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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Führungsaufsicht, Weisung, Mitteilung eines intimen Verhältnisses

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 06.11.2012 - 1 Ws 678/12

Leitsatz: Eine im Rahmen der Führungsaufsicht auf § 68 b II 1 StGB gestützte Weisung, wonach der Verurteilte die Aufnahme eines intimen Verhältnisses seinem Bewäh-rungshelfer binnen Wochenfrist mitzuteilen habe, erweist sich unbeschadet des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Intimsphäre als Kernbereich privater Lebensführung schon deshalb als rechtswidrig, weil sie in ihrer konkreten Form weder für eine Gefährder- oder Gefährdetenansprache geeignet noch kontrollierbar ist.


In pp.

Zum Sachverhalt:
Die gegen den Bf. 1999 wegen Mordes verhängte Freiheitsstrafe von 15 Jahren ist seit Anfang Oktober 2012 vollständig verbüßt. Mit Beschluss vom 18.09.2012 hat die StVK festgestellt, dass Führungsaufsicht eintritt und ihre Dauer auf 5 Jahre festgesetzt. Weiter hat sie den Bf. für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Hauptwohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt und ihm eine Reihe von Weisungen erteilt, darunter unter Ziff. IV. 4. bzw. 5. die Weisung, wonach „eine Behandlungs- bzw. Vorstellungsweisung hinsichtlich eines Neurologen oder Psychiaters [...] erteilt werde, sobald ein hierfür geeigneter Neurologe oder Psychiater gefunden“ sei sowie die weitere Weisung, dass der Bf. „das Eingehen eines intimen Verhältnisses mit einer Frau [...] seinem Bewährungshelfer binnen 1 Woche mitzuteilen“ habe. Die Erteilung weiterer Weisungen blieb ausdrücklich vorbehalten. Mit beim LG am 27.09.2012 eingegangenem Schriftsatz seiner Verteidigerin vom selben Tage legte der Bf. gegen den Beschluss sofortige Beschwerde ein, welche er zugleich auf die Erteilung der unter Ziff. IV. 4. und 5. erteilten Weisungen beschränkte. Die StVK hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die GStA beantragt, die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Weisung unter Ziff. V. 5. des Beschlusses richtet, als unbegründet und im Übrigen als unzulässig kostenpflichtig zu verwerfen. Das Rechtmittel erwies sich als teilweise erfolgreich.

