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Rat zum robusten Gespräch , Sachlichkeitsgebot, Rechtsanwalt, Berufsrecht
Gericht / Entscheidungsdatum: AnwG Köln, Beschl. v. 25. 08. 2014 10 EV 113/12
Leitsatz: Die Fallgruppen des § 43a Absatz 3 Satz 2 BRAO nicht abschließend sind. Ein Rechtsanwalt verstößt daher auch dann gegen das Sachlichkeitsgebot des § 43a BRAO, wenn er einem Mandanten für die Zukunft ein strafrechtlich relevantes Verhalten mit der Begründung empfiehlt, die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften in Deutschland kämen ihren Pflichten in zahlreichen Fällen nicht nach, da eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren eingestellt würden.
Gegen ihn werden die Maßnahmen des Verweises und der Geldbuße in Höhe von 500,00 gemäß § 114 Absatz 2 Nr. 2 und 3 BRAO verhängt.
Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen werden dem angeschuldigten Rechtsanwalt auferlegt, § 197 BRAO.
Gründe
I. Der Angeschuldigte ist als Rechtsanwalt zugelassen. Er praktiziert in Bürogemeinschaft mit weiteren Kollegen.
II. Die Hauptverhandlung ergab folgenden Sachverhalt:
Im Januar 2011 wurde der angeschuldigte Rechtsanwalt von Frau Y. in einer strafrechtlichen Angelegenheit mandatiert.
Grund der Beauftragung war eine Auseinandersetzung zwischen der Mandantin und ihrem Mitschüler S. Frau Y. hatte gegen Herrn S. Strafanzeige wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung und Bedrohung gestellt. In der Begründung vor der Polizei führte Frau Y. aus, es sei zu einer Auseinandersetzung mit dem Mitschüler S. gekommen. Dieser habe ihr gedroht, sie mit dem Auto "plattzufahren". Er habe nach dem Unterricht auf dem Schulvorplatz auf sie gewartet. Dort habe er sie beleidigt und u.a. als Hure betitelt. Auch sie habe ihn beleidigt. Er habe ihr ins Gesicht gespuckt und ihr mit dem beschuhten Fuß in den Bauch getreten. Nach dem Tritt in den Bauch habe sie noch einen Schlag auf den Kopf gespürt. Sie habe sich mehrfach übergeben und sodann ins Krankenhaus begeben.
In der Aussage des Mitschülers S. bestätigte dieser den Umstand, dass es zu einer Auseinandersetzung mit Frau Y. gekommen war. Sie hätten sich gegenseitig beschimpft und es sei zu einer Rangelei zwischen ihnen vor der Schule gekommen. Dabei habe sie ihn mit ihren langen künstlichen Fingernägeln verletzt. Es stimme nicht, dass er ihr ins Gesicht gespuckt oder mit dem beschuhten Fuß in den Bauch getreten habe. Er habe auch nicht mitbekommen, dass Frau Y. zusammengebrochen sei und auf dem Boden gelegen habe.
Dem angeschuldigten Rechtsanwalt wurde mit Schreiben vom ppp. mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren gegen Herrn S. eingestellt worden sei. Bei der angezeigten Straftat habe es sich um einen Ausdruck jugendlicher Unreife mit geringem Schuldgehalt gehandelt. Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe nicht.
Mit Schreiben vom ppp. informierte der Angeschuldigte seine Mandantin über die Verfahrenseinstellung. Das Schreiben endet mit folgenden Sätzen:
"Was kann ich Ihrem Vater in dieser Sache raten, wenn sich Ihnen noch einmal jemand unsittlich nähert: Warten Sie in Deutschland bei Körperverletzungsdelikten nicht auf Polizei und Staatsanwaltschaft. Die unternehmen gegen die Täter nur wenig. Die Staatsanwaltschaften in Deutschland stellen Ermittlungsverfahren zu ca. 70 % ein. Führen Sie oder beauftragen Sie stattdessen jemanden, der - gemäß der biblischen Weisheit Auge um Auge, Zahn um Zahn - selbst ein "robustes Gespräch" mit dem Täter führt."
