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Leitsatz: 1. Haftbefehlsaufhebung wegen Verletzung des Beschleunigungsgebotes bei Überhaft. 2. Unzulässigkeit des Aufsparens von Tatvorwürfen für einen zusätzlichen Haftbefehl während anderweitig laufender Haft.
Thüringer Oberlandesgericht 1 Ws 179/15 Beschluss vom 28.05.2015 In dem Strafverfahren gegen pp. wegen Raubes u. a. hier: Untersuchungshaft hat auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 12.02.2015 der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, Richter am Oberlandesgericht und Richter am Oberlandesgericht am 28.05.2015 beschlossen:
1. Der Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 12.02.2015 und der Haftbefehl des Landgerichts Erfurt vom 03.02.2014 werden aufgehoben. 2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe: I. Der Angeklagte V. verbüßt derzeit in der JVA T. eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren wegen gefährlicher Körperverletzung aus dem Urteil des Landgerichts Meiningen vom 21.05.2012 (Az. 120 Js13979/11). Das Strafende ist auf den 07.12.2015 notiert. Darüber hinaus ist für einen Haftbefehl des Landgerichts Erfurt vom 26.04.2013 (Az. 820 Js31235/12 KLs jug) und für einen Haftbefehl des Amtsgerichts Kronach vom 28.02.2013 (Az. 108 Js 1347/13), die dem Angeklagten jeweils schweren Raub zur Last legen, Überhaft notiert.
Am 16.10.2013 erhob die Staatsanwaltschaft Gera in vorliegender Sache Anklage gegen den Angeklagten. Darin werden ihm gemeinschaftlicher Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Ziffer 1. der Anklageschrift) und - tatmehrheitlich - eine gemeinschaftlich begangene versuchte räuberische Erpressung (Ziffer 2. der Anklageschrift) zur Last gelegt, strafbar gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 249 Abs. 1, 253 Abs. 1, 2, 255, 22, 23, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB.
Unter Hinweis auf das im März 2014 bevorstehende Strafzeitende des (u. a. wegen Mordes vorverurteilten) Mitangeklagten H. und den beim Angeklagten V. im August 2014 anstehenden 2/3-Termin (§ 57 StGB) beantragte die Staatsanwaltschaft Gera am 29.01.2014, gegen den Angeklagten V. (und den Mitangeklagten H.) wegen der mit der Anklageschrift vom 16.10.2013 vorgeworfenen Taten einen auf die Haftgründe der Verdunklungs- und Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl zu erlassen. Diesem Antrag entsprach das Landgericht Erfurt mit dem am 27.02.2014 verkündeten Haftbefehl vom 03.02.2014, gegen den sowohl der Angeklagte V. als auch der Mitangeklagte H. Beschwerde einlegten.
Das Landgericht Erfurt hob darauf hin mit Beschluss vom 17.03.2014 den gegen den Mitangeklagten H. ergangenen Haftbefehl vom 03.02.2014 unter Hinweis auf insoweit nicht mehr bestehenden dringenden Tatverdacht auf. Den gegen den Angeklagten V. erlassenen Haftbefehl hielt die Strafkammer, beschränkt auf den Tatvorwurf zu Ziffer 1. des Haftbefehls und der Anklage, aufrecht und legte dessen Beschwerde dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, die der Senat mit Beschluss vom 25.04.2014 (Az. 1 Ws 152/14) verwarf.
Am 12.02.2015 eröffnete das Landgericht das Hauptverfahren gegen den Angeklagten V. (nur) wegen des Tatvorwurfs zu Ziffer 1. der Anklage und ließ insoweit die Anklageschrift zur Hauptverhandlung vor der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Erfurt zu. Zugleich ordnete es an, dass der Haftbefehl vom 03.02.2014 insoweit aufrechterhalten und in Vollzug bleibt.
Gegen den Haftfortdauerbeschluss vom 12.02.2015 hat der Angeklagte V. am 01.04.2015 Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Thüringer Oberlandesgericht zugeleitet hat.
In ihrer Zuschrift an den Senat vom 28.04.2015 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Hierzu hat der Verteidiger des Angeklagten V. Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. II. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg, weil Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft - dringenden Tatverdacht und Haftgrund unterstellt - wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen unverhältnismäßig sind.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zuletzt etwa BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 2014, 2 BvR 2248/13,2 BvR 2301/13, bei juris) setzt das verfassungsrechtliche Erfordernis der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs der Dauer der Untersuchungshaft unabhängig von der Straferwartung in dem zu sichernden Verfahren eine weitere Grenze, die mit dem verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Beschleunigungsgrundsatz in Zusammenhang steht (vgl. BVerfGE 20, 45, 49; 53, 152, 158).
Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 2014, 2 BvR 2248/13,2 BvR 2301/13, bei juris).
Der Beschleunigungsgrundsatz beansprucht auch für das Zwischenverfahren nach den §§ 199 ff. StPO Geltung. Auch in diesem Stadium muss das Verfahren mit der gebotenen Zügigkeit gefördert werden, um im Falle der Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und anschließend im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Das Beschleunigungsgebot findet grundsätzlich ungeachtet der geringeren Eingriffswirkung auch dann Anwendung, wenn ein Haftbefehl wegen Strafhaft in anderer Sache nicht vollzogen wird und lediglich Überhaft vermerkt ist (KK-Graf, StPO, 7. Aufl., § 112 Rdnr. 60 m. w. N.). Auch die Überhaft ist auf das sachlich vertretbare Mindestmaß zu beschränken; sie stellt einen Grundrechtseingriff für den Betroffenen dar, weil sich für diesen aus Gründen des Haftrechts Einschränkungen ergeben, wenn neben Strafhaft Untersuchungshaft angeordnet wird (vgl. BVerfG a. a. O. m. w. N.).
Dieser Konsequenz dürfen sich die Verfolgungsbehörden im Übrigen nicht dadurch entziehen, dass sie (zunächst) davon absehen, den Erlass eines Überhaft-Haftbefehls herbeizuführen, und diesen erst bei Herannahen des Endes einer in anderer Sache verbüßten Haft beantragen (vgl. BVerfG StV 2006, 251; Senatsbeschluss vom 08.05.2014, 1 Ws 167/14; OLG Koblenz, Beschluss vom 09.12.2010, Az. 1 Ws 569/10, bei juris). Ein sog. Aufsparen (Vorrätighalten) von Tatvorwürfen (während anderweitig laufender Haft) für einen zusätzlichen Haftbefehl zulasten des Beschuldigten ist damit unzulässig (KK-Schultheis, a. a. O., § 120 Rdnr. 10 a. E.).
2. Nach diesen Maßstäben ist die Aufrechterhaltung des Haftbefehls gegen den Angeklagten V. - ungeachtet des Umstandes, dass in vorliegender Sache noch keine Untersuchungshaft vollzogen wurde - nicht mehr verhältnismäßig.
Begegnet es nach dem Vorstehenden bereits Bedenken, dass der Haftantrag der Staatsanwaltschaft - unter ausdrücklichem Hinweis auf eine in Betracht zu ziehende Beendigung der (anderweitigen) Strafhaft durch Reststrafenaussetzung - erst im Januar 2014, also deutlich nach Anklageerhebung im Oktober 2013 und insbesondere nach Vorliegen des polizeilichen Schlussberichts vom 05.04.2013, gestellt wurde, ist jedenfalls mit den weiteren, im Zwischenverfahren entstandenen Verzögerungen die Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung nicht mehr gewahrt.
Insbesondere lassen die dem Senat vorgelegten Akten nicht erkennen, aus welchem Grunde vom Eingang des psychiatrischen Gutachtens vom 10.08.2014 bei Gericht Mitte August 2014 bis zur Eröffnungsentscheidung am 12.02.2015 das Verfahren nicht gefördert worden ist. Dass die Kammer genügend andere Sachen zu verhandeln hatte, in denen auch tatsächlich Untersuchungshaft vollzogen wurde, rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine andere Beurteilung. Denn für die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes kommt es letztlich nur darauf an, ob die Verzögerung den Justizorganen - gleich welchen - anzulasten ist. Es ist Sache des Staates, in Erfüllung der Justizgewährungspflicht für eine ausreichende personelle Ausstattung der mit Haftsachen befassten Gerichte zu sorgen, damit insbesondere Haftsachen in angemessener Zeit verhandelt werden können (BVerfG NJW 2003, 2895 f, bei juris, Rdnr. 20 m. w. N.; Senatsbeschluss vom 09.10.2014, Az. 1 Ws 459/14).
Der Aufrechterhaltung des Haftbefehls - nach einem Zeitraum von mittlerweile mehr als 18 Monaten seit Anklageerhebung und bei bislang noch nicht möglicher Terminierung der Hauptverhandlung wegen Anfechtung der teilweisen Nichteröffnung des Hauptverfahrens - ist daher unverhältnismäßig. Die Haftfortdauerentscheidung des Landgerichts vom 12.02.2015 und der Haftbefehl vom 03.02.2014 waren aufzuheben.
3. Die Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen beruht auf §§ 464, 467 Abs. 1 StPO analog.
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