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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, abstruse politische Äußerungen

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Sigmaringen, Beschl. v. 27.11.2012, 4 K 3172/12

Leitsatz: Allein aus politischen Äußerungen des Betroffenen gegenüber Behörden können sich grundsätzlich keine Bedenken gegen seine körperliche oder geistige Fahreignung im Sinne des § 11 Abs. 2 FeV ergeben. Dies gilt auch dann, wenn die politischen Äußerungen unausgegoren, abwegig und abstrus erscheinen.


In der Verwaltungsrechtssache
- Antragsteller -
gegen
Land Baden-Württemberg,
vertreten durch das Landratsamt Ravensburg,
Friedenstraße 6, 88212 Ravensburg,
- Antragsgegner -
wegen Entziehung der Fahrerlaubnis,
hier: Prozesskostenhilfe und Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO
hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen - 4. Kammer - durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht xxx
den Richter am Verwaltungsgericht xxx
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht xxx
am 27. November 2012
beschlossen:


Tenor:

Der Prozesskostenhilfeantrag wird abgelehnt.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17. Oktober 2012 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 20. September 2012 wird wiederhergestellt beziehungsweise angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 8.750,00 EUR festgesetzt.


Gründe

I.

Der Antragsteller setzt sich gegen die sofortige Vollziehung einer Fahrerlaubnisentziehung zur Wehr.

Der am xx.x.xxxx in xxx xxxxxxx, N., geborene Antragsteller verfügt seit 1965 über eine Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3. Auf die 1969 zusätzlich erworbene Fahrerlaubnis Klasse 2 hat er am x.xx.xxxx verzichtet.

Der Antragsteller ist verkehrsrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Am 4.1.2007 verursachte er nach dem Inhalt der vorgelegten Akte einen Unfall, wobei er die durch Vorfahrtsregelung (Zeichen 205/206) angeordnete Vorfahrt missachtete.

2. Am 6.9.2007 fuhr er innerorts in R. um 8 km/h zu schnell und erhielt deswegen vom Rechts- und Ordnungsamt der Stadt R. eine schriftliche Verwarnung mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 15,- EUR.

3. Im Januar 2011 überklebte er am Kennzeichen seines PKW Daimler-Chrysler xx-xx xxxx das Euro-Feld mit Sternenkranz und Erkennungsbuchstaben "D" mit einem schwarz-weiß-roten Aufkleber, um den Eindruck zu erwecken, das Kennzeichen sei von einer nicht existenten Zulassungsbehörde einer Organisation "Bürger des (2.) Deutschen Reichs" ausgegeben worden, der er sich zugehörig fühlt. Diese Tat wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Ravensburg vom xx.x.xxxx, xx xx xx xxxx/xx, als Urkundenfälschung mit einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 30 EUR geahndet.

4. Am 16.10.2012 fuhr er mit seinem dreirädrigen Kleinkraftrad APE, Versicherungskennzeichen xxx-xxx, obwohl ihm mit sofort vollziehbarer Verfügung des Landratsamts Ravensburg vom 20.9.2012, ihm zugestellt am 24.9.2012, die Fahrerlaubnis entzogen worden war. Dies wurde anlässlich einer Polizeikontrolle festgestellt und unter dem Aktenzeichen xxx/xxxxxxx/xxxx wegen Fahrens ohne Fahranzeige zur Strafanzeige gebracht.

