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Entscheidungen

StPO

Verständigungsgespräche, Scheitern

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG München, Urt. v. 09.01.2014 - 4 StRR 261/13

Leitsatz: Scheitern Verständigungsgespräche sind vom Gericht eingegangene "einseitige Verpflichtungen“ gegenüber dem Angeklagten gesetzwidrig und führen zur Aufhebung des auf einer solchen Verpflichtung beruhenden Strafurteils, weil nur so die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Revisionsge-richte zur Kontrolle von Verständigungen im Strafverfahren effektiv umgesetzt werden können.


In pp.
Sachverhalt:
1. Die Staatsanwaltschaft Traunstein legte dem Angeklagten und einem Mittäter mit Anklageschrift vom 28. August 2012 u. a. Betrug (im besonders schweren Fall) zur Last und erhob die öffentliche Klage zum Landgericht Traunstein – Ju-gendkammer. Diese eröffnete das Hauptverfahren mit Beschluss vom 11. Ok-tober 2012 vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Traunstein und ließ die Anklageschrift im hier verfahrensgegenständlichen Schuldvorwurf des Betrugs zur Hauptverhandlung zu (hinsichtlich eines weiteren Anklagepunkts, der den Mittäter betraf, wurde die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt). Am 30. Januar 2013 fand vor dem Jugendschöffengericht die Hauptverhand-lung statt, auf Grund derer das Amtsgericht den Angeklagten (und seinen Mittä-ter) des (banden- und gewerbsmäßigen) Betrugs für schuldig befand und ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten verurteilte. Der Angeklag-te und sein damaliger Pflichtverteidiger (der gewählte Verteidiger blieb der Hauptverhandlung fern) nahmen das Urteil an und verzichteten auf Rechtsmit-tel.

2. Mit am 1. Februar 2013 eingegangenem Schriftsatz seines Wahlverteidigers hat der Angeklagte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt; es ist vorgetragen worden, der erklärte Rechtsmittelverzicht sei wegen Verstoßes gegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam. Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, des Pflichtverteidigers und des Verteidigers des Mitangeklagten hat die Jugendkammer des Landgerichts Traunstein mit Beschluss vom 24. April 2013 die Be-rufung des Angeklagten kostenpflichtig als unzulässig verworfen. Auf die am 10. Mai 2013 eingegangene sofortige Beschwerde hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts München den Verwerfungsbeschluss des Landgerichts wegen Verstoßes gegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO, der auch bei „informellen Verständigungen“ gelte, aufgehoben (Az.: 1 Ws 469/13 – zit. nach juris) und den erklärten Rechtsmittelverzicht des Angeklagten für unwirksam erachtet; der 1. Strafsenat hat dem Berufungsverfahren weiteren Fortgang gegeben.

3. Aufgrund der Hauptverhandlung vom 24. Juli 2013 hat die Jugendkammer des Landgerichts Traunstein das Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 30. Janu-ar 2013 im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung die Kammer zur Bewährung aussetzte. Die weitergehende Berufung des Angeklag-ten hat die Strafkammer als unbegründet verworfen.

