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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Fahrtenbuch, Mitwirkung, Betroffener, Internetrecherche, Verwaltungsbehörde

Gericht / Entscheidungsdatum: VGH Bayern, Beschl. v. 16.04.2015 - 11 ZB 15.171

Leitsatz: Die Ermittlungsbehörden sind nicht verpflichtet, ohne einen Hinweis des Fahrzeughalters auf eine konkrete Internetseite oder dem Vorliegen anderer Anhaltspunkte, dass eine Suche im Internet erfolgversprechend sein könnte, im Internet nach Lichtbildern der in Betracht kommenden Fahrzeugführer zu recherchieren, selbst wenn es sich bei dem Fahrzeughalter um eine Firma handelt.


In pp.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.400 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wendet sich gegen eine Fahrtenbuchauflage für ein Firmenfahrzeug.

Am 19. Februar 2014 wurde mit dem auf die Klägerin zugelassenen Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... in Darmstadt innerorts die zulässige Geschwindigkeit von 30 km/h um 21 km/h (nach Abzug der Messtoleranz) überschritten.

Nachdem der verantwortliche Fahrer nicht ermittelt werden konnte, stellte das Regierungspräsidium Kassel das Bußgeldverfahren ein und regte die Führung eines Fahrtenbuchs an. Mit Bescheid vom 4. Juli 2014 ordnete das Landratsamt Neu-Ulm gegenüber der Klägerin an, dass sie für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... ab Rechtskraft des Bescheides für sechs Monate ein Fahrtenbuch führen muss (Nr. 1) und die Anordnung auch für Ersatzfahrzeuge gilt, die an Stelle des in Nr. 1 genannten Kraftfahrzeugs auf die Klägerin zugelassen sind oder werden oder von ihr genutzt werden (Nr. 2). Abweichend von § 31a Abs. 2 StVZO ordnete das Landratsamt auch an, dass die Kilometerstände zu Beginn und nach Beendigung der Fahrt aufzuzeichnen seien. Diesbezüglich stellte das Verwaltungsgericht nach den übereinstimmenden Erledigterklärungen der Parteien das Verfahren ein.

Die gegen den Bescheid vom 4. Juli 2014 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 6. Dezember 2014 im Übrigen abgewiesen.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Die Klägerin macht geltend, die Behörde habe alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung zu treffen, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Das Erstgericht habe verkannt, dass insbesondere bei juristischen Personen Internetrecherchen zumutbar und auch Erfolg versprechend seien und deshalb schon zu einem Zeitpunkt hätten erfolgen können und müssen, an dem eine fehlende Mitwirkung der Klägerin noch gar nicht absehbar gewesen sei. Der Fahrer hätte so auch ermittelt werden können. Alleine aus dem Umstand, dass der an die Klägerin gerichtete Zeugenfragebogen nicht in Rücklauf gekommen sei, könne nicht auf eine fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung geschlossen werden. Es stelle sich die entscheidungserhebliche Frage, ob und ggf. wann die Durchführung einer Internetrecherche durch Aufrufen sozialer Netzwerke oder Internetpräsenzen eine angemessene und zumutbare Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung darstelle.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Aus der Antragsbegründung ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen vor, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (zu diesem Maßstab vgl. BVerfG, B.v. 21.1.2009 - 1 BvR 2524/06 - NVwZ 2009, 515 m.w.N.). Solche Zweifel zeigt die Antragsbegründung nicht auf.

Nach § 31a Abs. 1 Straßenverkehrs-Zulassung-Ordnung (StVZO) vom 26. April 2012 (BGBl S. 679), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Dezember 2014 (BGBI S. 2010), kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist im Sinne von § 31a Abs. 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab (vgl. etwa BVerwG, U.v. 17.12.1982 - 7 C 3.80 - BayVBl 1983, 310; B.v. 21.10.1987 - 7 B 162/87 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 18; B.v. 23.12.1996 - 11 B 84/96 - [...]; BayVGH, B.v. 23.2.2015 - 11 CS 15.6 - [...]). Verweigert der Fahrzeughalter seine Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers, sind weitere Ermittlungen in der Regel nicht zumutbar (BVerwG, U.v. 17.12.1982, a.a.O.). Das Verwaltungsgericht hat zutreffend und rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung getroffen wurden, da die Klägerin nicht hinreichend an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes mitgewirkt, sondern die Ermittlungen eher behindert hat. Dagegen hat die Klägerin keine durchgreifenden Argumente vorgebracht, denn das Verwaltungsgericht hat nicht nur aus dem fehlenden Rücklauf des Anhörbogens, sondern insbesondere aus dem Verhalten der Mitarbeiter und des Geschäftsführers der Klägerin bei der Kontaktaufnahme durch die ermittelnde Beamtin, zutreffend auf eine fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung geschlossen.

