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Entscheidungen

StPO

Berufungsrücknahme, unbeschränkte, Unwirksamkeit, Rechtskraft, Maßregel, Entziehung der Fahrerlaubnis

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 30.09.2013 - 2 Ws 503/13

Leitsatz: Eine Rechtsmittelrücknahme kann unwirksam sein, wenn sie erwiesenermaßen durch irreführende Sachbehandlung und Verletzung der Fürsorgepflicht des Gerichts zur Gewährleistung eines interessengerechten Verteidigungsverhaltens zustande gekommen ist (im Anschluss an BGH NStZ 2004, 636 [BGH 18.02.2004 - 5 StR 566/03] und BGHSt 46,257).


In pp.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Strafverfahren StA K. ... durch die Rücknahme der Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts W. vom 06.08.2012 nicht erledigt ist.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts W. vom 06.08.2012 wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von acht Monaten angeordnet. Nach Urteilsverkündung wurde dem Angeklagten mit in der Hauptverhandlung verkündetem Beschluss die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen, woraufhin der Angeklagte seinen Führerschein zur Akte überreichte. Mit Schriftsatz vom 06.08.2012 legte der Verteidiger des Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung ein. Im Protokoll der Berufungsverhandlung vor der x. kleinen Strafkammer des Landgerichts K. am 05.03.2013 ist - nachdem der Verteidiger nach längerer Beweisaufnahme einen Beweisantrag auf Vernehmung eines weiteren Zeugen gestellt hatte - folgendes vermerkt:
" Die Hauptverhandlung wird um 12:01 Uhr unterbrochen und um 12:13 Uhr... fortgesetzt.
Die Sach- und Rechtslage wird erörtert.
Die Hauptverhandlung wird um 12:19 Uhr unterbrochen und um 12:29 Uhr... fortgesetzt.
Der Angeklagte und sein Verteidiger, ein jeder für sich, erklären:
Wir nehmen die Berufung zurück.
v. u. g.
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft erklärt die Zustimmung zur Berufungsrücknahme.
Nach Beratung im Sitzungssaal:
beschlossen und verkündet:
Der Beschluss des Amtsgerichts W. vom 06.08.2012, mit dem die Fahrerlaubnis des Angeklagten vorläufig entzogen wurde, wird aufgehoben.
beschlossen und verkündet:
Die Kosten der vom Angeklagten eingelegten und zurückgenommenen Berufung werden dem Angeklagten auferlegt.
Der bei den Akten befindliche Führerschein des Angeklagten wird diesem zurückgegeben."
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26.03.2013 beantragte der Angeklagte die Fortsetzung der Hauptverhandlung. Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Angeklagten sei auf Vorschlag des Gerichts mit Einverständnis der Staatsanwaltschaft die Zusage gegeben worden, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis nicht weiter entzogen und ihm der Führerschein wieder ausgehändigt werde, wenn er die Berufung - im übrigen - zurücknehme.
Demgemäß habe sich die vom Angeklagten erklärte Rücknahme der Berufung naturgemäß nur auf den Schuld- und Straffolgenausspruch im erstinstanzlichen Urteil erstreckt, nicht jedoch auf die Maßregel gemäß den §§ 69,69a StGB, die das Landgericht durch Urteil hätte aufheben müssen - was noch zu geschehen habe - , weil ansonsten die angekündigte Folge der Wiedererlangung der Fahrerlaubnis nicht hätte herbeigeführt werden können. Insoweit sei das Urteil nicht rechtskräftig geworden.
Nach Einholung dienstlicher Stellungnahmen des Vorsitzenden der Berufungskammer und des Sitzungsvertreters - die übereinstimmend ausgeführt haben, dass das Rechtsmittel ohne Beschränkung auf den Maßregelausspruch zurückgenommen worden sei - hat das Landgericht durch Beschluss vom 02.08.2013 festgestellt, dass das Rechtsmittel des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth vom 06.08.2012 erledigt ist, und hat die Berufung des Angeklagten als unzulässig verworfen.
Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 12.08.2013 sofortige Beschwerde eingelegt und ausgeführt, die Rücknahme der Berufung habe auf dem übereinstimmenden Willen aller Verfahrensbeteiligten beruht, dem Angeklagten ab sofort wieder die Teilnahme am Straßenverkehr zu ermöglichen, zu welchem Zweck ihm der Führerschein wieder ausgehändigt worden sei. Nur unter diesen Umständen habe der Angeklagte allein den Schuld- und Straffolgenausspruch durch die Berufungsrücknahme gegen sich gelten lassen. Die Aufhebung des Beschlusses über die vorläufige Entziehung gemäß § 111a StPO wäre bei vollständigem Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Urteils obsolet gewesen. Der Senat hat hierzu eine ergänzende dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Berufungskammer eingeholt, in der folgendes ausgeführt wird:
"Zutreffend geschildert ist in der Beschwerdeschrift, dass nach Unterbrechung und Zwischenberatung - für die Kammer angesichts der vorangegangenen Beweisanregungen bzw. -anträge und der Aussicht auf einen Fortsetzungstermin überraschend - angeregt wurde, für den Fall einer Rücknahmeerklärung den Beschluss nach § 111a StPO aufzuheben und den bei der Akte befindlichen Führerschein auszuhändigen. So ist dann in der Folge - nach erneuter Zwischenberatung - auch verfahren worden. Dass ich in der Hauptverhandlung ausdrücklich (sei es wörtlich oder sinngemäß) erklärt hätte - wie der Beschwerdeführer behauptet -, der Angeklagte sei nach Rückgabe des Führerscheins "alsdann wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen zugelassen", ist mir nicht erinnerlich. Ich gehe aber davon aus, dass alle Beteiligten (irrtümlich und stillschweigend) davon ausgegangen sind, der Beschwerdeführer dürfe nach Aufhebung des § 111a-Beschlusses und Aushändigung des Führerscheins wieder ein Kraftfahrzeug führen. Anderenfalls machen diese Vorgehensweise und auch die Äußerung des Sitzungsvertreters, er befürworte die Aufhebung des Beschlusses über die vorläufige Entziehung, weil die Sperrfrist nahezu abgelaufen sei, wenig Sinn. Nach streitiger und langwieriger Beweisaufnahme und der konkreten Aussicht auf Fortsetzung bzw. Aussetzung der Verhandlung wurde die Kammer von der plötzlichen Quasi-Einigung der Beteiligten überrascht, die im Wesentlichen die Erklärung der Rücknahme der Berufung beinhalten sollte für den Fall der Zusage der Aufhebung der vorläufigen Entziehung und Aushändigung des Führerscheins durch die Kammer. Diese Zusagen hat die Kammer nach erneuter Zwischenberatung gemacht und vollzogen. In dieser Situation mag ich irrtümlich die tatsächlichen rechtlichen Konsequenzen dieser Verfahrensweise nicht korrekt zu Ende gedacht haben. Eine ausdrückliche "Absprache" oder "Bedingung" ist - anders als dies in der Beschwerdeschrift anklingt - allerdings nicht erfolgt und nicht zur Sprache gekommen."
II.
1.
Der angefochtene Beschluss unterliegt insgesamt der sofortigen Beschwerde. Soweit die Berufung als unzulässig verworfen worden ist, ergibt sich dies aus § 322 Abs. 2 StPO; soweit mit deklaratorischer Wirkung die Erledigung des Rechtsmittels durch wirksame Rücknahme ausgesprochen worden ist, aus dessen entsprechender Anwendung ( Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 302 Randnr. 11a).
2.
Die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Das Landgericht hat die Rücknahmeerklärung in der Berufungshauptverhandlung vom 05.03.2013 zu Unrecht als wirksam angesehen mit der Folge, dass die Verwerfung der Berufung als unzulässig keinen Bestand haben kann.
a)
Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Zurücknahme der Berufung ohne Beschränkung erklärt worden ist. Der abweichenden Darstellung der Verteidigung steht der eindeutige Wortlaut des Protokolls vom 05.03.2013 entgegen, das keine Beschränkung der Berufung erkennen läßt, und das nach § 274 StPO - ausgenommen den Fall der Fälschung - ausschließliche Beweiskraft genießt.
Gegen die Darstellung der Verteidigung spricht im übrigen, dass der eindeutigen Protokollierung nicht widersprochen und auch die abschließende Kostenentscheidung hingenommen worden ist, obwohl es aus Sicht des anwaltlich vertretenen Angeklagten noch einer Aufhebung des Maßregelausspruchs durch Urteil bedurft hätte.