Ebenfalls am ppp. legte der Angeschuldigte Beschwerde gegen die Einstellungsmitteilung der Staatsanwaltschaft ein und fügte das Schreiben an seine Mandantin mit Datum desselben Tages bei.
Mit Bescheid vom ppp. wurde die Beschwerde durch die Generalstaatsanwaltschaft Köln als unbegründet zurückgewiesen.
III.
Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass Rechtsanwalt schuldhaft seine Pflichten nach §§ 43a und 1 BRAO verletzt hat, so dass die Kammer als anwaltsgerichtliche Maßnahmen auf die Verhängung eines Verweises und einer Geldbuße in Höhe von 500,00 als schuldangemessen erkannt hat.
Nach § 113 Absatz 1 BRAO ist eine anwaltsgerichtliche Maßnahme gegen den Rechtsanwalt zu verhängen, der schuldhaft gegen Pflichten verstößt, die in der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einer Berufsordnung bestimmt sind.
Durch den Rat an den Vater seiner Mandantin, in vergleichbaren Fällen mit dem Täter ein robustes Gespräch nach dem Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn" zu führen, hat der Angeschuldigte gegen die Vorschriften der §§ 43a Absatz 3 und 1 BRAO verstoßen.
Mit dem Inhalt seines Schreibens hat der Angeschuldigte den Vater seiner Mandantin für etwaig vergleichbare Fälle in der Zukunft aufgefordert, erst gar nicht den Weg über die Strafverfolgungsbehörden zu beschreiten, sondern unmittelbar selbst aktiv zu werden. Er solle Gleiches mit Gleichem nach dem Motto "Wie Du mir, so ich Dir" vergelten.
Der Ratschlag, den der Angeschuldigte als Rechtsanwalt seiner Mandantin und ihrem Vater erteilt, geht also dahin, in vergleichbaren Fällen nicht den von der Rechtsordnung hierfür vorgesehenen Behördenweg zu beschreiten, sondern selbst zu handeln, also quasi Selbstjustiz zu üben. Damit hat er nicht nur das eventuell bestehende Vertrauen seiner Mandantin und ihres Vaters in die deutsche Rechtsordnung erschüttert, sondern sie darüber hinaus in ihrer möglicherweise durch die Verfahrenseinstellung hervorgerufenen Skepsis gegenüber deutschen Behörden gestärkt. Durch seine Wortwahl hat der Angeschuldigte seine Mandantschaft in eine Richtung gelenkt, die sie jenseits der Grenzen der Rechtsordnung führt.
Die Aufgabe des Angeschuldigten als Rechtsanwalt ist es jedoch, seine Mandanten anzuleiten, seine Rechte ausschließlich auf der Grundlage des Rechtes wahrzunehmen.
Nach § 43a Absatz 3 Satz 1 BRAO darf sich der Rechtsanwalt bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten. Dabei ist "unsachlich" gemäß Absatz 3 Satz 2 insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.
Der Angeschuldigte hat sich darauf berufen, dass für den vorliegenden Sachverhalt § 43a Absatz 3 BRAO nicht einschlägig sei, denn Unsachlichkeit bestehe nur in den in Absatz 3 genannten Fällen. Zur Begründung hat sich der Angeschuldigte auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.07.1987 (Bastille-Entscheidung), BVerfGE 76, 171 ff, gestützt.
Nach Auffassung der Kammer steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jedoch der Anwendung von § 43a Absatz 3 BRAO im vorliegenden Fall nicht entgegen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für das Sachlichkeitsgebot festgelegt, um dem weiten Begriff der Sachlichkeit Konturen zu geben, die für den Rechtsanwalt einfacher nachzuvollziehen sind (Zuck, Anwaltliches Berufsrecht, 2010, § 43a BRAO, Rn. 49).
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Bastille-Entscheidung weiter ausgeführt:
"Die Ausgangsverfahren geben keinen Anlass zu der abschließenden Prüfung, in welchem Umfang das Sachlichkeitsgebot den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen würde. ppp. Ob der Normgeber bei der künftigen Neuordnung des Standesrechtes eine weitergehende Tragweite für das Sachlichkeitsgebot vorsehen dürfte und ob nicht weitergehende Einschränkungen der Berufsfreiheit als statusbestimmende Regelung vom Gesetzesgeber selbst verantwortet werden müssen, kann offenbleiben", BVerfGE 76, 171, 193 f.
