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Leitsatz: Nach verfassungsrechtlichen Maßstäben besteht ein schutzwürdiges Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs wie einer Freiheitsentziehung aufgrund eines Sitzungshaftbefehls regelmäßig auch nach dessen Erledigung und unabhängig davon, ob der Betroffene Rechtsschutz tatsächlich auch vor Beendigung der Haft hätte erlangen können. 2. Ein Zeitraum von etwa zehn Monaten, der zwischen der Übermittlung einer landgerichtlichen Beschwerdeentscheidung in Haftfragen und dem Einlegen einer weiteren Beschwerde verstrichen ist, weist für sich betrachtet keine derart lange Dauer auf, dass nach den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls nicht mehr damit zu rechnen gewesen ist, dass noch von der weiteren Beschwerde Gebrauch gemacht wird.
Vf. 40-IV-13 DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF DES FREISTAATES SACHSEN IM NAMEN DES VOLKES Beschluss In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn S., hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen durch die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes Birgit Munz, die Richter Jürgen Rühmann, Uwe Berlit, Christoph Degenhart, Matthias Grünberg, Ulrich Hagenloch, Hans Dietrich Knoth, Hans-Heinrich Trute sowie die Richterin Andrea Versteyl am 17. Oktober 2013 beschlossen: 1. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Mai 2013 und vom 13. Juni 2013 (1 Ws 77/13) sowie der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 24. Oktober 2011 (1 Qs 293/11) verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 38 Satz 1 SächsVerf. Sie werden aufgehoben; die Sache wird an das Landgericht Leipzig zurückverwiesen. 2 2. Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. G r ü n d e : I. Mit seiner am 6. Juni 2013 bei dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Mai 2013 und vom 13. Juni 2013 (1 Ws 77/13) sowie gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 24. Oktober 2011 (1 Qs 293/11). Gegen den Beschwerdeführer wurde vor dem Amtsgericht Leipzig ein Strafverfahren u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung geführt. Nachdem der Beschwerdeführer dem anberaumten Hauptverhandlungstermin am 8. August 2011 fernblieb, erließ das Amtsgericht am selben Tag gegenüber dem Beschwerdeführer einen Sitzungshaftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO, weil der Beschwerdeführer trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Termin unentschuldigt nicht erschienen sei. Der Beschwerdeführer wurde am 2. September 2011 festgenommen und dem Amtsgericht Tiergarten zur Verkündung des Haftbefehls vorgeführt. Am 16. September 2011 wurde der Beschwerdeführer dem Amtsgericht Leipzig zur Vernehmung vorgeführt. Nach der Vernehmung ging das Amtsgericht Leipzig unmittelbar in die Hauptverhandlung über und verurteilte den Beschwerdeführer am selben Tag nicht rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zugleich hob das Amtsgericht den Haftbefehl auf. Am 19. September 2011 legte der Beschwerdeführer gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Leipzig vom 8. August 2011 Beschwerde ein und beantragte, ihm Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 7 StPO zu gewähren. Die Beschwerdebegründung erfolge nach Akteneinsicht. Mit Beschluss vom 24. Oktober 2011 (1 Qs 293/11) verwarf das Landgericht Leipzig die Beschwerde gegen den Haftbefehl vom 8. August 2011 als unzulässig. Die Beschwerde sei nicht zulässig erhoben worden, weil sie zu einem Zeitpunkt eingelegt worden sei, zu dem der Beschwerdeführer bereits aus der Haft entlassen und der angegriffene Haftbefehl aufgehoben worden sei. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit sei auch unter dem Aspekt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu bescheiden. Der in Art. 19 Abs. 4 GG begründete Leistungsanspruch gegen den Staat sei mit einer Prozessverantwortung verknüpft, die sich in Anfechtungs- und Mitwirkungslasten niederschlage. Der Beschwerdeführer habe zur Vermeidung von Rechtsnachteilen bereits bei der Verkündung des Haftbefehls durch das Amtsgericht Tiergarten die Möglichkeit gehabt, gegen den Haftbefehl Beschwerde einzulegen, habe dies jedoch erst nach dessen Aufhebung getan. 3 Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer zunächst unter der Anschrift O.-Straße , B., übermittelt, obwohl der Beschwerdeführer vom 26. September 2011 bis zum 21. Juni 2012 seinen Wohnsitz in die W.