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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Pyrotechnik, Bewährung, Fußball

Gericht / Entscheidungsdatum: Landgericht Essen, Urt. v. 03.03.2015 - 31 Ns 213/14

Leitsatz: Zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung


In pp.
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 21.08.2014 wird verworfen.

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 21.08.2014 aufgehoben.

Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

§§ 223, 224 I Nr. 1, 4, 303, 303 c, 25 II, 52 StGB 27 II Nr. 2 Versammlungsgesetz.



1
Gründe:
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I.
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Der Entscheidung ist keine Verständigung im Sinne von § 257 c StPO vorausgegangen.
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II.
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Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer – Schöffengericht – vom 21.08.2014 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen das Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht Berufung eingelegt und die Berufungen in der Berufungshauptverhandlung mit wechselseitiger Zustimmung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Berufung der Staatsanwaltschaft war erfolgreich, die Berufung des Angeklagten blieb ohne Erfolg.
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III.
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Der 24 Jahre alte Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger und ledig. Er wuchs mit seinem jüngeren Bruder im Haushalt der Eltern auf. Das Familienleben war durch erhebliche Alkoholprobleme des Vaters belastet. Der übermäßige Alkoholkonsum des Vaters führte zum Verlust seines Arbeitsplatzes sowie zur Trennung und Scheidung der Eltern. Mittlerweile ist der Vater des Angeklagten Frührentner. Zwischen Vater und Sohn bestanden viele Jahre keinerlei Kontakte. Erst im Jahr 2012 normalisierte sich der Kontakt des Angeklagten zu seinem Vater. Der Angeklagte wurde von seiner alleinerziehenden Mutter mit einer nachgebenden verwöhnenden Haltung erzogen. Gleichwohl machte der Angeklagte nach dem regulären Besuch von Kindergarten und Grundschule in S sein Abitur und begann das Studium der Sozialwissenschaften in C; erste Prüfungen für den Bachelor-Abschluss will er im Sommersemester 2015 ablegen.
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Bereits mit 14 Jahren schloss sich der Angeklagte dem Fanprojekt des Fußballvereins T „Ultras H“ an. Im Jahr 2007 gründete er die Gruppierung „I“ mit. Er besuchte regelmäßig Heim- und Auswärtsspiele des T, dies auch europaweit. Darüber hinaus war er für die Polizei einer von drei Ansprechpartnern der Gruppe, um insbesondere bei Auswärtsfahrten einen „geordneten“ Besuch der Fußballspiele abzustimmen. In dieser Funktion war der Angeklagte ein durchaus verlässlicher Ansprechpartner für die Kontaktbeamten der Polizei. Darüber hinaus verfügte der Angeklagte auch über ein entsprechendes Standing in der Gruppe der „I“. Er war einer der „Köpfe“ der Gruppierung. In diesem Sinne verhandelte er z.B. als Vertreter der Gruppierung über etwaige Stadionverbote, die einzelnen Mitgliedern der I wegen Ausschreitungen bei einem Bundesligaspiel in E im November 2012 drohten.
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Der Angeklagte beabsichtigte, sich im Bereich der Textilveredelung selbstständig zu machen. Hierzu wollte er eine GmbH gründen, um Fanartikel, insbesondere Kleidungsstücke, selbst zu bedrucken und zu vertreiben. Kunden sollten T1-Fans sein, die er aufgrund seiner Bekanntheit in der Fan-Szene des T zu gewinnen hoffte. Dieses Projekt hat der Angeklagte nach eigenen Angaben überdacht und noch nicht realisiert, weil er sich von der Fan-Szene lösen wolle. Mit dieser Loslösung sei allerdings auch verbunden, dass sich ihm der erhoffte Vertriebsmarkt dann nicht mehr erschließen würde.
