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Entscheidungen

Haftfragen

Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses, Strafvollzug, Verbot, Lohnwucher

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 27.06.2012 - 2 Ws 132/12

Leitsatz: 1. Einem Strafgefangenen darf die Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses (§§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 39 Abs. 1 StVollzG) nicht gestattet werden, wenn bereits der Abschluss des Arbeitsvertrages möglicherweise ein strafbares Verhalten (hier: Lohnwucher) begründen würde.

2. Dies gilt auch für Gefangene im Renten- und Pensionsalter.


In pp.
1. Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Chemnitz vom 09. Februar 2012 wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen hat der Beschwerdeführer zu tragen.

3. Der Gegenstandswert beträgt 5.760,00 EUR.

Gründe
I. Der Antragsteller verbüßt seit dem 11. Mai 2011 eine vierjährige Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Gera vom 11. August 2010 (1 KLs 740 Js 4730/09) in der Justizvollzugsanstalt Waldheim. Zwei Drittel der Strafe werden am 31. August 2013 verbüßt sein; das Strafende ist für den 31. Dezember 2014 vorgesehen.

1. Am 09. September 2011 beantragte der Gefangene die Zulassung zum Freigang sowie die Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Justizvollzugsanstalt als Helfer in der Projektentwicklung eines Architekturbüros. Zur Glaubhaftmachung des Arbeitsverhältnisses legte er einen schriftlichen Arbeitsvertrag vom 25. Februar 2011 mit der "L Vier GmbH" in Burgstädt vor.

Das Tätigkeitsbild des Gefangenen wurde im Arbeitsvertrag wie folgt beschrieben:

"Der Arbeitnehmer wird als Helfer in der Projektentwicklung beschäftigt.

Das Aufgabengebiet umfasst:

- Aufnehmen und Aufmessen von Geländen, Bauteilen und Ausrüstungsgegenständen

- Eigenverantwortliches Ermitteln von Mengen, Massen und Eigenlasten der Baustoffe und Bauteile

- Aufbereitung von Daten zur und mit der EDV, insbesondere für Berechnungen und Textverarbeitung

- Koordination von Bauvorbereitenden Maßnahmen.

Die Firma behält sich vor, den Arbeitnehmer im Rahmen der rechtlichen Zulässigkeit mit anderen zumutbaren, innerhalb der Vergütungsgruppe liegenden Arbeiten zu beschäftigen."

Als Vergütung wurde ein monatliches Entgelt von 480,00 EUR vereinbart. Zudem wurde dem Gefangenen Erholungsurlaub von 21 Tagen/Kalenderjahr gewährt.

In einer Zusatzvereinbarung vom 20. Juli 2011 wurde die regelmäßige Arbeitszeit auf fünf Stunden täglich, somit auf 25 Stunden wöchentlich festgesetzt, nachdem ursprünglich eine regelmäßige Arbeitszeit von 7,5 Stunden pro Tag von montags bis donnerstags und 6 Stunden freitags vereinbart worden war. Darüber hinaus sollte dem Gefangenen ein Dienstfahrzeug zum dienstlichen Gebrauch sowie für die Fahrt zur Arbeit zur Verfügung gestellt werden.

2. Mit Verfügung vom 22. August 2011 lehnte die Justizvollzugsanstalt Chemnitz den Antrag ab, der Antragsteller begehrte dagegen die gerichtliche Entscheidung des Landgerichts Chemnitz.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 09. Februar 2012 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Chemnitz den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen, dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt und den Streitwert auf 5.760,00 EUR festgesetzt. Nach Auffassung des Gerichts hat die Justizvollzugsanstalt das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt.

Mit seiner hiergegen rechtzeitig erhobenen Rechtsbeschwerde rügt der Antragsteller die Verletzung sachlichen Rechts. Er beantragt, die Verfügung der Justizvollzugsanstalt Chemnitz vom 22. August 2011 aufzuheben und die Justizvollzugsanstalt Chemnitz zu verpflichten, die Tätigkeit als Helfer in der Projektentwicklung bei der "L Vier GmbH" in Burgstädt unter Nutzung eines Personenkraftwagens zu gestatten.

Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, dass er aufgrund seiner besonderen Situation als über 67jähriger Rentner mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen so gut wie keine Aussichten habe, einen anderen Arbeitsplatz zu finden; da es für die angebahnte Tätigkeit keine Tarifvereinbarung gäbe, sei das Beschäftigungsverhältnis trotz der geringen Entlohnung genehmigungsfähig. Hierbei sei auch der geldwerte Vorteil des zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeugs zu berücksichtigen.

