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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Auswechselung, Gründe, Kosten

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Siegen, Beschl. v. 20.08.2015 - 10 Qs 57/15

Eigener Leitsatz:

1. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist aufzuheben, wenn dem Beschuldigten keine ausreichende Gelegenheit gegeben wurde, zur Bestellung des Pflichtverteidigers Stellung zu nehmen.
2. Ein wichtiger Grund für einen Verteidigerwechsel ist anzunehmen, wenn der Beschuldigte zu dem Schluss gelangen kann, dass sich sein bisheriger Pflichtverteidiger, den er sich im Übrigen nicht selbst ausgesucht hatte, nicht hinreichend für seine Belange einsetzt und die Verteidigung nicht sachgerecht wahrnimmt.


10 Qs 57/15
Landgericht Siegen Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Pflichtverteidiger:
Rechtsanwalt pp1.
wegen versuchten Totschlags

hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Siegen auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 03.07.2015 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 23.06.2015 durch die Richterinnen am Landgericht und Richterin am 20.08.2015 beschlossen:

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts Siegen (450 Gs 656/15) vom 03.07.2015 dahingehend abgeändert, dass der Pflichtverteidigerwechsel ohne die „Voraussetzung, dass keine weiteren Kosten entstehen", erfolgt.

Gründe

Der Beschuldigte wurde am 19.04.2015 wegen des Verdachts des versuchten Totschlags zu Lasten eines Mitbewohners der kommunalen Flüchtlingsunterkunft in Freudenberg vorläufig festgenommen. Am 20.04.2015 wurde er dem Haftrichter vorgeführt und der Haftbefehl vom selben Tag verkündet.

Im Rahmen der Anhörung wurde der Beschuldigte darüber belehrt, dass ihm wegen der Vollstreckung von Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger zu bestellen sei, und dass er innerhalb von drei Tagen schriftlich einen Rechtsanwalt seines Vertrauens benennen könne. Der Be-schuldigte erklärte, keinen Rechtsanwalt zu kennen, woraufhin der Haftrichter Rechtsanwalt pp2 aus Siegen zu seinem Pflichtverteidiger bestellte.

Auf Anordnung der Staatsanwalt Siegen vom 22.04.2015 erhielt Rechtsanwalt Pp2 Aktenein-sicht in die Zweitakte. Die Akte sandte er am 23.04.2015 zurück.

Mit Schriftsatz vom 08.05.2015 beantragte der jetzige Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt Pp1, ei-ne Besuchserlaubnis mit dem Hinweis, der Beschuldigte habe die ehrenamtliche Betreuerin Frau K. gebeten, dass diese Kontakt zu Rechtsanwalt Pp1 aufnehme, da der Beschuldigte die Verteidigung durch diesen wünsche. Mit Schriftsatz vom 18.05.2015 zeigte Rechtsanwalt Pp1 sodann unter Vorlage einer Vollmacht des Beschuldigten an, dass dieser ihn mit seiner Vertei-digung beauftragt habe. Er beantragte Akteneinsicht und des Weiteren die Beiordnung als Pflichtverteidiger unter Entpflichtung von Rechtsanwalt Pp2 . Zur Begründung führte er aus, dass der Beschuldigte seit dem 26.04.2015 (richtig ist: 20.04.2015) inhaftiert sei, es bis zum 16.05.2015 jedoch keinerlei Gespräch oder sonstigen Austausch mit Rechtsanwalt Pp2 gege-ben habe und ein Vertrauensverhältnis aufgrund dessen nicht habe entstehen können. Es sei der ausdrückliche Wunsch des Beschuldigten, von ihm verteidigt zu werden; bei der Festnahme sei ihm kein Rechtsanwalt bekannt gewesen. Mit Schriftsatz vom 09.06.215/31.05.2015 führte Rechtsanwalt Pp1 weiter aus, dass sich der Beschuldigte und Rechtsanwalt Pp2 nach wie vor nicht kennen würden und weder ein Besuch noch eine Besprechung der Akten erfolgt sei. Am 08.06.2015 solle eine Exploration durch einen Sachverständigen erfolgen, auch insoweit habe es keine Kommunikation zwischen beiden gegeben. Rechtsanwalt Pp2 habe sich lediglich mit Schreiben vom 13.05.2015 an Beschuldigten gewandt und mitgeteilt, dass ihm die Akten seit dem 12.05.2015 vorlägen und ein Besuch beabsichtigt sei.