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Dass der Angeklagte sich seit der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht im August 2014 dauerhaft von der Fan-Szene des T und der Gruppierung der „I“ distanziert hätte, konnte die Kammer nicht feststellen. Aufgrund von Vorfällen im Zusammenhang mit Besuchen von Fußballspielen und vermeintlichen Körperverletzungen im privaten Umfeld des Angeklagten haben die Kontaktbeamten des Polizeipräsidiums H1 noch im November 2014 eine Gefährder-Ansprache gegenüber dem Angeklagten für erforderlich gehalten und durchgeführt. Noch im Dezember 2014 hat der Angeklagte mit Mitgliedern der „I“ das Bundesligaauswärtsspiel des T in G besucht.
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Der Angeklagte ist strafrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:
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Am 13.07.2006 hat die Staatsanwaltschaft C1 in einem Verfahren wegen Urkundenfälschung von der Verfolgung nach § 45 Abs. 2 JGG abgesehen.
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Am 27.02.2007 verurteilte das Amtsgericht S1 den Angeklagten wegen falscher Verdächtigung zur Erbringung von Arbeitsleistungen.
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Am 11.10.2007 verurteilte das Amtsgericht S1 den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zur Erbringung von Arbeitsleistungen.
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Am 12.12.2007 verurteilte ihn das Amtsgericht C2 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zur Erbringung von Arbeitsleistungen.
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Am 12.11.2008 verurteilte ihn das Amtsgericht S1 wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Erbringung von Arbeitsleistungen.
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Am 07.07.2010 verurteilte ihn das Amtsgericht O wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10 Euro.
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Am 16.03.2011 verurteilte ihn das Amtsgericht S1 wegen besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Beleidigung und Beihilfe zum Erschleichen von Leistungen. Das Amtsgericht S1 verwarnte den Angeklagten und erteilte eine richterliche Weisung.
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Am 13.06.2012 verurteilte das Amtsgericht O den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe ist noch nicht erlassen. In den Gründen des Urteils heißt es:
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„Am 06.03.2011 gegen 0:56 Uhr griff der unter Alkoholeinfluss stehende Angeklagte N am Treppenaufgang Richtung Straßenbahninsel zum Hauptbahnhof im U-Bahn-Verteilergeschoss L in O1 ohne jeglichen rechtfertigenden Grund den ihm völlig unbekannten Studenten T2 und schlug ihm unvermittelt zweimal mit der Faust ins Gesicht. Sodann wandte sich der Angeklagte N dem Studenten T3 zu und versetzte diesem ebenfalls ohne jeglichen rechtfertigenden Grund mit der Faust einen Schlag gegen das rechte Auge.
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Wie vom Angeklagten N vorhergesehen oder zumindest billigend in Kauf genommen, erlitten die Geschädigten hierdurch Schmerzen, T3 zudem eine Platzwunde über dem rechten Auge und eine Schädelprellung. […] Hintergrund des ganzen Geschehens war die Niederlage des Fußballvereins T, dessen Anhänger die beiden Angeklagten sind gegen den W am Abend des 05.03.2011 in T4. Nach dem Spiel waren die Angeklagten und andere T1-Fans nach O1 gekommen, um an einer Feier auf der O1 Burg teilzunehmen. Dort hatten sie erhebliche Alkohol getrunken und auf dem Rückweg zum Bus durch den O1 Hauptbahnhof ihren Frust und ihre Aggressivität an der zufällig des Weges kommenden Studentengruppe ausgelassen.“
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Gegen das am 13.07.2012 vom Amtsgericht O verkündete Urteil hatten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Berufung eingelegt. Nachdem die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte nach einer entsprechenden vorherigen Absprache ihre jeweiligen Berufungen zurückgenommen hatten, wurde das Urteil am 18.01.2013 rechtskräftig.
23
IV.
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Aufgrund der wirksamen Berufungsbeschränkungen auf den Rechtsfolgenausspruch ist die Kammer von folgendem, bereits durch das Schöffengericht festgestellten Sachverhalt ausgegangen:
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„Der Angeklagte ist Anführer der Ultragruppierung, deren Mitglieder zum Teil in E am Vortag des Spiels gegen G ein Stadionverbot erhielten. Ihm war ebenso wie den übrigen Angehörigen der I, die davon betroffen waren, bewusst, dass das Spiel gegen F am 24.11.2012 in der W-Arena für lange Zeit das letzte Fußballspiel sein würde, das diese sehen würden.
