt worden. Denn Adressat dieses förmlichen Hinweises ist der Betroffene, der persönlich und individuelle zu informieren ist (BGH NStZ 2013, 248). Es kann dahinstehen und muss hier nicht entschieden werden, ob die durch den Verteidiger genommene Akteneinsicht dieses Versäumnis kompensieren kann, wenn der Verteidiger als schriftlich Bevollmächtigter für den vom persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen auftritt. Denn der Betroffene hat an der Hauptverhandlung teilgenommen.
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Der Rechtsmittelführer hat nachvollziehbar ausgeführt, dass er sich im Falle eines rechtlichen Hinweises des Gerichts, dass auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht kommt, anders verteidigt hätte. Er hätte den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 29. April 2015 zurückgenommen.
Daher war das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Tiergarten zurückzuverweisen.
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