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Leitsatz: 1. An die Auslegung des Begriffs der genügenden Entschuldigung für das Fernbleiben von der Hauptverhandlung dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Im Falle der krankheitsbedingten Verhinderung ist nicht zwingend eine Verhandlungsunfähigkeit zu fordern. 2. Zur Glaubhaftmachung eines krankheitsbedingten Fernbleibens genügt in aller Regel die Vorlage eines privatärztlichen Attests.
In pp. I. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung gewährt. II. Die Revision des Angeklagten ist damit gegenstandslos. III. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte wegen eines Diebstahls am 19. April 2013 gemäß Anklage vom 8. Juli 2013 (972 Js 5420/13 StA Köln) verurteilt worden ist. IV. Der Angeklagte hat die Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und der Teileinstellung einschließlich der dem Angeklagten jeweils entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe I. Die Generalstaatsanwaltschaft hat den derzeitigen Sachstand wie folgt dargestellt: "Durch Urteil vom 17.01.2014 - 528 Ds 331/13 - hat das Amtsgericht Köln den Angeklagten wegen Diebstahls geringwertiger Sachen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt (Bl. 80, 93 ff. d. A.). (...) Die vom Angeklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht Köln durch Urteil vom 08.09.2014 - 151 Ns 37/14 - verworfen, nachdem der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Termin nicht erschienen war (Bl. 113 ff. d. A.). Das Urteil ist dem Verteidiger am 12.09.2014 zugestellt worden (Bl. 156 d. A.). Mit am 15.09.2014 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Verteidiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt und zugleich Revision gegen das Urteil eingelegt (Bl. 122 f. d. A.). Hierzu hat er vorgetragen, dass der Angeklagte am 08.09.2014 verhandlungsunfähig gewesen sei. Dieser leide "seit geraumer Zeit an einer nicht näher bezeichneten somatoforme(n) Störung, einer Gastritis, einer Achalasie, sowie an einer anankastischen Persönlichkeitsstörung." Hierbei handele es sich um eine chronische Erkrankung, die mit täglichem Erbrechen einhergehe und zu einem starken Gewichtsverlust des Mandanten geführt habe, der aktuell nur noch 46 kg wiege. Am Verhandlungstag sei der Mandant fiebrig, bettlägerig und aufgrund von akuten Brechzuständen nicht in der Lage gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Zur Glaubhaftmachung hat er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Hausarztes Dr. med. C vom 10.09.2014 für die Zeit vom 08.09.2010 bis zum 10.09.2010 vorgelegt, die eine "Somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet, G. {F45.9G}" ausweist (Bl. 127 d. A.), sowie eine ausführliche ärztliche Bescheinigung vom 17.06.2014, welche sämtliche bislang erhobenen Diagnosen, die Anamnese und Medikationen beschreibt (Bl. 124 ff. d. A.). Weiter hat der Verteidiger mitgeteilt, dass der Angeklagte bemüht sei, ein weiteres ärztliches Attest zu erhalten, es ihm allerdings nicht möglich gewesen sei, einen Arzttermin innerhalb der Wochenfrist zu erhalten. Mit Schriftsatz vom 26.09.2014 hat der Verteidiger ein weiteres ärztliches Attest vom 17.09.2014 übermittelt, welches allerdings nur in Kurzform auf die chronische Erkrankung des Patienten und die gestellten Diagnosen verweist (Bl. 133 d. A.). Mit Beschluss vom 27.10.2014 hat das Landgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung als unzulässig verworfen (Bl. 136 ff. d. A.). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Angeklagte sei seiner umfassenden Darlegungspflicht nicht gerecht geworden. Die von dem Angeklagten vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 10.09.2014 reiche nicht aus, um das Fernbleiben am 08.09.2014 genügend zu entschuldigen, da der Diagnose nicht zu entnehmen sei, dass es dem Angeklagten unzumutbar gewesen sei, an einem Termin zur Hauptverhandlung aus Gesundheitsgründen teilzunehmen. Auch ließen sich daraus keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung oder auf den aktuellen Gesundheitszustand des Angeklagten ziehen. Auch die ärztlichen Bescheinigungen vom 17.06.2014 und 17.09.2014 trügen hierzu nichts bei. An der Verwerfung sei die Kammer auch nicht aufgrund eines Verfahrenshindernisses gehindert gewesen. Zwar liege kein Eröffnungsbeschluss für das Verfahren 972 Js 5420/13 vor. Allerdings habe das Amtsgericht bei der Verbindung der Verfahren durch die Beiordnung des Pflichtverteidigers für beide verbundene Verfahren und durch