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Die I bereiteten deshalb, während der Angeklagte als Vertreter Ihrer Gruppe noch in E über das Stadionverbot verhandelte, eine Aktion vor, in deren Verlaufe im Stadion in dem unteren Bereich der Blöcke I und K öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam gemacht werden sollte, dass sich diese Anhänger des Vereins zu Unrecht von Spielen ausgeschlossen sahen. Diese Planung war dem Angeklagten, auch wenn er daran aufgrund der Gespräche teilweise persönlich nicht teilgenommen hatte, bezüglich der Banner und Spruchbänder bekannt. Er wurde am Vormittag vor dem Spiel auch eingeweiht, dass das Abbrennen von Seenotrettungsfackeln um das Logo-Banner der I herum geplant war.
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Die an der Inszenierung Beteiligten trafen sich vor dem Spiel im Vereinsheim der „I“ und gingen gemeinsam mit sämtlichen für die Inszenierung erforderlichen Gegenständen zum Stadion. Diesen Zug führte der Angeklagte mit anderen an.
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Er gibt von sich selbst an, dass er zu den Personen gehört, die bestimmen, was gemacht wird. So hat er nach eigenen Angaben Anweisungen gegeben, die brennbaren Reste aus dem Block zu entfernen, weil deren Verbleib angesichts der geplanten Pyrotechnik zu gefährlich war. Er gab selber auch an, dass er Vorgänge hätte lenken und stoppen können, wenn er das gewollt hätte.
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Vorab waren Tapetenrollen in mehreren Reihen und mit verschiedenen Schriftzügen vorbereitet worden, Pyrotechnik gekauft und deren Verbringung ins Stadion geplant worden. Teilweise wurden die Seenotrettungsfackeln in den Leerrohren transportiert, die zum Schwenken der Fahnen mitgenommen wurden. Teilweise wurden die Fackeln jedoch einfach in der Kleidung verborgen ins Stadion verbracht, da die Heimfans jeweils nicht weitergehend kontrolliert werden. Mit einer Pyrotechnik im „eigenen“ Stadion hatten, da es vergleichbare Vorfälle noch nie gegeben hatte, weder die Ordner noch die Polizei gerechnet.
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In der Halbzeitpause gegen 16:20 Uhr wurden die Tapetenbanner abgewickelt und auf ein Zeichen hin gezielt so angehoben wurden, dass sich die Schriftzüge „Ohne Straftat ausgesperrt, irgendwas läuft hier verkehrt“ und andere wahrnehmen ließen. Diese Tapetenrollen wurden dann zerrissen und von verschiedenen Anhängern der Gruppierung organisiert und auf Anweisung des Angeklagten auf das Werbebanner der Brauerei „W1“ geworfen, das über dem Tunnelausgang unterhalb des Blockes I gespannt war. Zumindest dem Angeklagten war zu diesem Zeitpunkt klar, dass die Tapetenreste deshalb entfernt werden mussten, weil die von den Seenotrettungsfackeln ausgehende Gefährdung extrem hoch war, wenn brennbares Material herum liegt. Das W2-Banner ist aus schwer entflammbarem Material.
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Im Verlaufe der Vorbereitungen für die Pyrotechnik wurden die Papierreste auf dem Banner mit mitgebrachten Lehrrohren von der unteren Begrenzung des Blocks möglichst weit entfernt zusammengeschoben, das Banner wurde immer wieder an den Seiten so geschüttelt, dass sämtliche Papierreste zur Mitte des Banner hin rutschten. Herabfallende Teile der Tapete wurden von allen Seiten erneut auf das Banner geworfen. Letztlich wurde auch ein blauer Müllsack, in dem ebenfalls Tapetenreste gesammelt worden waren, über die Balustrade und auf das Banner geworfen.
