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Entscheidungen

StPO

Verfahrensverzögerung, Einstellung, Verfahrenshindernis, Strafzumessung, Kompensation

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 19.02.2016 - Ss 9/2016 (8/16)

Leitsatz: Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 20 Abs. 3 GG, die, wenn sie nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingetreten ist, vom Revisionsgericht auf die zulässige Sachrüge hin von Amts wegen zu beachten ist, führt nur in Ausnahmefällen zu einem von Verfassungs wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis.


SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen unrichtiger Angaben zur Beschaffung einer Duldung
Verteidiger
hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 19. Februar 2016 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
den Richter am Oberlandesgericht
den Richter am Oberlandesgericht
beschlossen:

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts -Strafrichterin — Lebach vom 11. Oktober 2012 mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts — Strafrichter — Lebach zurückverwiese n.

Gründe:
Das Amtsgericht — Strafrichterin — Lebach hat den Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 11. Oktober 2012 „wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln in 19 Fällen" zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 5,-- € verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten mit am 18.10.2012 vorab per Telefax beim Amtsgericht Lebach eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag Berufung eingelegt. Nach am 21.11.2012 erfolgter Zustellung des Urteils an den Verteidiger hat dieser mit am 21.12.2012 vorab per Telefax beim Amtsgericht Lebach eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag das eingelegte Rechtsmittel als (Sprung-) Revision bezeichnet, zugleich die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lebach beantragt und die Revision mit einer Verfahrensrüge sowie mit der (ausgeführten) Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft, die dem Senat die Akten nach § 347 Abs. 2 StPO -eingegangen beim Saarländischen Oberlandesgericht am 05.02.2016 — mit Zuschrift vom 3. Februar 2016 vorgelegt hat, hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lebach zurückzuverweisen.

1. Die (Sprung-)Revision ist zulässig. Sie ist gemäß § 335 Abs. 1 StPO statthaft so-wie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 341 Abs. 1, § 344, § 345 StPO). Der Zulässigkeit der Sprungrevision steht auch nicht entgegen, dass der Verteidiger zunächst ausdrücklich Berufung eingelegt hat. Falls — wie hier ein Urteil sowohl mit der Berufung als auch mit der (Sprung-)Revision angefochten werden kann, verliert der Angeklagte das ihm insoweit bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO zustehende Wahlrecht nicht dadurch, dass er das Rechtsmittel zuvor anders bezeichnet hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 335 Rn. 2, 3, 9). Daher ist der Übergang vom Rechtsmittel der Berufung zum Rechtsmittel der Revision innerhalb der Revisionsbegründungsfrist grundsätzlich auch dann noch zulässig, wenn der Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel bereits ausdrücklich als Berufung bezeichnet hat (vgl. BGHSt 40, 395 ff. — juris Rn. 14; BGH NJW 2004, 789 f. — juris Rn. 10).

2. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse liegen nicht vor.
a) Insbesondere ist — worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zu der Revision zutreffend hingewiesen hat hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG keine Verfolgungsverjährung eingetreten, da diese im Hinblick auf das gesetzliche Höchstmaß der Freiheitsstrafe von drei Jahren einer fünfjährigen Verjährungsfrist unterliegen (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB), die mit der Beendigung der Tat beginnt (§ 78a Satz 1 StGB) — also frühestens mit der Erteilung der jeweiligen Duldung (vgl. BGH NJW 2016, 419 ff. — juris Rn. 43) —, auch hinsichtlich der ältesten, frühestens mit Erteilung der Duldung vom 7. Januar 2008 beendeten Tat selbst unter Außerachtlassung von Unterbrechungstatbeständen (§ 78c StGB') bei Erlass des angefochtenen Urteils noch nicht abgelaufen war und deren Ablauf seither gehemmt ist (§ 78b Abs. 3 StGB).

