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Gericht / Entscheidungsdatum: LG Deggendorf, Beschl. v. 13.09.2013 - 1 Ks 4 Js 7438/11
Leitsatz: Zur Frage der Strafbarkeit von unterlassenen Rettungsbemühungen eines Notarztes gegenüber einem Suizidenten
In pp. 1. Die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten wird abgelehnt. 2. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Diese hat auch die dem Angeschuldigten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Gründe I. Die Eröffnung des Hauptverfahrens war aus rechtlichen Gründen abzulehnen gemäß § 204 StPO. Das Verhalten des Angeschuldigten war rechtmäßig. Insbesondere war der Angeschuldigte bei seinem ersten Notarzteinsatz am xx.xx.2013 gegen 09.00 Uhr nicht zur Vornahme lebenserhaltenden Maßnahmen gegenüber dem Patienten Dr. A verpflichtet. Eine solche Verpflichtung ergab sich für den Angeschuldigten weder aus seiner Stellung als diensthabender Notarzt noch aus allgemeinen Grundsätzen. Einer entsprechenden Handlungsverpflichtung steht insofern bereits der zu beachtende Suizidwille des Dr. A entgegen. Soweit der Bundesgerichtshof in der - von der Staatsanwaltschaft im Aktenvermerk vom 31.05.2012 (Bl. 54 ff.) zur Beurteilung der Rechtslage zitierten - Entscheidung vom 04.07.1984 (sogen. "Peterle-Entscheidung", BGH St 32, 367 = NJW 1984, 2639 [BGH 04.07.1984 - 3 StR 96/84]) den behandelnden Arzt auch gegenüber einem freiverantwortlich handelnden Suizidenten zu lebensrettenden Maßnahmen verpflichtet sah, sobald dieser infolge Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft über das Geschehen verloren hatte, folgt dem die Kammer nicht. Nach Auffassung des Gerichts läuft diese rigide strafrechtliche Sichtweise dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten zuwider und ist spätestens seit Inkrafttreten des § 1901 a Abs. 2 und 3 BGB n.F. auch gesetzlich überholt. Ratio dieser Vorschrift ist es, jede freiverantwortliche Entscheidung des Betroffenen - unabhängig von Art und Stadium seiner Erkrankung - zu achten (so auch: Kutzer, ZRP 5/2012, S. 135 ff. (138)). Dabei strahlt diese Vorschrift aus dem Betreuungsrecht auch auf die im Strafrecht vorzunehmenden Wertungen - auch hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechtes eines Suizidenten - aus. Auf dieser Basis ist in den Fällen eines freiverantwortlichen Suizides keinen Raum für eine strafrechtliche Sanktionierung von - nur im Hinblick darauf - unterlassenen Rettungsbemühungen. Die Kammer sieht im Vorgehen des Dr. A einen freiverantwortlichen "Bilanzsuizid", der auf einer rationalen Abwägung seiner Lebensumstände beruht. Dies folgert die Kammer insbesondere aus folgenden Umständen: 1. Vorgeschichte Nach Aktenlage litt der 84 jährige Dr. A an einer schweren Krebserkrankung (Bl. 15, 21). Seine 83 jährige Ehefrau war ein Pflegefall und seit mehreren Jahren bettlägerig (Bl. 21, 102). Dr. A kümmerte sich bis zuletzt aufopferungsvoll um seine Ehefrau, was ihm dem Anschein nach zunehmend zu viel wurde (Bl. 102). Frau A äußerte über ein Jahr hinweg immer wieder, dass sie des Lebens überdrüssig sei (Bl. 109). Wiederholt äußerte sie auch den Wunsch, gemeinsam mit ihrem Ehemann sterben zu können (Bl. 104). Einer Nachbarin gegenüber hatte sich das Ehepaar schon früher dahingehend geäußert, dass sie beide gemeinsam sterben wollen (Bl. 15). Hiermit in Einklang steht auch die Einlassung des Angeschuldigten, der Sohn des Patienten habe ihm damals mitgeteilt, sein Vater leide an Krebs im Endstadium und habe Angst vor großem Leid gehabt. Er habe immer gesagt, er wolle gemeinsam mit seiner Frau sterben. Er wolle niemals pflegebedürftig werden. Auf keinen Fall wolle er reanimiert werden (Bl. 136). 2. Auffindesituation Frau A lag tot im Pflegebett. Ihr Ehemann saß bewusstlos im Rollstuhl neben dem Bett der Verstorbenen und hielt ihre Hand. In unmittelbarer Nähe wurden mehrere leere Blister der Medikamente Rohypnol, Sevredol und Luvased mono aufgefunden. Im Badezimmer befanden sich 40 leere Ampullen einer Morphin-Injektionslösung. Frau A wies einen frischen Einstich in der rechten Leiste auf, wobei sich eine benutzte Injektionsnadel und eine benutzte Einwegspritze im Abfalleimer des Schlafzimmers befanden. Auf einer Kommode waren eine Verständigungsliste, ein Brief an den Krankengymnasten, ein Brief an die Haushaltshilfe sowie Überlassungsurkunden und das Testament bereitgelegt (Bl. 21, 88 ff., Lichtbildtafel). 