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Entscheidungen

StPO

Inbegriff der Hauptverhandlung, Inbegriffsrüge, Verlesung Urteil, Berufungshautpverhandlung

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 18.04.2012 – (4) 121 Ss 53/12 (91/12)

Leitsatz: Zur Urteilsgrundlage dürfen nur Beweiserhebungen einschließlich der Einlassung des Angeklagten gemacht werden, die in einer vom Gesetz vorgeschriebenen Form in das Verfahren eingeführt worden sind. Die Verlesung des mit der Berufung angefochtenen Urteils (§ 324 Abs. 1 Satz 2 StPO) ist Bestandteil des Vortrags über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Sie ist nicht Teil der Beweiserhebung und nicht als (Urkunds-)Beweis verwertbar.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
(4) 121 Ss 53/12 (91/12

In der Strafsache
gegen pp.
wegen Unterschlagung u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 18. April 2012 beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 31. Oktober 2011 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung
– auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen und ihn auf die unbeschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft wegen fahrlässigen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Des Eingehens auf die Sachrüge bedarf es nicht, da die Revision bereits mit der Verfahrensrüge (vorläufig) Erfolg hat.

1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entgegen § 261 StPO nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen, sondern die Feststellungen zum Tathergang im Wesentlichen den Gründen des amtsgerichtlichen Urteils entnommen.

a) In der Beweiswürdigung heißt es, der Angeklagte habe „sein Fehlverhalten nicht in Abrede genommen und seine Tat bedauert“. Im Anschluss hat das Landgericht die Angaben des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum bis gegen 02:00 Uhr des Tattages wiedergegeben und sodann ausgeführt, dass der Angeklagte geäußert habe, an das Tatgeschehen keine konkrete Erinnerung zu haben. Er wisse nur noch, dass er die Geschädigte der Tat am Folgetag um Entschuldigung gebeten, Schlüsselbund und Handy zurückgegeben und 600 Euro an sie gezahlt habe. Das Landgericht hat sodann dargelegt, dass es „angesichts der glaubwürdigen Einlassung des Angeklagten keine Zweifel an dem erstinstanzlich festgestellten Tathergang“ habe, auch weil der Angeklagte Diebesgut zurückgegeben und „vor dem Hintergrund der damaligen plausiblen Schilderung der Geschädigten und der von ihr mitgeteilten Tatfolgen“ Schadenswiedergutmachung geleistet habe.

b) Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

aa) Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO ist zulässig erhoben. Dies setzt voraus, dass mit den Mitteln des Revisionsrechts ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme der Nachweis geführt werden kann, dass eine im Urteil getroffene Feststellung nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel und auch sonst nicht aus zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1997 – 3 StR 520/96 - = NStZ-RR 1998, 17; OLG Koblenz, Beschluss vom 24. März 2011 – 2 SsBs 154/10 - = NStZ-RR 2011, 352; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 261 Rdn. 38a; Schoreit in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 261 Rdn. 8).

Die Revision hat unter Mitteilung der maßgeblichen Urteilsgründe und der notwendigen Aktenteile ausreichend dargelegt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), dass sich der Angeklagte zum Tatgeschehen im Einzelnen nicht geäußert habe und das Tatgeschehen auch nicht in sonst zulässiger Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sei. Der fehlende Vortrag zu dem Inhalt der Sitzungsniederschrift der Berufungsverhandlung ist unschädlich, denn der Verstoß gegen § 261 StPO kann sich dem Revisionsgericht – wie hier - auch aus den Urteilsgründen erschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07 - = NStZ 2008, 705; Kammergericht, Urteil vom 14. April 2011 – (2) 1 Ss 496/10 (43/10) - ).
bb) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

Als Inbegriff der Hauptverhandlung darf nur das verwertet werden, was zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden ist; inhaltlich dürfen nur Beweiserhebungen einschließlich der Einlassung des Angeklagten zur Urteilsgrundlage gemacht werden, die in einer vom Gesetz vorgeschriebenen Form in das Verfahren eingeführt worden sind (vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 17. Oktober 2007 - 1 Ss 252/07 - ; Meyer-Goßner, a.a.O., § 261 Rdn. 5). Schon der Wortlaut des zudem vom Verfahrensbericht nach Abs. 1 getrennten zweiten Absatzes des § 324 StPO („Sodann erfolgt … die Beweisaufnahme“) zeigt, dass die Verlesung des mit der Berufung angefochtenen Urteils (§ 324 Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht Bestandteil der Beweiserhebung und nicht als (Urkunds-)Beweis verwertbar ist. Der Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens, der die Verlesung umfasst, soll vielmehr (lediglich) den Gegenstand der Verhandlung klarstellen und die Verfahrensbeteiligten auf die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte aufmerksam machen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 324 Rdn. 1).

Das Landgericht hat sich seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten demgegenüber nicht aufgrund dessen Angaben oder aufgrund von Bekundungen von Zeugen oder anderen Beweismitteln gebildet, sondern Teile des Berichts (die Feststellungen des Amtsgerichts zum Tatgeschehen) wie Beweisergebnisse verwertet, ohne dass sie Gegenstand der Beweisaufnahme waren. Die Zugrundelegung der Feststellungen des erstinstanzlichen Tatrichters lässt sich bereits der Bezugnahme auf den „erstinstanzlich festgestellten Tathergang“ und der begleitenden Bemerkung, dass an deren Richtigkeit keine Zweifel bestünden, entnehmen. Auch werden die Feststellungen zum Tatgeschehen nicht von dem insoweit mitgeteilten Beweisergebnis getragen, denn das Landgericht hat ausgeführt, dass die Angaben des Angeklagten zum Tatgeschehen, an deren Einzelheiten er keine Erinnerung mehr habe, unergiebig gewesen seien. Beweismittel, auf denen die richterliche Überzeugung stattdessen beruhen könnte, hat die Kammer nicht benannt. Die Urteilsgründe lassen Daten und Inhalt der „damaligen plausiblen Schilderung der Geschädigten“ und deren Einführung in die Hauptverhandlung offen. Eine Vernehmung der Geschädigten B. oder die - im Urkundenbeweis erfolgte - Verlesung einer Vernehmungsniederschrift lassen sich den Urteilsgründen ebenfalls nicht entnehmen.

Das Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist auszuschließen, dass die Erkenntnisse zum Tathergang in zulässiger Weise gewonnen worden sind.

2. Der Senat hebt das angefochtene Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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