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Entscheidungen

Haftfragen

Vollstreckungsaufschub, Verlobte, Familie, Begriff

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Rostock, Beschl. v. 22.07.2014 - 20 Ws 178/14

Leitsatz: 1. Die Verlobte eines Verurteilten gehört nicht zu seiner Familie im Sinne des § 456 Abs. 1 StPO.
2. Steht fest, dass der mit dem Strafaufschub verfolgte Zweck (hier: die Unterbringung der erkrankten Verlobten in einer neuen behindertengerechten Wohnung) innerhalb der verbliebenen Frist nicht mehr erreicht werden kann, so bedarf es insgesamt keines Strafaufschubs, weil der geltend gemachte Nachteil nicht mehr vermeidbar ist.


In pp.
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Großen Strafkammer 2 als Schwurgericht des Landgerichts Schwerin vom 23.05.2014 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde am 21.01.2013 vom Landgericht Schwerin wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, von der zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen sechs Monate als verbüßt gelten. Die Entscheidung ist seit dem 16.04.2014 rechtskräftig. Während des Ermittlungs- und Strafverfahrens hat sich der Verurteilte in der Zeit vom 20.08.2008 bis zum 22.12.2009 in Untersuchungshaft befunden. Die Ladung zum Strafantritt "innerhalb einer Woche" wurde ihm am 10.05.2014 förmlich zugestellt.
Mit Verteidigerschreiben vom 14.05.2014 beantragte der Verurteilte bei der Staatsanwaltschaft Schwerin gemäß § 456 Abs. 1 StPO einen Strafaufschub um vier Monate mit der Begründung, er sowie insbesondere seine seit Mitte 2013 an multipler Sklerose (MS) erkrankte langjährige Verlobte würden sonst unangemessene familiäre Nachteile erleiden. Seine Verlobte, deren Krankheit sich seit ihrem Auftreten schubweise verschlimmere, sei permanent auf seine Unterstützung und Pflege angewiesen. Er müsse deshalb vor Antritt der Freiheitsstrafe wenigstens noch eine behindertengerechte Wohnung für sie finden, was - auch aus finanziellen Gründen - mit einem Umzug für die Frau verbunden sei, sowie ihre Versorgung durch Dritte organisieren. Hiermit habe er erst nach Kenntnis von der Rechtskraft des Strafurteils begonnen. Zudem befinde er sich selbst in zahnärztlicher (prothetischer) Behandlung, die noch etwa 14 Tage andauere.
Mit Verfügung vom 16.05.2014 lehnte die Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 RPflG) den Antrag auf Vollstreckungsaufschub mit der Begründung ab, die Erkrankung der Verlobten und die damit verbundenen Komplikationen würden auch nach dem beantragten Strafaufschub fortdauern, sodass damit letztlich nichts gewonnen sei. Eine erforderliche zahnärztliche Behandlung des Verurteilten könne auch aus der Haft heraus fortgesetzt werden.
Den hiergegen erhobenen und nur noch mit der Situation der Verlobten begründeten Einwendungen des Verurteilten half die Staatsanwaltschaft unter dem 21.05.2014 nicht ab und legte die Sache deshalb gemäß § 458 Abs. 2 StPO dem Landgericht Schwerin zur Entscheidung vor, das sie mit Beschluss vom 23.05.2014 unter Übernahme und Bestätigung der Ausführungen der Staatsanwaltschaft als unbegründet zurückwies und ergänzend ausgeführte, bei der Verlobten des Angeklagten handele es sich schon um kein Familienmitglied im Sinne von § 456 Abs. 1 StPO.
Der Verurteilte hat sich daraufhin zwar am 26.05.2014 in der JVA E. zum Strafantritt gestellt, gleichwohl aber am 28.05.2014 durch seinen Verteidiger sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung vom 23.05.2014 eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen. Der Verurteilte hat dazu unter dem 16.07.2014 durch seinen Verteidiger eine Gegenerklärung abgegeben.