die Prüfung einer psychiatrischen Begutachtung vor erneuter Terminierung erkennbar die Eröffnungsvoraussetzungen des betreffenden Verfahrens geprüft. Der Beschluss ist dem Verteidiger am 07.11.2014 zugestellt worden (Bl. 153 d. A.). Mit am 10.11.2014 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag (Bl. 143 f. d. A.) hat der Angeklagte gegen die Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung im weiteren Schriftsatz vom 26.11.2014 (Bl. 147 ff. d. A.) u. a. ausgeführt, dass das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung im Sinne des § 329 Abs. 1 StPO verkannt habe. In Anbetracht der vorgelegten Unterlagen, die eine chronische Erkrankung belegen, die u.a. mit ständigem Erbrechen einhergehe, hätten ausreichende Anhaltspunkte für eine Entschuldigung des Angeklagten vorgelegen. Zudem hat der Verteidiger das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses im verbundenen Verfahren 528 Ds 445/13 gerügt und insoweit die Ansicht vertreten, dass insoweit ein Prozesshindernis vorliege, welches der Verwerfung der Berufung entgegenstehe." II. 1. Die gemäß §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO statthafte, rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 311 StPO eingelegte und daher zulässige sofortige Beschwerde gegen die Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrages hat auch in der Sache Erfolg. a) Es ist allgemein anerkannt, dass eine Erkrankung des Angeklagten einen Entschuldigungsgrund i. S. d. § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO darstellt (SenE v. 17.03.1987 - Ss 118/87 B = VRS 72, 472; SenE v. 30.01.2007 - 1 Ws 40/06 -; SenE v. 13.06.2008 - 81 Ss 47/08 -). Dies gilt schon dann, wenn das Erscheinen vor Gericht wegen der Erkrankung unzumutbar ist. Denn der Begriff der genügenden Entschuldigung darf nicht eng ausgelegt werden. § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO enthält eine Ausnahme von der Regelung, dass ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden darf, und birgt die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich. Deshalb ist bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten angebracht. Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seiner öffentlich-rechtlichen Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d. h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolge dessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (vgl. zu allem: BayObLG NJW 2001, 1438 = VRS 100, 351; SenE v. 23.05.2006 - 1 Ws 14/06 -). Eine krankheitsbedingte Verhinderung liegt nicht etwa erst dann vor, wenn Verhandlungsunfähigkeit begründet ist. Zur Glaubhaftmachung der Krankheit genügt in der Regel die Vorlage eines privatärztlichen Attestes (OLG Düsseldorf, VRS 71, 292; Senat VRS 72, 442; SenE v. 13.06.2008 - 81 Ss 47/08 -). Gemessen an diesen Maßstäben hat der Angeklagte sein Fernbleiben am 8. September 2014 mit den vorgelegten Unterlagen hinreichend entschuldigt. Dem Gesamtzusammenhang der vorgelegten Atteste und Bescheinigungen vom 17. Juni 2014, 10. September 2014 und 17. September 2014 ist zu entnehmen, dass die gravierende chronische Erkrankung des Angeklagten - somatoforme Störung, nicht näher bezeichnet, G. {F45.9G}, die sich beim Angeklagten u.a. auch in einer Gastritis, einer Achalasie der Speiseröhre, Gewichtsabnahme und Brechzuständen äußert - seit 2013 und auch am 8. September 2014 vorgelegen hat. Ausweislich der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 10. September 2014 war der Angeklagte vom 8. bis zum 10. September 2014 arbeitsunfähig aufgrund ebendieser Diagnose. Alle vorgelegten Bescheinigungen sind vom Hausarzt des Angeklagten ausgestellt worden, bei dem er sich seit 2005 in Behandlung befindet. Der Verteidiger hat zudem mitgeteilt, der Angeklagte sei am Verhandlungstag fiebrig und bettlägerig und aufgrund von akuten Brechzuständen nicht in der Lage gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Gerade diese Brechzustände sind Folgen der beim Angeklagten bestehenden chronischen Erkrankung. Die ärztliche Bescheinigung vom 17. Juni 2014 bescheinigt dem Angeklagten seit 2012 Schluckbeschwerden und Erbrechen. Da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 10. September 2014 dieselbe Diagnose der chronischen Erkrankung enthält, kann hieraus geschlossen werden, dass der Angeklagte am Terminstag tatsächlich an den vom Verteidiger mitgeteilten körperlichen Beschwerden litt. Dabei führt insbesondere das Erbrechen zur Unzumutbarkeit der Terminswahrnehmung. Anhaltspunkte für die Annahme, es handele sich um durch Täuschung erschlichene oder erbetene "Gefälligkeitsatteste" (vgl. SenE v. 25.04.2002 - Ss 38/02 -), sind nicht ersichtlich. Nach allem hat der Angeklagte die Unzumutbarkeit einer Teilnahme an der Hauptverhandlung ausreichend glaubhaft gemacht. b) Durch die Gewährung der Wiedereinsetzung, über die gemäß § 342 Abs. 2 Satz 2 StPO vorab zu befinden war, ist das Verwerfungsurteil vom 8. September 2014 beseitigt und die Revision gegenstandslos (SenE v. 25.04.2002 - Ss 38/02 -; SenE v. 07.12.2004 - 1 Ws 24/04 -; SenE vom 26.10.2008 - 83 Ss 76/08 -). 