-straße , B., verlegt und dies dem Amtsgericht Leipzig am 4. Oktober 2011 telefonisch mitgeteilt hatte. Nach Vortrag des Beschwerdeführers wurde ihm der Beschluss auf telefonische Anforderung mit Übersendungsschreiben vom 21. August 2013 nochmals übermittelt. Unter dem 23. August 2012 legte der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 24. Oktober 2011 (1 Qs 293/11) weitere Beschwerde ein und beantragte festzustellen, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Leipzig vom 8. August 2011 und dessen Vollzug rechtswidrig waren. Die nach Erledigung des Haftbefehls eingelegte Beschwerde sei zulässig gewesen; die Gewährung von Rechtsschutz gegen Inhaftierungen hänge nach verfassungsrechtlichen Grundsätzen weder vom konkreten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon ab, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden könne. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Sitzungshaftbefehls seien zudem ersichtlich nicht gegeben gewesen, weil sein Ausbleiben genügend entschuldigt und der Erlass eines Haftbefehls auch unverhältnismäßig gewesen sei. Mit Beschluss vom 6. Mai 2013 (1 Ws 77/13) verwarf das Oberlandesgericht Dresden die weitere Beschwerde als unzulässig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, wenn die verspätete Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstoße, etwa weil der Berechtigte sich verspätet auf das Recht berufe oder unter Verhältnissen untätig geblieben sei, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflege, sodass auch ein an sich unbefristeter Antrag nicht nach Belieben hinausgezögert und verspätet gestellt werden könne, ohne unzulässig zu werden. Der Beschwerdeführer habe seine weitere Beschwerde nahezu zehn Monate nach Erlass des angefochtenen Beschlusses eingelegt. Dabei habe er sein Rechtsmittel auch erstmals begründet, obwohl er sämtliche Gründe bereits während des Vollzugs des Sitzungshaftbefehls oder mit der Beschwerde habe geltend machen können. Nach der seit der Beschwerdeentscheidung verstrichenen Zeit sei ein Rechtsschutzbedürfnis für einen effektiven Rechtsschutz in Form einer weiteren Beschwerde nicht mehr erkennbar. Gegen diesen Beschluss erhob der Beschwerdeführer am 21. Mai 2013 Gegenvorstellung. Der Senat lasse den tatsächlichen Zugangszeitpunkt außer Acht. Zudem sei ihm eine Begründung der Beschwerde verwehrt gewesen, nachdem das Landgericht Leipzig über seine Beschwerde entschieden habe, ohne ihm die beantragte Akteneinsicht zu gewähren oder über sein Akteneinsichtsgesuch zu entscheiden. Mit Beschluss vom 13. Juni 2013 (1 Ws 77/13) stellte das Oberlandesgericht Dresden fest, dass die Gegenvorstellung keinen Anlass gebe, den Senatsbeschluss vom 6. Mai 2013 abzuändern oder aufzuheben. Unterstelle man, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz im behaupteten Zeitraum tatsächlich vorübergehend verlegt habe, könne ihm zwar nicht vorgeworfen werden, seine weitere Beschwerde erst nahezu zehn Monate nach Erlass des angefochtenen Beschlusses eingelegt zu haben. Sein Rechtsmittel erweise sich jedoch auch dann noch 4 als unzulässig. Nach dem konkreten zeitlichen Ablauf in dieser Angelegenheit sei eine Überprüfung des aufgehobenen Haftbefehls aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes wie das Landgericht Leipzig zu Recht annehme nicht notwendig. Der Beschwerdeführer habe seine Beschwerde und ihre Begründung auch ohne die Gewährung von Akteneinsicht unschwer bereits unmittelbar nach seiner Vorführung einlegen können, sodass das Beschwerdegericht hierüber bis zum Tag der Hauptverhandlung hätte entscheiden können. Der Beschwerdeführer hat am 20. Juni 2013 auch diesen Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 13. Juni 2013 (1 Ws 77/13) in das Verfassungsbeschwerdeverfahren einbezogen. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 38 Satz 1 SächsVerf. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde stehe nicht entgegen, dass zunächst noch keine Entscheidung über die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers vorgelegen habe, denn dieser formlose Rechtsbehelf gehöre nicht zum Rechtsweg. Das in Art. 38 Satz 1 SächsVerf inhaltsgleich mit Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gewährleiste innerhalb eines eröffneten Instanzenzugs eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Dabei bestehe bei Inhaftierungen auch nach Erledigung des Eingriffs regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit, ohne dass es auf den konkreten Ablauf des Verfahrens, den Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme oder darauf ankomme, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden könne. Dies hätten das Landgericht Leipzig und das Oberlandesgericht verkannt, wenn sie davon ausgingen, dass eine nachträgliche Überprüfung des Haftbefehls in den Fällen nicht statthaft