Es solle jedoch zunächst geklärt werden, ob ein Dolmetscher erforderlich sei. In diesem Fall werde es sicherlich einige Zeit dauern, einen Termin, der auch dem Dolmetscher passe, zu fin-den. Der Beschuldigte habe diesen Brief jedoch nicht lesen und verstehen können. Er, Rechts-anwalt Pp1, verständige sich mit dem Beschuldigten auf Englisch. Es seien bislang zwei Haftbesuche durchgeführt worden. Der Beschuldigte habe sich schon vor dem 06.05.2015 um eine Kontaktaufnahme zu ihm bemüht.

Am 19.05.2015 wurde Rechtsanwalt Pp2 die Akte von der Staatsanwaltschaft zur ergänzenden Akteneinsicht übersandt, nachdem ein weiterer Tatkomplex mit dem Verfahren verbunden wor-den war. Die Akte wurde am 26.05.2015 durch Rechtsanwalt Pp2 zurückübersandt,

Die Staatsanwaltschaft Siegen übersandte die Akte im Hinblick auf den beantragten Pflichtver-teidigerwechsel an das Amtsgericht Siegen mit der Erklärung, dem Antrag werde nicht entge-gen getreten, wenn Rechtsanwalt Pp2 sein Einverständnis gebe und keine zusätzlichen Kosten entstehen würden. Das Amtsgericht hörte mit einem am 15.06.2015 versandten Schreiben Rechtsanwalt Pp2 zum Entpflichtungsantrag an und teilte gleichzeitig Rechtsanwalt Pp1 mit, dass eine Entpflichtung von Rechtsanwalt Pp2 nur in Betracht komme, wenn keine zusätzli-chen Kosten entstünden. Eine Stellungnahme von Rechtsanwalt Pp2 erfolgte nicht. Mit Schrift-satz vom 22.06.2015 teilte Rechtsanwalt Pp1 mit, auf Mehrkosten werde nur insoweit verzich-tet, als Rechtsanwalt Pp2 eine Grundgebühr, zzgl. Umsatzsteuer, abrechne. Eigentlich sei je-doch ein Pflichtverteidigerwechsel aus wichtigem Grunde, nämlich wegen eines endgültig zer-rütteten und erschütterten Vertrauensverhältnisses vorgetragen worden, weshalb sich richtig-erweise die Frage der Mehrkosten nicht stellen würde.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 23.06.2015 „unter der Voraussetzung, dass keine wei-teren Kosten entstehen" Rechtsanwalt Pp2 entpflichtet und Rechtsanwalt Pp1 zum Pflichtver-teidiger bestellt.

Hiergegen hat Rechtsanwalt Pp1 namens und in Vollmacht des Beschuldigten mit Schriftsatz vom 03.07.2015 Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass das Amtsgericht über den Antrag auf einen Pflichtverteidigerwechsel aus wichtigem Grund nicht entschieden habe. Außerdem würden immer Siegener Rechtsanwälte als Pflichtverteidiger beigeordnet mit der Folge, dass er wegen der Regelung des Verzichts auf Mehrkosten regelmäßig auf einen Teil der Gebühren verzichten müsse. Mit Schriftsatz vom 16.07.2015 hat er unter Bezugnahme auf den Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 10.07.2015 ergänzt, dass er nicht ausdrück-lich auf Mehrkosten verzichtet habe, sondern lediglich insoweit, als Rechtsanwalt Pp2 eine Grundgebühr zzgl. Umsatzsteuer abrechne, und zudem hierauf auch nur hilfsweise, da eine Störung des Vertrauensverhältnisses vorgetragen worden sei.

II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Voraussetzung für die Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers ist die Entpflichtung des Bishe-rigen. Über § 143 StPO hinaus ist dies gesetzlich nicht vorgesehen. Dennoch kann die Bestel-lung eines Verteidigers aus wichtigem Grund rückgängig gemacht werden. So ist die Beiord-nung aufzuheben, wenn dem Beschuldigten keine ausreichende Gelegenheit zur Bestellung eines Pflichtverteidigers gegeben wurde oder das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschul-digten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Das muss der Be-schuldigte substantiiert darlegen und dann vom Standpunkt eines vernünftigen und verständi-gen Vertretenen beurteilt werden (Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl. 2014, § 143 Rn. 5 m.w.N.).