Aus den Gründen:
Auf die Beschwerde ist der Beschluss der StVK in Ziff. IV. 5. aufzuheben; im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel bereits als unzulässig.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 463 II, 453 II StPO als einfache Beschwerde statthaft, da sie sich lediglich gegen die Anordnung von einzelnen Weisungen richtet (KK/Appl StPO 6. Aufl. § 454 Rn. 38; OLG Düsseldorf NStZ 1985, 27 f.) und auch sonst in zuläs-siger Art und Weise eingelegt ist (§ 306 I StPO).
a) Eine Rechtsmittelbeschränkung auf einzelne Anordnungen im Rahmen eines Be-schlusses, der die Führungsaufsicht näher ausgestaltet, ist möglich, soweit diese ge-genüber den sonstigen Anordnungen derart selbständig sind, dass sie eine gesonderte Prüfung und Beurteilung erlauben (Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 304 Rn. 4). Dies ist vorliegend der Fall.
b) Jedoch erweist sich die Beschwerde mangels Beschwer als unzulässig, soweit sie sich gegen die in Ziff. IV. 4. des Beschlusses enthaltene Ankündigung einer Behand-lungs- bzw. Vorstellungsweisung richtet. Aus dem Wortlaut des Beschlusstenors geht eindeutig hervor, dass eine entsprechende Weisung erst noch erteilt werden soll. Die bloße Ankündigung einer Weisung nimmt lediglich Bezug auf die Vorschrift des § 68 d I StGB, wonach Weisungen nachträglich getroffen, geändert oder aufgehoben werden können. Insoweit beeinträchtigt der Beschluss den Bf. somit nicht in seiner aktuellen Lebensführung und schmälert auch nicht seine Rechtsposition, wenn die angekündigte Weisung später erteilt wird und dann mit der einfachen, nicht fristgebundenen Be-schwerde angefochten werden kann.
2. Eine Beschwerde, die sich gegen die Ausgestaltung der Führungsaufsicht richtet, kann in der Sache nur darauf gestützt werden, dass die vom Gericht getroffenen Rege-lungen gesetzwidrig sind (§§ 463 II, 453 II 2, 1. Alt. StPO). Folglich hat das Beschwer-degericht insoweit auch nur die Gesetzmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung zu prüfen und darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des nach § 462 a StPO beru-fenen Gerichts setzen (KK/Appl § 453 Rn. 12 m.w.N.). Gesetzwidrig sind Anordnungen nur dann, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreiten (KK/Appl § 453 Rn. 13). Gleiches muss für den Fall gelten, dass eine Ausübung des Ermessens überhaupt nicht ersichtlich ist. Ansonsten verbleibt es bei dem Grundsatz, die mit den Führungsaufsichtsanordnungen verbundene Ermessensentscheidung der ersten In-stanz zu überlassen. Die Prüfung der Gesetzmäßigkeit umfasst aber neben der Prü-fung, ob die angefochtene Entscheidung in der angewendeten Vorschrift eine ausrei-chende Rechtsgrundlage hat und ob Ermessensmissbrauch vorliegt, auch die Prüfung, ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist (Meyer-Goßner § 453 Rn. 12).
a) Die unter Ziff. IV. 5. des angefochtenen Beschlusses erteilte Weisung, wonach der Verurteilte das Eingehen eines intimen Verhältnisses mit einer Frau seinem Bewäh-rungshelfer binnen 1 Woche mitzuteilen hat, kann nur auf § 68 b II 1 StGB gestützt werden, da sie im Katalog des § 68 b I StGB nicht enthalten ist.
aa) Die Aufzählung von Weisungsmöglichkeiten in § 68 b II 1 StGB ist nicht abschlie-ßend. Das Gericht ist auch zu anderen zweckmäßig erscheinenden Weisungen befugt. Es hat dabei die Grundrechte zu beachten. Da die Führungsaufsicht auch Sicherungs-zwecken dient, sind Weisungen, die allein der Überwachung und Kontrolle der verurteil-ten Person dienen, möglich (Schönke/Schröder-Stree/Kinzig StGB 28. Aufl. § 68 b Rn. 23 m.w.N.). Auch die Weisungen nach § 68 b II StGB müssen entsprechend den Zielsetzungen der Führungsaufsicht klar und bestimmt sein. Etwaige Weisungsverstöße müssen sich eindeutig feststellen lassen (Schönke/Schröder-Stree/Kinzig § 68 b Rn. 24 m.w.N.; vgl. auch Fischer StGB 59. Aufl. § 68 b Rn. 15).
bb) Die unter Ziff. IV. 5. erteilte Weisung greift in den Schutz des allgemeinen Persön-lichkeitsrecht des Bf. aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG ein. Das Grundrecht sichert jedem einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann, in dem er ‚in Ruhe gelassen wird‘. Dieser ‚Rückzugsbereich‘ ist nicht auf die häusliche Sphäre begrenzt, sondern beansprucht Gültigkeit überall dort, wo der Einzelnen davon ausgehen darf, ‚fremden Blicken‘ entzo-gen zu sein. Geschützt ist das Recht des Menschen auf Selbstfindung im Alleinsein und in enger Beziehung zu Vertrauten (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht-Schmidt 12. Aufl. Art. 2 GG Rn. 39 m.w.N.). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die Selbstbestimmung im Bereich der Sexualität. Das Grundrecht sichert dem Menschen die Freiheit, seine Einstellung zum Geschlechtlichen selbst zu bestimmen und grund-sätzlich selbst darüber zu befinden, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er hier Einwirkungen Dritter hinnehmen will. Geschützt ist die Freiheit, die selbst gewählten Ausdrucksformen der Sexualität für sich zu behalten und sie in einem dem staatlichen Zugriff entzogenen Freiraum zu leben (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht-Schmidt Art. 2 GG Rn. 41 m.w.N.).