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Gegen 16:34 Uhr - zu Beginn der zweiten Halbzeit - wurde das große Logo-Banner der I aufgezogen. Im Sichtschutz dieses Banners zogen sich diverse Mitglieder der I blau-weiße mit Augen- und Mundöffnungen präparierte Wollmützen oder schwarze Sturmhauben über den Kopf und das Gesicht und vermummten ihr Gesicht so oder mittels Schals und durch Aufsetzen von Kapuzen, um eine Identifizierung zu verhindern. Als sie unter dem Banner hervorkamen, hatten sie teilweise auch Kleidung gewechselt oder durch An- und Ausziehen verändert.
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In der Zwischenzeit war ein großes Stoffbanner über die Plexiglasabtrennung gezogen worden, das den Spruch „I sind nicht auszulöschen“ aufwies. Vier Personen bestiegen dann diese Plexiglasabtrennung, zwei weitere begaben sich direkt oberhalb des W3-Logos an die Balustrade. Weitere Personen verteilten sich rund um das Logo-Banner der I.
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Sodann wurden vom Angeklagten und weiteren Mittätern gleichzeitig 19 Seenotrettungsfackeln entzündet, die sich im Wesentlichen um das große Banner herum, zum Teil aber auch an der unteren Balustrade befanden. Diese Seenotrettungsfackeln waren bis auf eine Ausnahme deutsche Produkte, für die das Sicherheitsdatenblatt Bl. 179-181 der Akten gilt. Sie entwickeln eine Hitze von 1600-2000 °C, sind quasi nicht löschbar und brennen ohne Funkenflug. Sie sind akut toxisch bei Einatmen der Verbrennungsgase oberhalb eines Luftgrenzwertes von 6 mg/Kubikmeter und sind mit Gefahrenangaben gekennzeichnet, die auf Explosionsgefahr bei Reibung oder offenem Feuer, Entzündlichkeit bei Kontakt mit anderen brennbaren Materialien, Entstehung leicht entflammbarer Gase bei Reaktion mit Wasser, Gesundheitsgefährdung beim Einatmen oder Verschlucken, Reizung der Augen, Atemorgane und der Haut hinweisen. Sie sind allerdings frei verkäuflich. Durch das entzünden der Seenotrettungsfackeln auf engstem Raum entstand eine enorme Hitze, starker Rauch und auch starke Sichtbehinderung.
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Im Anschluss an das Abbrennen dieser Fackel meldeten sich acht Stadion-Besucher aufgrund einer Rauchgasintoxikation beim ärztlichen Notdienst in der Arena. Die Folgen dieser Intoxikation zeigten sich durch Brechreiz, Augenreizungen, Atemwegsbeschwerden und psychische Nachwirkungen. Teilweise waren durch Krankheiten wie Asthma, Staublunge oder Krebserkrankung vorbelastete Zeugen betroffen, teilweise jedoch auch völlig gesunde Zuschauer, darunter mehrere Kinder. Eine damals zwölf Jahre alte Zeugin erlitt einen Infekt der oberen Luftwege und wurde stationär ins Krankenhaus verbracht, wo sie drei Tage verblieb. Anderen Zeugen ist die Aussage zu den Vorfällen bis heute wegen psychischer Nachwirkungen nicht möglich.
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Eine Fackel, die sich auch durch die Farbe ihres Gehäuses von diesen Seenotrettungsfackeln unterschied, wurde oberhalb des W3-Logos entzündet und durch Armbewegungen in Richtung der brennbaren Materialien geschüttelt. Die brennenden Reaktionsprodukte aus dieser Fackel, die auf den in Augenschein genommenen Videosequenzen deutlich sichtbar sind, entzünden die brennenden Tapetenreste und setzen letztlich auch das Werbebanner mit in Brand. In diesem entstand ein deutlich sichtbares Loch, obwohl die Feuerwehr sofort mit Löschmaßnahmen eingriff. Auch durch diese Löschaktion entstand weiterer starker Rauch.
