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Gericht / Entscheidungsdatum: LG Dortmund, Beschl. v. 11.03.2016 - 36 Qs-257 Js 2069/15-22/16
Leitsatz:§ 37 Abs. 3 StPO findet auf die Zustellung von Strafbefehlen keine analoge Anwendung.
Zu Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl, wenn dem Angeklagten überhaupt keine Teile des Strafbefehls oder der Rechtsmittelbelehrung übersetzt worden sind.
36 Qs-257 Js 2069/15-22/16 Landgericht Dortmund Beschluss In der Strafsache gegen pp. marokkanischer Staatsangehöriger, ledig hat die 36. große Strafkammer des Landgerichts auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 13.01.2016 - Az: 731 Cs 206/15 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht die Richterin am Landgericht und den Richter am Landgericht, am 11.03.2016 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 13.01.2016 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe: I. Unter dem 15.10.2015 erließ das Amtsgericht Dortmund einen Strafbefehl gegen den hiesigen Beschwerdeführer. Dieser wurde ihm am 21.12.2015 durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt.
Obwohl bereits der Strafanzeige zu entnehmen war, dass der Beschwerdeführer der deutschen Sprache nicht mächtig war und diesem am Tatort durch einen Passanten übersetzt werden musste, war der Strafbefehl nicht in seine Sprache übersetzt worden. Auch die dem Strafbefehl beigefügte Rechtsmittelbelehrung war nicht übersetzt.
Unter dem 30.12.2015, eingegangen beim Amtsgericht Dortmund am 05.01.2016, legte der Beschwerdeführer Einspruch gegen den Strafbefehl ein.
Mit Beschluss vom 13.01.2016 verwarf das Amtsgericht Dortmund den Einspruch des Angeklagten als unzulässig, da er nicht rechtzeitig eingelegt und die zweiwöchige Frist nach Zustellung nicht eingehalten worden sei.
Auch dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer, ohne dass zuvor eine Übersetzung des Beschlusses oder der beigefügten Rechtsmittelbelehrung erfolgt wäre, durch Einlegung in den Briefkasten am 18.01.2016 zugestellt.
Unter dem 01.02.2016, eingegangen beim Amtsgericht Dortmund am 03.02.2016, legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss vom 13.01.2016 ein.
Zur Begründung führte er aus, dass ihm der Strafbefehl am 21.12.2015 zwar zugestellt worden sei, er aber aufgrund der danach folgenden Ferien und Feiertage niemanden habe finden können, der ihm das Schreiben aus dem Deutschen ins Arabische übersetzen hätte können. Er habe sich zügig nach einer Übersetzung zur Post begeben und sein Schreiben am 04.01.2016 als Einwurfeinschreiben abgesandt.
II. Der Beschwerdeführer hat zwar die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss versäumt, jedoch war ihm auch ohne Antrag von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. die Versäumung einer Rechtsmittefrist ist dabei als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 S. 3 oder nach § 346 Abs. 2 S. 3 StPO unterblieben ist. Einer unterbliebenen Belehrung steht dabei eine solche gleich, welche mit wesentlichen Mängeln behaftet ist (Maul, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 35a, Rn. 17).
Dies ist vorliegend der Fall. Ein wesentlicher Mangel liegt bei einer Belehrung auch dann vor, wenn diese dem Betroffenen nicht verständlich ist. Bei einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer liegt eine solche unverständliche Belehrung insbesondere dann vor, wenn das Gericht Kenntnis von der fehlenden Sprachkunde des Betroffenen hatte und die Zustellung - entgegen Nr. 181 Abs. 2 RiStBV - ohne die Beifügung einer für den Ausländer verständlichen Übersetzung bewirkt.
Der Annahme eines solchen Belehrungsmangels steht auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber in § 37 Abs. 3 StPO eine eigenständige Regelung für die Zustellung eines Urteils an sprachunkundige Ausländer geschaffen hat. Durch diese Regelung sollte nämlich gerade nicht bewirkt werden, dass die fehlende Beifügung von Übersetzungen in sonstigen Fällen des § 187 Abs. 2 GVG folgenlos bleiben soll. Vielmehr diente die Beifügung des Abs. 3 in § 37 StPO der Umsetzung der Richtlinien 2010/64/EU und 2012/13/EU. Artikel 3 Abs. 1 gibt den Mitgliedsstaaten jedoch gerade auf, dass verdächtige oder beschuldigte Person, die die Sprache des Strafverfahrens nicht verstehen, innerhalb einer angemessenen Frist eine schriftliche Übersetzung aller Unterlagen erhalten, die wesentlich-sind, um zu gewährleisten, dass sie im Stande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen, und um ein faires Verfahren zu gewährleisten. Zu solchen wesentlichen Unterlagen gehören jedoch auch Beschlüsse, durch welche ein Rechtsmittel verworfen wird und gegen die selber ein fristgebundenes Rechtsmittel gegeben ist. Bei der Neugestaltung des § 187 GVG und des § 37 StPO sah sich jedoch der Gesetzgeber nicht genötigt, Ladungen, Haftbefehle, Strafbefehle, Anklageschriften und sonstige gerichtliche Sachentscheidungen aufzunehmen, weil diese bereits in Nr. 181 Abs. 2 RiStBV hinreichende Berücksichtigung gefunden haben (vgl. dazu BT-Drs 17/12578, S. 11). Aus dieser Begründung lässt sich jedoch schlussfolgern, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass an die Zustellung eines Urteiles an Ausländer gerade nicht geringere Anforderungen zu stellen sind als an die Zustellung etwa sonstiger wesentlicher gerichtlicher Sachentscheidungen.
