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Gericht / Entscheidungsdatum: ArbG Ulm, Urt. v. 02.07.2015 - 2 Ca 411/14
Leitsatz: 1. Aus § 241 Abs. 2 BGB folgt eine Verpflichtung des Arbeitgebers, bei der Erlangung des Freigängerstatus des Arbeitnehmers mitzuwirken, wenn dies für den Arbeitgeber nicht risikobehaftet ist. 2. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB kann den Arbeitgeber im Einzelfall die Obliegenheit treffen, vor Ausspruch einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung den Vollzugsplan abzuwarten.
In pp. 1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 11.12.2014 nicht aufgelöst wurde. 2.Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen. 3. Der Wert des Gegenstands der Entscheidung wird auf EUR 9.219,00 festgesetzt. 4. Die Berufung wird zugelassen. Tatbestand Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, personenbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der am 00.00.1981 geborene, ledige Kläger ist seit 01.09.1997 bei der Beklagten als Maschinenbediener gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt EUR 3.073,00 beschäftigt. Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 30 %. Die Beklagte ist ein Anbieter für die Druckindustrie und beschäftigt am Standort A. deutlich mehr als zehn Arbeitnehmer. Es besteht ein Betriebsrat. Der Kläger wurde vom Landgericht U. durch Urteil vom 26.05.2014 aufgrund Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig seit 03.06.2014. Der Kläger trat die Haft am 01.10.2014 an. Der Strafverteidiger des Klägers fragte mit Schreiben vom 18.08.2014 bei der Justizvollzugsanstalt U. an, wann unverbindlich mit der Möglichkeit von Freigang zu rechnen sei (Anlage K 6, Bl. 71 ff. d.A.). Die Justizvollzugsanstalt U. interpretierte dieses Schreiben als Antrag auf sofortige Zulassung zum Freigang und lehnte ihn am 25.08.2015 ab (Bl. 74 d.A.). Der Kläger überließ der Beklagten das Ablehnungsschreiben der Justizvollzugsanstalt. Die Beklagte hörte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 25.11.2014 an. Auf Anlage B 1, Bl. 47 d.A. wird verwiesen. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung (Anlage B 2, Bl. 48 f. d.A.). Mit Schreiben vom 11.12.2014 erklärte die Beklagte eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2015 (Anlage K 1, Bl. 7 d.A.). Als Kündigungsgrund gab die Beklagte die Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten und die damit verbundene fehlende Planbarkeit in Bezug auf einen zeitnahen Einsatz an. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 17.12.2014, am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen, Klage erhoben. Mit Datum vom 22.12.2014 erließ die Justizvollzugsanstalt U. einen Vollzugsplan gemäß § 7 des Strafvollzugsgesetzes, nachdem am 19.11.2014 eine Vollzugsplankonferenz stattgefunden und das Justizministerium durch Erlass vom 02.12.2014 die Zustimmung erteilt hatte (Anlage K 4, Bl. 21 ff. d.A.). Der Vollzugsplan sieht die Möglichkeit von Freigang des Klägers mit freiem Beschäftigungsverhältnis ab Juni 2015 vor. Als voraussichtlicher Entlassungstermin wird der 23.11.2016 bestimmt. Die Unterbringung findet im offenen Vollzug statt. Die Justizvollzugsanstalt U. begründet den Einstieg in vollzugsöffnende Maßnahmen in einem frühen Stadium damit, dass der Kläger in der Vollzugsplankonferenz einen sehr guten Eindruck gemacht habe und die frühere Suchtproblematik bereits therapeutisch aufgearbeitet worden sei. In der Freigängerkonferenz der Justizvollzugsanstalt vom 29.04.2015 ließ diese den Kläger nach Maßgabe eines freien Arbeitsplatzes ab 26.05.2015 zum Freigang mit freiem Beschäftigungsverhältnis zu. Die Beklagte teilte dem Kläger am 18.05.2015 mit, dass sie ungeachtet der Erlangung des Freigängerstatus kein Interesse mehr an der Arbeitsleistung des Klägers habe. Der Kläger ist der Meinung, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und daher unwirksam. Die Beklagte habe von einer baldigen Vollzugslockerung ausgehen müssen, was