Die Jugendkammer hat der Verurteilung folgenden Schuldspruch zugrunde ge-legt:
„Festgestellter Sachverhalt
Der Angeklagte XXX und der bereits verurteilte Mitangeklagte XXX sind Teile eines Zusammenschlusses verschiedener Personen mit Sitz in Litauen, die mit sogenannten "Enkelbetrügereien" ein nicht nur geringfügiges Einkommen erzielen. Die Tätigkeit be-steht (jedenfalls auch) darin, in Deutschland lebenden Menschen mit Hilfe von soge-nannten Schockanrufen Geld zu entlocken und sich auf deren Kosten zu bereichern.
Die Personengruppe geht dabei bewusst arbeitsteilig vor:
Mittels litauischer Mobilfunknummern von derzeit noch unbekannten Personen ("An-bahnern") werden vornehmlich russischstämmige Opfer in Deutschland angerufen und diesen dann bewusst wahrheitswidrig vorgespiegelt, dass ein naher Angehöriger in ei-nen Unfall oder ein ähnliches Geschehen verwickelt worden sei; deshalb sei unbedingt kurzfristig eine größere Menge Geld erforderlich, um Schaden von dem nahen Ange-hörigen abzuwenden. Wenn die Opfer der frei erfundenen Geschichte Glauben schen-ken und zu einer Zahlung bereit sind, verleitet der Anrufer die Geschädigten dazu, Bargeld bereit zu halten, das im unmittelbaren Anschluss von einem "Abholerteam", das ein "Logistiker" zu den Opfern dirigiert, übernommen wird. Das Opfer wird dabei von dem Anrufer aus Litauen bewusst so lange am Telefon gehalten, dass dieses gar nicht zum Nachdenken kommen und noch während des Gesprächs das Geld abgeholt werden kann.
Aufgabe des Angeklagten XXX und des Verurteilten XXX war es in dieser Ge-samtstruktur, als "Abholerteam" möglichst schnell zu den Opfern zu fahren, um das Bargeld sofort in Empfang zu nehmen, bevor die Opfer misstrauisch wurden bzw. wer-den konnten. Das "Abholerteam" befand sich dabei im Zeitpunkt der Anrufe aus Litau-en bei den Opfern bereits in der Gegend, wo die Opfer wohnten, und konnten daher schnell vor Ort sein.
Die Angeklagten sollten als Entlohnung nach der Rückkehr nach Litauen jeweils 10 % der Einnahmen bekommen.
Der Verurteilte XXX war bei den Geldabholungen dafür zuständig, zu den Wohnungen der Opfer zu gehen, dort zu klingeln und das Geld abzuholen. Der Angeklagte war als Fahrer eingesetzt.
Zur konkreten Tat:
Am 02.05.2012 gegen 14.00 Uhr rief ein Mitglied des oben beschriebenen Zusammen-schlusses die Geschädigte XXX in XXX an, gab sich als ihr Sohn aus und sagte be-wusst wahrheitswidrig auf russisch: "Mama, Mama, ich habe einen Unfall gehabt." Weiterhin teilte er mit, dass sein Gesicht vom Unfall zerschlagen sei und er blute, er könne nicht lange reden, da er genäht werden müsste.
Die Geschädigte XXX entgegnete daraufhin, sie erkenne ihn an der Stimme nicht. Der Anrufer bekräftigte aber nochmals, er sei ihr Sohn. Die Geschädigte XXX glaubte ihm schließlich, weil sie, wie geplant, davon ausging, die Stimme ihres Sohnes wegen der Verletzung nicht erkennen zu können.