Die Frist des § 45 StPO ist nach Ansicht der Kammer ebenso gewahrt. Aus der Beschwerdebegründung geht eindeutig hervor, dass dieser unmittelbar nach Zugang des Strafbefehls und des angefochtenen Beschlusses sich um eine Übersetzung innerhalb der zweiwöchigen Einspruchsfrist kaum möglich, so dass die Übersetzung des angefochtenen Beschlusses mitsamt der Rechtsmittelbelehrung ähnlich viel Zeit in Anspruch genommen haben dürfte, auch wenn innerhalb dieser Zeit keine gesetzlichen Feiertage angefallen sind. Im Hinblick auf die zweifach unterbliebene Übersetzung dürften die Anforderung an die Darlegung des Wegfalls des Hinderungsgrundes bei einem anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführer im konkreten Fall jedenfalls nicht überspannt werden (vgl. dazu auch LG Ravensburg, Beschluss vom 04.05.2015 2 Qs 29/15, NStZ-RR 2015, 219).
Die nach Wiedereinsetzung zulässige sofortige Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss ist auch begründet.
Denn nach den obigen Ausführungen ist dem Angeklagten jedenfalls auch im Hinblick auf die Verabsäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zwar scheitert die Wirksamkeit der Zustellung nicht an § 37 Abs. 3 StPO, da diese Vorschrift für die Zustellung von Strafbefehlen keine analoge Anwendung findet (so jedoch LG Stuttgart, Beschluss vom 12.05.2014 - 7 Qs 18/14 in BeckRS 2014, 09908 und LG Gießen, Beschluss vom 29.04.2015 - 7 Qs 48/15 in BeckRS 2015, 10797). Nach den obigen Ausführungen scheitert eine analoge Anwendung daran, dass eben keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Der Gesetzgeber hat, wie bereits dargelegt, zur Umsetzung der Richtlinien 2010/64/EU und 2012/13/EU die Regelung der Nr. 181 RiStBV hinsichtlich der Übersetzung von Strafbefehlen als ausreichend erachtet. Zudem ist der beabsichtigte Zweck des § 37 Abs. 3 StPO nicht auf die Situation bei Erlass eines Strafbefehls übertragbar. Durch die Regelung soll eine Schlechterstellung der übrigen Prozessbeteiligten durch eine faktisch kürzere Begründungsfrist vermieden und ein zeitgleicher Beginn der Begründungsfrist für alle Verfahrensbeteiligten durch gleichzeitige Zustellung der Urteilsausfertigung an alle Verfahrensbeteiligte sichergestellt werden (BT-Drs 17/12578, S. 14). Bei Erlass eines Strafbefehls ist eine vergleichbare Situation nicht gegeben, da gegen diesen lediglich dem Angeklagten ein Einspruch nach § 410 StPO zusteht.
Dem Angeklagten ist jedoch, ebenso wie gegen den angefochtenen Beschluss, wegen des Verabsäumens der Einspruchsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die erfolgte Rechtsmittelbelehrung mit wesentlichen Mängeln behaftet war. § 187 Abs. 2 GVG gibt nämlich vor, dass zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten bei demjenigen, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, eine Übersetzung erforderlich ist.
Dass dabei nach § 187 Abs. 2 Satz 3 bis 5 auch ein abgestuftes System vorgesehen ist, welche Bestandteile tatsächlich übersetzt werden müssen, ist im konkreten Fall unbeachtlich, da dem Beschwerdeführer überhaupt keine Anteile des Strafbefehls oder dessen Rechtsbelehrung diese Belehrung übersetzt worden sind.
Der Angeklagte hat die versäumte Handlung, also den Einspruch, auch innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt. Er hat auch insoweit geschildert, dass ihm eine Reaktion auf den Strafbefehl, wegen der mangelnden Übersetzung, zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich war.
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