3. weitere Umstände Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass das Ehepaar A über einen längeren Zeitraum geringe Dosen ihrer Medikamente abgezweigt und gesammelt hat (Bl. 31). Der Sohn des Ehepaars A, der eine Arztpraxis betreibt und seine Eltern fast täglich besucht hat (Bl.104), zuletzt am Vortag (Bl. 31), geht davon aus, dass sein Vater in Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gehandelt hat (Bl. 97). Bei lebensnaher Betrachtungsweise kann aus den Gesamtumständen geschlossen werden, dass sich das Ehepaar A in Anbetracht der sich zunehmend verschlechternden Situation wohlüberlegt dazu entschlossen hatte, nunmehr gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Im Hinblick auf das planmäßige und besonnene Vorgehen (Ansammeln der Medikamente über einen längeren Zeitraum, Bereitlegen von Dokumenten mit Handlungsanweisung, Abschiedsbriefen, etc.) und insbesondere auch im Hinblick auf die Beurteilung des Sohnes als Allgemeinarzt ist hierbei davon auszugehen, dass der Suizid des Dr. A auf einer freiverantwortlichen Entscheidung ohne Willensmängel beruhte. Der Angeschuldigte hat nach Vornahme einiger Untersuchungen von einer Behandlung des Dr. A Abstand genommen, weil er den offensichtlichen Wunsch des Patienten, aus dem Leben zu scheiden, auf den auch der anwesende Sohn mit Nachdruck hingewiesen hatte, entsprechen wollte (z.B. Bl. 32, 118). Dabei hatte er aufgrund der Angaben des Sohnes, der ihm als Berufskollege bekannt war, sowie aufgrund der von ihm vorgefundenen Situation eine ausreichende Erkenntnisgrundlage, um eine verantwortungsbewusste Entscheidung zu treffen. Seiner Äußerung auf die hypothetische Frage eines Polizeibeamten, dass er sich bei einem jungen Suizidenten anders entschieden hätte, da er bei diesem eine psychische Ausnahmesituation unterstellen würde (Bl. 32), zeigt, dass er sich auch dieser Problematik im Rahmen seiner Entscheidungsfindung bewusst war. Auf dieser Basis war der Angeschuldigte alleine schon aufgrund des beachtlichen Willens des Suizidenten, der von ihm auch ausreichend sicher zu erkennen war und vertretbar gewürdigt wurde, nicht zur Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen verpflichtet. Dies unabhängig von den in der Patientenverfügung des Dr. A getroffenen Regelungen. Ohne dass es noch entscheidend darauf ankommt, weist die Kammer ergänzend darauf hin, dass der anwesende Sohn der Eheleute A, der mit Nachdruck jegliche Behandlung seines Vaters untersagt hat, weil sie nicht dem Wunsch seines Vaters entsprechen würde, zugleich Vorsorgebevollmächtigter war (Bl. 19). Nachdem Dr. A bei Eintreffen des Angeschuldigten bewusstlos war, kam dem vom Vorsorgebevollmächtigten mitgeteilten mutmaßlichen Willen seines Vaters gemäß § 1901 a Abs. 1, Abs.2, Abs. 5 BGB besondere Bedeutung zu. Dies unabhängig von der Frage, ob sich Dr. A zu diesem Zeitpunkt schon unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befand oder nicht (vgl. § 1901 a Abs. 3 BGB). Da sich der vom Vorsorgebevollmächtigten geäußerte mutmaßliche Wille als plausibel darstellt (und auch dem Angeschuldigten in der Behandlungssituation dargestellt hat) und insbesondere im Einklang mit der am Tatort vorgefundenen Suizidsituation steht, ist auch im Hinblick hierauf eine Verpflichtung des Angeschuldigten zur Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen nicht zu begründen. Auch soweit in der Patientenverfügung des Dr. A vom 15.03.2003 (Bl. 18 f.) das Unterlassen von lebensverlängernden Maßnahmen und Wiederbelebungsmaßnahmen nur für den Fall angeordnet wurde, dass dieser sich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befindet, lässt sich im Rahmen einer später anstehenden Urteilsfindung unter Berücksichtigung des Zweifelsgrundsatzes eine Behandlungspflicht des Angeschuldigten nicht begründen. Zwar ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass zur Zeit des ersten Notarzteinsatzes noch keine irreversible Hirnschädigung bei Dr. A vorlag (Bl. 20 des rechtsmedizinischen Gutachtens vom 11.04.2012). Dies lässt sich den Ausführungen des rechtsmedizinischen Gutachtens vom 17.06.2013 zufolge, dort Bl. 15, aber nicht mehr sicher entscheiden. Auf dieser Basis wäre im Rahmen der Urteilsfindung "in dubio pro reo" davon auszugehen, dass sich der Patient Dr. A auch schon beim ersten Notarzteinsatz unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befand, sodass die Anordnung aus der Patientenverfügung greifen würde. Auch hierauf kommt es aber nichtmehr entscheidungserheblich an, da eine Behandlungspflicht des Angeschuldigten schon aufgrund des zu respektierenden Suizidwillens des Dr. A nicht bestand. II. Die Kostenentscheidung basiert auf §§ 464, 467 Abs. 1 StPO
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