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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Halbstrafe, Gesamtwürdigung aller Umstände

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 30.07.2014 – 2 Ws 270/14

Leitsatz: 1. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist nicht dahin auszulegen, dass sozial integrierte Straftäter in der Regel nur die Hälfte der Strafe verbüßen müssen.
2. Die Begehung einer Vielzahl von Taten durch einen Ersttäter, ein langer Tatzeitraum und ein hoher Schaden sind Modalitäten, die schon jeweils für sich genommen, maßgeblich gegen das Vorliegen "besonderer Umstände“ im Sinne dieser Vorschrift sprechen.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
2 Ws 270/14141 AR 351/14

In der Strafsache
gegen pp.
wegen Betruges
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 30. Juli 2014 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Land-gerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 24. Juni 2014 wird ver-worfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

G r ü n d e :


Der Verurteilte verbüßt zur Zeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten wegen Betruges in 27 Fällen aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Mai 2011. Die Hälfte der Strafe war am 27. März 2014 verbüßt. Zwei Drittel der Strafe werden am 9. Mai 2015 vollstreckt sein; das Strafende ist auf den 9. Au-gust 2017 notiert.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer es abgelehnt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung auszusetzen. Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten ist statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO). Sie hat jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die der ständigen Rechtsprechung des Senats entsprechen, in der Sache keinen Erfolg.

1) Die Entscheidung über eine Aussetzung der Vollstreckung schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass die Gesamt-würdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung im Straf-vollzug das Vorliegen besonderer Umstände ergibt, die über eine günstige Prognose hinausgehen. In die Gesamtwürdigung fließen zudem Gesichtspunkte der Schuld-schwere (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Oktober 2012 – 2 Ws 475/12 –; vom 22. Mai 2001 – 5 Ws 233/01 – und 17. Oktober 1997 – 5 Ws 576/97 –), der Generalprä-vention (vgl. BGHR StGB § 57 Abs. 2 Versagung 1) und damit der Verteidigung der Rechtsordnung (vgl. OLG München NStZ 1987, 74; Senat ZfStrVo 1996, 247) ein. Dabei ist auch darauf abzustellen, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung auf das Unverständnis der Bevölkerung stoßen und deren Rechtstreue ernstlich beeinträchti-gen würde (vgl. BGHSt 24, 40, 46), so dass für die Aussetzung sprechende rein tä-terbezogene Umstände ausnahmsweise zurücktreten müssen (vgl. BGHSt 24, 64, 69; Senat a.a.O.). An eine Aussetzung sind dabei strenge Maßstäbe anzulegen. Dem Ausnahmecharakter der Regelung des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB entsprechend sind besondere Umstände nur solche, die im Vergleich mit gewöhnlichen Milde-rungsgründen von besonderem Gewicht sind. Dabei sind sowohl günstige als auch ungünstige Umstände zu beachten; dies gilt unabhängig davon, ob sie bereits im Urteil berücksichtigt worden sind (vgl. Senat ZfStrVo 1996, 247 und Beschluss vom 13. März 2007 – 2/5 Ws 623/624/06 –).

Bei der Bewertung der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten ist der Senat an die Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts gebunden und ge-hindert, zu Beweisergebnissen zu gelangen, die den Erkenntnissen des Tatgerichts widersprechen (vgl. Senat ZfStrVO 1996, 247 und Beschluss vom 19. August 2008 – 2 Ws 418/08 –).

2) Solche besonderen für den Verurteilten sprechenden Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich.

a) Nach den Urteilsgründen führte der Verurteilte ab 1980 eine Apotheke, die sich später auf den Vertrieb von HIV - Medikamenten spezialisierte. Ab dem Jahre 2003 begann er, Kunden einen Teil des Rezeptwertes (zunächst 5%, später nur noch 2% bis 3%) in bar zu erstatten. In der Zeit von Januar 2007 bis März 2009 kaufte der Beschwerdeführer seinen Kunden Rezepte für HIV - Medikamente ab und reichte die Verordnungen bei den entsprechenden Krankenkassen ein, ohne dass die Medika-mente bestellt wurden. Dadurch verursachte er bei den Krankenkassen einen Scha-den von über zehn Millionen Euro. Einkommensteuerschulden bestanden in Höhe von 1,8 Millionen Euro. Im Laufe der Zeit wurde der Verurteilte von Kunden und Drit-ten unter Druck gesetzt, indem diese Personen ihm mit Anzeigen drohten. An solche Personen zahlte er ungefähr 250.000 Euro jährlich.

b) Die in der Person des Verurteilten liegenden günstigen Umstände reichen auch in einer Gesamtschau nicht an solche heran, die angesichts der hier überragenden ge-neralpräventiven Erwägungen eine Strafaussetzung zur Bewährung schon nach der Verbüßung der Hälfte der Strafe rechtfertigen.