sei, in denen der Betroffene von der Möglichkeit, vor dessen Erledigung Beschwerde einzulegen, keinen Gebrauch gemacht habe. Das Oberlandesgericht sei zudem ursprünglich zu Unrecht von einem untätigen Zuwarten des Beschwerdeführers ausgegangen. Im Übrigen komme selbst mit dem vom Oberlandesgericht zunächst angenommenen Verfahrensablauf eine Verwirkung des Beschwerderechts unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht, da der Beschwerdeführer mit der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sitzungshaft für sein noch anhängiges Berufungsverfahren das konkrete Ziel einer strafmildernden Berücksichtigung der erlittenen Haft erreichen könne. Das Staatsministerium der Justiz und für Europa hat Gelegenheit gehabt, zum Verfahren Stellung zu nehmen. II. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. 1. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Mai 2013 und vom 13. Juni 2013 (1 Ws 77/13) sowie der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 24. Oktober 2011 (1 Qs 293/11) verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 38 Satz 1 5 SächsVerf, indem sie seine weitere Beschwerde und seine Beschwerde als unzulässig verwerfen. a) Soweit das Landgericht und letztlich auch das Oberlandesgericht jeweils für die Verwerfung der Beschwerde und der weiteren Beschwerde in den angegriffenen Entscheidungen tragend darauf abstellen, dass eine Überprüfung des Haftbefehls nach dessen Aufhebung hier nicht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich sei, da der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt habe, gegen den Haftbefehl bereits bei dessen Verkündung Beschwerde einzulegen, haben sie die Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers grundrechtswidrig überspannt. aa) Das Recht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 38 Satz 1 SächsVerf garantiert bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung (SächsVerfGH, Beschluss vom 29. September 2011 Vf. 53-IV-11). Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes beinhaltet hierbei keinen Anspruch auf die Einrichtung eines bestimmten Rechtszuges. Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, gewährleistet Art. 38 SächsVerf in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. August 2013 Vf. 61-IV-13 [HS]/Vf. 62-IV-13 [e.A.]). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es zwar im Grundsatz vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem vorhandenen oder fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen (BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001, BVerfGE 104, 220 [232]). Auch ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, ein Rechtsschutzinteresse nur solange als gegeben anzusehen, wie eine gegenwärtige Beschwer ausgeräumt, einer Wiederholungsgefahr begegnet oder eine fortwirkende Beeinträchtigung beseitigt werden kann. Doch müssen die Fachgerichte bei Freiheitsentziehungen durch Haft beachten, dass ein schutzwürdiges Interesse an der (nachträglichen) Feststellung der Rechtswidrigkeit solch schwerwiegender Grundrechtseingriffe regelmäßig auch dann besteht, wenn sie erledigt sind, denn nach der Funktionenteilung zwischen Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit obliegt es zuvörderst den Fachgerichten, die Grundrechte zu wahren und durchzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001, BVerfGE 104, 220 [234 ff.]; Beschluss vom 31. Oktober 2005, BVerfGK 6, 303 [309] m.w.N.). Während vormals generell eine nachträgliche gerichtliche Klärung schwerwiegender Grundrechtseingriffe verfassungsrechtlich davon abhängig gemacht wurde, dass deren direkte Belastung sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in dem von der maßgeblichen Prozessordnung vorgesehenen Verfahren kaum erlangen kann, wird mittlerweile im Hinblick auf das bei Freiheitsentziehungen bestehende Rehabilitierungsinteresse dem konkreten Ablauf des Verfahrens, dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme oder der Frage, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden kann, keine 6 Bedeutung für die gebotene Gewährung von Rechtsschutz mehr beigemessen (BVerfG, Beschluss vom 31. Oktober 2005, BVerfGK 6, 303 [309] m.w.N.; Beschluss vom 5. Dezember 2001, BVerfGE 104, 220 [235]; Beschluss vom 13. März 2002, NJW 2002, 2701; vgl. SächsVerfGH, Beschluss 27. August 2013 Vf. 61- IV-13 [HS]/Vf. 62-IV-13 [e.A.]). Das Rechtsmittel darf in solchen Fällen nicht als unzulässig verworfen werden; vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der zwischenzeitlich erledigten Maßnahme zu prüfen und gegebenenfalls deren Rechtswidrigkeit festzustellen (BVerfG, Beschluss