Soweit die Klägerin geltend macht, schon bevor dieses Verhalten erkennbar geworden sei, hätte eine Internetrecherche erfolgen können und müssen, verkennt sie grundlegend ihre Mitwirkungspflichten als Fahrzeughalterin. Der Fahrzeughalter ist für sein Fahrzeug verantwortlich und daher erster Ansprechpartner für die Ermittlungsbehörden. Ein Fahrzeughalter ist auch bei fehlender subjektiver Fähigkeit zur Identifizierung der Radaraufnahme insoweit zur Mithilfe bei der Aufklärung verpflichtet, dass er zumindest den Personenkreis der möglichen Fahrzeugführer gegenüber der Straßenverkehrsbehörde einzuschränken hat. Unterbleiben dahingehende Angaben, sind weitere Ermittlungen in der Regel nicht erforderlich und eine Fahrtenbuchauflage gegen den Fahrzeughalter gerechtfertigt (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2013 - 11 CS 13.187 - [...] Rn. 19; B.v. 23.2.2015 a.a.O.; OVG NW, B.v. 21.4.2008 - 8 B 491/08 - [...] Rn. 9). Hier hat der Geschäftsführer der Klägerin mitgeteilt, er könne die Person auf dem Bild nicht identifizieren. Gleichwohl hat er aber weder den Personenkreis der möglichen Fahrzeugführer eingegrenzt noch auf den Internetauftritt der Klägerin hingewiesen.

Darüber hinaus trifft einen Kaufmann nach § 13 Abs. 3 GmbHG i.V.m. § 6 Abs. 1 HGB zwar aus der Buchführungspflicht nach dem Handelsgesetzbuch über die Geschäftsvorfälle "in ihrer Entstehung und Abwicklung" keine unmittelbare Pflicht, Fahrtenbücher oder Einsatzpläne vorzuhalten. Jedoch entspricht es unabhängig von der Reichweite dieser Vorschriften sachgerechtem kaufmännischen Verhalten, auch Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren (BayVGH, B.v. 14.5.2013 - 11 CS 13.606; B.v. 29.4.2008 - 11 CS 07.3429; B.v. 17.1.2013 - 11 ZB 12.2769 - jeweils [...]). Es ist auch nicht Aufgabe der Ermittlungsbehörden, innerbetriebliche Vorgänge aufzuklären, denen die Geschäftsleitung weitaus näher steht (vgl. VGH BW, B.v. 30.11.2010 - 10 S 1860/10 - NJW 2011, 628 m.w.N.). Die Polizei konnte hier deshalb davon ausgehen, dass bei der Klägerin Unterlagen vorhanden waren, die Aufschluss über die Person des Fahrers im Tatzeitpunkt geben konnten. Es war daher ausreichend, bei der Klägerin anzurufen und Auskunft aus diesen Unterlagen zu verlangen.

Im Übrigen ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Ermittlungsbehörden Recherchen im Internet anstellen müssten, ohne einen Hinweis des Fahrzeughalters auf eine bestimmte Internetseite oder dem Vorliegen anderer Anhaltspunkte, dass eine solche Suche erfolgversprechend sein könnte. Denn zum einen verfügen nicht alle juristischen Personen über einen Internetauftritt. Zum anderen ist weder zu erwarten, dass in der Internetpräsenz Bilder aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt sind, die die Berechtigung besitzen, ein Firmenfahrzeug zu nutzen, noch könnte aus dem Internetauftritt abgeleitet werden, welcher Kreis der Beschäftigten zum Tatzeitpunkt als Fahrzeugführer in Betracht kommt. Es stellt deshalb keine zumutbare Ermittlungsmaßnahme dar, ohne weitere Anhaltspunkte im Internet zu recherchieren.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Hierzu hätte die Klägerin darlegen müssen, dass die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, sich also der Rechtsstreit wegen seiner Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt. Dies lässt sich der Antragsbegründung nicht entnehmen.

3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist in der Antragsbegründung nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt. Hierzu hätte eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und ausgeführt werden müssen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Des Weiteren hätte die Rechtsmittelführerin erläutern müssen, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen müssen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 72). Daran fehlt es hier. Unabhängig davon kommt der Rechtssache auch deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Frage, ob und ggf. wann die Durchführung einer Internetrecherche durch Aufrufen sozialer Netzwerke oder aber Internetpräsenzen eine "angemessene und zumutbare Maßnahme zur Sachverhaltsaufklärung" darstellt, eine Frage des Einzelfalls und damit keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich ist. Es kommt dabei insbesondere darauf an, welche Anhaltspunkte den Ermittlungsbehörden vorliegen, dass eine solche Recherche erfolgversprechend sein könnte.

4. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anh. § 164 Rn. 14).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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