sich im Nachhinein mit Erlass des Vollzugsplans auch bestätigt habe. Der Kläger habe die Beklagte jederzeit über den Stand der Dinge informiert. Er habe insbesondere den Personalreferenten Herrn C. darüber informiert, dass die Prüfung vollzugslockernder Maßnahmen nach Auskunft des Sozialdienstes der Justizvollzugsanstalt Ulm ca. sechs Wochen nach Haftantritt im Rahmen der Erstellung eines Vollzugsplans erfolgen könne. Zum damaligen Zeitpunkt sei innerhalb eines Jahres mit Freigang zu rechnen gewesen. Die Beklagte habe trotz genauer Kenntnisse über den Stand der Ereignisse den Vollzugsplan nicht abgewartet. Ein solches Zuwarten sei der Beklagten ohne Eingehung eines Risikos gemäß § 241 Abs. 2 BGB zumutbar gewesen. Es dränge sich unweigerlich der Eindruck auf, die Beklagte habe den Vollzugsplan bewusst nicht abwarten wollen, weil sie davon habe ausgehen müssen, der Kläger profitiere von vollzugsöffnenden Maßnahmen. Die Beklagte habe gewusst, dass ein Vollzugsplan bevorstehe. Da das Gesetz dies in §§ 5 bis 7 StVollzG vorsehe, könne dies für die Beklagte auch nicht überraschend gewesen sein. Nach Erlass des Vollzugsplan habe der Kläger diesen der Beklagten sofort vorgelegt. Die Begründung der fehlenden Planbarkeit bezweifelt der Kläger außerdem im Hinblick auf die Möglichkeit eines Langzeit-Sabbaticals. Nachteilige Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis bestünden nicht. Die Interessenabwägung falle zu Gunsten des Klägers aus. Dabei sei die lange und reibungslose Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Der Kläger habe sein Fehlverhalten erkannt und eine "zweite Chance" verdient. Die Tat weise keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis auf. Eine Rückfallgefährdung bestehe nicht. Der Kläger trägt weiter vor, die Betriebsratsanhörung sei fehlerhaft. Die Beklagte habe dem Betriebsrat fälschlicherweise mitgeteilt, ein Antrag auf sofortigen Freigang sei abgelehnt worden und es seien keine Tatsachen ersichtlich, die auf einen alsbaldigen Freigängerstatus schließen lassen würden. Schließlich beruft sich der Kläger auf einen bereits gestellten Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen und die fehlende Anhörung des Integrationsamtes. Der Kläger beantragt: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 11.12.2014 nicht beendet wird. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte ist der Auffassung, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Es sei für die Beklagte nicht ersichtlich, dass eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren sicher zu erwarten sei. Innerhalb dieser Zeit sei es dem Kläger unmöglich, seine Arbeitsleistung zu erbringen und die Beklagte sei gehindert, von ihrem Direktionsrecht Gebrauch zu machen. Bereits hierin liege eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Es fehle an einer Planbarkeit für die Arbeitgeberin, das Arbeitsverhältnis könne nicht mehr gelebt werden. Anderweitige Überbrückungsmaßnahmen seien ihr nicht zuzumuten. Da maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung der Ausspruch der Kündigung sei, habe der erst später ergangene Vollzugsplan nicht berücksichtigt werden können. Im Zeitpunkt der Kündigungserklärung sei eine baldige Vollzugslockerung nicht sicher zu erwarten gewesen. Der Kläger habe in mehreren Gesprächen keine konkreten Angaben gemacht und keine Unterlagen vorgelegt. Die Äußerung des Klägers, sein Anwalt versuche, Freigang für den Kläger zu erhalten, habe sich im Bereich der Spekulation bewegt. Das Ablehnungsschreiben der Justizvollzugsanstalt U. vom 25.08.2015 schließe einen Freigang auf absehbare Zeit aus. Von dem Vollzugsplan habe die Beklagte erst im Laufe des Verfahrens erfahren. Der Beklagten sei auch nicht zuzumuten gewesen, den Vollzugsplan abzuwarten, weil ein solcher vom Kläger nicht angekündigt worden sei. Dem Gedanken der Resozialisierung stehe die Beklagte kritisch gegenüber. Mehrere Kollegen hätten bereits eine Zusammenarbeit mit einem verurteilten Drogendealer abgelehnt. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu Gunsten des Klägers zwar die lange Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Zu Lasten des Klägers spreche hingegen, dass er den Ausfall seiner Arbeitskraft selbst herbeigeführt und verschuldet habe und die Haftstrafe mit drei Jahren und drei Monaten deutlich mehr als zwei Jahre betrage. Wegen weiterer Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen. Entscheidungsgründe Die zulässige Klage ist begründet. Die ordentliche Kündigung vom 11.12.2014 ist rechtsunwirksam. I. Der Kläger hat gegen die Kündigung vom 11.12.2014, dem Kläger nicht vor diesem Tage zugegangen, am 17.12.2014 und damit unabhängig vom genauen Datum des Zugangs innerhalb der Drei-Wochen-Frist gem. §§ 4 Satz 1, 7 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben. II. Die Kündigung ist rechtsunwirksam, weil sie gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt ist. Der Beklagte wäre es zuzumuten gewesen, den Vollzugsplan abzuwarten und sodann den im Vollzugsplan vorgesehenen - und noch vor Ablauf der Kündigungsfrist endenden - Zeitraum von acht Monaten bis zum Freigang des Klägers zu überbrücken. 1. Das Kündigungsschutzgesetz ist unstreitig aufgrund der Beschäftigtenzahl der Beklagten gemäß § 23 Abs. 1 KSchG von weit mehr als zehn Arbeitnehmern anwendbar. Der Kläger ist seit 17 Jahren und damit länger als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt (§ 1 Abs. 1 KSchG). 2. Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist eine Kündigung rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG, wenn sie nicht durch Gründe, die u.a. in der Person des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. a) Nach der Rechtsprechung des BAG zählt eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht, zu den personenbedingten Kündigungsgründen (BAG 25.11.2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 12, NZA 2011, 686). Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt nur in Betracht, wenn die der Verurteilung zu Grunde liegende Tat einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat oder der Arbeitnehmer auf andere Weise arbeitsvertragliche Pflichten, insbesondere seine Pflicht zur Rücksichtnahme, verletzt hat. Darauf beruft sich die Beklagte jedoch nicht. Sie stützt die Kündigung ausschließlich auf die haftbedingten Abwesenheitszeiten des Klägers. Es gelten vorliegend mithin die Grundsätze einer personenbedingten Kündigung. b) Voraussetzung einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung ist nach der Rechtsprechung des BAG, dass der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen (BAG 25.11.2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 14, NZA 2011, 686). Die Nichterfüllung der Arbeitspflicht muss sich außerdem nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeitgeber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit ist, hängt es von der Dauer sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Grund zur Kündigung abzugeben (BAG 25.11.2010 a.a.O.). Liegt eine beachtliche Störung vor, bedarf es der abschließenden, alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Abwägung, ob es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes fortzusetzen (BAG 25.11.2010 a.a.O.). Sowohl bei der Frage, ob von einer erheblichen Störung des Austauschverhältnisses auszugehen ist, als auch bei der Interessenabwägung ist im Fall einer Kündigung wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsverhinderung in aller Regel zu vertreten hat. Deshalb sind dem Arbeitgeber zur Überbrückung des Arbeitsausfalls regelmäßig nicht die gleichen Anstrengungen und Belastungen zuzumuten wie etwa bei einer Krankheit (BAG 25.11.2010 a.a.O.). c) Im Einzelnen geht der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts seit seiner Entscheidung vom 25.11.2010 davon aus, dass es der Darlegung konkreter Betriebsablaufstörungen nicht bedarf bei Freiheitsstrafen, die 24 Monate übersteigen, wenn eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten steht (BAG 24.03.2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 23, AP zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 33; BAG 25.11.2010 a.a.O. - Rn. 21 ff.). Andererseits lehnt der Senat die Bildung eines "absoluten" Kündigungsgrundes bei langen Freiheitsstrafen ab (BAG 25.11.2010 a.a.O.