Der Senat hat eine Stellungnahme der Architektenkammer Sachsen zum regelmäßig angemessenen Entgelt für Helfertätigkeit in der Projektentwicklung eingeholt.

Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Er hat mit Schriftsatz des Verteidigers vom 19. Juni 2012 davon Gebrauch gemacht.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (§ 116 Abs. 1 StVollzG), denn sie wirft die Frage auf, ob eine Justizvollzugsanstalt verpflichtet ist, Gefangenen, die aufgrund ihres Alters auf den freien Arbeitsmarkt nicht mehr angewiesen oder chancenlos sind, eine bezahlte Beschäftigung zu finden, die Eingehung eines untertariflich bezahlten Arbeitsverhältnisses zu gestatten.

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Die Strafvollstreckungskammer hat ohne Rechtsfehler den Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Ergebnis zu Recht abgelehnt, da die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Chemnitz vom 22. August 2011 keinen Ermessensfehler zu Lasten des Beschwerdeführers aufweist. Dem Antragsteller steht insoweit kein Anspruch auf Zulassung zum Freigang und auf Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses, sondern nur ein solcher auf fehlerfreie Ermessensausübung zu, wobei die Strafvollstreckungskammer ihr Ermessen nicht an die Stelle desjenigen der Justizvollzugsanstalt setzen darf. Sie ist auf die Überprüfung beschränkt, ob die Vollzugsbehörde die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums eingehalten hat (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 39 Rdnr. 2 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall.

Zwar war die Genehmigung des beantragten Arbeitsverhältnisses nicht bereits wegen des erreichten Rentenalters des Antragstellers ausgeschlossen, auch wenn damit das in § 37 StVollzG genannte Ziel der Gefangenenarbeit - der Erhalt der Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung - zurücktreten muss. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet aber das Recht, auch nach Erreichen einer Altersgrenze, die den Bezug von Ruhestandsgeldern ermöglicht, gleichwohl eine Tätigkeit auf dem allgemeinen freien Arbeitsmarkt auszuüben. Ein solches Arbeitsverhältnis ist dann nach den allgemein anzuwendenden Regeln, insbesondere zur Gesetzes- und Sittenwidrigkeit, zu beurteilen.

Ein freies Beschäftigungsverhältnis eines Gefangenen kann insoweit der Arbeitszuweisung durch die Anstalt unter der Voraussetzung gleichstellt werden, dass keine überwiegenden Gründe des Vollzugs entgegenstehen (BT-Drucks. 7/918, 66). Da die freie Beschäftigung außerhalb der Anstalt nur im Wege des Freiganges möglich ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) müssen zugleich dessen Voraussetzungen vorliegen (§ 11 Abs. 2 StVollzG; Calliess/Müller-Dietz, aaO.). Die Anstalt ist danach auf entsprechenden Antrag des Gefangenen gehalten zu prüfen, ob sich unter den Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 StVollzG das Vollzugsziel durch ein freies Beschäftigungsverhältnis besser zu erreichen ist. Ist das der Fall, soll sie dem Antrag stattgeben (BT-Drucks. 7/918, 67). Allerdings darf die Zulassung zum Freigang und die Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses davon abhängig gemacht werden, dass eine Kontrolle des Gefangenen durch die Justizvollzugsanstalt in angemessenem Umfang möglich ist; dabei müssen sich diese Kontrollmöglichkeiten auch am jeweiligen Berufsbild der geplanten Tätigkeit orientieren, da anderenfalls ein großer Teil von Berufen, die eine gewisse Mobilität erfordern, nicht ausgeübt werden könnte (Calliess/Müller-Dietz, aaO.).

Darüber hinaus steht der Justizvollzugsanstalt das Recht zu, die Ausübung eines freien Beschäftigungsverhältnisses abzulehnen, wenn der zugrundeliegende Arbeitsvertrag sittenwidrig wäre oder sogar den Tatbestand des Lohnwuchers (§ 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB) erfüllen würde. Zwar kann angesichts der Arbeitsmarktsituation in diesen Fällen im Rahmen eines solchen Arbeitsvertrages eine geringfügig untertarifliche Vergütung hingenommen werden (OLG Hamm, ZfStrVo 1988, 110). Es ist aber nach arbeitsrechtlichen Maßstäben nicht akzeptabel, dass ein Gefangener für ein um 30 % unter dem Tariflohn liegendes Entgelt tätig werden soll. Anderenfalls müsste hingenommen werden, dass Gefangene, obwohl sie gleichwertige Arbeit wie freie Arbeitnehmer leisten, schlechter entlohnt würden, nur weil sie Strafe verbüßen (OLG Hamm aaO.). Zudem müssten dann andere Gefangene, die ein freies Beschäftigungsverhältnis eingehen wollen, sich unter diesen Bedingungen stets die Vereinbarung untertariflichen Lohnes gefallen lassen (OLG Hamm aaO.). Dies würde an die Ausnutzung einer Zwangslage grenzen.