Ob die behauptete Berufungsbeschränkung auf die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anordnung der Sperrfrist mit der sog. Trennbarkeitsformel überhaupt vereinbar gewesen wäre - was zweifelhaft erscheint, wenn Charaktermängel des Angeklagten der Grund der Anordnung sind, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55.Aufl., § Randnr. a.a.O., § 318 Randn. 28 m.w.N.) - kann daher dahinstehen.
b)
In Rechtsprechung und Schrifttum ist aber anerkannt, dass eine Rechtsmittelrücknahme unwirksam sein kann, wenn sie erwiesenermaßen durch irreführende Sachbehandlung und Verletzung der Fürsorgepflicht des Gerichts zur Gewährleistung eines interessengerechten Verteidigungsverhaltens zustande gekommen ist (vgl. BGH NStZ 2004, 636 [BGH 18.02.2004 - 5 StR 566/03]; BGHSt 46,257; Hanack in LR, StPO, 25. Aufl., § 302 Randn. 52; KK-Paul, StPO, 6. Aufl., § 302 Randn.13; Meyer-Goßner, a.a.O., § 302 Randnr. 22; je m.w.N.).
Von einer solchen Fallgestaltung ist hier auszugehen.
Nach dem Inhalt der ergänzenden dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 25.09.2013 - die der Senat für lebensnah hält und an deren Richtigkeit der Senat auch in Anbetracht der teilweise abweichenden dienstlichen Äußerung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft vom 18.04.2013 nicht zweifelt - ist die Kammer in Übereinstimmung mit allen Verfahrensbeteiligten irrig davon ausgegangen, dass der Angeklagte nach Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis und mit Aushändigung des Führerscheins wieder zur Führung von Kraftfahrzeugen berechtigt sein sollte, was mit Blick auf die nahezu abgelaufene Sperrfrist so auch beabsichtigt gewesen sei. Dabei hat die Strafkammer aber übersehen, dass dieses Ergebnis bei vollständiger Rücknahme der Berufung nicht erreicht werden konnte, weil es dann auch bei dem Maßregelausspruch verblieb. Dass sich die Strafkammer hierüber nicht im Klaren war, folgt auch daraus, dass es der Aufhebung des § 111a-Beschlusses mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils nicht mehr bedurft hätte. Auch die Herausgabe des Führerscheins ergibt keinen Sinn, wenn damit nicht dem Angeklagten die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen wieder eingeräumt werden sollte.
Zwar ist nach der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden die nicht durchdachte und rechtlich verfehlte Vorgehensweise zur Beendigung des Verfahrens - Aufhebung des § 111a-Beschlusses, Herausgabe des Führerscheins, Berufungsrücknahme - nicht durch die Strafkammer vorgeschlagen worden, sondern durch Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Die Strafkammer hat sich aber diese Verfahrensweise durch die von ihr gemachte Zusage zu eigen gemacht, ohne - wie der Vorsitzende zutreffend ausgeführt hat - die rechtlichen Konsequenzen korrekt zu Ende gedacht zu haben. Darin liegt eine falsche, den Angeklagten in die Irre führende Sachbehandlung, die die Ursache für die Berufungsrücknahme ist, die der Angeklagte sonst nicht erklärt hätte. Die Fürsorgepflicht der Berufungskammer hätte bei zutreffender rechtlicher Würdigung geboten, den Angeklagten darauf hinzuweisen, dass die ins Auge gefaßte Vorgehensweise seinem Verteidigungsinteresse zuwiderlief. Dass der Angeklagte auf die Erklärungen seines Verteidigers, des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und des Strafkammervorsitzenden vertraut hat, kann ihm nicht zum Nachteil gereichen.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben; das Berufungsverfahren ist nunmehr fortzusetzen.
Aus Gründen des Vertrauensschutzes ist aus Sicht des Senats eine erneute vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO unter den besonderen Umständen des Falles nun nicht mehr zulässig, was zur Folge hat, dass der Angeklagte vorläufig zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt ist.

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