II.
Die nach § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO angebrachte sofortige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob das Rechtsmittel durch den zwischenzeitlich erfolgten Strafantritt des Verurteilten prozessual überholt (so OLG München NStZ 1988, 294 mit abl. Anm. Preusker; a.A. OLG Hamm NJW 1973, 2075; OLG Stuttgart NStZ 1985, 331 OLG Zweibrücken NJW 1974, 70 m. Anm. Kaiser und die wohl h.M. in der Literatur) oder in einen Antrag auf Unterbrechung der begonnenen Strafvollstreckung umzudeuten ist (ablehnend BGHSt 19, 148, 150; a.A. [analoge Anwendung] mit beachtlichen Gründen Volckart NStZ 1982, 496 f.; ebenso Paeffgen SK-StPO, 4. Aufl., § 456 Rdz. 4). Es ist jedenfalls unbegründet.
1.
Gegenstand der sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung eines Strafaufschubs durch die Staatsanwaltschaft ist nicht eine gerichtliche Ermessensentscheidung, sondern eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der von der Staatsanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde (§ 451 Abs. 1 StPO) getroffenen Ermessensentscheidung (§ 456 Abs. 1 StPO: "kann"). Auch das Beschwerdegericht darf deshalb nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Vollstreckungsbehörde setzen, insbesondere nicht deren Entscheidung durch eine eigene substituieren. Der Senat ist vielmehr wie in §§ 305a, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO auf die Nachprüfung beschränkt, ob die Entscheidung des Landgerichts und damit mittelbar diejenige der Staatsanwaltschaft gesetzeswidrig ist (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 07. Juli 2003 - 1 Ws 235/03 -, juris; Paeffgen aaO. § 458 Rdz. 18 m.w.N. auch zu vereinzelten Gegenstimmen). Das wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung so im Gesetz nicht vorgesehen oder unverhältnismäßig ist oder wenn das eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt wurde. Solches ist hier nicht festzustellen.
a)
Mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Verlobte des Verurteilten nicht zu dessen Familie im Sinne von § 456 Abs. 1 StPO zählt. Die ihr möglicherweise durch die sofortige Vollstreckung der Freiheitsstrafe erwachsenen Nachteile, mögen diese auch erheblich sein, stellen deshalb keinen gesetzlichen Grund dar, dem Beschwerdeführer den beantragten Vollstreckungsaufschub zu gewähren.
aa)
Nachdem die Strafprozessordnung in anderen Vorschriften ausdrücklich schon aus einem bestehenden Verlöbnis eine besondere Rechtsstellung des auf diese Weise mit dem Beschuldigten verbundenen Partners ableitet, wie sie dort auch Ehegatten, (künftigen) Lebenspartnern und nahen Verwandten zugestanden wird (vgl. z.B. § 52 Abs. 1, §§ 61, 97 Abs. 1, § 100c Abs. 6 Satz 2 StPO; siehe auch § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB, wo der Verlobte ebenfalls gesondert neben dem Ehegatten und Lebenspartner als "Angehöriger" definiert wird), ist dies in § 456 Abs. 1 StPO nicht der Fall. Dort wird allein die - zudem nur fakultative - Möglichkeit eröffnet, bei einer anstehenden Strafvollstreckung auch auf erhebliche Nachteile für die "Familie" (nicht: für "Angehörige") des Verurteilten Bedacht zu nehmen. Das lässt den Umkehrschluss zu, dass nach der Wertung des Gesetzgebers ein Verlobter zwar während des Ermittlungs- und Strafverfahrens, wo es um die Feststellung von Schuld oder Unschuld seines Partners geht, als "Angehöriger" in bestimmten Situationen persönlichen Schutz genießt, nicht aber mehr, sobald es um die Vollstreckung der rechtskräftig erkannten Strafe geht. Dann kann nur noch bei der konkreten Ausgestaltung des Vollzugs, also nicht mehr bei dem "Ob", sondern nur noch bei dem "Wie" auf derartige Belange Rücksicht genommen werden (vgl. §§ 3, 35 Abs. 1 StVollzG), wenn es geboten und mit den übrigen Vollzugszielen zu vereinbaren ist. Diese Frage ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.