Nach der Bastille-Entscheidung hat der Gesetzgeber mit § 43a BRAO keine Bestimmung geschaffen, die abschließend die Fallkonstellationen der Unsachlichkeit regelt. Bereits in der amtlichen Begründung zu § 43a Absatz 3 BRAO heißt es (BT-Drs.12/4993, S. 27):
"Die Sachlichkeit gehört seit jeher zu den anwaltlichen Berufspflichten und ist als für die Rechtspflege unerlässliche Regelung als Berufspflicht im Gesetz zu normieren. Sachlichkeit ist das Kennzeichen sachgemäßer, professioneller anwaltlicher Arbeit, die, soweit sie mit Wort und Schrift ausgeübt wird, auch in dieser Form der durch Artikel 5 Absatz 1 gestützten Selbstbestimmung unterliegt. Die Erläuterung in Absatz 3 Satz 1 soll dazu dienen, für den Erlass der Berufsordnung und die Rechtsanwendung den Hinweis zu geben, dass die Anforderungen an die Sachlichkeit nicht zu eng gezogen werden."
Bei der Auslegung des Sachlichkeitsgebotes ist vor allem bedeutsam, dass der Gesetzgeber das Gebot gemäß § 43a Absatz 3 Satz 1 BRAO mit dem "Insbesondere-Element" des Satzes 2 verknüpft hat. Aus der Verknüpfung wird deutlich, dass weitere Fallgruppen möglich bleiben (Zuck, aaO, Rn. 68).
Nach Ansicht der Kammer kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Fallgruppen des § 43a Absatz 3 Satz 2 BRAO nicht abschließend sind. Der Generalklausel des § 43a Absatz 1 wird - wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert - durch die Regelung des Absatzes 3 Satz 2 eine Konkretisierung verliehen, die die Handhabung des Sachlichkeitsgebotes vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebotes erleichtert. Die Verknüpfung der beiden Sätze gebietet es aber geradezu, nicht sklavisch an den Fallgruppen des Satzes 2 festzuhalten, sondern diese fortzuentwickeln. So führt auch Zuck in seiner Kommentierung zum anwaltlichen Berufsrecht aus:
"Wie auch sonst in der Kasuistik ist es nicht ausgeschlossen, aus diesen beiden Fallgruppen weitere Fallgruppen zu entwickeln, die von Satz 1 erfasst werden. Nur wenn die Verknüpfung mit den vorhandenen Fallgruppen ausscheidet, etwa wenn eine Fallgruppe außerhalb der Eintrittsschwelle gebildet wird, würde es am Bestimmtheitsgebot fehlen. Satz 1 hat also latenten Gehalt, geeignet, um formell starres Recht an geänderten Auffassungen oder geänderte Lebenssachverhalte anzupassen." (Zuck, aaO, Rn. 59)
Als Fallgruppen außerhalb der Eintrittsschwelle hat das Bundesverfassungsgericht die sogenannte "kleine Unsachlichkeit" herausgenommen. Danach sind Stilwidrigkeiten, Ungehörigkeiten oder Verstöße gegen den guten Ton und das Taktgefühl oder Verhaltensweisen, die dem Ansehen des Anwaltstandes abträglich sein könnten, nicht unter dem Gesichtspunkt des Sachlichkeitsverstoßes zu prüfen.
Vorliegend geht es jedoch nach Auffassung der Kammer um einen Aufruf des angeschuldigten Rechtsanwalts zu strafrechtlich relevantem Verhalten mit der Begründung, die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften in Deutschland kämen ihren Pflichten vielfach nicht nach, da eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren eingestellt würden.
Dies stellt ein personalen Fehlverhalten des Angeschuldigten dar, denn er ruft dazu auf bzw. spricht die Empfehlung aus, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, d.h. bei tätlichen Angriffen seinerseits mit einem tätlichen Angriff zu reagieren.
Der Anwalt erbringt jedoch seine Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege. Stört er durch seine Verhaltensweisen diese Funktionsfähigkeit, liegt ein unsachliches Verhalten des Rechtsanwaltes vor (so auch Zuck, a.a.O, Rn. 68).