Auf die Frage, ob mangels Kontakts noch kein Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant aufgebaut werden konnte, kommt es vorliegend nicht entscheidend an, denn die Be-schwerde ist schon deshalb begründet, weil dem Beschuldigten vorliegend keine ausreichende Gelegenheit gewährt wurde, einen Verteidiger zu benennen. Allein aus der am 20.04.2015 pro-tokollierten Angabe, keinen Anwalt zu kennen, kann nicht schon der Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte auf die ihm eingeräumte 3-Tages-Frist zur Benennung eines Anwalts verzichtet hat. Gerichtsbekannt ist, dass sich Beschuldigte in der Haft über mögliche Verteidiger informieren. Darüber hinaus war die mit drei Tagen bestimmte Frist trotz der Inhaftierung des Beschuldigten und der Eilbedürftigkeit einer Kapitalsache zu kurz bemessen. Die Regelung des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO stellt eine gesetzliche Ausprägung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör dar. Um eine sachgerechte Ausübung dieses Rechts auch tatsächlich zu gewährleisten, muss eine pflichtgemäße und ermessensfehlerfreie Festlegung des Äußerungszeitraumes so beschaffen sein, dass einem Beschuldigten eine ausreichende Überlegungsfrist zur Verfügung steht und er seine Entscheidung dem Gericht noch innerhalb der bestimmten Frist mitteilen kann. Dementsprechend darf die Frist, noch dazu bei einem der deutschen Sprache nicht Sachkundigen und der zu bedenkenden Postlaufzeit nicht zu kurz bemessen sein. Da die Er-mittlungen gerade erst am Anfang standen, war die sehr kurze Frist auch wegen eventueller Eilbedürftigkeit noch nicht erforderlich.

Zudem ist auch von einem wichtigen Grund für einen Verteidigerwechsel auszugehen. Der Be-schuldigte konnte hier zur dem Schluss gelangen, dass sich sein bisheriger Pflichtverteidiger, den er sich im Übrigen nicht selbst ausgesucht hatte, nicht hinreichend für seine Belange ein-setzt und die Verteidigung nicht sachgerecht wahrnimmt. Unwidersprochen hat er vorgetragen, dass ihn sein bisheriger Verteidiger nicht in der Haftanstalt besucht hat und auch keine schriftli-che Kommunikation zur Sache oder zum Verfahren erfolgt ist. Auch aus Sicht eines verständi-gen Beschuldigten ist dieses Verteidigerverhalten angesichts des erheblichen Tatvorwurfs, der dem Beschuldigten gemacht wird, nicht sachgerecht und wird auch nicht nachvollziehbar er-klärt. Im vorliegenden Fall ist insoweit auch zu berücksichtigen, dass aufgrund des zeitnah zur Festnahme von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Gutachtens zu entscheiden war, ob sich der Beschuldigte einer Exploration durch einen Sachverständigen stellt.

Der Fall der fehlenden Gelegenheit zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses steht insoweit der Erschütterung desselben gleich. Für den der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschul-digten (was sich schon aus dem Polizeivermerk auf BI. 10 d.A. und dem Protokoll zur Verkün-dung des Haftbefehls auf Bl. 160 d.A. ergibt) bestand ersichtlich ein Interesse an einer zügigen Kontaktaufnahme mit einem Anwalt. Dies wird an seinen unwidersprochen gebliebenen Ausfüh-rungen zu seinen Bemühungen, aus der Untersuchungshaft schon vor dem 06.05.2015 Rechtsanwalt Pp1 zu kontaktieren, deutlich.

Der bisherige Wahlverteidiger ist deshalb antragsgemäß als Pflichtverteidiger beizuordnen, oh-ne dass eine Einschränkung hinsichtlich der entstehenden Kosten erfolgt. Einem Verzicht auf einen Teil der Gebühren, nämlich soweit Rechtsanwalt Pp2 eine Grundgebühr zzgl. Umsatz-steuer geltend macht, hat der Verteidiger zwar ausdrücklich zugestimmt. Zugleich hat er jedoch erneut auf den im Namen des Beschuldigten bereits zuvor beantragten Pflichtverteidigerwech-sel aus wichtigem Grund hingewiesen, weshalb insoweit davon auszugehen ist, dass der Ver-zicht nur für den Fall einer Ablehnung des wichtigen Grundes durch das Amtsgericht erfolgen sollte. Über die Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes hat das Amtsgericht jedoch keine Entscheidung getroffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA A. Trode, Iserlohn

Anmerkung:


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