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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidigung, Beiordnungsgründe, Strafbefehlsverfahren, Berufung

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 10. Mai 2012 -2 Ws 194-195/12

Leitsatz: Zu den Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO bei Berufung gegen ein Verwerfungsurteil nach § 412 StPO.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
2 Ws 194-195/12
In der Strafsache gegen
pp.
wegen Geldwäsche
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 10. Mai 2012 beschlossen:
1. Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer XY des Landgerichts Berlin vom 22. Februar 2012 wird verworfen.

2. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss der XY. Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 6. März 2012 wird verworfen.

3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.



G r ü n d e :

Das Amtsgericht Tiergarten verhängte gegen die Beschwerdeführerin mit Strafbefehl vom 22. Dezember 2010 wegen Geldwäsche eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 Euro und ordnete die Einziehung von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 10.000 Euro an. Der Angeklagten wurde zur Last gelegt, am 13. Januar 2010 durch Barabhebung von 9.500 Euro von ihrem Konto über einen Betrag verfügt zu haben, den ihr gesondert verfolgter Ehemann ihr unter unbefugter Inanspruchnahme eines Dispositionskredites zu Lasten eines von ihm unter falschen Personalien eröffneten Kontos überwiesen hatte.

Die Angeklagte legte gegen den Strafbefehl rechtzeitig Einspruch ein und beantragte zugleich die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Nachdem das Amtsgericht die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt und das Landgericht die hiergegen gerichtete Beschwerde der Angeklagten verworfen hatte, beraumte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung an. Die Angeklagte, die weiterhin die Beiordnung eines Verteidigers begehrte, blieb diesem Termin fern und war auch nicht durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten. Daraufhin verwarf das Amtsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl gemäß § 412 StPO mit Urteil vom 14. September 2011, gegen das die Angeklagte (neben einem inzwischen rechtskräftig abgelehnten Wiedereinsetzungsantrag) Berufung einlegte.

1. Den Antrag der Angeklagten auf Bestellung des Rechtsanwaltes Dr. A zu ihrem Verteidiger für das Berufungsverfahren lehnte die geschäftsplanmäßig zuständige Vorsitzende der nunmehr zuständigen Berufungskammer XY mit Beschluss vom 22. Februar 2012 ab. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Angeklagten.

2. Ferner lehnte die Angeklagte die Richterin, die den Beschluss erlassen hatte, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Ablehnung wurde durch Beschluss der XY. Strafkammer vom 29. Februar 2012 in der Besetzung mit der geschäftsplanmäßigen Vertreterin der Vorsitzenden als unbegründet zurückgewiesen. Daraufhin lehnte die Angeklagte diese Richterin am 1. März 2012 wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dieses Ablehnungsgesuch verwarf die abgelehnte Richterin mit Beschluss vom 6. März 2012 gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Angeklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 10. März 2012.

II.

1. Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss vom 22. Februar 2012 ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Sie ist insbesondere nicht durch die Vorschrift des § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen, die auch für Entscheidungen des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts gilt (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2008 – 2 Ws 522/08 -; Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 305 Rn. 3 mit weit. Nachweisen). Denn der angegriffene Beschluss steht in keinem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung, sondern dient unabhängig davon der Sicherung des justizförmigen Verfahrens und hat daher eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung (vgl. KG StV 2010, 63; Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 Ws 612/06 – mit weit. Nachweisen; std. Rspr.).

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Strafkammervorsitzende hat die beantragte Pflichtverteidigerbestellung zu Recht abgelehnt, da die Voraussetzungen des – hier allein in Betracht kommenden - § 140 Abs. 2 StPO nicht gegeben sind.

a) Weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage gebietet die Mitwirkung eines Verteidigers.

