Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Bestellung, Steuerstrafverfahren, Akteneinsicht

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Essen, Beschl. v. 02.09.2015 - 56 Qs 1/15

Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Steuerstrafverfahren


56 Qs 1/15
Landgericht Essen
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger: Rechtsanwalt Strüwe aus Essen
wegen Steuerhinterziehung
hier: Beschwerde vom 29.06.2015 gegen Ablehnung der Bestellung von Rechtsanwalt Strüwe als Verteidiger
hat die XXI. große Strafkammer des Landgerichts Essen am 02.09.2015 durch den Vorsitzen-den Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 25.06.2015 wird aufgehoben.
Dem Angeklagten wird Rechtsanwalt Peter F. W. Strüwe aus Essen als Verteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Be-schwerdeverfahren trägt die Landeskasse.

Gründe
I.
Der Angeklagte wendet sich gegen die Ablehnung der Bestellung von Rechtsanwalt Strüwe als Verteidiger durch den Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 25.06.2015.

Gegen den Angeklagten erließ das Amtsgericht Essen auf Antrag des Finanzamtes für Steuer-strafsachen und Steuerfahndung Hagen und der Staatsanwaltschaft Essen am 16.04.2015 ei-nen Strafbefehl, der dem Angeklagten am 29.04.2015 zugestellt wurde. Festgesetzt wurde eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10,00 € wegen Steuerhinterziehung in einem Fall. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, als Betreiber eines Einzelunternehmens für Metallwaren in pppp. (Firma ppp.) durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2012 Um-satzsteuer in Höhe von 40.802,31 € nicht erklärt zu haben. Dadurch sei ein Schaden von 37.695,72 € entstanden. Die Ermittlung des Steuerschadens beruht auf Schätzungen des Fi-nanzamtes. Grundlage der Schätzung sind Rechnungen des Angeklagten sowie Umsatzsteuer-voranmeldungen.

Der Angeklagte hat gegen den Strafbefehl durch Schreiben seines Verteidigers vom 08.05.2015 Einspruch eingelegt. In der darauf folgenden Hauptverhandlung vom 25.06..2015 ist der Angeklagte nicht erschienen. Rechtsanwalt Strüwe hat in der Hauptverhandlung bean-tragt, dem Angeklagten als Verteidiger bestellt zu werden.

Der Antrag wurde noch in der Hauptverhandlung mit der Begründung zurückgewiesen, dass ein Fall notwendiger Verteidigung nicht vorliege.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Schreiben seines Verteidigers vom 29.06.2015 Beschwerde eingelegt.

II.
Die Beschwerde ist zulässig, wobei die Kammer die Beschwerdeschrift so auslegt, dass der Verteidiger kein eigenes Beschwerderecht geltend machen, sondern das Beschwerderecht des Angeklagten ausüben will.

Die Beschwerde ist auch begründet. Die Mitwirkung eines Verteidigers ist wegen der Schwierig-keit der Rechtslage geboten (§ 140 Abs. 2 StPO): Beim Steuerstrafrecht handelt es sich um Blankettstrafrecht: Die Rechtslage kann nur in einer Zusammenschau strafrechtlicher und steu-errechtlicher Normen zutreffend erfasst und bewertet werden. Damit ist ein Angeklagter regel-mäßig überfordert, wenn er wie offenbar hier — nicht über Spezialwissen verfügt. Eine laien-hafte oder intuitive Einschätzung der Rechtslage, wie sie bei Normen des Kernstrafrechts mög-lich ist, genügt nicht. Dies gilt umso mehr, als für die Berechnung der Höhe der Steuerschuld des Angeklagten ausweislich des strafrechtlichen Abschlussvermerks vom 10.04.2015 (BI. 26 d. A.) die Sondervorschrift des § 13b UStG einschlägig ist, deren Verständnis und Anwendung vertiefte Kenntnisse des Umsatzsteuerrechts erfordern. Dabei wird insbesondere die in Recht-sprechung und Literatur umstrittene Frage zu behandeln sein, ob das bloße Nichterfüllen von Nachweispflichten zu einer strafrechtlich beachtlichen Steuerverkürzung führen kann.

Hinzu kommt, dass die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis, die nur einem Verteidiger ge-mäß § 147 StPO zusteht, nicht umfassend vorbereitet werden kann, was die Schwierigkeit der Sachlage begründet (§ 140 Abs. 2 StPO). Denn um die Tatvorwürfe zu prüfen, sind die Kennt-nis der Berechnungen des Finanzamts für Steuerstrafsachen und die Auswertung des Beweis-mittelordners mit den Geschäftsunterlagen erforderlich.

Zwar hat der unverteidigte Angeklagte auf seinen Antrag einen Anspruch auf Auskünfte und Abschriften aus den Akten, wenn er sich sonst nicht angemessen verteidigen könnte (§ 147 Abs. 7 StPO). Doch erscheint der Angeklagte im vorliegenden Fall nicht in der Lage, die für seine Verteidigung relevanten Teile der Akten zu benennen und in ihrer Bedeutung einzuschät-zen, so dass (vollständige) Akteneinsicht durch einen Verteidiger zwingend erforderlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO in entsprechender Anwendung.

Einsender: RA. P. F. Strüwe, Essen

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".