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Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Urt. v. 01.09.2014 - 2 OLG 3 Ss 70/14
Leitsatz: 1. Vorstrafen und Bewährungsversagen schließen eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus. 2. Waren die Vorstrafen des Angeklagten im Wesentlichen auf seine Neigung zu übermäßigem Alkoholkonsum zurückzuführen, hält sich eine Strafaussetzung zur Bewährung bei einer erneute Verurteilung im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens, wenn der Angeklagte der Ursache der früheren Delinquenz mit der freiwilligen Durchführung und dem erfolgreichen Abschluss einer Alkoholtherapie entgegengewirkt hat. 3. Ein durch die erneute Tat dokumentierter Alkoholrückfall steht der Annahme einer positiven Änderung der Lebensverhältnisse nicht von vornherein entgegen, da Rückfälle nach langjährigem Alkoholmissbrauch nicht untypisch sind und den günstigen Verlauf insgesamt nicht in Frage stellen müssen.
In dem Strafverfahren gegen pp- wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte hier: Revision des Angeklagten hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz aufgrund der Hauptverhandlung vom 01.09.2014, an der teilgenommen haben: als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft, Justizinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 8. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 7. Oktober 2013 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten der Revision, einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten, trägt die Staatskasse.
Gründe I. Das Amtsgericht Neuwied verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässigen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte.
Die gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit Urteil vom 7. Oktober 2013 als unbegründet verworfen.
Nach den Urteilsfeststellungen trank der Angeklagte, der im Jahr 1994 aus Kasachstan nach Deutschland übersiedelt war und davor wie auch danach zu übermäßigem, immer wieder zu Straftaten führendem Alkoholkonsum neigte, am 20. Februar 2013 in seiner Wohnung zur Behandlung eines grippalen Infekts Wodka mit Pfeffer und in Folge den Inhalt der gesamten Flasche, nachdem er seit dem Beginn einer Alkoholtherapie im Juni 2012 keinen Alkohol mehr zu sich genommen hatte. Als er nach einem Streit mit Nachbarn von der herbeigerufenen Polizei mit zur Wache genommen worden war, schlug und trat er in nicht ausschließbarem Zustand der Schuldunfähigkeit nach den Beamten, die ihn nur unter Aufbietung großer Kräfte am Boden fixieren konnten. Seine Blutalkoholkonzentration betrug zur Tatzeit mindestens 2,75 Promille. Zur Person des Angeklagten führt die Kammer zehn Vorverurteilungen in der Zeit vom 10. September 1995 bis 16. Juni 2011 an, von denen in sieben Fällen die zugrundeliegenden Taten im Zusammenhang mit Alkoholkonsum standen und der Angeklagte in vier Fällen eine Freiheitsstrafe ganz oder teilweise verbüßte. Aus zwei Vorverurteilungen (AG Neuwied vom 25.10.2010 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und 16.06.2011 wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, begangen in stark alkoholisiertem Zustand) stand der Angeklagte zur Tatzeit unter laufender Bewährung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie beantragt,
das angefochtene Urteil im Strafausspruch aufzuheben und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, in Anbetracht der einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten habe die Strafkammer die Höhe der verhängten Freiheitstrafe zu niedrig bemessen und deren Vollstreckung zu Unrecht zu Bewährung ausgesetzt.
II.
Das zuungunsten des Angeklagten in zulässiger Weise eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
1.) Die Strafzumessung der Kammer weist keine urteilsrelevanten Rechtsfehler auf. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Votum vom 10. Juni 2014 Bezug genommen.
2.) Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist aus revisionsrechtlicher Sicht ebenfalls nicht zu beanstanden. Ob der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), ist als Tatfrage grundsätzlich allein vom Tatgericht zu beurteilen. Dem Revisionsgericht ist es verwehrt, die Prognose des Tatgerichts durch eine eigene zu ersetzen. Die tatrichterliche Entscheidung unterliegt in der Revision nur der Nachprüfung auf Rechts- oder Ermessensfehler. Solche sind auch unter Berücksichtigung der Vorstrafen und des Handelns unter laufender Bewährung nicht ersichtlich.
Vorstrafen und Bewährungsversagen schließen eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein aus. Ist der Angeklagte in der Vergangenheit einschlägig oder erheblich straffällig geworden und mussten hierbei Freiheitsstrafen verhängt werden, so kommt dieser Tatsache zwar bei der Prognose in erhöhtem Maße negative Bedeutung zu. Dies gilt vor allem dann, wenn der Angeklagte, wie vorliegend, bereits Freiheitsstrafen verbüßt und nach gewährten Strafaussetzungen während laufender Bewährungszeiten versagt hat. Dass ein Straftäter sich anders als in der Vergangenheit verhalten werde, wenn ihm nochmals die Gelegenheit zur Bewährung gegeben wird, kann dann in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden. Diese Indizwirkung kann jedoch entfallen, wenn nach Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, einschließlich seiner Beweggründe für die früheren Taten und deren Begleitumstände, günstige Veränderungen in seinen Lebensverhältnissen festgestellt werden, die geeignet sind, die Annahme künftigen Wohlverhaltens zu tragen (vgl. nur Senat, 2 Ss 16/13 vom 08.07.2013 m.w.N.).