aa) Ob eine Pflichtverteidigerbestellung wegen der Schwere der Tat erforderlich ist, richtet sich in erster Linie nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung (vgl. Meyer-Goßner, § 140 StPO Rdnr. 23 mit weit. Nachweisen). Eine Tat ist insbesondere dann regelmäßig als schwer anzusehen, wenn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr (vgl. KG VRS 95, 113; Beschlüsse vom 28. September 2010 – 3 Ws 488/10 - und 17. November 2009 – 3 Ws 619/09 –; std. Rspr.; Meyer-Goßner a.a.O. mit weit. Nachseisen) oder eine gravierende Maßregel der Besserung und Sicherung droht (vgl. Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO 6. Aufl., § 140 Rdn. 21). Neben der im hiesigen Verfahren zu erwartenden strafrechtlichen Sanktion sind auch die weiteren –mittelbaren - Auswirkungen eines Schuldspruchs auf den Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. OLG Brandenburg NJW 2005, 521; KG, Beschlüsse vom 17. November 2009 – 3 Ws 619/09 -, 29. Juni 2009 – (3) 1 Ss 129/09 (77/09) und 9. Juli 2008 – (3) 1 Ss 83/08 (80/08) -; Laufhütte a.a.O.; Meyer-Goßner, § 140 StPO Rdn. 25). Das Ergebnis der Gesamtschau der strafrechtlichen Sanktion und der weiteren Auswirkungen entscheidet darüber, ob die Folgen einer Verurteilung so schwer wiegen, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Daher kann bei Hinzutreten eines sonstigen schwerwiegenden Nachteils auch bei einer Verurteilung zu weniger als einem Jahr Freiheitsentzug die Beiordnung eines Verteidigers geboten sein (vgl. KG, Beschlüsse vom 17. November 2009 – 3 Ws 619/09 –, 10. September 2008 – 3 Ws 263/08 – und 9. Juli 2008 – (3) 1 Ss 83/08 (80/08); OLG Brandenburg a.a.O.).

Danach war die Beiordnung eines Verteidigers hier nicht geboten. Das Amtsgericht hat gegen die Angeklagte lediglich eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 Euro verhängt. Diese Strafe wiegt auch unter Berücksichtigung der zusätzlich angeordneten Einziehung von Wertersatz in Höhe eines Betrages von 10.000 Euro nicht so schwer, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung anzunehmen wäre. Zwar kann die Einziehung wertvoller Gegenstände eine schwerwiegende Rechtsfolge im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO darstellen (vgl. KG VRS 95, 113; Laufhütte a.a.O., § 140 Rdn. 21). Es bedarf insoweit jedoch – wie dargelegt – einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallumstände. Danach ergibt sich hier mit der Geldstrafe und der daneben angeordneten Einziehung insgesamt nur ein – betragsmäßig begrenzter – Vermögensnachteil für die Angeklagte. Der Fall unterscheidet sich damit grundlegend von der zuvor durch das Kammergericht entschiedenen Konstellation (VRS 95, 113), bei der eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit der Einziehung von drei Kraftfahrzeugen sowie der Anordnung einer Fahrerlaubnissperre von 18 Monaten zusammentraf. Anhaltspunkte für sonstige mittelbare Auswirkungen – etwa die konkrete Gefahr einer der Angeklagten als Ausländerin drohenden Ausweisung (vgl. KG, Beschluss vom 10. September 2008 – 3 Ws 263/08 -) – sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Da sich die Angeklagte mit ihrer Berufung gegen ein nach § 412 StPO ergangenes Verwerfungsurteil wendet, hat die Strafkammer allein darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs gegen den Strafbefehl vorgelegen haben (vgl. Meyer-Goßner, § 412 StPO Rdn. 10). War dies der Fall, so verbleibt es bei der Verwerfungsentscheidung; anderenfalls wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen (Meyer-Goßner a.a.O.). Danach geht es im Berufungsverfahren nur um den Bestand des bereits erlassenen Strafbefehls mit der oben dargelegten Rechtsfolgenentscheidung.

bb) Eine schwierige Sachlage ist gegeben, wenn die Feststellungen zur Täterschaft oder Schuld eine umfangreiche, voraussichtlich länger dauernde Beweisaufnahme erfordern, wenn – bei voraussichtlich kurzer Beweisaufnahme – besondere Probleme auftreten oder wenn die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis nicht umfassend vorbereitet werden kann (vgl. Laufhütte a.a.O., § 140 Rdn. 22 mit weit. Nachweisen; Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 Ws 612/06 -). Die Rechtslage ist schwierig, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt oder die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird; dabei wird häufig eine Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage vorzunehmen sein, um den Schwierigkeitsgrad zu beurteilen (vgl. Senat NJW 2008, 3449; Laufhütte a.a.O., § 140 Rdn. 23).

