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Leitsatz: Unterlässt die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren in einer Untersuchungshaftsache die gebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Voraussetzungen einer Maßregel nach § 64 StGB, verstößt dies gegen das Beschleunigungsgebot. Falls die Verzögerung im weiteren Verfahren durch das Gericht nicht ausgeglichen wird, führt das Versäumnis grundsätzlich zur Aufhebung des Haftbefehls nach § 121 Abs. 2 StPO.
In pp. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Freiburg vom 31. März 2015 (23 Gs 751/15) wird aufgehoben. Gründe I. Der Angeklagte befindet sich seit dem 29.4.2015 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Grundlage hierfür ist der Haftbefehl des Amtsgerichts Freiburg vom 31.3.2015. In diesem Haftbefehl wird dem Angeklagten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen gemäß §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 53 StGB vorgeworfen. Er soll im Zeitraum September 2014 bis März 2015 in zwei Fällen etwa 100 Gramm (Tat 1) bzw. 200 Gramm (Tat 2) Marihuana für den gewinnbringenden Weiterverkauf über das Internet bestellt haben, woraufhin die von ihm bestellten Mengen auf den Postweg gebracht wurden. Zudem soll er in zwei weiteren Fällen etwa 500 Gramm (Tat 3) bzw. 100 Gramm (Tat 4) Marihuana, das für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war, in seiner Wohnung aufbewahrt haben. Der Haftbefehl gründet sich auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr, § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Mit Datum vom 11.8.2015 schloss die Staatsanwaltschaft Freiburg die Ermittlungen ab und erhob am gleichen Tag Anklage zum Amtsgericht - Schöffengericht - Freiburg. Das Amtsgericht Freiburg eröffnete am 17.9.2015 das Hauptverfahren und bestimmte in Absprache mit der Verteidigerin Hauptverhandlungstermin auf den 3.11.2015. Das Amtsgericht Freiburg hat die Akten dem Senat zur besonderen Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe trägt mit Schrift vom 15.10.2015 auf Anordnung der Haftfortdauer an. Der Angeklagte und seine Verteidigerin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. II. Da der Angeklagte sich am 28.10.2015 seit sechs Monaten in Untersuchungshaft befunden hat, liegen die Voraussetzungen der besonderen Haftprüfung durch den Senat nach §§ 121 f. StPO vor. Diese führt zur Aufhebung des Haftbefehls, weil die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nicht gegeben sind. 1. Der Angeklagte ist allerdings nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere auch aufgrund seiner Einlassung im Haftprüfungstermin vom 30.6.2015, der im Haftbefehl bezeichneten Taten nach Maßgabe der Anklageschrift vom 11.8.2015 dringend verdächtig und es besteht auch aus den im Haftbefehl vom 31.3.2015 näher ausgeführten Gründen der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. 2. Das Verfahren ist jedoch nicht mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Der verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgrundsatz, der für das gesamte Strafverfahren gilt, bei Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen aber besondere Beachtung verlangt, gebietet, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen (Senat, Beschluss vom 20.8.2013, 2 Ws 309/13; BVerfG StraFo 2009, 375; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 120 Rn. 3 m.w.N.). a) Vorliegend genügt der sich aus den Akten ergebende Verfahrensgang diesen von Verfassungswegen zu stellenden Anforderungen an die beschleunigte Bearbeitung des Verfahrens gegen inhaftierte Angeklagte nicht. Weder die Staatsanwaltschaft noch der Vorsitzende des Schöffengerichts haben bisher Veranlassung gesehen, einen Sachverständigen zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu beauftragen bzw. zur Hauptverhandlung zu laden. Dieses Unterlassen verstößt gegen die Vorschrift des § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO. Nach § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO ist ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und seine Behandlungsaussichten zu vernehmen, wenn das Gericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erwägt. Danach ist der Tatrichter grundsätzlich verpflichtet, einen Sachverständigen anzuhören, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt und deshalb eine Anordnung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist. Von dieser Verpflichtung besteht nur dann eine Ausnahme, wenn der Tatrichter die Maßregelanordnung nach § 64 StGB allein in Ausübung seines Ermessens nicht treffen will und diese Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist (BGH, Beschluss vom 20.9.2011, 4 StR 434/11 m.w.N.; BGH Beschluss vom 4.8.2015, 3 StR 187/15; KK-Krehl, StPO, 7. Aufl. 2013, § 246a Rn. 2). Das insoweit eingeräumte Ermessen ist eng begrenzt; nur in Ausnahmefällen darf trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 64 StGB von der Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt abgesehen werden (Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 64 Rn 22f; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 64 Rn. 18 m.w.N.). Die - mit sachverständiger Hilfe gemäß § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO vorzunehmende - Prüfung, ob der Angeklagte in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist, steht nicht zur Disposition des Angeklagten, sondern ist von Amts wegen vorzunehmen, wenn eine solche Prüfung nach Aktenlage veranlasst ist (BGH, Beschluss vom 4.8.2015, 3 StR 187/15; KK-Krehl, StPO, 7. Aufl. 2013, § 246a StPO, Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 246a Rn. 1 m.w.N.). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat auch Vorrang gegenüber der vollstreckungsrechtlichen Sonderregelung des § 35 BtMG (st. Rspr. des BGH; vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 64 Rn. 26). b) Nach Aktenlage liegt es nahe, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen sein wird, so dass es bereits im Ermittlungsverfahren erforderlich gewesen wäre, die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob beim Angeklagten die Voraussetzungen für die Verhängung einer Maßregel nach § 64 StGB vorliegen, zu veranlassen. Der Angeklagte ist vielfach, auch wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, vorbestraft. Am 24.7.2006 hatte das Amtsgericht Freiburg festgestellt, dass die der dortigen Verurteilung zu Grunde liegenden Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurden und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Eine Beiziehung der diesem Verfahren zu Grunde liegenden Akten ist bisher nicht erfolgt. Im Schlussbericht der Kriminalpolizeidirektion Freiburg vom 27.7.2015 wird auch ausgeführt, dass der Angeklagte polizeilich bereits mehrfach als Betäubungsmittelkonsument in Erscheinung getreten sei. Zudem erklärte der Angeklagte im Termin zur mündlichen Haftprüfung am 30.6.2015, er sei selbst Konsument, der Entzug mache ihm zu schaffen. Er sei bereits seit etwa drei bis vier Jahren mit der Drogenberatung in Kontakt. Die von ihm bestellten 100 und 200 Gramm aus den Taten Ziffer 1 und 2 des Haftbefehls vom 31.3.2015 seien für ihn selbst bestimmt gewesen. Die Staatsanwaltschaft geht in der Anklageschrift vom 11.8.2015 davon aus, dass bei allen dem Angeklagten vorgeworfenen Taten 10% der Betäubungsmittel für den Eigenkonsum bestimmt gewesen seien. Das Vorliegen eines Hangs, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen und der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang und den vorgeworfenen Taten liegt damit nahe. Vom Angeklagten sind - wie sich bereits aus dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr ergibt - auch mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten, nämlich gewichtige Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, zu erwarten. Ob eine konkrete Erfolgsaussicht einer Behandlung in der Entziehungsanstalt besteht, kann nur mit Hilfe des nach § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO hinzuzuziehenden Sachverständigen beurteilt werden. Die letztlich erfolglose Unterbringung in der Entziehungsanstalt in den Jahren 2007/2008 steht der Annahme, dass nunmehr eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht besteht, nicht von vornherein entgegen (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl. 2015, § 64 StGB Rn. 21; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 64 StGB Rn. 16 m.w.N.), zumal sich die Lebensumstände des Angeklagten, der inzwischen Vater einer dreijährigen Tochter ist, geändert haben und er nach seinen Angaben in der Haftprüfung zumindest eine gewisse Bereitschaft erkennen lässt, seine Betäubungsmittelproblematik in den Griff bekommen zu wollen. Dafür, dass vorliegend ausnahmsweise in Ausübung des in § 64 StGB eingeräumten eng begrenzten Ermessens von einer Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB abgesehen werden kann, ist nichts ersichtlich. c) Das demnach gemäß § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO erforderliche Sachverständigengutachten hätte daher bereits im Ermittlungsverfahren eingeholt werden müssen, nachdem spätestens aufgrund der Einlassung des Angeklagten am 30.6.2015 hierzu Anlass bestanden hat. Ein Gutachten ist stets zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzuholen. Zudem ist es geboten, auf eine zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Hängt die Anklageerhebung nicht vom Ergebnis des Gutachtens ab, muss dessen Eingang nicht abgewartet werden; vielmehr kann der Beschleunigungsgrundsatz in diesen Fällen sogar gebieten, die Anklage bereits vor Eingang des Gutachtens zu erheben (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.4.2015, 1 Ws 7/15; OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02). Erteilt die Staatsanwaltschaft im Laufe des Ermittlungsverfahrens keinen Auftrag zur Begutachtung des Angeklagten, obwohl diese nach Aktenlage geboten ist, wird dem Beschleunigungsgrundsatz nicht genügt (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.4.2015, 1 Ws 7/15; OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02 und Beschluss vom 28.10.1991, 2 BL 349/91; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1.7.2009, 1 Ws 337/09 [zum Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit]). Auf dieses Versäumnis der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren käme es nur dann nicht an, wenn es durch eine spätere beschleunigte Bearbeitung ausgeglichen worden wäre und daher nicht mehr ins Gewicht fiele. Dies wäre vorliegend zu bejahen gewesen, wenn der Vorsitzende des Schöffengerichts unverzüglich nach Eingang der Akten ein Sachverständigengutachten zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Auftrag gegeben hätte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02 und Beschluss vom 28.10.1991, 2 BL 349/91). Hierzu hat das Schöffengericht bisher aber keine Veranlassung gesehen, so dass sich das Versäumnis der Staatsanwaltschaft beim Gericht fortgesetzt hat. Der Senat schließt aus, dass bis zum Hauptverhandlungstermin am 3.11.2015 oder in diesem ein Sachverständigengutachten zu den Voraussetzungen des § 64 StGB unter Beachtung des § 246a Abs. 3 StPO erstellt werden kann, zumal die gebotene Beiziehung von Vorstrafakten nicht ersichtlich ist. Ein - bei rechtzeitiger Beauftragung eines Sachverständigen voraussichtlich möglicher - Abschluss des Verfahrens beim Schöffengericht am 3.11.2015 wäre daher nur unter Verstoß gegen § 246a StPO möglich. d) Die Versäumnisse von Staatsanwaltschaft und Gericht sind folglich als so erheblich anzusehen, dass sie die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nicht rechtfertigen können (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28.10.1991, 2 BL 349/91 und Beschluss vom 9.9.2002, 2 BL 90/02; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.4.2015, 1 Ws 7/15). Der Haftbefehl des Amtsgerichts Freiburg vom 31.3.2015 ist daher aufzuheben.
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