cc) Begrenzt wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings durch die verfas-sungsmäßige Ordnung. Eingriffe bedürfen danach der Grundlage in einer gesetzlichen Regelung, die der Bedeutung des Rechts entsprechend hinreichend bestimmt gefasst sein muss. Das Gesetz hat in materieller Hinsicht dem Grundsatz der Verhältnismäßig-keit zu genügen. Einschränkende Regelungen müssen also zum Schutz eines gewichti-gen Gemeinschaftsguts geeignet und erforderlich sein; der Schutzzweck muss so schwer wiegen, dass er die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts in seinem Aus-maß rechtfertigt.
dd) In diesem Sinne ist § 68 b II 1 StGB Teil der verfassungsmäßigen Ordnung als Gesetz im formellen Sinne. Angesichts der Vielfältigkeit der Lebensbereiche kann eine vollständige Aufzählung derselben im Gesetz nicht erwartet werden. Die Norm begeg-net generell keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere wird gegen den Bestimmtheitsgrundsatz nicht von vornherein verstoßen, wenn eine Norm auslegungs-bedürftig ist (so zuletzt speziell zu § 68 b II StGB BVerfG, Beschluss vom 06.06.2006 - 2 BvR 1349/05 [bei juris] = BVerfGK 8, 183 ff. = MedR 2006, 586 ff.).
ee) Die verfahrensgegenständliche Weisung bringt in ihrer konkreten Ausgestaltung jedoch einen Eingriff in die Intimsphäre des Verurteilten, die als Kernbereich privater Lebensgestaltung staatlichen Eingriffen grundsätzlich entzogen ist. Die Zuordnung zum unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung wird zwar nicht schon dadurch aus-geschlossen, dass ein Sachverhalt auch soziale Bedeutung hat. Maßgeblich ist in die-sem Falle aber, welcher Art und wie intensiv der soziale Bezug ist; dieses lässt sich nicht abstrakt beschreiben, sondern ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falls zu beantworten (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht-Schmidt Art. 2 GG Rn. 60 m.w.N. insb. aus der Rspr. d. BVerfG).
ff) Ein sozialer Bezug besteht hier deswegen, weil im Rahmen einer intimen Beziehung des Verurteilten höchstrangige Rechtsgüter eines Anderen, nämlich des Intimpartners bedroht sind. Die Weisung verbietet dem Verurteilten zwar nicht die Aufnahme von Intimbeziehungen als solche und versucht auch nicht, deren Gestaltung zu regeln, sondern erlegt dem Verurteilten nur eine Mitteilungspflicht hierüber auf, die in ihrem Umfang dem eng auszulegenden Wortlaut der Weisung entsprechend auch nicht über das bloße Faktum, dass eine intime Beziehung zu einer Frau besteht, hinausgeht. Wei-tere Einzelheiten brauchen – nach dem insoweit eng auszulegenden Wortlaut der Wei-sung - nicht offengelegt zu werden, um der Weisung zu genügen.
b) Ob unter diesen Umständen die Weisung einen grundrechtswidrigen Eingriff in die Intimsphäre als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Bf. darstellt, kann hier jedoch aus anderen Gründen offen bleiben. Denn die Weisung ist in ihrer konkreten Form jedenfalls zum einen ungeeignet und zum anderen nicht kontrollierbar. Nach der Vorstellung der JVA soll die Weisung letztlich die Durchführung einer Gefährder- und Gefährdetenansprache ermöglichen. Eine Gefährdetenansprache scheitert aber daran, dass der Verurteilte nicht angewiesen ist, Namen und Erreichbarkeit der Frau offenzu-legen. Das bloße Wissen, dass eine intime Beziehung konkret besteht, taugt nach der Überzeugung des Senats auch nicht dazu, um mit dem Bf. selbst eine sinnvolle Gefähr-deransprache durchzuführen, da sich diese zwangsläufig in allgemeinen Ermahnungen erschöpfen muss, ohne auf die konkreten Lebensumstände des Bf. eingehen zu kön-nen. Soweit eine Mitteilung zum Anlass genommen werden sollte, dass insbesondere die Polizeibehörden eigene Ermittlungen zur Person der Intimpartnerin und zu der kon-kreten Beziehungsgestaltung anstellen, um erst im Anschluss daran eine gezielte Ge-fährder- und Gefährdetenansprache durchführen zu können, begegnet dies wiederum aus den vorgenannten Gründen erheblichen grundrechtlichen Bedenken. Da der Bf. den Charakter einer Beziehung als Intimbeziehung leicht verheimlichen kann – auch und gerade im kollusiven Zusammenwirken mit der Intimpartnerin -, kann die Einhaltung der Weisung auch nicht kontrolliert werden und Weisungsverstöße können nicht eindeu-tig festgestellt werden. Eine ungeeignete und nicht kontrollierbare Weisung ist aber entsprechend den obigen Ausführungen in jedem Falle rechtswidrig.
c) Die unter Ziff. IV. 5. des angefochtenen Beschlusses erteilte Weisung war daher auf die Beschwerde hin aufzuheben. Grundsätzlich ist die StVK hierdurch nicht gehindert, dem Verurteilten stattdessen andere Weisungen zu erteilen, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Jedoch hat der Senat angesichts der grundrechtlichen Beschränkungen große Bedenken, ob es in diesem Rahmen gelingt, eine grundrechtsfeste Weisung zu kreieren.

Einsender: RiOLG Dr. Georg Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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