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Leitsatz: Hat faktisch ein Privatunternehmen die alleinige Auswertung der Datensätze einer Geschwindigkeitsmessung übernommen, kann das erzielte Ergebnis nicht Grundlage einer Verurteilung des Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung sein.
Das Amtsgericht Kassel Abteilung für Bußgeldsachen hat in der Sitzung vom 14.04.2015, an der teilgenommen haben: Richter als Richter in Bußgeldsachen als Verteidiger Justizangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle für Recht erkannt:
Der Betroffene freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staats-kasse zur Last.
Gründe Dem Betroffenen wird laut Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 16. Sep-tember 2014 folgendes vorgeworfen:
Am 13. Juni 2014 um 13:39 Uhr habe der Betroffene die Bundesstraße 485 in Richtung Bad Wildungen mit einem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen pp. im Ortsteil Waldeck-Netze befahren. Dort habe eine stationäre Geschwindigkeitsüberwachungsanlage 5350 der Firma Jenoptik das Fahrzeug des Betroffenen mit einer Geschwindigkeit von 75 km/h gemessen. Un-ter Berücksichtigung des Toleranzabzugs sei dem Betroffenen daher eine Geschwindigkeits-überschreitung um 22 km/h vorzuwerfen.
II. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme war der Betroffene aus tatsächlichen Gründen frei-zusprechen.
Ob eine entsprechende Messung stattgefunden hat, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest.
Um eine Überzeugungsbildung des Gerichts zu ermöglichen wäre es nötig gewesen, dass die vorhandenen Messdaten von einem Ordnungspolizeibeamten ausgewertet worden wären. Dies ist jedoch vorliegend nicht mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfolgt.
Der Zeuge H gab in seiner Vernehmung in der Beweisaufnahme an, er sei als Ordnungspolizei-beamten für die Stadt Korbach tätig. Im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit würde er die hier gegenständliche Anlage betreuen und die dort produzierten Daten auswerten. Diese würde eher gemeinsam mit den weiteren als Zeugen geladenen jedoch nicht vernommenen Personen un-ternehmen. Ob der Zeuge den hier gegenständlichen Vorfall ausgewertet hat oder nicht konnte er nicht klären. Dies sei nicht aufgezeichnet worden. Es ist jedenfalls nicht ausschließbar.
Der Zeuge gab in seiner Vernehmung an, dass er bis zum Dezember 2014, als er erstmals durch das Gericht auf seine Verpflichtung zur Auswertung der Datensätze hingewiesen wurde, wie folgt verfahren sei:
Jeweils montags oder nach dem Erreichen einer Marke von 150 Falldaten wäre der Zeuge durch eine E-Mail darauf aufmerksam gemacht worden, dass nunmehr auf die Internetseite des Betreibers zuzugreifen sei. Dort würde der Zeuge die unbearbeiteten Übersichtsfotos anschau-en und diese sodann zur Aufbereitung an Jenoptik versenden. Bei der Überprüfung der Über-sichtsfotos wäre oben rechts zu erkennen, dass die Signatur des Datensatzes ungebrochen sei. Bei Jenoptik würden die Daten sodann aufbereitet und dem Zeugen vorsortiert als verwertbare Daten und unverwertbare Daten zugänglich gemacht. Diese aufbereiteten Daten hätte der Zeu-ge sich nicht mehr im Detail angeschaut. Er räumte ein, dass es ihm nicht möglich war zu über-prüfen, ob die auf den, nach der Aufbereitung durch Jenoptik nunmehr zur Verfügung stehen-den, Fahrerfotos auch die jeweilige Person sei, die auf dem Übersichtsfotos erkennbar sei. Auch konnte der Zeuge nicht mehr überprüfen, ob die bearbeiteten Daten noch aus einem un-beschädigten Datensatz stammten oder ob diese Daten durch Jenoptik manipuliert wurden. Der diesbezügliche Signaturvermerk ist in diesem Verfahrensstadium nicht mehr vorhanden. Der Zeuge überprüfte die unveränderte Datenintegrität auch nicht durch einen Vergleich mit dem zuvor an Jenoptik übersandten Ausgangsbild, da dies einen zu hohen Arbeitsaufwand bedeutet hätte. Dennoch folgte der Zeuge stets der Einschätzung von Jenoptik und übertrug die von Jenoptik als verwertbar eingestuften Datensätze ohne Aufklärung dieser Fragen in das System zur Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten. Die weiter beteiligten Behörden vertrauten sodann auf die ordnungsgemäße Auswertung durch die örtliche Ordnungsbehörde. Dem Zeu-gen war hierbei bewusst, dass Jenoptik für verwertbare Daten einen Geldbetrag erhielt und für unverwertbare Daten keinen Anspruch erwarb. Dennoch überprüfte der Zeuge als Auswer-tungsbeamte die Vorauswertung von Jenoptik bis zum Dezember 2014 nicht.