b) Auch die nach Erlass des angefochtenen Urteils im Wesentlichen dadurch eingetretene Verletzung des Beschleunigungsgebots, dass die Akten bei der Staatsanwaltschaft Saarbrücken „außer Kontrolle" geraten sind, nämlich ausweislich eines Vermerks der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 23. Dezember 2015 (BI. 133 d.A.) versehentlich als Beiakte zu einem anderen Strafverfahren ins Archiv ausgelagert worden waren, begründet kein Verfahrenshindernis. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebots im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 20 Abs. 3 GG, die, wenn sie — wie hier — nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingetreten ist, vom Revisionsgericht auf die zulässige Sachrüge hin von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BGH NJW 2007, 2647 f. — juris Rn. 10; StraFo 2009, 391 - juris Rn. 3; Senatsbeschluss vom 25. Juni 2014 - Ss 13/2014 (8/14) - m. w. N.; Fischer, StGB, 62. Aufl., §.46 Rn. 127; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Art. 6 MRK Rn. 9e), führt grundsätzlich nicht zu einem von Verfassungs wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis (vgl. BGHSt 35, 137 ff. — juris Rn. 51; BGHSt 46, 159 ff. — juris Rn. 21; OLG Rostock StV 2011, 220 ff. — juris Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Art. 6 MRK Rn. 9). Etwas anderes eilt nur in außergewöhnlichen und extrem gelagerten Einzelfällen, in welchen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und die Dauer des Verfahrens zudem mit besonderen Belastungen für den Beschuldigten einhergegangen ist, so dass eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung nicht mehr in Betracht kommt, weil die erforderliche Kompensation im Wege der Anrechnung eines bezifferten Teils der verhängten Strafe die unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer maximal noch zu erwartende Strafe ersichtlich übersteigen würde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04,09.2009 — 2 BvR 1089/09, juris Rn. 4 ff.; BGHSt 35, 137 ff. — juris Rn. 49 ff.; BGHSt 46, 159 ff. — juris Rn. 21 ff.; Senatsbeschluss vom 18. Januar 2007 - 1 Ws 263/06 -, StV 2007, 178 ff., juris Rn. 11 ff.; OLG Rostock StV 2011, 220 ff. — juris Rn. 12 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Art. 6 MRK Rn. 9, 9e). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Allein der Umstand, dass es nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils infolge einer versehentlichen Auslagerung der Akten ins Archiv zu einer allein der Justiz anzulastenden Verzögerung des Revisionsverfahrens von rund drei Jahren gekommen ist, reicht für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls nicht aus (vgl. BGH StV 2009, 638 f. in einem vergleichbaren Fall).

3. Der Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz ist auch nicht so schwerwiegend, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO — eine Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO ist nur bis zum Ende der letzten Tatsachenverhandlung möglich und dem Revisionsgericht daher verwehrt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 153a Rn. 28, 47) — gerechtfertigt wäre (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 04.09.2009 — 2 BA 1089/09, juris Rn. 5 f.; BGHSt 35, 137 ff. — juris Rn. 54; BGH NJW 1996, 2739 f.; BGHSt 54, 236 ff. juris 15; Meyer-Goßner/ Schmitt, a.a.O., Art. 6 MRK Rn. 9, 9e).

4. Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge (zumindest vorläufig) Erfolg. Auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an, Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Nachprüfung schon im Schuldspruch nicht stand, weil die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht die Verurteilung wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln in 19 Fällen tragen, so dass auch der Rechtsfolgenausspruch sowohl hinsichtlich der verhängten Einzelstrafen als auch hinsichtlich der aus ihnen gebildeten Gesamtstrafe keinen Bestand haben kann.

a) Dem Schuldspruch liegen die folgenden tatsächlichen Feststellungen zugrunde: „Nach der durchgeführten Hauptverhandlung steht fest, dass der Angeklagte nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nach Belehrung über seine Pflicht gegenüber der Ausländerbehörde wahre Angaben machen zu müssen, bewusst wahrheitswidrig angegeben hat, er gehöre zu dem aus Syrien stammenden Stamm der nichtregistrierten Kurden, dem sog. Maktum Al Keid, dessen Angehörigen in Syrien als staatenlos gelten. Hiermit verfolgte er das Ziel, seine Abschiebung nach Syrien zu verhindern. Aufgrund dieser wahrheitswidrigen Angaben bezüglich seiner Staatsangehörigkeit erteilte ihm die Ausländerbehörde erstmals am 17.06.2003 und dann In den Jahren 2003 bis 2012 in unterschiedlichen Zeitabständen immer wieder Duldungen. Gegenstand des hiesigen Verfahrens waren die erteilten Duldungen folgenden Datums:
1. 07.01.2008
2. 07.02,2008
3. 11.03.2008
4. 11.04.2008
5. 09.05.2008
6. 08.08.2008
7. 06.11.2008
8. 03.02.2009
9) 05.05.2009
10. 01.09.2009
11. 04.12.2009
12. 01.03.2010
13.31.05.2010
14. 29.07.2010
15. 30.09.2010
16. 30.11.2010
17.11.02.2011
18.24.02.2011
19.24.032011
20. 27.05.2011
21. 08,08.2011 22. 03.11.2011
23. 02.02.2012

