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Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.05.2015 - 1 Ss 24/15
Leitsatz: 1. Eine im Ausland erworbene Fahrerlaubnis berechtigt nicht zum Führen eines Kraftfahrzeugs, wenn aufgrund einer rechtkräftigen gerichtlichen Entscheidung im Inland keine neue Fahrerlaubnis hätte erteilt werden dürfen. 2. Die Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis setzt dabei voraus, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Tatzeitpunkt im Verkehrszentralregister (Fahrerlaubnisregister) eingetragen war.
In pp. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 09.01.2015 aufgehoben. Die Feststellungen zum Schuldspruch werden indes in vollem Umfang (äußerer und innerer Sachverhalt) aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen. Gründe I. Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Hannoversch Münden vom 29. Oktober 2014 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 80 TS zu je 60 verurteilt worden. Das Landgericht Göttingen hat unter Verwerfung der Berufung das genannte Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit der Maßgabe neu gefasst, dass der Angeklagte wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Heidelberg vom 10. September 2014 zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 TS zu je 55 verurteilt worden ist. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit einem am 12. Januar 2015 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Nach Zustellung des Urteils am 27. Januar 2015 hat er diese mit Schriftsatz vom 26. Februar 2015 begründet. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründung verwiesen. Der Angeklagte beantragt, das angefochtene Urteil wegen materiellrechtlicher Fehler - Vorliegen einer gültigen tschechischen Fahrerlaubnis - aufzuheben. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. II. Die zulässige Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge zumindest einen vorläufigen Erfolg, weil die Feststellungen der Kammer den Schuldspruch nicht tragen. 1. Die Revision ist als Sachrüge (§ 344 II 1 Alt. 2 StPO) zulässig erhoben worden, weil sich jedenfalls aus der Begründung ergibt, dass eine sachlich-rechtliche Nachprüfung begehrt wird (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl 2015, § 344 Rn. 14). 2. Die Revision ist auch begründet. a) Das Landgericht hat zwar zutreffend ausgeführt, dass der Angeklagte seine tschechische Fahrerlaubnis vom 19.4.2006 - nicht nur das entsprechende Führerscheindokument - Ende 2007 verloren hat. Deshalb ist ihm Anfang 2009 von den tschechischen Behörden mitgeteilt worden, dass er eine neue Fahrerlaubnis erwerben müsse. b) Der Angeklagte war damit auch am 12.5.2009 ohne gültige Fahrerlaubnis. An diesem Datum wurde der Strafbefehl des Amtsgerichts Speyer vom 22.4.2009 rechtskräftig. Dieser ist dem Angeklagten auch am 25.4.2009 tatsächlich zugestellt worden ist, weshalb es unschädlich ist, dass er unter der Zustellanschrift nicht mehr gemeldet war (§§ 37 I StPO, 189 ZPO). Mit diesem Strafbefehl wurde zugleich eine achtmonatige Sperrfrist angeordnet, die am 12.5.2009 zu laufen begann und am 11.1.2010 endete. Der Erwerb der neuen tschechischen Fahrerlaubnis am 22.5.2009 - 10 Tage später - erfolgte demnach während der Sperrfrist, so dass der Ausschlussgrund des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 FeV eingreift. Danach gilt die grundsätzliche Berechtigung von Inhabern einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis (§ 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 FeV) nicht, wenn aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung - hier durch den Strafbefehl des AG Speyer - keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25.08.2011 -3 C 28/10, zitiert nach: juris, LS und Rn. 12-17; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, 2015, § 28 FeV Rn. 5, 44; Zwerger, ZfS 2015, 185, 188 mwN). Eine während der Sperrfrist erteilte Fahrerlaubnis muss auch nach Ablauf der Sperre nicht anerkannt werden (Dauer, aaO., Rn. 44; Zwerger, ZfS 2015, 188). Nach st. Rspr. des BVerwG ist überdies geklärt, "dass die ausländische EU-Fahrerlaubnis bei Vorliegen der Voraussetzungen von § FEV § 28FEV § 28 Absatz IV 1 Nr. 4 FeV nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt, ohne dass es zusätzlich noch eines Verwaltungsakts der Fahrerlaubnisbehörde bedarf, der diese Rechtsfolge konstitutiv ausspricht." (BVerwG, NJW 2014, 2214, 2216 Ziffer 28 mwN). c) § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 FEV verstößt auch nicht gegen vorrangiges EU-Recht, insbesondere den dort festgelegten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von ausländischen EU-Fahrerlaubnissen (BVerwG, aaO., Rn. 28-35; BVerwG, NJW 2014, 2214, 2216 Ziffer 29; allgemein Zwerger, ZfS 2015, 191). Dieser Grundsatz erfährt schon nach dem geltenden EU-Sekundärrecht insoweit Einschränkungen, als ein Mitgliedstaat "seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis" auf eine ausländische Fahrerlaubnis "anwenden" kann (Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2006/126/EG; auch Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG). Dementsprechend kann ein Mitgliedstaat "die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ..., der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist", ablehnen (Art. 11 Abs. 4 UA 2 Richtlinie 2006/126/EG; auch Art. 8 Abs. 4 UA 2 Richtlinie 91/439/EWG). Er kann sogar die Anerkennung des ausländischen Führerscheins für sein Hoheitsgebiet ablehnen, wenn sich erst nachträglich Eignungszweifel ergeben und deshalb eine der genannten Maßnahmen verhängt wird (EuGH, Urteil vom 23.4.2015 - C-260/13 [Aykul], Rn. 58, 60, 71 [Fahrverbot und Entzug der österreichischen Fahrerlaubnis durch deutsche Behörde aufgrund Cannabiskonsum]). Artikel 11 Abs. 4 UA 2 Richtlinie 2006/126/EG stellt nämlich eine "Ausgestaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes" dar (ebd., Rn. 61) und die damit verbundene Beschränkung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung ist gerechtfertigt, weil sie der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit allen EU-Bürgern dient (ebd., Rn. 70). Die gleichen Grundsätze sind auf den Fall einer isolierten Sperre übertragbar, weil es sich dabei um eine vergleichbare (entzugsähnliche) Maßnahme handelt (vgl. Dauer, aaO., Rn. 45 mwN). Diesen Maßnahmen ist gemeinsam, "dass sie die Feststellung der fehlenden Kraftfahreignung des Betroffenen voraussetzen; wegen dieses Eignungsmangels soll er im Interesse der Verkehrssicherheit vom Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen werden." (BVerwG, NJW 2014, 2214, 2216 f. Ziffer 30). In diesem Sinne hat der EuGH auch Bezug auf eine Sperrfrist genommen und entschieden, dass es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt ist, "einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis in Verbindung mit einer Sperrfrist für ihre Neuerteilung angewandt worden ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat während dieser Sperrfrist ausgestellten neuen Führerscheins zu versagen." (EuGH, Urteil vom 26. April 2012 - C-419/10 [Hofmann], Rn. 49). d) Überdies ist darauf hinzuweisen, dass in einem solchen Fall grundsätzlich auch der Ausnahmetatbestand des § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FEV in Betracht kommt, wonach die Berechtigung nach Abs. 1 nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis gilt, die zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung im Inland ihren Wohnsitz hatten. Dieser Ausnahmetatbestand ergibt sich aus dem Wohnsitzprinzip, wonach Voraussetzung der Erteilung der Fahrerlaubnis durch einen Mitgliedstaat ist, dass der Antragsteller in diesem Mitgliedsstaat seinen Wohnsitz hat (Art. 7 I e) Richtlinie 2006/126/EG; auch Art. 7 I b) Richtlinie 91/439/EWG; dazu auch Zwerger, ZfS 2015, 184 f.). Dies ist auch vom EuGH anerkannt (vgl. ua EuGH, Slg. 2008, I-EUGH-SLG Jahr 2008 I S. 4635 = NJW 2008, 2403 Rn. 72 f. - Wiedemann ua; EuGH, Slg. 2011, I-EUGH-SLG Jahr 2011 I S. 4057 [EUGH-SLG Jahr 2011 I 4069] = NJW 2011, 3635 Rn. 22 f. - Grasser). Allerdings liegt bislang noch keine Entscheidung des EuGH zu der Frage vor, ob der Aufenthaltsmitgliedstaat zur Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis auch dann berechtigt ist, wenn der Betroffene zum Erteilungszeitpunkt weder nach dem Unionsrecht noch nach dem Fahrerlaubnisrecht des Ausstellermitgliedstaates seinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat haben musste. Im Übrigen muss sich der Inlandswohnsitz aus dem Führerschein oder aus "vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende[n] unbestreitbare[n] Informationen" ergeben (vgl. § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FEV sowie Dauer, aaO., Rn. 27). Weitere Erkenntnisquellen sind nicht anerkannt (Dauer, aaO., Rn. 28 mN der EuGH Rspr.). Im vorliegenden Fall hat das Landgericht zwar festgestellt, dass der Angeklagte zum relevanten Zeitraum einen inländischen Wohnsitz hatte, doch ergibt sich dies nicht aus den o.g. Erkenntnisquellen, weshalb eine Anwendung von § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FEV nicht in Betracht kommt. e) Die Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis setzt jedoch gemäß § 28 Abs. 3 S. 3 FeV zusätzlich voraus, dass die Entziehung derselben zum Tatzeitpunkt in das Verkehrszentralregister eingetragen war (OLG Oldenburg, Beschluss vom 8.12.2010, 1 Ss 102/10, NJW 2011, 870 = DAR 2011, 154 ; OLG Jena, Beschluss vom 01.04.2009, 1 Ss 164/08, juris, Rn. 25; OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.02.2013, 1 Ss 81/12 [unveröffentlicht]; OLG Braunschweig, Beschluss vom 7.08.2013, 1 Ss 48/13, Rn. 6; vgl. auch Dauer, DAR 2011, 155). Ob die erforderliche Eintragung vorlag, ist den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen. 3. Wegen des dargelegten Rechtsfehlers ist das Urteil gemäß § 353 StPO aufzuheben. Die Sache ist insoweit gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen. 4. Die von der Kammer getroffenen Feststellungen zum Schuldspruch können jedoch in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Gericht wird lediglich ergänzend zu prüfen haben, ob die erforderliche Eintragung vorlag und dann ggf. erneut über die Rechtsfolge entscheiden müssen. III. Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorbehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.
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