Sodann übergab der Anrufer das Telefon an einen vermeintlichen Rechtsanwalt. Die-ser befahl der Geschädigten XXX ebenfalls in russischer Sprache, nicht aufzulegen. Er schilderte dann, ihr Sohn habe beim Rückwärtsfahren mit seinem Auto ein Mädchen umgefahren, das nun verletzt sei und operiert werden müsse. Damit dies nicht zu Ge-richt komme, wolle der Vater des Mädchens von ihr 10.000,-- Euro.
Die Geschädigte XXX teilte dem vermeintlichen Rechtsanwalt, wie von diesem vorher-gesehen, mit, sie sei bereit, 8.000,-- Euro zu bezahlen. Damit war dieser zunächst ein-verstanden. Er sagte, der Bruder des Mädchens sei schon auf dem Weg zu ihr, sie sol-le am Telefon bleiben. Dann diktierte der vermeintliche Rechtsanwalt ihr einen Vertrag. Er nannte sich hierbei XXX. Der Bruder des Mädchens, der das Geld abholen werde, heiße XXX.
Wie geplant erschien noch während des Telefonats zwischen der Geschädigten XXX und dem angeblichen Rechtsanwalt der Verurteilte XXX an der Wohnadresse der Ge-schädigten in XXX, XXX, gab sich als XXX aus, nahm die bereitgelegten 8.000,-- Euro in 500-Euro-Scheinen in Empfang, quittierte diese und entfernte sich wieder.
Das Telefonat zwischen der Geschädigten XXX und dem vermeintlichen Rechtsanwalt dauerte währenddessen an. Dieser teilte ihr dann mit, der Zustand des verletzten Mädchens habe sich verschlechtert und dessen Vater sei mit der Zahlung von nur 8.000,-- Euro nicht einverstanden. Sie solle weitere 2.000,-- Euro bezahlen. Die Geschädigte XXX war damit, wie von dem angeblichen Rechtsanwalt vorhergesehen, einverstanden.
Fünf Minuten später erschien daraufhin erneut XXX bei der Geschädigten und nahm die weiteren 2.000,-- Euro in 500-Euro-Scheinen in Empfang.
Sodann informierte der vermeintliche Rechtsanwalt, mit dem das Telefonat weiterhin fortgedauert hatte, die Geschädigte XXX darüber, dass der Vater des Mädchens nun einverstanden sei.
Der Verurteilte XXX und der Angeklagte XXX waren während des Telefonats zwischen der Geschädigten XXX und dem vermeintlichen Rechtsanwalt von weiteren Mitgliedern des besagten Zusammenschlusses über die Adresse der Geschädigten informiert und angewiesen worden, dort hin zu fahren. Zudem war dem Verurteilten XXX gesagt wor-den, sich als XXX auszugeben. Der Angeklagte XXX fuhr den Angeklagten XXX zum Anwesen der Geschädigten und war mit der gesamten Vorgehensweise vertraut. Ihm war insbesondere bewusst, dass das der Geschädigten geschilderte Geschehen be-züglich des Unfalles ihres Sohnes nicht der Wahrheit entsprach.
Der Angeklagte XXX handelte bei Tatbegehung in der Absicht, sich eine Einnahme-quelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen.
Die Schuldfähigkeit des Angeklagten XXX war während dieser Tat weder erheblich vermindert noch gar aufgehoben.“
4. Gegen dieses Urteil richtete sich die am 25. Juli 2013 eingegangene Revision der Staatsanwaltschaft Traunstein, die mit ihrer am 5. September 2013 einge-gangenen Revisionsbegründungsschrift zwei Verfahrensrügen erhob und die Verletzung der Vorschriften der §§ 257c Abs. 1 Satz 1, 244 Abs. Abs. 3 StPO rügte. Der Angeklagte hielt die Revision der Staatsanwaltschaft gemäß Schrift-satz seines Verteidigers vom 16. September 2013 für unbegründet.

