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Strafzumessung, Besitz von Betäubungsmitteln, Kleinstmenge
Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.01.2016 - 1 Ss 776/15
Leitsatz: Zur Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes einer Kleinmenge Betäubungsmittel.
Geschäftsnummer: 1 Ss 776/15 Oberlandesgericht Stuttgart - 1. Strafsenat - Beschluss in der Strafsache gegen pp. wegen Besitz von Betäubungsmitteln, Der 1. Strafsenat hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 27. Januar 2016 gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 22. September 2015 mit den zugehörigen Feststellungen 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ellwangen zurückverwiesen.
Gründe:
Am 19. Mai 2015 verurteilte das Amtsgericht Bad Mergentheim den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der Freiheitsstrafe von zwei Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Ellwangen am 22. September 2015 als unbegründet verworfen. Zur Tat hat es dabei festgestellt:
Der Angeklagte hielt sich am 12. Oktober 2014 gegen 17.00 Uhr gemeinsam mit dem Zeugen ppp. auf einer Bank im Bereich des Bahnhofs in Igersheim auf. Als die beiden erkannten, dass sich ein Streifenwagen näherte, standen sie auf und entfernten sich. Polizeikommissar ppp., der die beiden verfolgte, konnte jedoch gleichwohl eine Kontrolle durchführen. Hierbei stellte sich heraus, dass der Angeklagte in einer Taschenlampe Mini-Magiite", die er an seinem Schlüsselbund befestigt hatte, 0,3 Gramm Amphetamingemisch mit einem Wirkstoffgehalt zwischen zehn und zwanzig Prozent wissentlich und willentlich bei sich führte. Der Angeklagte wusste, dass er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis verfügte."
Bei der Bemessung der Strafe hat das Berufungsgericht zugunsten des Angeklagten dessen Geständnis im Berufungsverfahren sowie die geringe Betäubungsmittelmenge gewertet. Zu seinen Ungunsten hat es berücksichtigt, dass der Angeklagte einschlägig vorbestraft ist und zur Tatzeit unter Bewährung stand. Ferner hat es berücksichtigt, dass der Angeklagte einen Bekannten veranlasst hat, vor Amtsgericht falsch auszusagen, um ihn selbst zu entlasten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt.
II. Das zulässige Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Das Urteil hält der durch die Sachrüge veranlassten Überprüfung nicht stand. Die Bemessung der Strafe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die für die Strafzumessung wesentlichen Umstände zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht hat jedoch unter anderem dann einzugreifen, wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein und nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumten Spielraums liegt (st. Rspr., z. B. BGHSt 17, 35, 36 f; 29, 319, 320 ; 34, 345, 349 jeweils m. w. N.).
Dies ist vorliegend der Fall. Die Strafe von zwei Monaten Freiheitsstrafe ist nicht mehr schuldangemessen. Sie wird den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich nicht mehr gerecht, weil sie zur Tat außer Verhältnis steht und den Rahmen des Schuldangemessenen überschreitet. Damit ist auch das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot verletzt.
Ausgangspunkt und Grundlage der Strafzumessung ist die in der Tat zum Ausdruck gekommene Schuld (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB). Maßgebend für die Bemessung einer schuldangemessenen Strafe sind in erster Linie die Schwere der Tat und ihre Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung sowie der Grad der persönlichen Schuld des Täters (BGHSt 20, 265, 266; 24, 132, 133). Beide Elemente sind miteinander verknüpft. Einerseits darf das Unrecht einer Tat nur in dem Umfang für die Strafzumessung Bedeutung erlangen, in dem es aus schuldhaftem Verhalten des Täters erwachsen ist, und andererseits kann die strafrechtlich relevante Schuld allein in einem bestimmten tatbestandsmäßigen Geschehen und seinen Auswirkungen erfasst werden (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 2). Das Schuldmaß kann nur in enger Relation zum Gewicht des Tatunrechts angemessen bewertet werden. Die Tatschuldquantifizierung hat sich mithin vornehmlich am Unrechtsgehalt der Tat, der maßgeblich durch ihren Handlungs- und Erfolgsunwert bestimmt wird, zu orientieren. Das Tatgericht hat die Handlungs- und Erfolgs-komponente einer Gesamtwürdigung zu unterziehen; die gefundene Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen und darf nicht schlechthin unangemessen sein. Hierin liegt eine absolute Grenze, die auch aus spezial- oder generalpräventiven Gründen nicht über-schritten werden darf; die verhängte Strafe darf auch zur Erreichung der gesetzlich anerkannten Strafzwecke die Schuld des Täters nicht übersteigen (zum Ganzen OLG Stuttgart, NStZ 2007, 37).
Ausgehend von diesen Maßstäben gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass das Landgericht die der Schuldbewertung durch den Umfang des Tatunrechts gesetzten Grenzen aus dem Blick verloren und demgegenüber den Gesichtspunkt des Handlungsunwerts - hier die täterbezogenen Umstände der Vorstrafen und des Bewährungsversagens - überbewertet hat. Die Tat ist der Bagatellkriminalität zuzuordnen und dort im untersten Bereich anzusiedeln. Bei dem beim Angeklagten vorgefundenen Amphetamingemisch handelt es sich um eine äußerst kleine Menge, die unter den Begriff der geringen Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG fällt.
Danach ist eine Menge als gering anzusehen, wenn sie zum einmaligen bis höchstens dreimaligen Gebrauch geeignet ist (Weber, BtMG, 4. Auflage, § 29 Rdnr. 2068 m.w.N.). Bei Amphetamin liegt die Obergrenze einer geringen Menge bei 150 mg (0,15 g) Amphetamin-Base (Weber a.a.O. Rdnr. 2077). Eine Konsum-einheit entspricht daher 50 mg (0,05 g) Base.
Nach den vorliegenden Feststellungen führte der Angeklagte deutlich weniger als eine Konsumeinheit bei sich. Bei einem zugunsten des Angeklagten angenommenen Wirkstoffgehalt von zehn Prozent errechnet sich aus der nach den Urteilsfest-stellungen aufgefundenen Menge von 0,3 Gramm Amphetamingemisch ein Wirk-stoffgehalt von 0,03 Gramm. Dies entspricht lediglich einem Fünftel der Obergrenze der geringen Menge.
Die Verhängung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe zur Sühne für Tatschuld und Tatunrecht ist bei dem Besitz einer derartigen Kleinstmenge - ohne Rücksicht auf die strafrechtliche Vergangenheit eines Angeklagten oder dessen Nachtatverhalten - unverhältnismäßig und nicht mehr vertretbar. Die Sachverhaltsfeststellungen enthalten auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fremdgefährdung, etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte. Der neue Tatrichter wird daher prüfen, ob angesichts dieser Kleinstmenge noch besondere Umstände i.S.d. § 47 Abs. 1 StGB angenommen werden können, die aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur zur Verhängung der Mindestfreiheits-strafe führen könnten, oder ob dem Übermaßverbot durch Verhängung einer geringen Geldstrafe zu entsprechen ist, soweit nicht ohnehin ein Absehen von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtMG in Betracht kommt.
Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte auch mit der erhobenen Verfahrensrüge Erfolg gehabt hätte. Insbesondere kann offen bleiben, ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen die voneinander abweichenden Feststellungen zum Nettogewicht des Amphetamingemisches im angefochtenen Urteil einerseits und in dem verlesenen Untersuchungsbericht andererseits gehabt hätten.
Das Urteil ist daher mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Ellwangen zurückzuverweisen.
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