vom 31. Oktober 2005, BVerfGK 6, 303 [309], m.w.N.). bb) Das Oberlandesgericht und das Landgericht haben bei ihren Entscheidungen verkannt, dass nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben ein schutzwürdiges Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit eines solch schwerwiegenden Grundrechtseingriffs wie einer Freiheitsentziehung aufgrund eines Sitzungshaftbefehls regelmäßig auch nach dessen Erledigung und unabhängig davon besteht, ob der Betroffene Rechtsschutz tatsächlich auch vor Beendigung der Haft hätte erlangen können. b) Soweit das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 6. Mai 2013 darüber hinaus für den Fall, dass der Beschwerdeführer von der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Leipzig vom 24. Oktober 2011 bereits unmittelbar nach deren Erlass Kenntnis erlangt hat, davon ausgeht, dass das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers auch deshalb entfallen sei, weil er erst nach nahezu zehn Monaten weitere Beschwerde eingelegt und mit dieser weiteren Beschwerde sein Rechtsmittel zudem erstmals begründet habe, hat es den Vorbehalt eines fortbestehenden Rechtsschutzinteresses ebenfalls überspannt und so die Bedeutung und Tragweite des Rechtsschutzanspruches des Beschwerdeführers aus Art. 38 Satz 1 SächsVerf verkannt. aa) Das Rechtsschutzbedürfnis kann auch bei an sich unbefristeten Anträgen entfallen, wenn die verspätete Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt, etwa weil der Berechtigte sich verspätet auf das Recht beruft und unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Das öffentliche Interesse an der Wahrung des Rechtsfriedens kann in derartigen Fällen verlangen, die Anrufung des Gerichts nach langer Zeit untätigen Zuwartens als unzulässig anzusehen. Gleichwohl darf hierdurch der Weg zu den Gerichten nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden (BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008, BVerfGK 13, 382 [388], m.w.N.; Beschluss vom 26. Januar 1972, BVerfGE 32, 305 [308 f.]). bb) Diesen Anforderungen hat das Oberlandesgericht nicht Rechnung getragen. Der Zeitraum von etwa zehn Monaten, der zwischen der Übermittlung der landgerichtlichen Beschwerdeentscheidung und dem Einlegen der weiteren Beschwerde verstrichen sei, weist für sich betrachtet keine derart lange Dauer auf, dass nach den 7 Umständen dieses Einzelfalls nicht mehr damit zu rechnen gewesen wäre, dass der Beschwerdeführer von der weiteren Beschwerde Gebrauch macht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008, BVerfGK 13, 382 [389 f.]). Gemessen daran lässt sich den Ausführungen des Oberlandesgerichts nicht entnehmen, weshalb das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers entfallen sein sollte. Auch der weitere Umstand, dass die Beschwerde zunächst nicht begründet wurde, vermag ein Vertrauen in die Wahrung des Rechtsfriedens durch die Beschwerdeentscheidung schon deshalb nicht zu stützen, weil der Beschwerdeführer ausdrücklich eine Begründung nach Einsicht in die Verfahrensakten angekündigt hatte, ihm die beantragte Akteneinsicht jedoch erst nach der Bestellung einer Pflichtverteidigerin am 20. März 2012 über seine Verteidigerin gewährt wurde. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel tatsächlich auch ohne vorherige Akteneinsicht hätte begründen können und ob er mit seinem Akteneinsichtsgesuch etwa bewusst über die Grenzen seines Akteneinsichtsrechts hinausgegangen sein könnte, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Denn selbst wenn dies zu bejahen wäre, könnte, nachdem sich der Beschwerdeführer gegenüber dem Gericht ausdrücklich dafür entschieden hatte, im Rahmen seines Anspruchs auf rechtliches Gehör von seinem Äußerungsrecht erst nach Einsichtnahme in die Akten Gebrauch zu machen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 7. September 2007, BVerfGK 12, 111 [116 f.]), seine hieraus folgende Untätigkeit nicht als vertrauensbildend im o.g. Sinne bewertet werden. 2. Gemäß § 31 Abs. 2 SächsVerfGHG sind die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Mai 2013 und vom 13. Juni 2013 (1 Ws 77/13) sowie der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 24. Oktober 2011 (1 Qs 293/11) aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht Leipzig zurückzuverweisen. III. Die Entscheidung ist kostenfrei (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG). Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten (§ 16 Abs. 3 SächsVerfGHG). gez. Munz gez. Rühmann gez. Berlit gez. Degenhart gez. Grünberg gez. Hagenloch gez. Knoth gez. Trute gez. Versteyl
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