5. Die Generalstaatsanwaltschaft hielt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Traunstein für begründet und vertrat es, gestützt auf das Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft. Sie beantragte, das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 24. Juli 2013 – samt den Feststellungen – aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisions-verfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurück-zuverweisen.

6. Der Verteidiger beantragte mit Schriftsatz vom 16. September 2013, die Revisi-on der Staatsanwaltschaft als unbegründet zurückzuweisen. (…)

Aus den Gründen:
Das statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) hat mit der erhobenen Verfahrensrüge einer Verletzung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO Erfolg.
1. Die Rüge der Verletzung des Verbots informeller Absprachen im Strafverfahren nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO ist in der nach § 344 Abs. 2 StPO gebotenen Form erhoben. Die Rüge trägt die zur Beurteilung der in Anspruch genomme-nen Verletzung der Verfahrensvorschrift erforderlichen Tatsachen vollständig vor; diesen Verfahrenstatsachen ist weder das Landgericht (durch dienstliche Erklärungen des Vorsitzenden und des Beisitzers) noch der Verteidiger (durch anwaltliche Erklärung) entgegen getreten.

2. Danach ergibt sich für das Revisionsgericht folgender Verfahrensablauf:

Nach Aufruf der Sache, Feststellung der Anwesenheit, Bekanntgabe der Ge-richtsbesetzung, Vorsitzendenbericht über den bisherigen Verfahrensgang, teilweiser Verlesung des erstinstanzlichen Urteils und Feststellung der Haftda-ten wurde der Angeklagte gemäß § 243 Abs. 5 StPO belehrt. Er erklärte, sich zur Sache nicht, jedoch zu den persönlichen Verhältnissen äußern zu wollen.
Hierauf regte der Verteidiger ein Rechtsgespräch an, und der Angeklagte äu-ßerte sich zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auf Fra-gen des Gerichts.
Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten erörtert. Der Verteidiger äußerte sich zum Ziel der Berufung.
Mit den Verfahrensbeteiligten wurde ein ausführliches Rechtsgespräch geführt. Der Verteidiger regte eine zügige Erledigung des Verfahrens auf Basis einer von ihm abzugebenden geständigen Erklärung des Angeklagten an; im Hinblick auf die bereits 14 Monate und 3 Wochen andauernde Untersuchungshaft und andere Umstände regte er eine Freiheitsstrafe von maximal 2 Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung an.
Hierauf erklärte der Staatsanwalt, er werde die Sachlage überprüfen, und erbat eine Unterbrechung der Hauptverhandlung von 15 Minuten.
Das Gericht hielt die vom Verteidiger angeregte Lösung gerade auch im Hin-blick auf die prozessuale Situation für gangbar.
Sodann wurde die Hauptverhandlung für 15 Minuten unterbrochen.
Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung erklärte der Staatsanwalt, er kön-ne der vom Verteidiger vorgeschlagenen Verständigung nicht zustimmen. Er halte eine unbedingte Freiheitsstrafe für geboten und rege deshalb an, die Zeugen zu vernehmen.
Danach trat der Verteidiger erneut an die Strafkammer heran und regte eine weitere Unterbrechung der Hauptverhandlung für ca. 5 Minuten an, damit er sich mit seinem Mandanten besprechen könne, nachdem die Strafkammer da-rauf hingewiesen hatte, dass bei einer geständigen Erklärung des Angeklagten eine verkürzte Beweisaufnahme unter Vernehmung der auf den Sitzungstag geladenen Zeugen denkbar und bei entsprechendem Gehalt der geständigen Erklärung des Angeklagten auch eine Freiheitsstrafe von max. 2 Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung möglich erscheine.
Nach Wiedereintritt in die sodann kurz unterbrochene Hauptverhandlung gab der Verteidiger für den Angeklagten eine Erklärung zur Sache ab. Hierzu be-fragt erklärte der Angeklagte, dass diese Erklärung so richtig sei. Der Verteidiger erklärte dann, der Angeklagte räume die Tat, wie in der Ankla-ge Ziffer 1 dargestellt, ein und bereue sie zutiefst.
Hieran schloss sich die Erklärung des Angeklagten an, er schließe sich seinem Verteidiger an und lege aus eigener Einsicht ein Geständnis der Tat ab, die er zutiefst bereue. Er äußerte sich daraufhin auf Fragen des Gerichts zur Sache.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme und Ablehnung eines von der Staatsanwaltschaft gestellten Beweisantrags gab der Vorsitzende bekannt, dass keine Verständigung im Sinne des § 257c StPO stattgefunden hätte. Nach den Plädoyers des Verteidigers, der die Verhängung einer Strafe deutlich unter zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden sollte, be-antragte, und des Staatsanwalts, der die Verwerfung der Berufung des Ange-klagten begehrte, sowie nach dem letzten Wort des Angeklagten verkündete der Vorsitzende der Strafkammer nach geheimer Beratung des Gerichts das Urteil der Strafkammer. Unter Verwerfung der Berufung des Angeklagten im Übrigen wurde auf seine Berufung das Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 30. Januar 2013 im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass eine Frei-heitsstrafe von 1 Jahr 10 Monaten festgesetzt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Das am 28. August 2013 zu den Akten gelangte schriftliche Urteil enthält die Feststellung (BU S. 3), dass eine Verständigung nach § 257c StPO nicht statt-gefunden hat. Zusätzlich enthält dieses Urteil (wiederum BU S. 3) die Wen-dung: „Die Kammer hat jedoch bei einer geständigen Erklärung des Angeklag-ten eine Freiheitsstrafe von max. 2 Jahren unter Strafaussetzung zur Bewäh-rung in Aussicht gestellt.“
Der geschilderte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Hauptverhandlungspro-tokoll vom 24. Juli 2013 sowie aus den schriftlichen Urteilsgründen, die die Re-visionsführerin so vorgetragen hat.