Am 08.06.2012 offenbarte er gegenüber der Ausländerbehörde seine syrische Staatsangehörigkeit, nachdem ihm mit Bescheid vom 25.04.2012 Abschiebungshindernisse für Syrien zuerkannt wurden."

b) Mit diesen Feststellungen ist der vom Amtsgericht nach erfolgter „Teileinstellung bezüglich der Taten 20 bis 23 gemäß § 154 11 StPO" angenommene 19-fache Verstoß des Angeklagten gegen § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in der zu den Tatzeitpunkten geltenden Fassung (nachfolgend: § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a. F.) nicht belegt, da die getroffenen Feststellungen lückenhaft sind.

aa) § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a. F, stellt denjenigen unter Strafe, der unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Die Strafvorschrift will das ausländerrechtliche Verwaltungsverfahren im Interesse materiell richtiger Entscheidungen gegenüber Falschangaben absichern und das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die materielle Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung schützen (vgl. BGHSt 54, 140 ff. — juris Rn. 18; BGH NJW 2016, 419 ff. — juris Rn. 42; Senatsbeschluss vorn 9, März 2010 - Ss 109/2009 (129/09) -), wobei seit dem 28.08.2007 auch wieder das Erschleichen einer Duldung, also das Machen oder Benutzen unrichtiger oder unvollständiger Angaben mit dem Ziel, eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AuslG (Duldung) zu erlangen, strafbar ist (vgl. BGHSt 54, 140 ff. — juris Rn. 23; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30,05.2012 —111-3 RVs 62/12, juris Rn. 7; Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 95 AufenthG Rn. 55).

