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Entscheidungen

Gebühren

Besuche, Erstattungsfähigkeit, JVA,

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Backnang, Beschl. v. 04.03.2014 - 2 Ls 22 Js 43421713

Leitsatz: 1. Die gerichtliche Überprüfung der Erforderlichkeit von Besuchen des Pflichtverteidi-gers bei seinem inhaftierten Mandanten ist auf eine Missbrauchskontrolle be-schränkt.
2. Eine allgemein gültige Obergrenze für die Zahl notwendiger Besuche besteht nicht.
3. Bei sieben Besuchen während einer fünfeinhalb Monate währenden Untersuchungshaft liegt die Annahme missbräuchlichen Verteidigerverhaltens fern.


Geschäftsnummer:
2 Ls 22 Js 43421713

Amtsgericht Backnang

Beschluss

Im Strafverfahren gegen
pp.
hat das Amtsgericht Backnang am 04.03.2014 durch Richter am Amtsgericht beschlossen:

1. Auf die Erinnerung des Verteidigers wird der Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Backnang vom 12.02.2014 dahingehend abgeändert, dass die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 1.304,56 € festgesetzt werden.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe
I.
Der Erinnerungsführer war dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Dem An-geklagten lag ein Verbrechen des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen zur Last. Von diesem Vorwurf wurde er mit Urteil vom 21.11.2013 freigesprochen, die Entscheidung ist rechtskräftig. Bis zum Tag der Hauptverhandlung befand sich der Angeklagte aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Waiblingen vom 24.05.2013 ab dem 04.06.2013 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart. Dort suchte der Verteidiger den Angeklagten am 10.06., 03.07., 22.07., 02.08., 22.08., 09.09. und am 14.10.2013 auf.

Mit Vergütungsrechnung vom 05.12.2013 beantragte der Verteidiger die Festsetzung einer Bruttovergütung von 1.334,30 €. Mit dem nunmehr angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss wurde ein Betrag von 1.286,04 € festgesetzt. Von der Rechnung des Verteidigers wurden 25,00 € netto von dem für den Hauptverhandlungstag geltend gemachten Tage - und Abwesenheitsgeld in Abzug gebracht. Darüber hinaus wurden die Kosten für zwei Besprechungstermine mit dem Angeklagten in der JVA Stuttgart in Höhe von brutto 18,52 € abgesetzt. Hiergegen richtet sich die Erinnerung, der Abzug vom Tage- und Abwesenheitsgeld ist nicht Gegenstand des Erinnerungsverfahrens.

Die Staatskasse wurde zur Erinnerung gehört, sie hat deren Zurückweisung als unbegrün-det beantragt. Zur Begründung wurde seitens der Staatskasse ausgeführt, es sei unter Kostengesichtspunkten nicht in das freie Ermessen des Verteidigers gestellt, wie oft er seinen Mandanten in der Justizvollzugsanstalt zu Besprechungen aufsucht. Vielmehr habe der Verteidiger die Ausgaben für seine Tätigkeit möglichst niedrig zu halten. Vorliegend handle es sich um einen überschaubaren Zeitraum der Pflichtverteidigung. Die Zahl von insgesamt sieben Besuchsterminen stehe hierzu in einem auffällig hohen Missverhältnis. In diesem Fall sei ein Anscheinsbeweis gegen die Erforderlichkeit begründet mit der Folge, dass sich die Darlegungslast auf den Verteidiger verlagere. Dieser sei der Verteidiger vorliegend nicht nachgekommen.


II.

1. Die Erinnerung hat Erfolg, die durch die beiden verfahrensgegenständlichen Haft-besuche entstandenen Kosten sind zu Unrecht abgesetzt worden. Es liegt grund-sätzlich im Ermessen des Verteidigers, wie viele Gespräche jeweils mit dem Man-danten zur Vorbereitung des Prozesses notwendig sind. Eine gerichtliche Zweck-mäßigkeitskontrolle der verfahrensvorbereitenden Schritte des Verteidigers ist ge-setzlich nicht vorgesehen, das Gericht hat die Erwägungen des Verteidigers hin-sichtlich der Erforderlichkeit der Haftbesuche nicht durch eigene Erwägungen zu ersetzen. Hält die Staatskasse dennoch die Kosten für mehrere Besuche des Pflichtverteidigers in der JVA nicht für erstattungsfähig, so obliegt ihr die Beweislast dafür, dass die hierdurch entstandenen Kosten zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Parteien nicht erforderlich waren. Nur wenn sich greifbare An-haltspunkte für einen Missbrauch der Verpflichtung des Pflichtverteidigers zur kos-tensparenden Prozessführung ergeben, ist anstelle der Staatskasse der Verteidiger darlegungs- und beweispflichtig.

2. Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass es im Ermessen des Verteidigers liegt, wie viele Besuche er bei seinem Mandanten für erforderlich hält. Er darf in der Aus-übung seiner Verteidigertätigkeit bis zur Grenze des Missbrauchs nicht beschränkt werden, weder im Erkenntnisverfahren noch anschließend über den Umweg der Kostenfestsetzung. Auch das von der Staatskasse zitierte Gebot, die Kosten der Verteidigung möglichst niedrig zu halten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Pflichtverteidiger ist zur kostensparenden Arbeit, nicht jedoch zur Untätigkeit ver-pflichtet.

