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Leitsatz: Hat der Vorsitzende die Hauptverhandlung ohne ausdrückliche Befristung unterbrochen, um dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, ein gerichtliches Hinweisschreiben mit seinem Verteidiger zu erörtern, so darf der Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG ohne Hinzutreten weiterer Umstände auch dann nicht verworfen werden, wenn der Betroffene und sein Verteidiger bei Wiederaufruf der Sache nicht erscheinen und die Unterbrechung bis zum Wiederaufruf nur drei Minuten und bis zur Verkündung des Verwerfungsurteils nur sieben Minuten gedauert hat.
Kammergericht Beschluss Geschäftsnummer: In der Bußgeldsaches wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 3. Senat des Kammergerichts für Bußgeldsachen am 5. November 2014 beschlossen:
Auf den Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 9. September 2014 zugelassen. Auf die Rechtsbeschwerde wird das genannte Urteil aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe: Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach §§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO eine Geldbuße von 35,- Euro festgesetzt. Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht einen Hauptverhandlungstermin bestimmt und mit Schreiben vom 4. September 2014 darauf hingewiesen, dass der Betroffene mit einer deutlich erhöhten Geldbuße zu rechnen habe, wenn sich in der Verhandlung die Richtigkeit des Vorwurfs und die Wahrheitswidrigkeit seiner den Unfallgegner belastenden Einlassung ergäben. Am Terminstag ist um 12.07 Uhr mit der Hauptverhandlung begonnen worden. Um 12.10 Uhr ist die Verhandlung auf Wunsch des Verteidigers unterbrochen worden, der das gerichtliche Schreiben vom 4. September 2014 mit seinem Mandanten erörtern wollte. Der Vorsitzende hat nach drei Minuten, also um 12.13 Uhr, die Fortsetzung der Verhandlung verfügt und die Protokollführerin entsprechend aufrufen lassen. Nachdem der Betroffene und sein Verteidiger auf den Aufruf nicht im Saal erschienen waren, hat das Amtsgericht den Einspruch um 12.17 Uhr nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. In den Urteilsgründen hat es den Verfahrensablauf geschildert und ausgeführt, der Betroffene habe nicht das Recht für sich herausnehmen dürfen, das Schreiben des Gerichts vom 4.9.14 über Gebühr lange mit seinem Verteidiger zu erörtern und den Aufruf zur Fortsetzung zu ignorieren. Dagegen hat der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und die Verletzung rechtlichen Gehörs beanstandet. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zu. Das Amtsgericht hat den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, indem es seinen Einspruch ohne Verhandlung zur Sache nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat.
1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG auch dann verworfen werden kann, wenn der Betroffene zu dem zunächst anberaumten Termin erschienen war, dann aber bei dem Folgetermin ausbleibt (vgl. OLG Hamm Prozessrecht aktiv 2004, 212 [Volltext bei juris]); das gilt auch dann, wenn der Fortsetzungstermin wenige Stunden nach dem ersten Termin stattfindet (vgl. Thüringer OLG VRS 105, 137). Daneben entspricht es zumindest herrschender Meinung, dass das Amtsgericht den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG auch dann verwerfen kann (oder muss), wenn der Betroffene sich vorzeitig aus der Verhandlung entfernt (vgl. BayObLGSt 1972, 17; KrG Saalfeld NStZ 1994, 41; Göhler/Seitz, OWiG 16. Aufl., § 74 Rn. 28; KK-OWiG/Senge, 3. Aufl., § 74 Rn. 30; a.M. BayObLG VRS 62, 206).
2. Der überwiegend durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesene und auch dem Prozessurteil entsprechende Sachvortrag der Rechtsbeschwerde belegt weder, dass der Betroffene einem Fortsetzungstermin ferngeblieben ist, noch lässt er erkennen, dass der Betroffene sich aus der Hauptverhandlung vorzeitig entfernt hat. Protokoll, Urteil und Rechtsbeschwerde lassen nämlich nicht erkennen, dass die Unterbrechung durch den Vorsitzenden befristet worden wäre. Mag einem Betroffenen und seinem Verteidiger bei dieser Sachlage beim Überschreiten einer längeren Zeit auch ein prozessordnungswidriges Agieren vorzuhalten sein, so lässt das hier festgestellte Verhalten jedenfalls nicht darauf schließen, dass der Betroffene sich vorzeitig aus dem Saal entfernt hat. Erst recht bei der hier zumal nur stillschweigend auf drei bis höchstens sieben Minuten begrenzten Unterbrechung war der vom Amtsgericht gezogene Schluss, der Betroffene habe sich aus der Hauptverhandlung entfernt, verfrüht. Er lag tatsächlich und rechtlich fern, zumal der Betroffene seine Sachen im Saal zurückgelassen hatte.
3. Allein dieser Rechtsfehler führt nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Denn bei der hier in Rede stehenden Geldbuße von 35,- Euro kann die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG wegen der fehlerhaften Anwendung von Verfahrensrecht, zu dem § 74 Abs. 2 OWiG gehört, nicht zugelassen werden. Die Verwerfung verletzt aber den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
Der Einwand, das Urteil beruhe auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, muss mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (vgl. Thüringer OLG VRS 107, 289; OLG Köln VRS 88, 375; Göhler/Seitz, aaO, § 80 Rn. 16a a. E.) Den sich daher aus §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen entspricht die Antragsschrift. Der Rechtsmittelführer hat dargelegt, was er im Fall seiner Anhörung geltend gemacht hätte.
a) Allerdings kann der Zulassungsantrag nicht damit durchdringen, der Betroffene hätte im Falle seiner Anhörung geltend gemacht, die Ordnungswidrigkeit sei verjährt. Denn die Verjährung war nach § 33 Abs. 1 Nr. 8 OWiG dadurch unterbrochen worden, dass die Amtsanwaltschaft das gegen den Betroffenen eingeleitete Strafverfahren eingestellt und die Sache nach § 43 Abs. 1 OWiG an die Verwaltungsbehörde abgegeben hatte. Der durch den Rechtsmittelführer nun vorrangig gestellte Antrag, das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen, bleibt aber nicht nur deshalb ohne Erfolg, sondern auch im Hinblick darauf, dass das Verfahrenshindernis, wenn es tatsächlich bestünde, vor Erlass des Urteils eingetreten wäre (§ 80 Abs. 5 OWiG).
b) Die Rechtsmittelschrift legt aber substantiiert dar, dass der Betroffene, wäre er gehört worden, den Vorsitzenden aus Anlass des gerichtlichen Schreibens vom 4. September 2014 abgelehnt hätte. Zwar findet sich in der veröffentlichten Rechtsprechung und in der Literatur immer wieder die Formulierung, die Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs erfordere die Darstellung, welcher Sachvortrag des Betroffenen übergangen worden ist (vgl. Senat NZV 2003, 586 und Beschluss vom 7. November 1997 3 Ws (B) 614/97 ; OLG Düsseldorf VRS 120, 343; OLG Köln NZV 1999, 264; Göhler/Seitz, aaO, § 80 Rn. 16c), und die Richterablehnung ist kein Vortrag zur Sache, sondern betrifft die Ausübung eines prozessualen Rechts. Im Ergebnis kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG auch das Anrecht schützt, mit Anträgen zum Verfahren gehört zu werden, die unmittelbaren Einfluss auf die Urteilsfindung haben können. Das ist hier der Fall.
4. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben, und die Sache war zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.
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