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Leitsatz: Enthält das Protokoll der Hauptverhandlung ausschließlich Erklärungen gem. §§ 202a, 212 StPO, ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass in der Hauptverhandlung i.S.v. § 257c StPO eine Verständigung stattgefunden hat. Ggf. ist dann, wenn die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts geltend gemacht wird, im Freibeweisverfahren und in freier Beweiswürdigung der wirkliche Verfahrensablauf zu klären.
1 Ws 169/12 Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss In dem Strafverfahren gegen pp.
Verteidiger: Rechtsanwalt Zipper, 68723 Schwetzingen, wegen Unterschlagung, hier: Verwerfung der Berufung des Angeklagten als unzulässig, hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch die Richter am Oberlandesgericht und sowie den Richter am Landgericht am 31. Juli 2012 beschlossen: Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Be schluss der 3. (Kleinen) Strafkam-mer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 27. Juni 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die 3. (Kleine) Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz zurückverwiesen.
Gründe: Die Strafrichterin des Amtsgerichts Germersheim hat den Angeklagten mit Ent-scheidung vom 14. März 2012 wegen Unterschlagung schuldig gesprochen und ihn unter Vorbehalt der Verur-teilung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 20,00 verwarnt.
In dem Protokoll der Hauptverhandlung ist u. a. vermerkt, dass eine Erörterung i. S. d. §§ 202 a, 212 StPO mit dem Ziel einer Verständigung über Fortgang und/oder Ergebnis des Verfahrens nie stattgefunden habe. Ferner ist darin festgehalten, dass nach Urteilsverkündung der Angeklagte, die Verteidigerin und der Vertreter der Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichtet haben.
Mit einem am 19. März 2012 eingegangenen Schriftsatz hat der vom Angeklagten neu gewählte Verteidiger, Rechtsanwalt Zipper, gegen das ergangene Urteil Rechtsmittel eingelegt und mit einem späteren Schreiben vom 23. April 2012 darauf hingewiesen, dass dieses als Berufung gelten soll.
Mit Beschluss vom 27. Juni 2012 hat die 3. (Kleine) Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil der Strafrichterin des Amtsgerichts Germersheim vom 14. März 2012 als unzulässig verworfen. Als Begründung wurde u. a. ange-führt, dass die Berufung unzulässig sei, da der Angeklagte zuvor wirksam auf Rechtsmittel ver-zichtet habe. Dem Urteil sei keine Verständigung i. S. v. § 257 c StPO vorausgegangen, so dass ein Rechtsmittelverzicht vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung nicht ausgeschlossen sei. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen und klaren Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls. In-soweit sei das Hauptverhandlungsprotokoll bezüglich seiner inhaltlichen Richtigkeit auch im Rahmen der Berufungseinlegung nicht in Frage gestellt worden, noch werde ein Antrag auf Pro-tokollberichtigung gestellt. Deshalb gelte uneingeschränkt die Beweiskraft des Protokolls i. S. d. § 274 StPO.
Hiergegen hat der Angeklagte form- und firstgerecht sofortige Beschwerde gemäß § 322 Abs. 2 StPO eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten hat einen vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhe-bung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Prü-fung und Entscheidung.
Das Landgericht hätte die gegen das am 14. März 2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Germersheim gerichtete Berufung des Angeklagten vom 19. März 2012 nicht ohne Sachaufklä-rung als unzulässig verwerfen dürfen. Denn der Angeklagte hat sich nämlich darauf berufen, dass sein in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 14. März 2012 erklärter Verzicht auf Rechtsmittel gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam sei, da das angefochtene Urteil auf einer Verständigung i. S. v. § 257 c StPO beruhe. Seine Verteidigerin in erster Instanz habe eine solche Verständigung in ihrer schriftlichen Erklärung vom 25. April 2012 bestätigt.
Ob der Vortrag des Angeklagten und die Erklärung seiner Verteidigerin in erster Instanz zutref-fend sind, hat das Landgericht nicht festgestellt und insofern das Gebot der (bestmöglichen) Sachaufklärung verletzt.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts wird durch das Protokoll der Hauptverhandlung des Amtsgerichts Germersheim vom 14. März 2012 nicht bewiesen, dass eine solche Verständi-gung nicht stattgefunden hat. Das Verhandlungsprotokoll enthält weder die Erklärung nach § 273 Abs. 1 a Satz 1 StPO noch das Negativattest nach § 273 Abs. 1 a Satz 3 StPO. Damit ent-fällt insoweit die dem Verhandlungsprotokoll gemäß § 274 StPO zukommende Beweiskraft. Das Verhandlungsprotokoll enthält ausschließlich Erklärungen gemäß §§ 202 a, 212 StPO. Diese Erklärungen schließen nicht aus, dass eine Verständigung in der Hauptverhandlung i. S. v. § 257 c StPO stattgefunden hat. Insofern hätte das Landgericht im Freibeweisverfahren und in freier Beweiswürdigung den wirklichen Verfahrensablauf klären müssen. Diese Sachaufklärung ist nunmehr u. a. durch Einholung dienstlicher Erklärungen der Verfahrensbeteiligten erster In-stanz nachzuholen.
Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat war entgegen der Regel des § 309 Abs. 2 StPO - ausnahmsweise nicht angezeigt.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass verbleibende Zweifel an einer Verständigung nicht zu Lasten des Angeklagten verwertet werden dürfen. Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibeweisverfahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grund-sätzlich zu Lasten des Angeklagten geht. Das vom Angeklagten insofern zu tragende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts findet aber dort seine Grenzen, wo die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts und dadurch entstehende Zweifel des Gerichts ihre Ursache in einem Verstoß ge- gen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht finden (vgl. BVerfG, 2. Senat, 1. Kam-mer, Beschluss vom 5. März 2012 2 13vR 1464/11, zitiert nach juris, Rdnr. 26).
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