Vielmehr hat er die Verteidigung mit dem gebotenen Engagement zu betreiben. Kümmert er sich nicht um seine Aufgaben, indem er die Verteidigung nicht führt und eine Begleitung des inhaftierten Mandanten ebenso unterlässt wie die Vorbereitung der Hauptverhandlung, muss er mit Entpflichtung rechnen. Er darf auch nicht bis zur Hauptverhandlung untätig bleiben, da er bei inhaftierten Mandanten regelmäßig prüfen muss, ob die Untersuchungshaft zu Recht andauert oder ob Maßnahmen hiergegen, etwa durch die Beantragung der Haftprüfung oder die Einlegung einer Haftbeschwerde, zu ergreifen sind. Derartige Schritte sind zwingend mit dem Mandanten zu erörtern.

3. Hiervon ausgehend ist es nicht zu beanstanden, dass der Verteidiger den wegen eines schwerwiegenden Sexualdelikts inhaftierten Mandanten in fünfeinhalb Mona-ten Untersuchungshaft sieben Mal besucht hat. Insbesondere hat die Staatskasse nicht dargetan, weshalb gerade zwei Besuche nicht erforderlich gewesen sein sol-len. Wenngleich es keine Regel dahingehend gibt, dass die Zahl der erforderlichen Besuche parallel zur Schwere des Tatvorwurfs steigt, so darf doch nicht unberück-sichtigt bleiben, dass der Angeklagte mit einem ganz erheblichen Tatvorwurf kon-frontiert war. Aufgrund der Schwere der ihm vorgeworfenen Tat und seiner straf-rechtlichen Vorbelastung hätte er im Falle eines Schuldspruchs mit einer im obers-ten Bereich der amtsgerichtlichen Strafgewalt liegenden Freiheitsstrafe rechnen müssen.

Der Verteidiger hatte mithin allen Anlass, die Verteidigung sorgfältig zu führen, die Hauptverhandlung umfassend vorzubereiten und den jeweiligen Verfahrensstand regelmäßig mit dem Angeklagten zu erörtern. Ein auffälliges Missverhältnis zwi-schen der Anzahl der Besprechungstermine und der Dauer der Untersuchungshaft vermag das Gericht entgegen der Auffassung der Staatskasse nicht zu erkennen. Deren Vorbringen, der Zeitraum der Pflichtverteidigung sei überschaubar gewesen, lässt zudem besorgen, dass die Bedeutung der Verteidigung in Haftverfahren ver-kannt wird. Die Hauptverhandlung konnte erst kurz vor Ablauf der 6-Monatsfrist durchgeführt werden, so dass eine „überschaubare“ Haftdauer, in der es regelmä-ßiger Konsultationen zwischen Verteidiger und Angeklagten nicht bedurft hätte, nicht angenommen werden kann.

4. Das Gericht setzt sich mit seiner Entscheidung nicht in Widerspruch zur Rechtspre-chung des Landgerichts Stuttgart, insbesondere nicht zu der von der Bezirksreviso-rin zitierten Entscheidung LG Stuttgart RVGreport 2013, 433. Dort hat das Landge-richt Stuttgart fünf Besuche beim inhaftierten Mandanten während viermonatiger Untersuchungshaft anerkannt. Es können deshalb sieben Besuche bei beinahe sechsmonatiger Untersuchungshaft jedenfalls nicht missbräuchlich sein (vgl. LG Frankfurt an der Oder, RVGreport 2007, 109). Darüber hinaus lässt sich der Ent-scheidung nach hiesigem Dafürhalten nicht entnehmen, dass die dort akzeptierten fünf Besuche eine allgemeine Obergrenze für sämtliche Haftverfahren darstellen sollen. Eine solche Obergrenze ist gesetzlich nicht vorgesehen.

5. Letztlich kann die Frage, wann der Verteidiger die Grenze zum Missbrauch über-schreitet, nur anhand des jeweiligen Einzelfalles geprüft werden. Bei allen Haftver-fahren ist jedoch zu berücksichtigen, dass einer Inhaftierung in aller Regel erhebli-che Tatvorwürfe zugrunde liegen und der inhaftierte Beschuldigte im Verurteilungs-falle mit einer erheblichen Freiheitsstrafe rechnen muss. Darüber hinaus ist mit der Inhaftierung eine massive Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten verbun-den, was den Gesetzgeber dann auch zur Schaffung des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO bewogen hat. Ein akzeptabler Ausgleich dieser Einschränkungen ist nur möglich, wenn der Angeklagte regelmäßig Kontakt mit seinem Verteidiger hat. Solche Kon-takte hat der Verteidiger, will er nicht seine Entpflichtung riskieren, durch regelmä-ßige Besuche in der JVA sicherzustellen, seien diese, wie auch die vorliegend rele-vanten Beträge zeigen, wirtschaftlich nicht attraktiv. Missbräuchliches Verteidiger-verhalten ist erst anzunehmen, wenn die Anzahl der Besuche ganz offensichtlich nicht durch Verteidigungsbelange zu rechtfertigen ist. Bei sieben Besuchen in knapp sechs Monaten Untersuchungshaft liegt die Annahme missbräuchlichen Ver-haltens fern.

6. Überdies neigt das Gericht der Auffassung zu, dass Besuche in einem zweiwöchi-gen Rhythmus, insbesondere wenn diese - wie hier - mit Besuchen anderer inhaf-tierten Mandanten verbunden werden, ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht als missbräuchlich anzusehen sind. Ein solcher Maßstab könnte auch bei der Verbescheidung von Anträgen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG zugrunde gelegt wer-den.



Einsender: RiAG T. Hillenbrand, Backnang

Anmerkung:


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