Um einen möglichst umfassenden Schutz zu gewährleisten, ist durch § 95 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 AufenthG a. F. bereits die Unterbreitung unrichtiger oder unvollständiger Angaben unter Strafe gestellt (vgl. BGHSt 54, 140 ff. — juris Rn. 19; Senatsbeschluss vom 9. März 2010 - Ss 109/2009 (129/09) -). Die Vorschrift regelt ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld ausländerrechtlicher Entscheidungen (vgl. BGHSt 54, 140 ff. — juris Rn, 19 f.; BGH NJW 2016, 419 ff. — juris Rn. 20, 42; Senatsbeschluss vom 9. März 2010 - Ss 109/2009 (129/09) -; Erbs/Kohlhaas, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 56; MünchKomm. StGB/Gericke, 2. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 101). Es genügt daher, wenn der antragstellende Ausländer solche Angaben macht, die im Allgemeinen zur Verschaffung eines unrechtmäßigen Aufenthaltstitels oder einer Duldung geeignet sind (vgl. BGHSt 54, 140 ff. — juris Rn. 19; BGH NJW 2016, 419 ff.— juris Rn.17, 20; Senatsbeschluss vom 9. März 2010 - Ss 109/2009 (129/09) -; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.05.2012 — 111-3 RVs 62/12, juris Rn. 8; MünchKomm. StGB/Gericke, a. a. 01 Zur Erteilung der Bescheinigung braucht es hingegen nicht zu kommen (vgl. BGHSt 54, 140 ff. juris Rn. 19; BGH NJW 2016, 419 ff, juris Rn. 42; Senatsbeschluss vom 9. März 2010 - Ss 109/2009 (129/09) -; Erbs/Kohlhaas, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 56). Strafbarkeit besteht sogar dann, wenn trotz der falschen oder unvollständigen Angaben ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht (vgl. BGH NJW 2016, 419 ff. —juris Rn. 20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.05.2012 111-3 RVs 62/12, juris Rn. 8; Erbs/Kohlhaas, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 56).
Die unrichtigen oder unvollständigen Angaben müssen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung gegenüber einer Behörde in einem Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz, das auf die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung gerichtet ist, gemacht worden sein (vgl. MünchKomm. StGB-Gericke, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 100). Die Angaben müssen der Ausländerbehörde vom Täter zur Kenntnis gebracht werden (vgl. BGH NJW 2016, 419 ff. -juris Rn. 42; MünchKomm-StGB/Gericke, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 101), also entweder vor der Ausländerbehörde gemacht worden oder — bei schriftlicher Antragstellung — dieser zugegangen sein (vgl. Erbs/Kohlhaas, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 56). In subjektiver Hinsicht ist hinsichtlich der Tathandlung Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt (vgl. Erbs/Kohlhaas, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 60; MünchKomm. StGB/Gericke, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 111). Werden in demselben Verwaltungsverfahren die unrichtigen Angaben wiederholt, liegt nur eine Tat vor (vgl. Erbs/Kohlhaas, a. a. 0,, § 95 AufenthG Rn. 62; MünchKomm. StGB/Gericke, a.a.O., § 95 AufenthG Rn. 113; Huber/Stoppa, AufenthG, § 95 Rn. 310). Werden hingegen dieselben unrichtigen oder unvollständigen Angaben in einem weiteren. Antragsverfahren, etwa in einem auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung gerichteten Verfahren, wiederholt, so liegt eine neue Tat vor (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrats zu deren Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern [Zuwanderungsgesetz) BT-Drucks. 14/7987 BT-Drucks. 14/8046, S. 6; Huber/Stoppa, a.a.O.; offensichtlich ebenso, wenn auch nicht ausdrücklich: OLG Hamm, Beschl, v. 26.09.2011 — 111-3 RVs 69/11, BeckRS 2011, 26597; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.05.2012 —111-3 RVs 62/12, zit. nach juris).
bb) Ausgehend hiervon erweisen sich die in dem angefochtenen Urteil zu den Einzeltaten getroffenen Feststellungen sowohl hinsichtlich des objektiven Tatbestands als auch hinsichtlich der subjektiven Tatseite als lückenhaft. Denn es fehlen konkrete Angaben dazu, wann der Angeklagte in welchem ausländerrechtlichen Verfahren in welcher Art und Weise wem gegenüber welche unrichtigen Angaben gemacht hat und in welcher Absicht dies jeweils geschah. Vielmehr ist in den Gründen des angefochtenen Urteils lediglich festgestellt, dass der Angeklagte bewusst wahrheitswidrig angegeben habe, er gehöre zu dem aus Syrien stammenden Stamm der nicht registrierten Kurden, dem sogenannten Maktum Al Keid, dessen Angehörige in Syrien als staatenlos gelten, er hiermit das Ziel verfolgt habe, seine Abschiebung nach Syrien zu verhindern, und ihm die Ausländerbehörde aufgrund dieser wahrheitswidrigen Angaben bezüglich seiner Staatsangehörigkeit erstmals am 17.06.2003 und sodann in den Jahren 2003 bis 2012, insbesondere zu den dem Schuldspruch zugrunde liegenden, im Einzelnen mitgeteilten Zeitpunkten, immer wieder Duldungen erteilt habe. Mit der bloßen Mitteilung der Daten der erteilten Duldungen, der unrichtigen Angabe zur Staatsangehörigkeit vor der ersten, am 17.06.2003 erteilten Duldung sowie des hierbei von dem Angeklagten verfolgten Ziels, seine Abschiebung nach Syrien zu verhindern, sind die den angenommenen 19 Taten zugrunde liegenden einzelnen Tathandlungen sowie die von dem Angeklagten hierbei verfolgte Absicht nicht hinreichend konkret beschrieben. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lassen sich die erforderlichen Angaben nicht entnehmen, Zwar wird im Rahmen der Beweiswürdigung noch mitgeteilt, dass die „Zeugin Kräuter, Mitarbeiterin der Ausländerbehörde Lebach", bekundet habe, der Angeklagte habe sich „bei der Behörde vorgestellt und angegeben, zu dem Stamm der staatenlosen Kurden aus Syrien zu gehören", er zur „erstmaligen Duldungserteilung persönlich vorgesprochen" habe, er die „weiteren Duldungen, die bei persönlicher Vorlage des alten Duldungspapiers erteilt würden, ... auf der Grundlage dieser Angaben erhalten" habe und bei „der Verlängerung der Duldung ... nicht erneut nach den Personalien gefragt" werde. Abgesehen davon, dass die bloße Wiedergabe der Bekundungen eines Zeugen hierauf gestützte gerichtliche Tatsachenfeststellungen nicht ersetzt, ergibt sich aus dem mitgeteilten Inhalt der Zeugenaussage jedoch schon deshalb nicht, wann konkret der Angeklagte im Vorfeld der jeweiligen Duldung an die Ausländerbehörde Lebach herangetreten ist und in welcher Form er hierbei unrichtige Angaben über seine Staatsangehörigkeit gemacht hat, um sich eine Duldung oder deren Verlängerung zu beschaffen, weil sich die Angaben der Zeugin ersichtlich nicht ausschließlich auf den konkreten, den Angeklagten betreffenden jeweiligen Verwaltungsvorgang beziehen, sondern auf die allgemeine Verwaltungspraxis ihrer Behörde.
c) Das angefochtene Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

