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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Bewährungsaussetzung, BtMG, unterbliebene Anhörung des Verurteilten, Therapieeinrichtung

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 07.06.2013 – 4 Ws 64/13

Leitsatz: Hat das Gericht des ersten Rechtszuges die Entscheidung über die (Nicht-) Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 36 Abs. 1 und 2 BtMG ohne die nach § 36 Abs. 5 Satz 2 BtMG erforderliche Anhörung sowohl des Verurteilten als auch der behandelnden Personen oder Einrichtungen getroffen, so ist dieser Aufklärungsmangel in der Regel von einem solchen Gewicht, dass auf die sofortige Beschwerde hin die Zurückverweisung an die Vorinstanz geboten ist.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
4 Ws 64/13141 AR 270/13

In der Strafsache gegen pp.
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 07.06.2013 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der unter dem unzutreffenden Aktenzeichen (524) 95 Js 127/04 (29208) V (50/03) ergangene Beschluss des Landgerichts Berlin vom 10. April 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.



G r ü n d e :

Das Landgericht Berlin – Jugendkammer – hat gegen den Verurteilten am 11. September 2003 wegen schweren Bandendiebstahls in 27 Fällen, versuch-ten schweren Bandendiebstahls, Computerbetruges in drei Fällen sowie Wider-standes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperver-letzung unter Einbeziehung einer Vorverurteilung eine Jugendstrafe von vier Jahren verhängt. Das Urteil ist seit dem 13. Mai 2004 rechtskräftig. Die Ju-gendstrafe wurde unter Anrechnung von knapp sieben Monaten Untersu-chungshaft (14. Februar bis 11. September 2003) seit dem 30. August 2004 zunächst in der Jugendstrafanstalt, sodann – nach Herausnahme des Verurteil-ten aus dem Jugendstrafvollzug durch Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 29. Dezember 2004 – in den Justizvollzugsanstalten Moabit und Tegel vollzogen. Am 14. März 2006 wurde die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Vollstreckung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus einer anderen Verurteilung unterbrochen.

Mit Beschluss vom 4. Juli 2007 stimmte die Jugendkammer der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 und 3 BtMG zu und erklärte die vom Verurteilten nachgewiesene Therapiezeit gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG nach einem näher bezeichneten Maßstab für anrechnungsfähig. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte mit Verfügung vom 6. Juli 2007 die Vollstre-ckung der Restfreiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG ab dem 9. Juli 2007 bis zum 8. Januar 2009 für die Behandlung in der Therapieeinrichtung N zurück. Der Verurteilte wurde am 9. Juli 2007 aus dem Maßregelvollzug entlassen, trat die vorgesehene Therapie an und beendete diese am 6. Mai 2008 (zunächst) er-folgreich.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Jugendkammer den Antrag des Ver-urteilten aus dem Jahre 2008, die Vollstreckung der Reststrafe gemäß § 36 Abs. 2 BtMG zur Bewährung auszusetzen, abgelehnt. Die hiergegen zulässig (§ 36 Abs. 5 Satz 3 BtMG) erhobene sofortige Beschwerde hat (vorläufigen) Erfolg.

Der Beschluss der Jugendkammer leidet unter erheblichen Verfahrensmän-geln, die zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückgabe der Sache an das Landgericht nötigen.

1. Die Jugendkammer war zwar entgegen der Auffassung der Generalstaats-anwaltschaft als Gericht des ersten Rechtszuges gemäß § 36 Abs. 5 Satz 1 BtMG für die Entscheidung über die Aussetzung des Restes der Jugendstrafe zuständig. Die Regelung des § 36 Abs. 5 Satz 1 BtMG geht als lex specialis den allgemeinen Regeln, insbesondere auch den sich aus §§ 454b Abs. 3, 462a Abs. 4 StPO ergebenden Konzentrationsvorschriften, vor (vgl. KG, 2. Strafsenat, Beschluss vom 4. Juni 2013 – 2 Ws 224/13 – in dem den Verur-teilten betreffenden Parallelverfahren 95 Js 127/04 mit zahlreichen weiteren Nachweisen unter Aufgabe der im Beschluss vom 15. Juni 2012 – 2 Ws 239/12 – obiter dictum vertretenen Gegenauffassung).

2. Jedoch hat die Jugendkammer versäumt, vor ihrer Entscheidung den Verur-teilten und die behandelnden Personen oder Einrichtungen anzuhören (§ 36 Abs. 5 Satz 2 BtMG) und hierdurch den Sachverhalt hinreichend aufzuklären.

a) Von der Verpflichtung, die behandelnden Personen oder Einrichtungen an-zuhören, war die Jugendkammer nicht deshalb befreit, weil ihr der Therapieab-schlussbericht von N vom 7. Mai 2008 vorlag. Mit diesem durfte sie sich nicht begnügen. Denn bei einem Wechsel eines Therapeuten nach Beendigung der Therapie oder weiteren therapeutischen Bemühungen des Verurteilten er-streckt sich die Anhörungspflicht auch auf die für die weitere Behandlung Ver-antwortlichen (vgl. OLG Dresden NStZ 2006, 458; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 7. November 2002 – 1 Ws 323/02 – [juris]). Der Jugendkammer, die von der Staatsanwaltschaft – soweit aus den dem Senat vorliegenden Akten er-sichtlich – aus nicht erkennbaren Gründen erst im Juni 2011 erstmals mit dem Antrag auf Reststrafenaussetzung befasst wurde und ihre Entscheidung zu diesem Zeitpunkt auf Grund offener neuer Verfahren zu Recht zurückstellte, war bei Erlass der angefochtenen Entscheidung aus den Akten bekannt, dass der Verurteilte sich nach dem zur Begründung der Versagung der Aussetzung herangezogenen Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 11. Januar 2012 er-neut in Therapie bei N begeben haben soll (Vermerke der Staatsanwaltschaft vom 15. Mai und 31. Oktober 2012). Dies hätte ihr Anlass sein müssen, diese Therapieeinrichtung zur weiteren Entwicklung des Verurteilten anzuhören.

b) Ebenso hätte die Jugendkammer zwingend den Verurteilten selbst – wenn auch anders als im Verfahren der Reststrafenaussetzung nach § 454 Abs. 1 StPO nicht notwendig mündlich – zu der von ihr beabsichtigten Entscheidung anhören müssen, um sich ein unmittelbares und aktuelles Bild von seiner Situa-tion zu verschaffen. Da sich diese Verpflichtung schon aus § 36 Abs. 5 Satz 1 BtMG ergibt, bedarf es keiner weiteren Erörterung, dass auch der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör geboten hätte, ihn zum Antrag der Staatsanwaltschaft und den zu seinem Nachteil verwerteten Erkenntnissen an-zuhören.

c) Die Aufklärungsmängel sind von einem solchen Gewicht, dass der Senat es für geboten hält, von der ihm gegebenen Möglichkeit zu eigenen Ermittlungen (§ 308 Abs. 2 StPO) keinen Gebrauch zu machen und abweichend von § 309 Abs. 2 StPO nicht selbst in der Sache zu befinden, sondern diese zur Durch-führung der notwendigen Sachaufklärung und erneuter Entscheidung – auch über die Kosten der sofortigen Beschwerde – an das Landgericht zurückzuver-weisen (vgl. OLG Hamm StV 2000, 40; KG, Beschluss vom 15. März 2001, 5 Ws 832/00 –; OLG Dresden aaO.; OLG Karlsruhe aaO.).

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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