Unter Berücksichtigung der Darstellungen des Zeugen ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass vorliegend überhaupt eine hoheitliche Auswertung durch eine Ordnungsbehörde durchge-führt wurde. Der Zeuge räumte in seiner Vernehmung ein, dass er nicht überprüfte, ob es sich bei der auf dem Fahrerfoto erkennbaren Person um die Person handle, die auch auf dem Über-sichtsfoto zu erkennen ist. Auch räumte der Zeuge ein, dass er nicht überprüfte, ob die ur-sprüngliche Datei der Messanlage nach der Vorauswertung durch Jenoptik unverändert waren. Auf Nachfrage des Gerichts räumte der Zeuge ein, dass das entsprechende Signaturbild eines Schlüsselbundes auf der ihm zur Verfügung stehenden Informationsübersicht (vgl. Anlage zum Protokoll BI. 4) nicht mehr vorhanden war.
Diese Umstände führen dazu, dass vorliegend faktisch ein Privatunternehmen die alleinige Auswertung der Datensätze übernommen hat.
Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass eine Geschwindigkeitsmessung im Rahmen eines Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens ureigene hoheitliche Aufgabe ist. Es ist daher völlig unverständlich, warum die Ordnungsbehörde ihre ureigene Aufgabe an ein Privatunternehmen vollständig delegiert und dieses nicht einmal überprüft. Unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen, dass das Privatunternehmen lediglich dann Geld für seine Arbeit bekomme wenn das Messergebnis verwertbar sei, ist hierfür der einzig nachvollziehbare Grund darin erkennbar, dass die Ordnungsbehörde die Delegation ihrer eigenen Aufgaben deshalb unternimmt, um ei-gene Kosten zu sparen. Hierbei verkennt die Ordnungsbehörde jedoch, dass es sich bei einer Geschwindigkeitsüberwachungen nicht um ein Erwerbsgeschäft handelt mit welchem ein Ge-winn erworben werden soll, sondern einzig und allein um eine Maßnahme zur Sicherstellung der Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr.
Völlig unverständlich wird diese Situation spätestens dann, wenn man berücksichtigt, dass das hier faktisch auswertende Privatunternehmen, welches als GmbH satzungsgemäß ein Gewinn-streben unterliegt, lediglich dann einen monetären Ertrag für seine Arbeit erhält, wenn die Mes-sung als verwertbar eingestuft wird. Die Entscheidung, ob die Messung verwertbar ist oder nicht, oblag vorliegend jedoch faktisch dem Unternehmen selbst. Das hierdurch entstehende Eigeninteresse an dem Ergebnis der Auswertung der Messung stellt ein Interessenkonflikt dar, der im Rahmen einer hoheitlichen Messung nicht zu akzeptieren ist.
Unter Berücksichtigung dieser Sachlage konnte das Gericht keine hinreichende Überzeugung davon finden, dass die Messergebnisse, wie sie dem Gericht von der Ordnungsbehörde vorlie-gend präsentiert wurden, unverändert sind. Ohne eine entsprechende Überzeugungsbildung dahingehen sieht sich das gilt jedoch nicht in der Lage den Betroffenen entsprechen des Buß-geldbescheids zu verurteilen.
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