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Entscheidungen

Zivilrecht

Fahrradfahrer, Gehweg, Zusammenstoß, Schadensersatz

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Essen, Urt. v. 27.08.2013 - 11 C 265/13

Leitsatz: Zum Schadensersatz nach Verkehrsunfall bei Zusammenstoß mit einem auf dem Gehweg fahrenden Radfahrer.


AG Essen, 27.08.2013 - 11 C 265/13
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 % jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 17.5.2012 in Essen ereignete.
Der Kläger befuhr mit seinem Fahrrad den Gehweg der N-Straße in Essen gegen die Fahrtrichtung, aus Sicht des Beklagten von rechts kommend. Für Radfahrer befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite ein ausgewiesener Radweg, der Radfahrverkehr in beiden Richtungen aufnimmt.
Der Beklagte fuhr mit seinem Fahrzeug, einem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen #-###, die Ausfahrt der N-Straße und beabsichtigte, aus der Ausfahrt nach rechts in den fließenden Verkehr einzubiegen. Um auf die N-Straße zu gelangen, musste der Beklagte den von dem Kläger mit dem Rad befahrenen Gehweg überqueren. Im Einmündungsbereich auf den Gehweg befand sich eine Hecke, so dass der Gehweg für den Kläger nach rechts schwer einsehbar war. Diesbezüglich wird auf die Bilder auf Bl. 7 der beigezogenen Bußgeldakte verwiesen.
Zwischen dem Kläger und dem Beklagten kam es zu einer Kollision, aufgrund welcher der Beklagte diverse Verletzungen erlitt. Unter anderem erlitt er eine Luxationsfraktur links, einen Knochenbruch des Wadenbeins sowie mehrfache Frakturen des kleinen Fingermittelgliedes.
Der Kläger behauptet, der Beklagte sei direkt hinter der Hecke mit seinem Fahrzeug hervor gefahren, ohne sich vorsichtig hinaus zu tasten oder sogleich anzuhalten, um zu dem erstmöglichen Zeitpunkt nach rechts zu schauen. Hätte er dies getan, habe er den Kläger auf seinem Rad erkennen und den Unfall verhindern können.
Die Schmerzen bestünden immer noch fort und angesichts der aufgetretenen Brüche seien Komplikationen oder Beschwerden auch in Zukunft möglich.
Der Kläger verlangt die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes.
Er beantragt,
1. 1.
den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.9.2012 zu zahlen,
2. 2.
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm jeglichen weiteren unfallbedingten Schaden aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 17.5.2012 i. H. v. 50 % zu ersetzen, soweit dieser nicht bereits kraft gesetzlichen Forderungsübergangs auf Dritte übergegangen ist oder übergehen wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, der Beklagte sei langsam auf den Gehweg zugerollt. Er habe zunächst nach links geschaut. Unmittelbar als die Sicht für ihn frei gewesen sei, habe er nach rechts geschaut, dann sei es jedoch schon zu dem Unfall gekommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Der Zulässigkeit des Feststellungsantrags steht nicht entgegen, dass das rechtliche Interesse des Klägers fraglich ist. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO grundsätzlich erforderliche Feststellungsinteresse ist nämlich nur zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung für begründete, nicht aber für unbegründete Feststellungsklagen. Es reicht nach der Lehre der so genannten qualifizierten Prozessvoraussetzungen bei unbegründeten Feststellungsklagen aus, dass der Kläger sein rechtliches Interesse schlüssig vorträgt. Vorliegend hat der Kläger schlüssig vorgetragen, dass er noch unter Schmerzen leide und weiterhin mit Komplikationen seiner Verletzungen zu rechnen sei.
II.
Die Klage ist unbegründet.
1.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch aus keiner Anspruchsgrundlage zu. Ein solcher konnte sich insbesondere nicht aus den §§ 7 Absatz 1, 18 Absatz 1, 9, 11 Abs. 2 StVG, 115 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, Satz 4 VVG; 823 Absatz 1, 253 Abs. 2 BGB ergeben.
Die vom Kläger behaupteten Schäden wurden nicht durch höhere Gewalt verursacht, § 7 Absatz 2 StVG. Denn es liegt kein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder Handlung dritter, betriebsfremder Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis vor, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet werden konnte (BGH, NJW-RR 2008, 764 [BGH 27.11.2007 - VI ZR 210/06]).
Es kann jedoch dahinstehen, ob die Kollision für den Beklagten im Sinne des §§ 17 Abs. 3 StVG unvermeidbar war. Denn jedenfalls wiegt der Verkehrsverstoß des Klägers so schwer, dass eine etwaige Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs dahinter zurücktritt (so auch LG Berlin, Urt. v. 10.05.2011 - 41 O 41/11; OLG Hamm, Urt. v. 31.10.1994 - 27 U 153/93).