Weiter ist der Antragsteller wie folgt aufgefallen:

a. Er teilte der Stadt R., Bußgeldstelle, am 8.11.2007 schriftlich mit, er bezahle das wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung von ihm erpresste Verwarnungsgeld letztmalig. Die Vorgehensweise der Stadt verletze ihn in seinen Menschenrechten, weil er hierdurch durch einen Nichtstaat, wie die sogenannte BRD einer sei, verfolgt werde. Diesem Schreiben waren ein weiteres Schreiben des Antragstellers an das Rechts- und Ordnungsamt und ein vierseitiger Anhang beigefügt. Die darin enthaltenen Betrachtungen zu komplexen staats- und völkerrechtlichen Fragestellungen, kommen zusammengefasst zum Ergebnis, dass die BRD rechtlich nicht existiert, dass ihre Gesetze ungültig und nichtig sind, dass sie dem Antragsteller gegenüber keine Hoheitsgewalt hat und dass er nicht Staatsbürger der BRD, sondern des Deutschen Reiches ist. Die Stadt leitete das Schreiben an die Fahrerlaubnisbehörde beim Landratsamt R. weiter, mit der Bitte, die Fahreignung zu überprüfen.

b. Am 27.8.2012 überreichte der Antragsteller der Sachbearbeiterin im Rathaus seiner Wohngemeinde eine Urkunde, mit der er erklärte, die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland vermutlich nicht zu besitzen. Seine wahrhaftige Staatsangehörigkeit sei die des Freistaats Preußen. Er verlange daher von der Staatsangehörigkeitsbehörde die Feststellung, dass bei ihm die Staatsangehörigkeit "Deutsch" nicht bestehe. Die Sachbearbeiterin leitete die "Urkunde" weiter an die Fahrerlaubnisbehörde und bat um Überprüfung der Fahreignung.

Das Landratsamt R., Verkehrsamt, ordnete mit Schreiben vom 12.9.2012, zugestellt am 15.9.2012, unter Bezugnahme auf die Erklärung zur Staatsangehörigkeit vom 27.8.2012 die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens bei einem Arzt für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Zusatzqualifikation bis zum 15.11.2012 an. Die Begutachtung müsse zu der Frage erfolgen: Liegt eine Erkrankung vor, die nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stellt? Ist der Untersuchte (wieder) in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der FE-Klassen A, B, C1E gerecht zu werden?" Zur Begründung wurde auf die Vorgänge am 8.11.2007 und 27.8.2012 verwiesen, bei denen der Antragsteller die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als wirksamer Rechtsstaat bestritten und zum Ausdruck gebracht habe, dass die Bundesrepublik Deutschland ihm gegenüber keine Hoheitsgewalt besitze und ihre Gesetze wegen des Gebots der Rechtssicherheit ungültig und nichtig seien. Der Sachverhalt gebe Anlass zur Annahme, dass beim Antragsteller fahreignungsrelevante Gesundheitsstörungen vorlägen. Die Überprüfung seiner Fahreignung müsse durch das Gutachten erfolgen, zu dem der Antragsteller innerhalb einer Woche seine Einwilligung zu erteilen habe. In einem vergleichbaren Fall habe das Verwaltungsgericht Meiningen mit Urteil vom 8.11.2011 - 2 K 297/11 Me - die Anordnung eines Gutachtens für gerechtfertigt gehalten. Auf die Rechtsfolgen der Verweigerung der Vorlage des Gutachtens nach den § 11 Abs. 8 FeV und die dann drohende Entziehung der Fahrerlaubnis wurde hingewiesen.

Daraufhin meldete sich mit Fax vom 17.9.2012 Herr W. P., der das Ansinnen der Behörde zurückwies. Eine Vollmacht wurde der Behörde nicht vorgelegt.