5. Für den Fall eines erneuten Schuldspruchs weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die in der Urteilsformel anzugebende rechtliche Bezeichnung der Tat (§ 260 Abs. 4 Satz 1 StPO) hat, wenn ein Straftatbestand — wie § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG — keine gesetzliche Überschrift aufweist, mit einer anschaulichen und verständlichen Wortbezeichnung so genau wie möglich zu erfolgen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 260 Rn. 23), Die im Tenor des angefochtenen Urteils gewählte Bezeichnung „wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln" wird den Anforderungen an eine möglichst genaue Bezeichnung der Taten nicht gerecht, weil es dem Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen nicht um die Beschaffung eines Aufenthaltstitels, sondern einer Duldung ging.

b) Bei der Strafzumessung wird gegebenenfalls zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen sein, dass die Anzahl der von ihm begangenen Einzeltaten maßgeblich durch die zum Teil äußerst kurze Gültigkeitsdauer der von der Ausländerbehörde erteilten Duldungen (teilweise weniger als zwei Wochen) beeinflusst worden ist und er nach der ersten unrichtigen Angabe hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit im Rahmen von ihm beantragter Verlängerungen seiner Duldung möglicherweise nur eine geringe Hemmschwelle zu überwinden hatte, um sein strafbares Tun fortzusetzen (vgl. OLG Hamm, Besohl. v. 26,092011 -111-3 RVs 69/11, BeckRS 2011, 26597).

c) Auch wird das neue Tatgericht bei seiner Sachentscheidung zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen haben, dass das Verfahren nach Erlass des angefochtenen Urteils in rechtsstaats- und konventionswidriger Weise (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) für die Dauer von rund drei Jahren verzögert worden ist. Der zeitliche Abstand zwischen den Taten und dem Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, werden bei der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen sein (vgl. BGHSt 52, 124, 141 f., 144; BGH StV 2009, 638 f. juris Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Art. 6 MRK Rn. 9d). Dem daneben rechtlich gesondert zu bewertenden und zu entschädigenden Gesichtspunkt, dass die überlange Verfahrensdauer auf einem rechtsstaats- und konventionswidrigen-Verhalten-der Strafverfolgungsbehörden beruht, wird dadurch Rechnung zu tragen sein, dass in die Urteilsformel die nach den Kriterien des § 46 StGB zugemessene (Gesamt-)strafe aufzunehmen und gleichzeitig auszusprechen sein wird, welcher bezifferte Teil dieser Strafe zur Kompensation für die überlange Verfahrensdauer als vollstreckt gilt (vgl. zu diesem sogenannten Vollstreckungsmodell: BGHSt 52, 124, 146 f.; BGH StV 2009, 93 f. - juris Rn. 7 ff.; StV 2009, 638 f. juris Rn. 5; StV 2015, 563; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Art. 6 MRK Rn. 9a ff.).

d) Schließlich wird das neue Tatgericht zu beachten haben, dass die Urteilsgründe die für eine revisionsrechtliche Überprüfung erforderlichen Angaben zu einer in Betracht kommenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB (hier hinsichtlich einer im Verfahren 31 Js 859/09 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken am 30.07.2009 verhängten Geldstrafe) enthalten müssen (vgl. Fischer, a.a.O., § 55 Rn. 34). Soweit das Tatgericht die Warnwirkung einer früheren Verurteilung zu Lasten des Angeklagten heranziehen will, sind die Zeit der Verurteilung, die Art und Höhe der erkannten Rechtsfolge, deren Vollstreckung sowie die kurze, präzise Zusammenfassung des Gegenstands der früheren Verurteilung mitzuteilen (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 266 f; WW 1997, 2828; KG, .Beschl. v. 28.2.2001 — (4) 1 Ss 22/01 (23/01); Senatsurteil vom 28. April 2014 - Ss 21/2014 (12/14) -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 267 Rn. 18).

Einsender: RA B. Brüntrup, Minden, und RA K. Walliczek, Minden

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