Im Verhältnis der Parteien zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gem. § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Für das Maß der Verursachung ist ausschlaggebend, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Umstand allgemein geeignet ist, Schäden der vorliegenden Art herbeizuführen. Hierbei richtet sich die Schadensverteilung auch nach dem Grad eines etwaigen Verschuldens eines Beteiligten. Im Rahmen dieser Abwägung können zu Lasten einer Partei jedoch nur solche Umstände berücksichtigt werden, die als unfallursächlich feststehen, mithin nur solche Umstände, die ein Verschulden des Fahrzeugführers oder eine Erhöhung der Betriebsgefahr begründen, wenn diese unstreitig oder von der jeweils anderen Partei konkret bewiesen und erwiesenermaßen ursächlich für den Unfall oder den Schaden geworden sind (BGH, NJW 2006, 896 [BGH 13.12.2005 - VI ZR 68/04]; 1982, 1149). Daraus ergibt sich hier Folgendes:
Der Kläger befuhr mit ihrem Fahrrad den Gehweg. Damit verstieß er gegen § 2 Abs. 4 StVO. Nach dieser Bestimmung müssen Radfahrer, wenn Radwege vorhanden sind, diese benutzen, ansonsten haben sie die Fahrbahn zu benutzen. Lediglich Kinder bis zum vollendeten 8. Lebensjahr müssen, ältere Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen (§ 2 Abs. 5 StVO). Ein Verschulden des Beklagten an dem Zustandekommen des Unfalles hat nicht mitgewirkt, der Beklagte durfte darauf vertrauen, dass der Kläger sich vorschriftengemäß verhalten würde (sogenannter Vertrauensgrundsatz). Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Beklagte sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen könnte, weil er sich selbst verkehrswidrig verhalten hätte. Das wäre dann anzunehmen, wenn der Beklagte bei dem Auffahren auf den Gehweg den Kläger hätte erkennen und rechtzeitig abbremsen können. Entsprechendes konnte er jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts beweisen. Den Nachweis dafür, dass der Beklagte sich nicht vorsichtig auf den Gehweg vorgetastet hat, nämlich nicht zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt nach rechts geschaut hat, hat der Kläger nicht führen können. Vielmehr ist das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung nach der Anhörung des Beklagten zu der Überzeugung gelangt, dass dieser die erforderlichen Sorgfaltsanforderungen beachtet hat. Er hat bekundet, dass er langsam auf die Ausfahrt zugerollt sei. Er habe zunächst nach links geschaut, da ihm die Sicht nach rechts durch die Hecke versperrt gewesen sei. Als er dann die freie Sicht auf den Weg gehabt habe, habe er nach rechts geschaut, dann sei es jedoch schon zu der Kollision gekommen. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte, dieser Schilderung keinen Glauben zu schenken. Der Beklagte konnte sich an seine Fahrweise erinnern und hat diese glaubhaft wiedergegeben. Der Kläger selbst konnte hierzu hingegen keinerlei Angaben machen, da er bekundet hat, das Beklagtenfahrzeug erst unmittelbar vor der Kollision wahrgenommen zu haben.
Auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens war gem. § 244 Abs. 4 StPO analog nicht angezeigt, da insoweit auszuschließen ist, dass der Kläger den Beweis damit führen kann. Es fehlt bereits an den erforderlichen Anknüpfungstatsachen, insbesondere die Endstellung des Beklagtenfahrzeugs nach der Kollision. Der Beklagte hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung unbestritten vorgetragen, dass die Fahrzeugposition seines PKWs, so wie sie auf den Lichtbildern in der Ermittlungsakte ersichtlich ist, nicht die Endstellung unmittelbar nach der Kollision darstelle. Ebenso wenig ist unklar, wo der Kläger unmittelbar nach der Kollision gelegen hat. Zwar konnte der Beklagte dies im Rahmen der mündlichen Verhandlung ungefähr angeben, für eine Rekonstruktion des Unfallhergangs, insbesondere der Überprüfung der klägerischen Behauptung, der Beklagte habe zu einem früheren Zeitpunkt nach rechts schauen können und den Kläger rechtzeitig erkennen können, ist dies jedoch nicht ausreichend.
Es lagen auch keine besonderen Umstände vor, aus denen sich für den Beklagten zu 1) die Gefahr falschen Verhaltens anderer Verkehrsteilnehmer ergab. Das Gericht verkennt nicht, dass im Bereich von Ein- und Ausfahren unerlaubt den Gehweg benutzende Radfahrer anzutreffen sind, so dass eine Mithaftung des Kraftfahrers aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr seines Fahrzeuges in Betracht kommen kann. Im vorliegenden Fall steht einer möglichen Mithaftung des Beklagten aus der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr entgegen, dass der Kläger der weitere Verkehrsverstoß anzulasten ist, dass er den Gehweg auf der linken Fahrbahnseite und damit entgegen der Fahrtrichtung benutzt hat und nicht den sich auf der gegenüber liegenden Seite liegenden ausgewiesenen Radfahrweg. Insgesamt macht dies den Pflichtenverstoß des Klägers so gravierend, dass demgegenüber eine Mithaftung des Beklagten aus der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr nicht in Betracht kommt.
In Ermangelung des Bestehens des Zahlungsanspruchs kann der Kläger auch die Zahlung von Zinsen nicht verlangen.
2.
aus der Unbegründetheit des Klageantrags zu 1) folgt auf die Unbegründetheit des Klageantrags zu 2).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf Paragraph §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
III.
Der Streitwert wird auf 3.500 EUR festgesetzt.


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