Mit Verfügung vom 20.9.2012, dem Antragsteller zugestellt am 24.9.2012, entzog das Landratsamt R. dem Antragsteller daraufhin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung seine Fahrerlaubnis der Klassen A, B und C1E (Ziffer 1 und 4). Weiter wurde der Antragsteller zur Abgabe seines Führerscheins verpflichtet (Ziffer 2). Für den Fall der Verweigerung, wurde ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 450 EUR angedroht (Ziffer 3). Zur Begründung wurde auf die Vorgänge vom 8.11.2007 und vom 27.8.2012 und auf die Verweigerung der Gutachtensvorlage verwiesen. Die geäußerten Theorien zum Rechtscharakter der Bundesrepublik Deutschland gäben Anlass zur Annahme, dass beim Antragsteller fahreignungsrelevante Gesundheitsstörungen vorlägen. Auch sei zu befürchten, dass der Antragsteller Verkehrsregeln missachten werde, nachdem er die Vorschriften des Straßenverkehrs nicht anerkenne. Die von Herrn P. in seinem Schreiben vom 17.9.2012 geäußerten Rechtsansichten verstärkten die Eignungsbedenken. Durch Verweigerung der Mitwirkung an der Aufklärung habe der Antragsteller die Einsicht, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Belangen vorgehe, vermissen lassen. Die bisherigen Zweifel an seiner Eignung hätten sich durch seine Uneinsichtigkeit zur Annahme einer Gefährdung der Verkehrssicherheit verdichtet.

Am 25.9.2012 ging beim Landratsamt R. ein weiteres ausführliches Telefaxschreiben zum Verfahren des Antragstellers ein, mit dem der Entzug der Fahrerlaubnis zurückgewiesen wurde. Weitere Schreiben gingen bei der Behörde am 5.10.2012 und am 7.10.2012 ein. Vollmachten wurden jeweils nicht vorgelegt.

Am 10.10.2012 erging ein Bußgeldbescheid des Landratsamts R. wegen Nichtabgabe des Führerscheins.

Am 16.10.2012 händigte der Antragsteller seinen Führerschein der Polizei aus, die ihn der Fahrerlaubnisbehörde übersandte.

Am 17.10.2012 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen die Fahrerlaubnisentziehung und den Bußgeldbescheid vom 10.10.2012.

Am 17.10.2012 hat der Antragsteller auch den vorliegenden Eilantrag gestellt und hierfür am 7.11.2011 Prozesskostenhilfe beantragt. Der ihm daraufhin zugesandte Vordruck für die Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen wurde in der gesetzten Frist bis 20.11.2012 nicht an das Gericht zurückgesandt. Zur Begründung führt der Antragsteller aus, er anerkenne die Wiener Straßenverkehrskonvention, so dass das Landratsamt nicht besorgt sein müsse, dass er Verkehrsregelungen nicht beachte. Er besitze die Fahrerlaubnis seit 1965 und sei im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit in manchem Jahr mehr als 100.000 km gefahren. Seine Fahreignung stehe daher außer Frage. Er frage sich, was politische Meinungsverschiedenheiten mit fahreignungsrelevanten Gesundheitsstörungen zu tun hätten. Seine Meinungsfreiheit sei durch das Grundgesetz geschützt. Die Logik verbiete es, von politischen Meinungen auf Hinweise auf eine fehlende Fahreignung zu schließen.

Der Antragsteller beantragt (sachdienlich gefasst),


die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 17. Oktober 2012 gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 20. September 2012 wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen und ihm für das vorliegenden Verfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,


den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung werden die Ausführungen in der Anordnung und im Bescheid wiederholt. Zusätzlich wird ausgeführt, für den Antragsteller sei mehrfach ausgeführt worden, dass er die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkenne. Weiter wird auf das laufende Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und auf die mit Strafbefehl vom 16.5.2011 geahndete Urkundenfälschung vom Januar 2011 verwiesen.

Dem Gericht hat die Behördenakte des Landratsamts R. vorgelegen; bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf deren Inhalt und die Ausführungen der Beteiligten in ihren Schriftsätzen verwiesen.

II.

1. Der Eilantrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig und begründet und hat deswegen Erfolg.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Regelung in Ziffer 1 der streitgegenständlichen Verfügung vom 20.9.2012 ist formell ordnungsgemäß erfolgt. Die Ausführungen im Bescheid genügen den gesetzlichen Anforderungen an die nach § 80 Abs. 3 VwGO erforderliche schriftliche Begründung. Sie wiederholen nicht lediglich den Gesetzeswortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und setzen sich konkret mit dem angestrebten Ziel, nämlich die durch den Antragsteller drohende Gefährdung des Straßenverkehrs zu vermeiden, auseinander.