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Nachdem die Fackeln abgebrannt waren, verließen sämtliche oder fast alle an der Aktion beteiligten Personen das Stadion, nachdem sie ihre Sachen zusammengeräumt und mitgenommen hatten. Im Außenbereich wurden etwa 90 Personen von der Polizei umstellt und personenmäßig überprüft. Dort wurden unter anderem zwölf mit Sehschlitzen und Mundöffnungen präparierte blau-weiße Wollmützen, zwei Sturmhauben und ein paar Lederhandschuhe aufgefunden. In den Blöcken I und K fand man zwölf abgebrannte Seenotrettungsfackeln, die später ebenso wie die Mützen auf DNA Spuren untersucht worden.
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Dem Angeklagten kann aufgrund des DNA-Abgleichs eine der Wollmützen zugeordnet werden. Aus dem in Augenschein genommenen Bildmaterial ergibt sich zudem, dass er eine Seenotrettungsfackel gezündet hat.“
39
V.
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Die Feststellungen zur Person beruhen auf den Angaben des Angeklagten, der Erörterung des Bundeszentralregisterauszugs vom 11.11.2014 sowie der Vernehmung des Zeugen T5. Der Zeuge hat in überzeugender und glaubhafter Weise geschildert, dass er den Angeklagten als Kontaktbeamter der Polizei H1 bereits viele Jahre als Fan des T und auch als Gründungsmitglied der Gruppierung „I“ kenne. Auch nach dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer im August 2014 sei der Angeklagte innerhalb der Fan-Szene ihm als Mitglied der „I“ aufgefallen. Insbesondere habe im November 2014 wegen diverser Vorfälle eine Gefährderansprache durchgeführt werden müssen. Darüber hinaus habe er den Angeklagten gemeinsam mit Mitgliedern der „I“ beim Auswärtsspiel des T im Dezember 2014 in G gesehen.
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Die Feststellungen zur Sache hat bindend bereits das Amtsgericht –Schöffengericht- Gelsenkirchen-Buer getroffen.
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VI.
43
Der Angeklagte hat sich damit der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB strafbar gemacht. Er hat vorsätzlich zusammen mit weiteren Personen, mit den übrigen „Fackelträgern“ durch die Freisetzung giftigen Rauches die Gesundheit von mindestens acht Stadionbesuchern verursacht. Tateinheitlich hierzu hat er gegen § 27 Abs. 2 Nr. 2 Versammlungsgesetz verstoßen, weil er mittels einer präparierten Wollmütze, die er in sein Gesicht gezogen hatte, eine Aufmachung getragen hat, die geeignet war, die Feststellung seiner Identität zu verhindern. Ebenfalls tateinheitlich hierzu hat er sich der vorsätzlichen Sachbeschädigung strafbar gemacht. Denn er hat jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass der ursprüngliche Tatplan der beteiligten Mitglieder der „I“ umgesetzt wird und im Zuge dessen das zuvor gesammelte brennbare Material auf dem W2-Banner entzündet und durch dieses Entzünden das Banner beschädigt wird.
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Bei der konkreten Strafzumessung hatte die Kammer daher den Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB zu Grunde zu legen, der die Verhängung von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 10 Jahren vorsieht.
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Die Kammer hat im Zuge dessen zunächst geprüft, ob sich die Tat des Angeklagten als minderschwer einstufen lässt. Trotz des bereits in erster Instanz erfolgten Geständnisses des Angeklagten und des nicht unerheblichen Zeitraumes, der zwischen Tat und Verurteilung liegt, überwogen weder die Umstände in der Tat oder in der Person des Angeklagten, die für eine Einordnung als minderschwerer Fall hätten sprechen können. So sprachen hiergegen bereits die Vorverurteilungen des Angeklagten, insbesondere die fünf Monate vor der abgeurteilte Tat erfolgte Verurteilung durch das Amtsgericht O. Auch die Tat selber ließ eine Einordnung als minderschwer nicht zu. Denn der Angeklagte hat zwei Tatbestände des § 224 Abs. 1 StGB gleichzeitig verwirklicht. Darüber hinaus wurden mindestens acht Personen verletzt.
