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Entscheidungen

StPO

Belehrungspflicht, Beweisverwertungsverbot,Verletzung.

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Gießen, Beschl. v. 09.12.2013 - 7 Qs 196/13

Leitsatz: Auch wenn bei einem Auffahrunfall bereits aufgrund der Tatsache des Auffahrens gegen den Hintermann der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 1 Abs. 2, 4, 49 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StVO, 24 StVG bestehen kann, begründet dieser allgemeine Verdacht noch keine Verpflichtung des Vernehmungsbeamten zur Belehrung gemäß §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 4 StPO schon vor der ersten Befragung des Auffahrenden.


In pp.
Die Beschwerde des Beschuldigten wird als unbegründet verworfen.
Der Beschuldigte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine ihm insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gießen hat in der Sache auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens keinen Erfolg.
Es bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass der Beschuldigte zum Vorfallzeitpunkt das Kraftfahrzeug der Marke X., amtliches Kennzeichen XXXXX, gesteuert hat, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen, und er dadurch fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet hat, weshalb ihm die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird, § 111a StPO, §§ 315c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB.
Nach derzeitigem Ermittlungsstand ist der Beschuldigte dringend verdächtig, infolge Übermüdung (Sekundenschlafs) einen Auffahrunfall mit erheblichem Sachschaden verursacht und dadurch eine fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 b, Abs. 3 StGB begangen zu haben. Eine Übermüdung kann einen geistigen oder körperlichen Mangel im Sinne dieser Vorschrift darstellen. Übermüdung ist dabei von bloßer Ermüdung zu unterscheiden. Nicht jegliche Ermüdung eines Kraftfahrers führt zur Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 b StGB (vgl. OLG Köln, DAR 1989, 352; König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 62c m. w. N.).
Aus der Ermittlungsakte ergibt sich ausreichend der dringende Verdacht eines kurzzeitigen Einschlafens des Beschuldigten.
Nach dem Bericht des POK.X. vom 04.08.2013 waren die Augen des Beschuldigten stark gerötet und er machte einen abgespannten Eindruck. Der Polizeibeamte sah sich veranlasst, dem Beschuldigten den Rat zu geben, in den nächsten sechs Stunden kein Fahrzeug im Straßenverkehr zu fahren, woraufhin der Beschuldigte zugesichert habe, dies zu befolgen und sich erstmal schlafen zu legen.
Neben diesem allgemeinen Eindruck von der körperlichen Verfassung des Beschuldigten sprechen die Unfallspuren für ein Auffahren ohne Ausweichbewegung, die für sich genommen aber auch auf eine bloße Unachtsamkeit des Beschuldigten hindeuten könnten.
Jedoch hat der Beschuldigte gegenüber POK X. angegeben, wohl kurz eingeschlafen zu sein. Dies stützt den dringenden Tatverdacht eines Sekundenschlafs des Beschuldigten. Diese Angabe ist nicht wegen eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht der §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 4 StPO über das Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten unverwertbar. Nach dieser Vorschrift ist einem Beschuldigten bei Beginn der ersten Vernehmung zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und dass es ihm freisteht, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht auszusagen. Eine Vernehmung liegt vor, wenn der Vernehmende dem Beschuldigten in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft Auskunft von ihm verlangt (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 136a Rdnr. 4). Danach ist vorliegend von einer Vernehmung auszugehen. POK X. trat dem Beschuldigten als Polizeibeamter gegenüber und verlangte von ihm Auskunft über den Unfallhergang. Eine Spontanäußerung lag deshalb nicht vor.
Der jetzige Beschuldigte war aber zum damaligen Zeitpunkt noch nicht Beschuldigter im Sinne der genannten Bestimmungen. Beschuldigter ist nur der Tatverdächtige, gegen den das Verfahren als Beschuldigter betrieben wird (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., Einleitung Rdnr. 76). Dabei begründet ein allgemeiner Tatverdacht alleine nicht die Beschuldigteneigenschaft. Es müssen immer Tatsachen vorliegen, die auf eine nahe liegende Möglichkeit der Täterschaft oder Teilnahme schließen lassen. Der Verfolgungsbehörde steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, der allerdings nicht mit dem Ziel missbraucht werden darf, den Zeitpunkt der Belehrung möglichst weit hinauszuschieben. Neben der Stärke des Verdachts ist auch von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten nach außen, auch in der Wahrnehmung des Beschuldigten, darstellt (vgl. BGHSt 38, 214 - Tz 30 juris). Danach wurde der Beschuldigte bei der Erstbefragung durch POK ... noch nicht in dieser Eigenschaft vernommen. Denn der zur Unfallaufnahme eingesetzte Beamte wusste lediglich von einem Auffahrunfall, als er zur Unfallstelle kam und den Beschuldigten als ersten der beteiligten Kraftfahrer zum Hergang befragte. Es ist nicht zu beanstanden, dass sich der Polizeibeamte ausweislich seines Berichts vom 04.08.2013 durch die Befragung Informationen verschaffen wollte, um einen möglichen Tatverdacht und die Person des Beschuldigten beurteilen zu können. Auch wenn bei einem Auffahrunfall bereits aufgrund der Tatsache des Auffahrens gegen den Hintermann der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 1 Abs. 2, 4, 49 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StVO, 24 StVG bestehen kann, begründet dieser allgemeine Verdacht noch keine Verpflichtung des Vernehmungsbeamten zur Belehrung gemäß §§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 4 StPO schon vor der ersten Befragung des Auffahrenden. Angesichts des ansonsten noch völlig unklaren Unfallverlaufs dient die erste Befragung in einen solchen Fall vielmehr der notwendigen Klärung, ob sich der Verdacht bis zum Grad der naheliegenden Möglichkeit erhärten lässt. Die Beurteilung durch POK X., es gehe noch um Informationsgewinnung, ist jedenfalls nicht ermessenfehlerhaft oder missbräuchlich. Dies zeigt sich auch darin, dass er den Beschuldigten sofort nach dessen Äußerung zum Einschlafen gemäß § 136 Abs. 1 StPO belehrt hat.
Nach alledem sind dingende Gründe für die Annahme vorhanden, der Beschuldigte habe wegen Übermüdung und Sekundenschlafs den Unfall verursacht.
Soweit der Beschuldigte in der Beschwerdebegründung vorträgt, er habe gegenüber POK X. lediglich geäußert, er habe dann eben geschlafen und damit gemeint, er habe nicht aufgepasst, steht dem der eindeutige Bericht des Polizeibeamten gegenüber. Der Zeuge Y. hat im Zeitpunkt des Unfalls geschlafen und kann deshalb keine Angaben zum körperlichen Zustand des Beschuldigten während des Unfallgeschehens machen.
Ein Verstoß gegen § 33 Abs. 3 StPO ist jedenfalls in der Beschwerdeinstanz geheilt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.

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