2. Entgegen der Auffassung der Kammer stand der Berufungsverwerfung zum Teil auch ein Verfahrenshindernis entgegen, welches hinsichtlich des Tatvorwurfs des Diebstahls am 19. April 2014 aus der Anklageschrift vom 8. Juli 2013 (972 Js 5420/13), zur Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO führt. Denn bezüglich dieser Tat fehlt es ausweislich der Akten an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss und der Strafverfolgung steht insoweit ein dauerndes Verfahrenshindernis entgegen (vgl. BGHSt 10, 278 [279]; BGH NStZ 1994, 227, SenE v. 19.03.2013 - III-1RVs 43/13 -; SenE v. 30.07.2013 - III-1 RVs 94/13 -; SenE v. 05.08.2014 - III-1RVs 126/14 -; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 52, Schneider, in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 207 Rn. 20). a) Eine ausdrückliche Entscheidung über die Eröffnung liegt nicht vor. b) Eine konkludente Eröffnung ist auch nicht in der Verfahrensverbindung zu erblicken, die im Hauptverhandlungstermin am 13. September 2013 erfolgt ist. Denn die Anklage vom 8. Juli 2013 war dem Angeklagten bislang nicht zugestellt und ist dem Verteidiger erst in diesem Hauptverhandlungstermin übergeben worden. Es wurde ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls auch nicht erörtert, ob der Verteidiger gegebenenfalls auf die Einhaltung von Einlassungsfristen bezüglich dieser Anklage verzichten würde oder verzichtet habe. Es lässt sich bei dieser Sachgestaltung nicht sicher ausschließen, dass die Abteilungsrichterin die Notwendigkeit, auch in dieser Sache den hinreichenden Tatverdacht zu prüfen, schlicht übersehen hat (vgl. SenE v. 02.07.2013 - III-1 RVs 110/13 -). Auch in der mit der Verbindung der Verfahren gleichzeitig beschlossenen Pflichtverteidigerbestellung kann keine auf die Eröffnung des Verfahrens gerichtete Willenserklärung gesehen werden. Denn weder setzt eine Pflichtverteidigerbestellung einen hinreichenden Tatverdacht voraus noch ist hierin für sich genommen ein deutlich zum Ausdruck gebrachter Eröffnungswillen gerade im Hinblick auf das verbundene Verfahren enthalten. Schließlich setzt auch die Prüfung der Frage, ob der Angeklagte auf seine Schuldfähigkeit hin begutachtet werden soll, nicht sachlogisch die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts in Bezug auf die Anklage vom 8. Juni 2013 voraus. c) Der fehlende Eröffnungsbeschluss hätte nur noch in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges nachgeholt werden können (SenE v. 15.02.2013 - III-1 RVs 8/13 m. w. Nachw.; SenE v. 19.03.2013 - III-1RVs 43/13 -). Dies ist ausweislich der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 17. Januar 2014 nicht geschehen. Mit Abschluss der Tatsacheninstanz durch das Sachurteil ist daher ein endgültiges, nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis entstanden (vgl. BGHSt 29, 224 = NJW 1980, 1858; BGH NStZ 2012, 583; SenE v. 11.08.2009 - 81 Ss 35/09 - m. w. Nachw.; SenE v. 19.03.2013 - III-1RVs 43/13 -), was zur Teileinstellung des Verfahrens im tenorierten Umfang führt. d) Mit der Einstellung des Verfahrens in der Rechtsmittelinstanz werden die davon betroffenen voraufgegangenen Urteile gegenstandslos, ohne dass es Ihrer Aufhebung bedarf (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 289 [296] [Kusch]; OLG Karlsruhe VRS 105, 345 [346]; SenE v. 04.01.2013 - III-1 RBs 334/12 - = DAR 2013, 337 [338]; SenE v. 20.05.2014 - III-1 RVs 72/14 -; SenE v. 05.08.2014 - III-1RVs 126/14 -). 3. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der gewährten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus § 473 Abs. 7 StPO. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht bezüglich der sofortigen Beschwerde und hinsichtlich des eingestellten Verfahrensteils auf § 467 Abs. 1 StPO, gegebenenfalls in entsprechender Anwendung (vgl. zur Teileinstellung: SenE v. v. 14.11.2003 - Ss 435/03 -).
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