Das hat die Kammer beachtet. Eine Veränderung in den Lebensverhältnissen des Angeklagten ist nach den Urteilsfeststellungen dadurch eingetreten, dass sich die Ehefrau des Angeklagten zu Beginn des Jahres 2012 von ihm wegen seines ständigen Alkoholkonsums getrennt und er daraufhin beschlossen hatte, sich endgültig vom Alkohol loszusagen. Er durchlief in der Zeit von Juni bis September 2012 mit Erfolg eine Alkoholentwöhnungstherapie und nimmt seit seiner Entlassung an einer ambulanten Nachsorge des Diakonischen Werks teil. Die Beziehung zu seiner Ehefrau hat sich daraufhin verbessert. Sie bewohnen wieder eine gemeinsame Wohnung. Auch seine Berufstätigkeit als Kommissionär hat der Angeklagte wieder aufgenommen. Diese Stabilisierung in der Lebensführung ist nach der letzten Vorverurteilung durch das Amtsgericht Neuwied vom 16. Juni 2011 erfolgt und belegt bezogen darauf eine tatsächliche Änderung der persönlichen Verhältnisse, die tragfähig ist, eine positive Prognose zu begründen. Denn aus der Darstellung der Vorverurteilungen des Angeklagten in den Urteilsgründen ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass gerade seine Neigung zu übermäßigem Alkoholkonsum die entscheidende Ursache seiner wiederholten Straffälligkeit war. Versuche, dem Alkohol zu entsagen, hatte der Angeklagte nur halbherzig und erfolglos unternommen. Auch stationäre Alkoholtherapien auf Grund von Bewährungsweisungen waren ohne nachhaltige Wirkung geblieben, weil er seine Behandlungsnotwendigkeit nicht einsah, sondern meinte, den Alkoholkonsum beenden zu können, wenn er es nur wolle. Dieser Ursache der früheren Delinquenz hat der Angeklagte mit der freiwilligen Durchführung und dem erfolgreichen Abschluss einer Alkoholtherapie entgegengewirkt.
Bei dieser Sachlage hält sich die Strafaussetzung zur Bewährung im Rahmen der dem Tatrichter zustehenden Beurteilung (vgl. BGH, 1 StR 62/97 vom 08.04.1997, Rdn. 2 nach juris, NStZ-RR 1997, 231).
Der durch die vorliegende Tat dokumentierte Alkoholrückfall steht der Annahme einer positiven Änderung der Lebensverhältnisse nicht entgegen. Die Kammer hat dazu sachverständig beraten festgestellt, dass bei einer Vorgeschichte wie der des Angeklagten, die durch jahrzehntelangen Alkoholmissbrauch gekennzeichnet ist, Rückfälle nicht untypisch seien und immer wieder auftreten können, ohne den günstigen Verlauf insgesamt in Frage zu stellen. Diese Bewertung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung, wonach sich der Weg aus der Sucht als ein langer, auch von Rückschlägen begleiteter Prozess darstellt und deshalb aus einem Rückschlag nicht schon auf die Sinnlosigkeit künftiger therapeutischer Bemühungen geschlossen werden darf (OLG Koblenz, 2 Ws 244/08 vom 28.05.2008, Rdn. 11 nach juris, NStZ 2009, 395, 396 [OLG Koblenz 28.05.2008 - 2 Ws 244/08]; OLG Karlsruhe, 2 VAs 77/13 vom 17.10.2013, Rdn. 8 nach juris; OLG Schleswig, 2 VollzWs 342/08 (222/08), 2 VollzWs 342/08 (222/08) vom 28.10.2009, Rdn. 22 nach juris, jeweils m.w.N; BGH, 4 StR 473/96 vom 23.10.1996, Rdn. 7 nach juris, NStZ-RR 1997, 131, 132). Ob die günstige Prognose auch dann noch aufrechterhalten werden kann, wenn es "immer wieder" zu Rückfällen kommt, hatte die Kammer nicht zu entscheiden, da bislang erst ein Ereignis dieser Art eingetreten ist.
Die in der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft angeführte weitere Verurteilung des Angeklagten wegen einer Tat, die er nach Verkündung des angefochtenen Urteils begangen haben soll, ist für dessen rechtliche Überprüfung ohne Bedeutung.
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