Rechtspflege im weiteren Sinne ist die Sorge für einen geordneten Ablauf der Rechtsbeziehung zwischen Menschen und im engeren Sinne der Sammelbegriff für sämtliche von den Gerichten und weiteren Organen der Rechtspflege wahrgenommenen Aufgaben und Angelegenheiten. Dazu gehört zentral das Gewaltmonopol des Staates. Nur der Staat hat das Recht der Bestrafung Dritter.
Indem der Angeschuldigte dazu aufruft, das Gewaltmonopol des Staates außer Acht zu lassen, hat er sich unsachlich verhalten, und zwar über die Grenze der "kleinen Unsachlichkeit" hinaus.
Die Kammer verkennt nicht, dass dem Sachlichkeitsgebot Grenzen durch Art. 12 Absatz 1 und 5 Absatz 1 GG gesetzt sind und eine berufsrechtliche Ahndung wegen unsachlichen Verhaltens nur insoweit statthaft ist, als die Einschränkung der anwaltlichen Freiheit durch "sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt", also zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet, erforderlich und für den Anwalt zumutbar ist (BVerfG 61, 291, 312).
Die Kammer ist der Auffassung, dass die Einhaltung des Gewaltmonopols des Staates für ein funktionierendes Gemeinwohl von existenzieller Bedeutung ist. Dies wird durch die Vorgehensweise des Angeschuldigten gefährdet. Ein Rechtsanwalt, der Empfehlungen der zitierten Art ausspricht, kann nicht mit Sicherheit voraussehen, auf welchen (fruchtbaren) Boden seine Äußerungen fallen. Er kann nicht ausschließen, dass sich der Adressat seiner Äußerung diese zu Herzen nimmt und zukünftig getreu dem Rat seines Anwalts verfährt.
In dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen S. lagen der Staatsanwaltschaft lediglich die Aussagen der beiden Beteiligten, der Mandantin des Angeschuldigten und des Tatverdächtigten S., vor. Zeugen haben trotz Ladung zu dem Vorgang nichts ausgesagt. Dass die Staatsanwaltschaft in Anbetracht der widersprechenden Angaben der Beteiligten Y. und S. zu einer Verfahrenseinstellung gelangte, lag zumindest nicht neben der Sache.
Die entsprechende verfahrensrechtliche Situation hätte der angeschuldigte Rechtsanwalt seiner Mandantin erklären müssen und können. Es war dem Angeschuldigten zumutbar, den Versuch zu unternehmen, seiner Mandantin und ihrem Vater die möglichen Gründe für die Verfahrenseinstellung zu erklären.
Keinesfalls hätte er jedoch dazu greifen dürfen, ihr und ihrer Familie Selbstjustiz als möglichen Weg zukünftiger Verteidigung oder Rache aufzuzeigen.
Zwar darf der Rechtsanwalt nach allgemein anerkannter Auffassung im "Kampf um das Recht" auch "starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagwörter" benutzen. Diesen Bereich des Zulässigen verlässt der Anwalt jedoch, wenn er seine Mandanten dazu aufruft, den Pfad des gesetzestreuen Bürgers zu verlassen und seinerseits das Zepter in die Hand zu nehmen - wenn schon die Strafverfolgungsbehörden nicht tätig werden.
Im Rahmen der Hauptverhandlung hat der Angeschuldigte bzw. sein Verteidiger darauf hingewiesen, er habe nie seine Mandantin dazu aufgefordert, Handlungen außerhalb des Rechtssystems vorzunehmen. Dies sieht die Kammer - wie oben ausgeführt - anders. Dies wird zusätzlich gestützt durch die Ausführung des Angeschuldigten in seinem Schlusswort, als er erklärte: "Und wenn er (gemeint war der Tatverdächtige) dabei ein paar auf den Arsch bekommen hätte, dann wäre das auch nicht schlimm gewesen".
IV.
Bei der Festlegung des verhängten Bußgeldes wurde zu Gunsten des Angeschuldigten berücksichtigt, dass seine Äußerung keine Konsequenzen dergestalt nach sich gezogen hat, dass der Vater oder ein Familienmitglied nach der Verfahrenseinstellung tätige Rache an S. geübt hat.
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