- Rn. 27). Die Verurteilung zu einer Haftstrafe von mehr als 24 Monaten führt also nicht automatisch und zwangsläufig, d.h. ohne weitere Prüfung, zur Wirksamkeit einer Kündigung. Vielmehr fragt der Senat danach, ob dem Arbeitgeber Überbrückungsmaßnahmen zumutbar sind (BAG 25.11.2010 a.a.O. - Rn. 27). Aus § 241 Abs. 2 BGB folgt nach Meinung des BAG eine Verpflichtung des Arbeitgebers, bei der Erlangung des Freigängerstatus des Arbeitnehmers mitzuwirken, wenn dies für den Arbeitgeber nicht risikobehaftet ist (BAG 24.03.2011 a.a.O. - Rn. 26; BAG 25.11.2010 a.a.O. - Rn. 28). Um das Risiko einer Beschäftigung im Rahmen des Freigängerstatus beurteilen zu können, muss er indes wissen, wegen welcher Tat der Arbeitnehmer verurteilt wurde. Daraus folgert das BAG ein Recht des Arbeitgebers, Einsicht in das Strafurteil zu nehmen (BAG 25.11.2010 a.a.O. - Rn. 28). Verwehrt der Arbeitnehmer die Einsicht, entfällt die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers. In der Entscheidung vom 24.03.2011 (a.a.O.) hat der Zweite Senat die Aussagen zu einem künftigen Freigang im Rahmen eines Vollzugsplans berücksichtigt, allerdings in jenem Fall zu Lasten des Arbeitnehmers. Der Vollzugsplan lehnte in jenem Fall Freigang vollständig ab. Eine Überprüfung der Entscheidung war laut Vollzugsplan "im Rahmen einer langfristigen vollzuglichen Perspektivplanung ... nach erfolgter Bewährung des Klägers in Vollzugslockerungen" nach Ablauf von zehn Monaten angedacht. Dies hat das BAG für ungenügend erachtet. Die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seinem Resozialisierungsbemühen zu unterstützen, gehe nicht so weit, "diesem auf die vage Aussicht hin, in ferner Zukunft eine Vollzugslockerung zu erreichen, den Arbeitsplatz bis zu einer Klärung, gegebenenfalls über Monate hinweg freizuhalten" (BAG 24.03.2011 a.a.O. - Rn. 26). d) Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung des BAG an und entwickelt die Grundsätze dahingehend weiter, dass den Arbeitgeber im Rahmen der Mitwirkungspflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB eine Obliegenheit treffen kann, den Vollzugsplan abzuwarten, falls die Erlangung des Freigängerstatus nicht vollkommen ausgeschlossen erscheint. Dies gilt zumindest bei einem Haftantritt ohne vorangegangener Untersuchungshaft. In diesem Fall sieht das Gesetz vor, dass unmittelbar nach dem Aufnahmeverfahren und der Behandlungsuntersuchung gemäß §§ 5 und 6 StVollzG ein Vollzugsplan erstellt wird. Der Vollzugsplan enthält gemäß § 7 Abs. 2 StVollzG zwingend Angaben zur Möglichkeit einer Beschäftigung im Rahmen des Freigangs. Die vom BAG statuierte Mitwirkungspflicht bei der Erlangung des Freigängerstatus wäre bedeutungslos, wenn der Arbeitgeber unmittelbar nach Haftantritt und noch vor Erstellung des Vollzugsplans durch eine Kündigung "vollendete Tatsachen" schaffen könnte. Selbst wenn der Vollzugsplan sodann einen Freigang mit freiem Beschäftigungsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsfrist ermöglicht, hätte dies für den Arbeitnehmer keinen Nutzen. Wenn man mit dem BAG eine Mitwirkungspflicht bei der Erlangung des Freigängerstatus gemäß § 241 Abs. 2 BGB befürwortet, so setzt diese Pflicht i.d.R. voraus, dass der Vollzugsplan abgewartet wird. Vor Erlass des Vollzugsplan besteht noch überhaupt keine Grundlage für eine verlässliche Prognose, wie lange die haftbedingte Arbeitsverhinderung andauern wird. Für die Aufstellung einer solchen Prognose bestehen zwei Möglichkeiten. Entweder man stellt ausschließlich auf die im Strafurteil verhängte Freiheitsstrafe ab oder man berücksichtigt darüber hinaus die Erlangung eines Freigängerstatus. Folgt man der ersten