bb)
Es ist zudem anerkannt, dass ein Verlöbnis, aus dem keine gemeinsamen Kinder hervorgegangen sind, auch nicht als "Familie" unter den Grundrechtsschutz von Art. 6 Abs. 1 GG fällt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Februar 2013 -1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 -, BVerfGE 133, 59-100, Rdz. 62 in juris m.w.N.). Verfassungsrechtliche Vorwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. eine Schutzwirkung aus Art. 12 EMRK kann einem Verlöbnis allenfalls unter dem Blickwinkel der Eheschließungsfreiheit und auch dann nur zuerkannt werden, wenn die Heirat unmittelbar bevorsteht (vgl. für den Fall der drohenden Abschiebung eines Ausländers zuletzt OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. März 2014 -OVG 2 S 18.14 -, Rdz. 4 in juris m.w.N.). Solches ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr hat der Beschwerdeführer selbst angegeben, das Verlöbnis bestehe seit nunmehr rund sechs Jahren, was die Frage aufwirft, ob es sich dabei tatsächlich immer noch um ein ernsthaft gemeintes Eheversprechen i.S.v. §§ 1297 ff. BGB und der dazu ergangenen Rechtsprechung handelt (BayObLG MDR 1984, 145 [OLG Frankfurt am Main 05.09.1983 - 20 W 515/83]; BGHZ 28, 376/7).
2.
Personen, die nicht zu der nach § 456 Abs. 1 StPO berücksichtigungsfähigen "Familie" des Verurteilten gehören, können deshalb, ebenso wie der Beschwerdeführer selbst, soweit es ihm um die Wahrung der Interessen seiner Verlobten geht, nur versuchen, im Gnadenwege einen Strafaufschub zu erreichen (OLG Stuttgart NStZ 1985, 331; OLG Düsseldorf JR 1992, 435; Heimann StV 2001, 54, 55).
3.
Soweit der Verurteilte erstmals im Beschwerdeverfahren seinen Antrag auf Vollstreckungsaufschub damit begründet, auch ihm selbst würden durch den sofortigen Vollzug der Strafe erhebliche Nachteile erwachsen, weil ihm so die Möglichkeit genommen werde, vor Strafantritt noch für die notwendige Versorgung und Unterbringung seiner schwerkranken und allein zurückbleibenden Verlobten in einer behindertengerechten Wohnung Vorsorge zu treffen, die ihm ihrerseits während der gesamten Dauer des Prozesses helfend zur Seite gestanden und ihm Lebensmut zugesprochen habe, was ihn sehr belaste und deshalb (auch) bei ihm traumatische Folgen auslösen könne, handelt es sich um Aspekte, die in vergleichbarer Weise auf nahezu jeden zu einer unbedingten Freiheitsstrafe Verurteilten zutreffen, der weiß, dass sein Partner, seine Kinder oder nahe Angehörige auf seine finanzielle und/oder persönliche Unterstützung und Zuwendung angewiesen sind, die er ihnen nun nicht länger bieten kann, weshalb sie sich während seiner Inhaftierung anderweitig um die Bestreitung ihres Lebensbedarfs, die Finanzierung der Wohnung, ihre medizinischen Versorgung und vieles mehr selbst und ohne seine Hilfe kümmern müssen. Die damit einhergehende psychische Belastung des zwar - unterstellt - hilfsbereiten aber hilflos gestellten Strafgefangenen liegt nicht im Sinne von § 456 Abs. 1 StPO außerhalb des Strafzwecks, sondern gehört schon begrifflich gerade zur Funktion des mit der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe bezweckten Strafübels. Dabei kann vorliegend nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beschwerdeführer