3. Zwar enthält das Hauptverhandlungsprotokoll ein „Negativattest“, wie es für Verständigungsverfahren von § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO gefordert wird. Die im Übrigen dem Hauptverhandlungsprotokoll zu entnehmenden Verfahrenstatsa-chen ergeben aber nach dem unwidersprochenen Revisionsvortrag der Staats-anwaltschaft, dass nach dem Scheitern von Gesprächen, die auf eine Verstän-digung nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO abzielten, die Strafkammer sich einsei-tig gegenüber dem Angeklagten und seinem Verteidiger in einer § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO widersprechenden Weise in die Pflicht begeben hat, für den Fall einer erwarteten prozessualen Haltung des Angeklagten eine Bewährungsstra-fe von nicht mehr als zwei Jahren zu verhängen. Mithin ist das Hauptverhand-lungsprotokoll inhaltlich widersprüchlich und verliert deshalb seine Beweiskraft im Sinne des § 274 StPO (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 273 Rdn. 12c). Der Senat ist daher nach freibeweislich gewonnener Überzeugung dem nicht wi-dersprochenen Revisionsvorbringen der Staatsanwaltschaft gefolgt (Meyer-Goßner aaO).

4. Die Rüge der Verletzung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO erweist sich aufgrund des unter Ziffer II. 2. geschilderten Verfahrensablaufs als begründet, denn die Strafkammer des Landgerichts hat mit dem Angeklagten und seinem Verteidi-ger eine sogenannte „informelle Verständigung“ über die (maximale) Höhe der zu erwartenden Strafe bei geständiger Einlassung geschlossen, den Angeklag-ten auf dieser Grundlage zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe zur Bewährung ausge-setzt.

a) § 257c StPO ist die zentrale Vorschrift für Verständigungen im Strafverfah-ren (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 257c Rdn. 1), die das Gesetz zur Re-gelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) neben anderen flankierenden, gleichwohl nicht weniger bedeutsamen Vorschriften in das Strafverfahrensrecht einführte.

Nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO kann das Gericht (nach § 332 StPO auch die Berufungskammer) sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteilig-ten nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. Verfahrensbetei-ligter ist derjenige, der nach dem Gesetz eine prozessuale Rolle auszuüben hat (Meyer-Goßner Einl. Rdn. 71; Griesbaum-KK 7. Aufl. § 160b Rdn. 3), jedenfalls der Angeklagte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft (Griesbaum-KK Rdn. 3 ff.; Meyer-Goßner Einl. Rdn. 72 ff.). Eine Verständi-gung liegt vor bei zumindest einseitig bindenden Absprachen zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten über mit dem Urteil zu verhängende Rechtsfolgen, die unter Beachtung der hierfür geltenden gesetzlichen Maßgaben erfolgen (§§ 243 Abs. 4; 257 b; 273 Abs. 1a; 302 Abs. 1 Satz 2)(Griesbaum-KK § 257c Rdn. 8). Eine solche Übereinkunft zwischen dem Gericht in seiner für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen gesetzlichen Besetzung, der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten und dem Verteidiger ist vorliegend nicht zustande gekommen. Dies stellt das Sit-zungsprotokoll über die Hauptverhandlung vom 24. Juli 2013 ebenso zutref-fend fest wie das schriftliche Urteil der Strafkammer. Denn die Staatsan-waltschaft hat ihre erforderliche Zustimmung zu einer Verständigung auf der vorgeschlagenen Grundlage einer geständigen Einlassung einerseits und zu verhängender Freiheitsstrafe von nicht über zwei Jahren, deren Vollstre-ckung zur Bewährung ausgesetzt wird, andererseits ausdrücklich verwei-gert, weil ihr andererseits an einer unbedingten Freiheitsstrafe gelegen war.
b) Die Strafkammer hat vielmehr dem Angeklagten und seinem Verteidiger gegenüber eine einseitige „Verpflichtungserklärung“ abgegeben und bei entsprechendem prozessualen Verhalten des Angeklagten und seines Ver-teidigers eine Rechtsfolge (bindend) in Aussicht gestellt. Diese im Übrigen früher gepflogene Praxis der strafrechtlichen Tatgerichte (vgl. dazu Meyer-Goßner § 257c Rdn. 2; Griesbaum-KK § 257c Rdn. 2 f.; BGHSt 50, 40/46 ff.). hat jedoch mit dem Verständigungsgesetz vom 29. Juli 2009 ein Ende gefunden und ist seither auch zum Schutz des Angeklagten nicht mehr zulässig (Meyer-Goßner § 257c Rdn. 3). Die einseitige Verpflichtungserklä-rung war gesetzeswidrig (BVerfG Urteil vom 19. März 2013 NJW 2013 1058/1069 und 1070; Griesbaum-KK § 257c Rdn. 44) und konnte deshalb keiner Bindungswirkung oder Vertrauenstatbestand entfalten (BGH Be-schluss vom 12. Juli.2011 Az.: 1 StR 274/11 zit. nach juris Rdn. 3), selbst wenn im Übrigen die Strafkammer den gesetzlich geforderten Dokumentati-ons- und Transparenzanforderungen gerecht geworden ist und den Anfor-derungen des § 257c Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 244 Abs. 2 StPO folgend das verständigungsbasierte Geständnis einer Überprüfung durch Beweisauf-nahme unterzogen hat (dazu BGH Beschluss vom 21. Januar 2012 Az.: 3 StR 285/11 zit. nach juris Rdn. 7; BGH NStZ-RR 2012 52; BGH Beschluss vom 22. September 2011 Az.: 2 StR 383/11 zit. nach juris Rdn. 3; OLG Cel-le Beschluss vom 9. November 2010 Az.: 32 Ss 152/10 zit. nach juris Rdn. 19 f.; BGH Beschluss vom 25. Juni 2013 Az.: 1 StR 163/13 zit. nach juris; BGH Beschluss vom 6. August 2013 Az.: 3 StR 212/13 zit. nach juris Rdn. 4).