Bei der vom Gericht zu treffenden eigenen Entscheidung über die Frage der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs sind die privaten Interessen des Antragstellers an der Verschonung vom Vollzug des Verwaltungsakts bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel und das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Vollzug gegeneinander abzuwägen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet bzw. wiederhergestellt werden soll, ein wesentliches Kriterium. Erweist sich der Rechtsbehelf als wahrscheinlich erfolgreich, so dürfte regelmäßig dem privaten Interesse an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Vorrang zukommen. So verhält es sich hier.

a. Fahrerlaubnisentziehung

Der Widerspruch des Antragstellers vom 17.10.2012 wird wohl Erfolg haben, weil die streitgegenständliche Fahrerlaubnisentziehung sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird.

Die Rechtsgrundlage findet sich in § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 3 FeV. Nach diesen Bestimmungen hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeugs begründen, hat die Fahrerlaubnisbehörde unter den in §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen durch die Anordnung der Vorlage von ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachten die Eignungszweifel aufzuklären (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

Der Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.7.2001 - 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78; BVerwG, Urteil vom 9.6.2005 - 3 C 25.04 -, NJW 2005, 3081; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 30.6.2011, - 10 S 2785/10 -, [...]; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.6.2002 - 10 S 985/02 -, VBlBW 2002, 441 m.w.N.). In formeller Hinsicht muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein, und der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist, und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Nur unter diesen Voraussetzungen ist es sachgerecht, bei einer unberechtigten Weigerung ohne weitere vertiefte Ermittlungen die Schlussfolgerung zu ziehen, der Betroffene habe "gute Gründe" für seine Weigerung, weil eine Begutachtung seine bislang nur vermutete Ungeeignetheit aufdecken und belegen würde. In materieller Hinsicht ist eine Gutachtensaufforderung nur rechtmäßig, wenn - erstens - aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des betroffenen Kraftfahrers bestehen und - zweitens - die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären. Hiernach muss sich die Anforderung eines Gutachtens auf solche Mängel beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten werde, was es auf der anderen Seite ausschließt, jeden Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, als hinreichenden Grund für die Anforderung eines Gutachtens anzusehen (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993 - 1 BvR 689/92 - BVerfGE 89, 69; BVerwG, Urt. v. 05.07.2001 - 3 C 13/01 - [...]).

Die Anordnung muss aufgrund der darin gemachten Angaben und aus sich heraus den Betroffenen in die Lage versetzen, einzuschätzen, ob ein begründeter Anlass für die Gutachtensanforderung besteht. Das spätere Auswechseln der Begründung für die Anordnung des Gutachtens ist daher nicht zulässig. Eine rechtswidrige Aufforderung zur Gutachtensbeibringung kann auch nicht dadurch gleichsam geheilt werden, dass die Behörde nachträgliche Umstände darlegt, die Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung hätten geben können (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.7.2001 - 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.2.2010 - 10 S 221/09 -, [...]).

Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung des zugrundeliegenden Anfechtungsbegehrens ist bezüglich der streitgegenständlichen Fahrerlaubnisentziehung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, nachdem eine Entscheidung im Widerspruchsverfahren bislang nicht ergangen ist.

Nach diesen Grundsätzen dürfte es im vorliegenden Fall voraussichtlich an der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung vom 12.9.2012 fehlen, weil die darin dem Antragsteller mitgeteilten Tatsachen für die Annahme von begründeten Bedenken gegen seine gesundheitliche Fahreignung nicht ausreichen. Die Nichtvorlage des Gutachtens dürfte berechtigt gewesen sein und daher keine Rückschlüsse auf die fehlende Kraftfahreignung des Antragstellers zulassen.