Zwar ist der Verurteilte Erstbestrafter und hat noch keine Strafhaft verbüßt. Doch spricht ganz erheblich zu seinen Lasten, dass er über einen langen Zeitraum hinweg zum Teil sogar mehr als 100 Rezepte monatlich ankaufte und die Krankenkassen in hohem Maße schädigte. Hinzu kommt, dass er dadurch auch die Gesundheit der Menschen, die ihre Medikamente gegen die HIV - Erkrankung nicht einnahmen, ge-fährdete. In Fällen wie diesen würde eine Strafaussetzung zur Bewährung bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe in besonderem Maße auf das Unverständnis der Bevölkerung stoßen und deren Rechtstreue beeinträchtigen.

Der Beschwerdeführer hat sich zudem über Jahre hinweg und unter Missbrauch sei-ner Vertrauensstellung als Apotheker immer stärker in sein kriminelles Tun verstrickt. Seine Angaben, es habe keinen Ausweg gegeben und er habe befürchtet, er würde seine Apotheke verlieren, sprechen gegen eine Einsicht in das Ausmaß seines Tuns. Dies wird auch dadurch deutlich, dass er sein Handeln nach wie vor auf seine „Gut-mütigkeit“ und „Blauäugigkeit“ zurückführt. Die Tatsache, dass der Verurteilte nicht nur aus (eigener) Geldgier gehandelt hat, lässt die Taten auch nicht in einem unge-wöhnlich milden Licht erscheinen. Der verursachte Schaden und die Gesundheitsge-fährdung bleiben hiervon unberührt.

Ebenso wenig überzeugt der Hinweis der Beschwerde, der Verurteilte habe die Taten (allein) aus „persönlicher Not“ heraus begangen. Zwar trifft es zu, dass er einen noch größeren finanziellen Vorteil aus den Taten hätte erzielen können und das erste Rezept angekauft hat, um einer Kundin (scheinbar) zu helfen. Diese (einmalige) Un-terstützung hätte er jedoch auch gewähren können, ohne sich in die Illegalität zu be-geben und sich dadurch erpressbar zu machen. Völlig uneigennützige Hilfe wollte er offenbar nicht leisten.

Zudem hat die Strafvollstreckungskammer zutreffend dargelegt, dass es dem Verur-teilten bislang nicht gelungen ist, sich mit den Ursachen seiner Straffälligkeit auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen. Nach wie vor meint er, keine Möglichkeit gehabt zu haben, um „aus der Sache herauszukommen“, da im Falle einer Selbstanzeige seine Eigentumswohnungen, die Apotheke und diverse Sportwagen „weg gewesen wären“. Dabei verkennt er seine Anteile an den Taten völlig.

Nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen der Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges Berlin, wonach es sich bei „der Straftat“ „um ein lebensphasisches Ereignis ohne kriminogene Persönlichkeitsanteile“ gehandelt haben soll. Denn der Be-schwerdeführer hat nicht nur eine Straftat begangen, sondern ist wegen 27 Betrugs-taten verurteilt worden. Es handelt sich auch nicht um eine „Augenblickstat“; vielmehr beging der Verurteilte die Taten über den Zeitraum von über zwei Jahren und verur-sachte einen Gesamtschaden von mehr als zehn Millionen Euro. Es liegt auf der Hand, dass durch die Handlungsweise des Beschwerdeführers die Gemeinschaft im besonderen Maße geschädigt wurde.

Auch das Alter des Beschwerdeführers rechtfertigt keine andere Beurteilung. Alter und Krankheit können zwar der Begehung solcher Straftaten entgegenstehen, die eine gute körperliche Verfassung erfordern; für Betrugstaten gilt dies aber nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 28. März 2001 – 5 Ws 127/01 –). Zudem ist allein das fortge-schrittene Alter kein besonderer Umstand im Sinne des § 57 Abs. 2 StGB.

Schließlich führt auch nicht der weitere Umstand, dass der Verurteilte sozial integriert ist, zu einer anderen Entscheidung. Denn § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB ist nicht dahin aus-zulegen, dass sozial integrierte Straftäter in der Regel nur die Hälfte der Strafe ver-büßen müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2007 – 2 Ws 431/07 –). Im Übrigen war er dies auch zum Zeitpunkt der Straftaten, wie den Urteilsfeststellun-gen zu entnehmen ist.

3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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