5. Das so zustande gekommene Urteil beruht auch auf dem Gesetzesverstoß (Meyer-Goßner § 344 Rdn. 27; § 337 Rdn. 38; Gericke-KK § 344 Rdn. 65, § 337 Rdn. 33 ff.; OLG Celle Beschluss vom 30. August 2011 Az.: 32 Ss 87/11 zit. nach juris Rdn. 13).

a) Dies folgt schon daraus, dass § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO keine bloße Ord-nungsvorschrift ist, sondern als zentrale Vorschrift des Strafverfahrens-rechts das Verständigungsverfahren gesetzlich erst eröffnet (zur Beruhens-frage bei der Verletzung von Ordnungsvorschriften Gericke-KK § 337 Rdn. 38).

b) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Verfas-sungsmäßigkeit der Regelungen zur Verständigung im Strafverfahren (Urteil vom 19. März 2013 NJW 2013 1058 ff.; zur MRK-Konformität EGMR Urteil vom 3. November 2011 Az.: 29090/06 zit. nach juris Rdn. 73) bei der Frage nach Vollzugsdefiziten in der Anwendung der Neuregelungen des Verstän-digungsgesetzes zur verfassungsrechtlich erheblichen Kontrolle von ver-ständigungsbasierten Strafurteilen zu den Kontrollaufgaben von Staatsan-waltschaft und Rechtsmittelinstanzen Stellung genommen und beiden Insti-tutionen eine besondere Aufgabe bei der Umsetzung der verständigungs-bezogenen Regelungen zugewiesen (NJW 2013 1058/1066). Dieser Aufga-be ist die Staatsanwaltschaft nachgekommen, indem sie das Urteil der Strafkammer durch Revision angefochten hat. Die Effektivität der hieraufhin erfolgenden Kontrolle durch das Revisionsgericht darf, um die gesetzes-treue Umsetzung der Regelungen des Verständigungsgesetzes zu gewähr-leisten, die Beruhensfrage bei eindeutigen Verstößen gegen § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO nur noch in Ausnahmefällen stellen, die hier jedoch nicht vor-liegen. Diese Ausnahmefälle können sich ergeben, wenn etwa trotz unter-bliebener Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO das Revisionsgericht die Überzeugung gewonnen hat, dass der Angeklagte das verständigungsba-sierte Geständnis gleichwohl abgegeben hätte (BGH Urteil vom 7. August 2013 Az.: 5 StR 253/13 zit. nach juris Rdn. 11 f.). Der Senat ist sich hierbei der Tatsache bewusst, dass auf der Grundlage dieser Rechtsansicht der eindeutige Verstoß gegen § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO eine solche Rechts-verletzung in die Nähe eines absoluten Revisionsgrundes nach § 338 StPO rückt, obwohl der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Verständigungsge-setzes eine so weit reichende Regelung nicht getroffen hat (OLG Celle Be-schluss vom 30. August 2011 Az.: 32 Ss 87/11 zit. nach juris Rdn. 12). Im Interesse der Wahrung einer verfassungsmäßigen Umsetzungspraxis gera-de im Lichte der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine re-visionsgerichtliche Überprüfung der Verständigungspraxis erscheint dem Senat aber eine solche Sichtweise jedoch nicht nur hinnehmbar, sondern verfahrensrechtlich unausweichlich.

