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Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.08.2014 - (1) 53 Ss 90/14 (46/14)
Leitsatz: Zum Verstoß gegen den den nemo-tenetur-Grundsatz.
In pp. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts pp. - Jugendrichter - vom 18. März 2014 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts pp. - Jugendrichter - zurückverwiesen.
Gründe I. Das Amtsgericht pp. - Jugendrichter - hat den Angeklagten mit Urteil vom 18. März 2014 wegen Diebstahls verwarnt und ihm auferlegt, binnen 4 Monaten 80 Stunden gemeinnützige Arbeit (Sozialstunden) nach Weisung der Jugendgerichtshilfe zu erbringen.
Den Urteilsgründen zufolge soll der Angeklagte, der sich in der Hauptverhandlung zu dem Tatvorwurf nicht eingelassen, diesen vielmehr pauschal bestritten hatte, am 27. Juni 2012 zwischen 12:00 Uhr und 13:00 Uhr bei der pp. in Rangsdorf dem Zeugen X.. ein Mobiltelefon der Marke Samsung Galaxy S 1900 im Wert von 80,00 bis 90,00 entwendet haben. Das Mobiltelefon soll am 2. März 2013 bei einer polizeilichen Personenkontrolle bei dem Angeklagten festgestellt worden sein (Bl. 3 UA)
Bei der Beweiswürdigung führt das Tatgericht aus: Auch die Tatsache, dass der Angeklagte keinerlei entlastende Angaben dazu gemacht hat, wie er sonst in den Besitz des Handy gekommen sein könnte, spricht für seine Täterschaft. (Bl. 4 UA)
Zur Strafzumessung heißt es in den Urteilsgründen: Die fehlende Äußerung zur Person lässt jedoch eher negative Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Angeklagten zu, denn offensichtlich ist er nicht bereit, sich mit dem Unrecht seiner Tat auseinander zu setzen und die Verantwortung hierfür zu übernehmen. (Bl. 5 UA).
Mit Anwaltschriftsatz vom 18. März 2014, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Verteidiger des Angeklagten Rechtsmittel eingelegt und dieses zunächst als Berufung bezeichnet. Nach förmlicher Zustellung des mit Gründen versehenen schriftlichen Urteils am 30. März 2014 hat der Angeklagte mit der bei Gericht am 30. April 2014 eingegangenen anwaltlichen Begründungsschrift das Rechtsmittel als (Sprung-) Revision fortgeführt. Der Angeklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er ist vor allem der Auffassung, dass die Urteilsfeststellungen und die Beweiswürdigung unzureichend seien, das Gericht widerrechtlich das Schweigen des Angeklagten zu dessen Nachteil beim Schuldspruch und bei der Strafzumessung verwertet habe.
II. 1. Die (Sprung-) Revision ist gem. § 335 StPO (§ 55 JGG) statthaft und gem. §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden. Bei einem Urteil, das sowohl mit der Berufung als auch mit der Revision (Sprungrevision) anfechtbar ist, darf der Beschwerdeführer, der in der Einlegungsfrist Berufung eingelegt hat, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erklären, dass er von der ursprünglich gewählten Berufung zur Revision übergeht (BGH NStZ 2004, 220; BGHSt 33, 183; BGHSt 5, 328).
2. Die Revision hat in der Sache - vorläufigen - Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung - Jugendrichter - des Amtsgerichts Y.