Danach ist die Mitwirkung eines Verteidigers im vorliegenden Fall nicht geboten. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht der Tatvorwurf als solcher, sondern – wie dargelegt – allein die Frage, ob das Amtsgericht den Einspruch gegen den Strafbefehl zu Recht nach § 412 StPO verworfen hat, ob also insbesondere die Angeklagte der auf ihren Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben ist. Eine Verhandlung zur Sache findet nicht statt. Zwar kann auch die Beurteilung der genügenden Entschuldigung im Sinne des § 412 Satz 1 StPO besondere Schwierigkeiten aufwerfen, die die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig machen (vgl. OLG Stuttgart StV 2005, 657 – juris Rdn. 12). Derartige Schwierigkeiten sind im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich.

Ebenso wenig bedarf es zur Gewährleistung einer wirksamen Verteidigung umfassender Kenntnis des bisherigen Akteninhalts. Vielmehr reicht die (zum Teil bereits erfolgte) Erteilung von Auskünften und Abschriften an die Angeklagte (§ 147 Abs. 7 StPO) im vorliegenden Verfahren - das insbesondere keine aufwendigen Ermittlungen zwecks Prüfung der Wirksamkeit von Zustellungen erfordert (zu einer solchen Konstellation vgl. OLG Düsseldorf VRS 83, 193) – zur Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung ohne weiteres aus.

b) Es bestehen schließlich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann.

Die Ausländereigenschaft begründet nicht automatisch das Erfordernis einer Verteidigerbestellung (vgl. KG, Beschluss vom 6. Januar 2009 – 4 Ws 1/09 –). Zwar kann die Unkenntnis der Verhandlungssprache im Rahmen des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO dazu führen, dass dem Angeklagten wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung ein Verteidiger zu bestellen ist. Insoweit sind jedoch die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (vgl. KG, Beschluss vom 17. September 2002 – 4 Ws 146/02 -); denn die Sprachunkundigkeit eines Angeklagten steht der Annahme einer ausreichenden eigenen Verteidigungsfähigkeit nicht ausnahmslos entgegen (vgl. BGHSt 46, 178; OLG Karlsruhe StV 2005, 655; Laufhütte a.a.O., § 140 Rdn. 24). Einer Pflichtverteidigerbestellung bedarf es daher nicht, wenn die mit den sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten einhergehenden Beschränkungen durch den Einsatz von Übersetzungshilfen, insbesondere durch die (unentgeltliche) Hinzuziehung eines Dolmetschers, angemessen ausgeglichen werden können (vgl. OLG Karlsruhe StV 2005, 655; KG, Beschluss vom 17. September 2002 – 4 Ws 146/02 -). So liegt es hier. Sprachliche Defizite der Angeklagten können in Anbetracht der auch für einen juristischen Laien überschaubaren Sach- und Rechtslage im Berufungsverfahren durch Hinzuziehung eines vereidigten Dolmetschers in der Hauptverhandlung so weit ausgeglichen werden, dass eine sachgerechte Verteidigung gewährleistet ist.

Einschränkungen der Verteidigungsfähigkeit lassen sich schließlich auch nicht daraus herleiten, dass die Beschwerdeführerin die Bestellung eines Betreuers zur Regelung ihrer rechtlichen Angelegenheiten anstrebt. Vielmehr lässt der bisherige Gang des Verfahrens erkennen, dass die Beschwerdeführerin ohne weiteres in der Lage ist, ihre Interessen mit Nachdruck zu vertreten.

2. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 6. März 2012 ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 28 Abs. 2 Satz 1 StPO) und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO). Sie ist nicht durch § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeschlossen. Denn der nach § 27 StPO zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen den erkennenden Richter – hier die geschäftsplanmäßig zuständige Vorsitzende der XY. Strafkammer - berufene Richter – hier die geschäftsplanmäßige Vertreterin der Vorsitzenden - ist zwar seinerseits ebenfalls "erkennender Richter" im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 2. Februar 1995 – 1 Ws 193/94 – juris; KG JR 1976, 26; Beschluss vom 21. August 2007 – 3 Ws 452/07 -). Diese Eigenschaft endet indes, wenn er über das Ablehnungsgesuch entschieden hat (vgl. BGH NStZ 2007, 719; OLG Dresden a.a.O.; OLG Hamburg NStZ 1999, 50; Meyer-Goßner, § 28 StPO Rdn. 6).

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Strafkammer hat das Ablehnungsgesuch der Angeklagten vom 1. März 2012 mit zutreffenden Erwägungen als unzulässig verworfen. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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