c) Der Verfahrensgang sowie die Dokumentation der von der Revision vorge-tragenen und von der Strafkammer angenommenen und darüber hinaus im Urteil ausgesprochenen Bindung an die gesetzeswidrige Absprache mit dem Angeklagten und seinem Verteidiger sind eindeutig und entheben das Revisionsgericht von weiteren freibeweislichen Nachforschungen (vgl. dazu OLG Zweibrücken Beschluss vom 31. Juli 2012 Az.: 1 Ws 169/12 zit. nach juris Rdn. 12). Nach Scheitern der angestrebten und § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO entsprechenden Verständigung ist die Strafkammer dem Drängen des Verteidigers erlegen und hat sich zu der hier vorliegenden gesetzeswidrigen Absprache hinreißen lassen, durch die sie dem Angeklagten eine Verurtei-lung zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren, deren Vollstre-ckung zur Bewährung ausgesetzt werden sollte, zusicherte. Erst hierauf hat sich der Angeklagte zu einem Geständnis entschlossen, nachdem er zuvor eindeutig jede Angaben zur Sache verweigert hatte. Es hat bei diesem kla-ren Gang des Verfahrens eine eigene Aussagekraft, dass sich der Ange-klagte durch seinen Verteidiger zur gerügten Verletzung des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO nicht, sondern nur zu der weiteren erhobenen Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft geäußert hat.
6. Schon aus diesem Grunde war das angegriffene Urteil des Landgerichts Traunstein vom 24. Juli 2013 gemäß § 353 Abs. 1 StPO samt den zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) aufzuheben und zu neuer Ver-handlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). (…)

IV.
Wie der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 entnom-men werden kann, kommen den gesetzlich statuierten Dokumentationspflichten ins-besondere nach § 257c Abs. 3 Satz 1 StPO wegen des Schutzes des Angeklagten vor gesetzwidrigen oder sachfremden Erwägungen (KG Urteil vom 23. April 2012 zit. nach juris Rdn. 3; BGH Urteil vom 17. Februar 2011 Az.: 3 StR 426/100 zit. nach juris Rdn. 4 f.; BGH Beschluss vom 28. September 2010 Az.: 3 StR 359/10 zit. nach juris Rdn. 8, 10) und wegen der Kontrolle verständigungsbasierter Verfahrenserledigungen durch die Öffentlichkeit (§ 169 GVG) und durch das Rechtsmittelgericht hervorragende Be-deutung zu. Die Dokumentation des Verständigungsgeschehens durch die Strafkam-mer, die dem gesetzeswidrig zustande gekommenen (Absprache-) Urteil vorausging, erscheint dem Revisionssenat als unzureichend. Deswegen bemerkt der Senat für das weitere Verfahren:
Sollte es erneut zu einer Verständigung nach § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO vor der nunmehr zur Entscheidung aufgerufenen Strafkammer kommen, darf sich diese nicht darauf beschränken, eine vorgeschlagene Verständigungslösung „als gangbar“ oder den prozessualen Gegebenheiten „entsprechend“ zu bezeichnen. Ohne das Haupt-verhandlungsprotokoll zu überfrachten, wird sie mitzuteilen haben, welche wesentli-chen tatsächlichen oder rechtlichen Umstände für die dann erzielte Verständigungslö-sung über die Höhe der Strafe und über deren Aussetzung der Vollstreckung zur Be-währung streiten (vgl. auch BGH Beschluss vom 13. Januar 2010 Az.: 3 StR 528/09 zit. nach juris Rdn. 2).

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