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Bei der konkreten Strafzumessung hat die Kammer zunächst das Geständnis des Angeklagten, das er bereits erstinstanzlich abgegeben hat, berücksichtigt. Darüber hinaus fiel positiv ins Gewicht, dass zwischen der Tat und der Verurteilung ein nicht unerheblicher Zeitraum lag. Außerdem hat der Angeklagte sich bei den erstinstanzlich anwesend Geschädigten entschuldigt. Auch ist die nunmehr erfolgte Verurteilung die erste, die ihn aufgrund Erwachsenenstrafrechts trifft. Endlich muss der Angeklagte noch mit dem Widerruf seiner durch das Amtsgericht O gewährten Bewährung rechnen.
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Zu Lasten des Angeklagten fiel zunächst seine Vorstrafe ins Gewicht. Dabei war besonders bemerkenswert, dass der Angeklagte die vorliegende Tat rund fünf Monate nach der Verurteilung durch das Amtsgericht O im Zuge eines laufenden Berufungsverfahrens erfolgte, wobei es innerhalb des Berufungsverfahrens aufgrund des erstinstanzlichen Geständnisses des Angeklagten aus seiner Sicht im Berufungsverfahren nur um die Reduzierung seiner Strafe gehen konnte. Strafschärfend fiel auch ins Gewicht, dass vorliegend mehrere Geschädigte, darunter auch mindestens ein Kind, verletzt wurden und dass die von den brennenden Fackeln ausgehende Gefahr vom Angeklagten bzw. den übrigen Mittätern letztlich nicht zu kontrollieren war.
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Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat die Kammer eine Freiheitsstrafe von
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einem Jahr und sechs Monaten
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für tat- und schuldangemessen erachtet.
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Die Strafe konnte nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.
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Es kann dem Angeklagten schon keine günstige Sozialprognose gem. § 56 Abs. 1 StGB gestellt werden. Die Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe durch das Amtsgericht O hat ihn nicht von der Begehung der hier abgeurteilten Tat abhalten können. Auch die seitdem verstrichene Zeit spricht nicht für den Angeklagten. Denn die Tat in O1 hat er genauso wie abgeurteilte Tat als Mitglied der Ultra Szene des T begangen. Von dieser har er sich jedoch trotz anderslautender früherer Absichten noch nicht losgesagt.
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Darüber hinaus fehlt es auch an besonderen Umständen im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB, die vorliegend eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung rechtfertigen könnten. Derartige Umstände müssen in der Tat und Persönlichkeit des Verurteilten liegen. Es müssen Milderungsgründe von besonderem Gewicht sein, die eine Strafaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe wiederspiegelt, als nicht unangebracht erscheinen lassen (Fischer, Strafgesetzbuch, 62. Auflage, § 56 Rn. 20 m.w.N.). In diesem Zusammenhang fließt zu Gunsten des Angeklagten insbesondere dessen bereits erstinstanzlich erfolgtes Geständnis sowie der nicht unerhebliche Zeitraum zwischen Tat und Verurteilung von über zwei Jahren in die Würdigung ein. Diesen Umständen steht jedoch insbesondere die Tat als solche entgegen, die zur Verletzung von mindestens acht Personen, darunter mindestens einem Kind, das für drei Tage wegen eines Infektes der oberen Luftwege stationär im Krankenhaus behandelt wurde, entgegen. Hinzu kommt, dass die von den Fackeln ausgehende Gefahr, nämlich die Verbreitung des giftigen Rauches, vom Angeklagten oder den Mittätern nicht weiter zu kontrollieren war. Dieser Gefahr sahen sich eine Vielzahl von Menschen in einem engen Stadion ausgesetzt. Letztendlich ist die Schuld des Angeklagten auch deshalb gesteigert, weil gegen ihn zum Tatzeitpunkt ein Berufungsverfahren lief, nachdem er erstinstanzlich bereits zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt worden war.
54
VII.
55
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, 2 StPO.




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Anmerkung:


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