a) Bereits die vom Revisionsführer erhobene Rüge der Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) greift durch und verhilft der Revision zum Erfolg. Soweit die Jugendrichterin den Schuldspruch u. a. damit begründet hat, dass das Schweigen des Angeklagten in der Hauptverhandlung (keinerlei entlastende Angaben dazu gemacht) für dessen Täterschaft spreche (Bl. 4 UA), hat sie gegen ein Beweisverwertungsverbot von Verfassungsrang verstoßen. Es gehört zu den übergeordneten Rechtsgrundsätzen, dass ein Beschuldigter bzw. Angeklagter grundsätzlich nicht verpflichtet ist, aktiv zur Sachaufklärung beizutragen (nemo tenetur se ipsum accusare bzw. nemo tenetur se ipsum prodere; vgl. zuletzt: BVerfG NJW 2013, 1058, 1061; BGH NStZ 2009, 705; grundsätzlich: Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001; Sowada, Beweisverwertungsverbote im Spannungsfeld zwischen nomo-tenetur-Grundsatz und fair-trail-Prinzip, Geppert-Festschrift, S. 689 ff.). Ausdruck des nemo-tenetur-Grundsatzes sind die in §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2 und § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO normierten Belehrungspflichten. Die vom Amtsgericht gezogene Folgerung von dem Schweigen (keinerlei entlastenden Angaben) auf die Täterschaft des Angeklagten ist rechtlich unzulässig. Die Jugendrichterin durfte bei dem zur Sache umfassend schweigenden Angeklagten den Umstand, dass er von seinem prozessualen Recht zum Schweigen Gebrauch gemacht hat, nicht als belastendes Indiz verwerten. Die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 StPO findet ihre Grenze an dem Recht eines jeden Menschen, nicht gegen seinen Willen zu seiner Überführung beitragen zu müssen (vgl. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 249). Dieses Abwehrrecht eines Beschuldigten gegen staatliche Eingriffe wird durch Artikel 2 Abs. 1 GG gewährleistet (BVerfGE 56, 37, 49; BGHSt 45, 363 ff.; BGHSt 49, 56, 59).
b) Auch soweit das Tatgericht bei der Strafzumessung aus Schweigen des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen (fehlende Äußerung zur Person) negative Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Angeklagten gezogen und bei der Strafzumessung zu seinen Lasten berücksichtigt hat (offensichtlich ist er nicht bereit, sich mit dem Unrecht seiner Tat auseinander zu setzen und die Verantwortung hierfür zu übernehmen), ist ein eklatanter Verstoß gegen den nemo-tenetur-Grundsatz gegeben. Die mangelnde Mitwirkung des Angeklagten an der Sachaufklärung, auch zu seiner Person, darf ihm nicht strafverschärfend angelastet werden (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 - 4 StR 151/13 -, zit. n. juris; BGH, Beschluss vom 28. Juli 2009 - 3 StR 80/09 -, zit. n. juris).
c) Darüber hinaus erweisen sich Feststellungen als teilweise lückenhaft und nicht nachvollziehbar. Dies gilt insbesondere für den in den Urteilsfeststellungen geschilderten Tatort. Danach hat der Zeuge X. sein Handy zum Aufladen des Akkus auf den Schreibtisch in einem Container gelegt (Bl. 3), der sich nur wenige Schritte (Bl. 3 UA) bzw. 2-3 Schritte (Bl. 4 UA) von den einen Lkw abladenden Personen befunden habe. Der Zeuge X. habe sich während des Aufladevorgangs für 5 Minuten vor den Container begeben und die Tür hinter sich zugeschlagen. Wenn sich der Schreibtisch jedoch in einem Container befand, dürfte es sich um einen Wohncontainer handeln, in dem kaum ein Lastkraftwagen entladen wird. Wenn sich der Schreibtisch nur wenige Schritte vor den einen Lkw abladenden Personen befunden habe, müsste der Lkw unmittelbar vor der Tür zum Container entladen worden sein. Und wenn sich der Zeuge X. für 5 Minuten vor die Tür des Containers begeben habe, dürfte er mitbekommen haben, wer den Container betritt, es sei denn, der Container ist anderweitig zugänglich, aber dann hätte der Zeuge X. den Angeklagten bei dessen Tätigkeit gesehen haben müssen. All das, die Örtlichkeit und deren Bedeutung für die Tathandlung, ist für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar und erweist sich daher als lückenhaft.
d) Auch die Beweiswürdigung ist unvollständig und in ganz erheblichem Umfang lückenhaft. Den Urteilsfeststellungen zufolge wurde das entwendete Handy am 2. März 2013 bei dem Angeklagten im Rahmen einer Personenkontrolle festgestellt. Auch dies wertet das Tatgericht als ein gewichtiges Indiz für die Täterschaft des Angeklagten. Worauf die Erkenntnisse des Tatgerichts zum Fund des entwendeten Mobiltelefons bei dem Angeklagten jedoch beruhen, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen; die Beweiswürdigung verhält sich dazu nicht einmal im Ansatz.
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