Der Antragsgegner hat seine Gutachtensanforderung vom 12.9.2012, wie übrigens auch die Entziehungsverfügung vom 20.9.2012, ausschließlich auf die Vorgänge vom 8.11.2007 und vom 27.8.2012 gestützt, also auf die schriftlichen Erklärungen gegenüber der Stadt R. und der Gemeinde Sch.. In der Anordnung geht der Antragsgegner ausdrücklich davon aus, die von ihm zitierten Aussagen des Antragstellers, dass die "so genannte BRD ihm gegenüber keine Hoheitsgewalt besitze" und dass "die Gesetze der "BRD" wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rechtssicherheit ungültig und nichtig seien" gäben Anlass zur Annahme, dass beim Antragsteller fahreignungsrelevante Gesundheitsstörungen vorlägen, was durch ein Gutachten eines Arztes für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation zu überprüfen sei.

Damit dürften in der Anordnung voraussichtlich keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte benannt sein, aus denen sich im Sinne des § 11 Abs. 2 FeV berechtigte, für den Antragsteller nachvollziehbare Zweifel an seiner Kraftfahreignung ergeben. Die Anordnung bezieht sich auf politische Meinungsäußerungen und damit nicht auf Mängel, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten wird. Die in den Schreiben vom 8.11.2007 und 27.8.2012 zum Ausdruck gebrachten, rechtlichen und politischen Ansichten geben auch keinen hinreichenden Anlass zur Annahme, dass der Verfasser an einer seine Fahreignung ausschließenden Geisteskrankheit leiden oder aus sonstigen, insbesondere charakterlichen Gründen nicht mehr zur Befolgung von Verkehrsregeln in der Lage sein könnte. Ein hinreichender Zusammenhang mit verkehrsrechtlichen Vorgängen, nach dem eine andere Beurteilung angezeigt sein könnte, liegt nach den dem Antragsteller in der Anordnung mitgeteilten und die Anordnung ausschließlich begründenden Umständen nicht vor. Die Einordnung der vom Antragsteller zu seiner Rechtsverteidigung in den beiden bei der Stadt R. und bei der Gemeinde Sch. durchgeführten Verwaltungsverfahren vorgetragenen rechtlichen und politischen Ansichten erscheint schwierig. Die Ansichten können sowohl Ausdruck einer rechtsradikalen staatsfeindlichen Gesinnung sein (was der Antragsteller für sich bestreitet) als auch Ausdruck eines gestörten Verhältnisses zum Staat und seinen Einrichtungen und insofern lediglich argumentatives Mittel zum querulatorischen Zweck. Die Ansichten mögen unausgegoren, abwegig und abstrus erscheinen. Sie stellen aber ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte kein hinreichendes Indiz für das Vorliegen hirnorganischer oder sonstiger psychiatrischer Störungen oder charakterlicher Mängel dar. Das gilt erst recht, wenn sich der Antragsteller die These von der angeblich "rechtlich nicht existenten BRD" nur zu eigen macht, um sich in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren lästigen (Zahlungs-) Pflichten zu entziehen, wofür hier einiges spricht (vgl. zur Funktion und Verbreitung im Internet die Zusammenstellung von Frank Schmidt im Beitrag Häufige Fragen zu Kommissarischen Reichsregierungen, http://www.krr-faq.net/ pdf/idgr.pdf, Stand 27.11.2012).

Eine nachträgliche Heilung der danach rechtswidrigen Gutachtensanordnung ist nicht möglich. Daher kann dahinstehen, ob die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zusätzlich erlangten Erkenntnisse über die verkehrsrechtlichen Auffälligkeiten des Antragstellers (Unfall vom 4.1.2007, Urkundenfälschung vom Januar 2011 und - möglicherweise - Fahren ohne Fahrerlaubnis am 16.10.2012) durch Erwähnung in der Antragserwiderung als Begründung für die Gutachtensanordnung nachgeschoben wurden. Denn eine solches Nachschieben von Gründen wäre nicht geeignet, die rechtswidrige Anordnung zu heilen. Ebenfalls dahinstehen kann, ob die für die Gutachtensanordnung gewählte Fragestellung im Hinblick auf den Anlass und die danach zu prüfenden Störungen hinreichend konkret ist.

Mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Gutachtensanordnung entfällt voraussichtlich die rechtliche Grundlage für die streitgegenständliche Fahrerlaubnisentziehung. Die Behörde durfte wegen der berechtigten Verweigerung der Begutachtung nicht von einer Nichteignung des Antragstellers gemäß § 11 Abs. 8 FeV ausgehen. Die Fahrerlaubnis erweist sich dabei auch nicht aus anderen Gründen als rechtmäßig. Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren festgestellten verkehrsrechtlichen und sonstigen Auffälligkeiten des Antragstellers können, soweit sie verwertbar sind (vgl. im Hinblick auf den Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis: § 3 Abs. 3 StVG) ohne fachärztliche Begutachtung ein Fehlen der Kraftfahreignung nicht begründen. Das Gericht schließt sich dabei der vom Antragsgegner im gerichtlichen Verfahren vorgenommenen Deutung der schriftlichen Aussagen des Antragstellers nicht an. Der Antragsgegner nimmt den Antragsteller sozusagen beim Wort und schlussfolgert, weil der Antragsteller die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland und die Gültigkeit ihrer Gesetze bestreite, sei zu befürchten, dass sich der Antragsteller nicht an die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Straßenverkehrsregeln halten werde. Diese Annahme erscheint dem Gericht zu spekulativ. Sie widerspricht den Einlassungen des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren und dem bisher festgestellten Verhalten des Antragstellers im Straßenverkehr, das nur zu einer Eintragung wegen der Urkundenfälschung geführt hat. Im Übrigen hätte der Antragsgegner die Fahrerlaubnis ohne Anordnung einer Begutachtung entziehen müssen, wenn er von seiner Einschätzung überzeugt gewesen wäre. Denn dann stünde bereits aufgrund der schriftlichen Aussagen vom 8.11.2007 und 27.8.2012 fest, dass beim Antragsteller keine Kraftfahreignung besteht, weil er nicht bereit ist, die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Verkehrsregeln zu befolgen.

Damit dürfte die Fahrerlaubnisentziehung rechtswidrig und in der Folge dem hiergegen gerichteten Widerspruch stattzugeben sein.

Hiergegen kann der Antragsgegner nicht mit Erfolg einwenden, das Verwaltungsgericht Meiningen habe in einem vergleichbaren Fall einen Eilantrag abgelehnt, weil es davon ausgegangen sei, Meinungsäußerungen über die Nichtexistenz der Bundesrepublik Deutschland und die Ungültigkeit von Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland seien ein ausreichender Anlass für die Anordnung eines Fahreignungsgutachtens. Der vom Verwaltungsgericht Meiningen mit Urteil vom 8.11.2011 - 2 K 297/11 Me - entschiedene Fall ist keineswegs vergleichbar. Dort lagen der Behörde amtsgerichtliche Feststellungen aus einer mündlichen Verhandlung in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren vor. In dieser Verhandlung hatte der Kläger die Ernsthaftigkeit seiner Ansichten betont. Aufgrund der richterlichen Anhörung konnten durch den Amtsrichter bestehende Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Klägers nicht ausgeräumt werden konnten. Dies wurde protokolliert und der Fahrerlaubnisbehörde mitgeteilt. Wegen der besonderen Sachkunde des Amtsrichters ging das Verwaltungsgericht Meiningen davon aus, dass die Mitteilung über den Sitzungsverlauf und den hierbei gewonnenen Eindruck einen hinreichenden Anlass für die Anordnung eines Fahreignungsgutachtens dargestellt habe. Ein hiermit vergleichbarer Sachverhalt liegt beim Antragsteller nicht vor. Von einem Gespräch mit dem Antragsteller und der Beiziehung eines Auszugs aus dem Verkehrszentralregister vor dem Erlass der Gutachtensanordnung hat die Behörde abgesehen. Nähere Erkenntnisse über die Beweggründe des Antragstellers, die Ernsthaftigkeit seiner Äußerungen und mögliche Auswirkungen auf sein Verhalten im Straßenverkehr lagen ihr daher nicht vor und konnten damit auch nicht zum Gegenstand der Begründung der Gutachtensanordnung gemacht werden.