Alternative, so würde eine Freiheitsstrafe von mehr als 24 Monaten einen absoluten Kündigungsgrund bilden. Die Berücksichtigung des Einzelfalls wäre nicht möglich. Berücksichtigt man hingegen den Freigängerstatus bei der Zumutbarkeit von Überbrückungsmaßnahmen, so muss regelmäßig der Vollzugsplan abgewartet werden. Die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei der Erlangung des Freigängerstatus impliziert dies. Da die Erstellung des Vollzugsplans gesetzlich vorgesehen ist, kann sich der Arbeitgeber nach Auffassung der Kammer auch nicht darauf berufen, er habe diese Vorschriften nicht gekannt. e) Legt man diese Maßstäbe zu Grunde, liegt kein personenbedingter Kündigungsgrund vor. Es wäre der Beklagten zumutbar gewesen, bis zum Zeitpunkt des Freigangs Ende Mai / Anfang Juni 2015, d.h. für acht Monate, Überbrückungsmaßnahmen zu treffen. Die Arbeitsverhinderung des Klägers endete noch vor Ablauf der Kündigungsfrist am 30.06.2015. Der Einwand der Beklagten, im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs sei dieser Umstand noch nicht bekannt gewesen, ändert an der Bewertung nichts. Es bestand nämlich für die Beklagte die Obliegenheit, vor Ausspruch der Kündigung zumindest den Zeitraum bis zum Erlass des Vollzugsplans zu überbrücken. Erst ab diesem Zeitpunkt war eine verlässliche Prognoseentscheidung möglich gewesen. Nach Auffassung der Kammer ist die Beschäftigung des Klägers für die Beklagte derzeit nicht risikobehaftet. Nach den vorgelegten Berichten und auch nach dem Vollzugsplan ("Aufarbeitung der früheren Suchtproblematik", Anlage K 4, Bl. 21 d.A.) ist der Kläger seit längerer Zeit nicht mehr drogensüchtig. Die Justizvollzugsanstalt U. verneint daher eine Missbrauchsgefahr bei vollzugslockernden Maßnahmen. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Es steht derzeit nicht zu befürchten, dass der Kläger im Betrieb mit Betäubungsmitteln handeln wird. Der Vortrag der Beklagten, mehrere Kollegen hätten eine Zusammenarbeit mit dem Kläger abgelehnt, ist zu pauschal. Die Mitwirkungspflicht der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB entfällt schließlich auch nicht etwa aufgrund einer Verweigerung des Klägers, Einsicht in das Strafurteil zu nehmen. Ein solches erfolgloses Verlangen der Beklagten ist nicht vorgetragen. f) Es kann offen bleiben, ob der Kläger Herrn C. den bevorstehenden Erlass eines Vollzugsplans angekündigt hat. Der Erlass eines Vollzugsplans nach Antritt der Haft ist im Gesetz vorgesehen. Insofern hätte sich die Beklagte informieren müssen. Ebenso ist unerheblich, ob die Möglichkeit eines Langzeit-Sabbaticals berücksichtigt werden muss und ob die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß erfolgte. Nebenentscheidungen 1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO sowie § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Im Umfang der Klagrücknahme hat der Kläger die Kosten zu tragen, im Übrigen die Beklagte. Der zurückgenommene Weiterbeschäftigungsantrag steht im Vergleich zum (fiktiven) Gesamtkostenstreitwert wertmäßig im Verhältnis 1 zu 4 (Bestandsschutz: drei Bruttomonatsgehälter; Weiterbeschäftigung: ein Bruttomonatsgehalt; insgesamt: vier Bruttomonatsgehälter). 2. Die Streitwertfestsetzung beruht dem Grunde nach auf § 61 Abs. 1 ArbGG und entspricht in der Höhe in Bezug auf den Kündigungsschutzantrag einer Bruttovierteljahresvergütung gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 GKG. Aufgrund der Teilrücknahme entspricht der Rechtsmittelstreitwert nicht dem Gebührenstreitwert. 3. Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung folgt aus § 64 Abs. 3 a Satz 1 ArbGG. Die Kammer hat die Berufung nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Die Weiterentwicklung der Grundsätze zur haftbedingten Kündigung hat grundsätzliche Bedeutung. Die Berufung wäre ohnehin gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG zulässig. Die zulässige Kündigungsschutzklage ist begründet.
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