nicht etwa wegen eines Bagatelldelikts, sondern wegen versuchten Mordes, also wegen einer der schwersten Taten, die das Strafgesetzbuch kennt, zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer spätestens seit der Verkündung des Urteils am 21.01.2013 ernsthaft damit rechnen musste, dass er eine langjährige Freiheitsstrafe verbüßen müsse. Seit Mitte 2013 wusste er auch um die Erkrankung seiner Verlobten und konnte sich darüber informieren, welchen Verlauf diese voraussichtlich nehmen wird. Gerade in Wahrnehmung der von ihm nun ins Feld geführten Sorge, Verantwortung und Fürsorge für seine Verlobte wäre es deshalb von ihm zu erwarten und auch zumutbar und möglich gewesen, schon ab diesem Zeitpunkt damit zu beginnen, sich vorausschauend und vorsorglich um die künftigen Belange und Bedarfe seiner Partnerin während seiner eventuellen Haft zu kümmern. Das hat er indes nicht getan, sondern damit zugewartet, bis er von dem Eintritt der Rechtskraft des gegen ihn ergangenen Urteils erfahren hat. Das gereicht ihm zum Vorwurf eigenen Mitverschuldens an der nunmehr eingetretenen Situation, das im Rahmen der Ermessensabwägung zu seinem Nachteil gewertet werden muss.
4.
Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass selbst dann, wenn dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren der von ihm beantragte Strafaufschub noch grundsätzlich zu gewähren gewesen wäre, dies nicht zur Folge gehabt hätte, dass ihm ab diesem Zeitpunkt noch vier Monate zur Verfügung gestanden hätten, um sich um seine Verlobte zu kümmern. Vielmehr beginnt der Strafaufschub in jedem Fall an dem Tag, für den der Verurteilte zum Strafantritt geladen worden ist (OLG Düsseldorf JR 1992, 435 [OLG Düsseldorf 15.11.1991 - 1 Ws 1029/91] m.w.N.; Heimann StV 2001, 55 m.w.N.), hier also unter Berücksichtigung von § 43 Abs. 2 StPO spätestens am 19.05.2014. Die Frist, auf die die Dauer der bereits verbüßten Strafe nicht anzurechnen wäre (OLG Stuttgart NStZ 1985, 331), endet unter allen Umständen vier Monate nach diesem Zeitpunkt (OLG Düsseldorf VRS 88, 52; OLG Stuttgart MDR 1982, 601 [OLG Stuttgart 18.02.1982 - 1 Ws 43/82]), vorliegend mithin am 19.09.2014.
Nachdem der Verurteilte ursprünglich angegeben hat, er benötige die Höchstfrist des § 456 Abs. 2 StPO, um sich ausreichend um die Angelegenheiten seiner Verlobten kümmern zu können, wäre deshalb nun auch zu fragen gewesen, ob er dazu innerhalb der jetzt noch verbleibenden Zeit von rund zwei Monaten überhaupt noch in der Lage wäre. Stünde hingegen fest, dass der mit dem Strafaufschub verfolgte Zweck innerhalb des verbleibenden Zeitraums nicht mehr zu erreichen ist, wäre die Vergünstigung auch deshalb zu versagen, weil der geltend gemachte Nachteil dann nicht mehr i.S.v. § 456 Abs. 1 StPO vermeidbar wäre (OLG Koblenz OLGSt §456 Nr. 1). Zudem wäre eingedenk der seit dem Strafantritt verstrichenen Frist auch zu prüfen gewesen, ob die Verlobte des Verurteilten zwischenzeitlich nicht anderweitig Hilfe bekommen hat, weshalb es einer (zusätzlichen) Unterstützung durch den Beschwerdeführer zur Abwendung erheblicher (eigener) Nachteile nicht länger bedarf.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


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