Der Antragsgegner kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass weiteren zur Behördenakte gelangten schriftlichen Äußerungen zu entnehmen sei, dass der Antragsteller straßenverkehrsrechtliche Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkenne. Welche Aussagen vom Antragsteller stammen und ihm zuzurechnen sind, ergibt sich aus der Behördenakte nicht mit der erforderlichen Sicherheit. Klärende Nachfragen sind nicht erfolgt. Dem Gericht ist es daher im summarischen Verfahren nicht möglich, die Schreiben vom 17. und 25.9. sowie vom 5. und 7.10.2012 dem Antragsteller zuzurechnen. Die Urheber der Schreiben sind zum Teil bereits nicht erkennbar. Vollmachten des Antragstellers wurden von den Urhebern nicht vorgelegt und von der Behörde auch nicht verlangt. Gleichwohl ging die Behörde davon aus, dass Herr W. P. mit Fax vom 17.9.2012 für den Antragsteller die Vorlage des Gutachtens verweigert hat und entzog daraufhin die Fahrerlaubnis. Weiter rechnete die Behörde dem Antragsteller ohne weitere Klärung ein Schreiben vom 7.10.2012 zu und ging davon aus, dass er damit Widerspruch erhoben habe, was der Antragsteller bestreitet. Wird dies berücksichtigt, dürfte beim derzeitigen Stand die Zurechnung von Aussagen in weiteren zur Behördenakte gelangten schriftlichen Äußerungen wohl kaum zulässig sein. Hinzu kommt, dass eine Heilung einer fehlerhaften Gutachtensanordnung durch Nachschieben von Gründen - wie bereits oben ausgeführt - ohnehin nicht möglich ist.

Nach alldem dürfte die streitgegenständliche Fahrerlaubnisentziehung rechtswidrig sein und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wird voraussichtlich Erfolg haben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist daher insofern wiederherzustellen.

b. Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins

Die rechtliche Grundlage für die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ist durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis entfallen. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist daher auch insofern wiederherzustellen.

c. Zwangsgeldandrohung

Die rechtliche Grundlage für die Androhung des Zwangsgelds ist durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis entfallen. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist daher insofern anzuordnen.

Der Eilantrag hat nach alldem im vollen Umfang Erfolg.

2. Der Antrag, dem Antragsteller für das vorliegenden Eilverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, bleibt dagegen ohne Erfolg, weil der Antragsteller die hierfür erforderliche Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen trotz Aufforderung des Gerichts in der hierfür gesetzten Frist nicht vorgelegt hat (vgl. § 166 VwGO in Verbindung mit § 117 Abs. 2 ZPO; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.7.2002 - 11 S 843/02 - [...], m.w.N.). Die Feststellung der für eine Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderlichen Bedürftigkeit des Antragstellers ist ohne die Vorlage einer vollständig ausgefüllten und mit entsprechenden Nachweisen versehenen Erklärung nicht möglich.

3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens, weil er unterliegt (vgl. § 154 Abs. 1 VwGO).

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG. In Anlehnung an die Vorschläge in den Nrn. 1.5, 46.1, 46.3, 46.5 und 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichte aus dem Jahr 2004 ist für die Hauptsache ein Streitwert von 17.500 EUR anzusetzen (Entziehung Klasse A: 5.000,- EUR; Klasse B: 5.000,- EUR; Klasse C1: 5.000,- EUR, Klasse E: 2.500,- EUR). Im Eilverfahren wird dieser Wert auf die Hälfte reduziert. Hierdurch ergibt sich der festgesetzte Streitwert in Höhe von 8.750,- EUR.

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