Ob ein Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Entlohnung vorliegt, ergibt sich hierbei aus dem für den jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Vergleich des Wertes beider Leistungen. Daher sind die Vorteile, die dem Arbeitgeber aus dem Geschäft zufließen sollen, mit dem Wert einer Gegenleistung zu vergleichen, während es auf einen Vergleich der Leistung mit den Vorteilen, die sich der Arbeitnehmer aus dem Geschäft verspricht, nicht ankommt (BGHSt 43, 53; BayObLG NJW 1985, 873 m.w.N.). So hat etwa BGHSt 43, 53 die Kaufkraft des ausbezahlten Lohnes für einen Arbeitnehmer an seinem Wohnort in Tschechien in Relation zur Kaufkraft des Tariflohns für einen in Deutschland wohnhaften Arbeitnehmer außer Betracht zu bleiben.

Diese Grundsätze sind auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Gefangene das Rentenalter erreicht hat, anzuwenden. Zwar ist er auf Grund seines Status nicht mehr gehalten, gewerblicher Beschäftigung nachzugehen. Beabsichtigt er dies indes, ist er wie jeder andere Erwerbstätige den hierfür geltenden Regeln unterworfen.

b) Gemessen hieran war die Vollzugsbehörde vorliegend schon aufgrund des vorgelegten Arbeitsvertrages gehalten, die Aufnahme des freien Beschäftigungsverhältnisses zu verweigern und - damit zusammenhängend - Vollzugslockerungen nicht zu genehmigen (§§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 39 Abs. 1 StVollzG).

Die Tätigkeitsbeschreibung der avisierten Arbeitsstelle legt die Annahme nahe, dass der Gefangene als Technischer Angestellter der Arbeitgeberin eingestellt werden sollte. Zwar existiert für "Helfer in der Projektentwicklung" von Architekten im Freistaat Sachsen kein allgemein gültiger Tarifvertrag. Allerdings ergeben sich aus den unverbindlichen Gehalts-tarifempfehlungen des Arbeitgeberverbandes Deutscher Architekten und Ingenieure e. V. (ADAI) vom 01. Januar 2011, die auf langjährigen Erfahrungswerten beruhen, tragfähige Kriterien, um jedenfalls beurteilen zu können, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt. Die Einstufung des Gefangenen und damit seine gehaltliche Eingruppierung liegt jedenfalls deutlich über der Tätigkeitsbeschreibung T 1 für Arbeitskräfte, die nur untergeordnete, vorwiegend schematische oder einfache zeichnerische oder technische Tätigkeiten verrichten. Sie nähert sich - entgegen der Einschätzung des Beschwerdeführers - der unter T 2 dieser Tarifempfehlungen vorgesehenen Tätigkeitsmerkmale an. In diese Gehaltsgruppe fallen Angestellte, die die Tätigkeit eines Bauzeichners ausüben und unter anderem Massen für einfache Bauteile ermitteln sollen. Laut Arbeitsvertrag soll hier der Gefangene Gelände, Baustellen und Ausrüstungsgegenstände aufnehmen und aufmessen sowie Mengen, Massen und Eigenlasten der Baustoffe und Bauteile eigenständig und eigenverantwortlich ermitteln sowie bauvorbereitende Maßnahmen koordinieren und Daten zur und mit der EDV, insbesondere für Berechnungen und Textverarbeitung aufarbeiten. Dies entspricht weitgehend diesem Tätigkeitsprofil T 2, geht sogar teilweise darüber hinaus, da insbesondere die eigenverantwortliche Tätigkeit des Arbeitnehmers im Vordergrund steht. Nach der empfohlenen - auf empirischen Erhebungen basierenden - Gehaltstabelle soll hierbei einem Arbeitnehmer, der Vollzeit (40 Wochenstunden) beschäftigt ist, im ersten Jahr in der Ortsgruppe 1 ein Gehalt von 1689,00 EUR, in den Neuen Bundesländern 90 Prozent davon, somit 1.520,10 EUR zustehen. Bei lediglich 25 Wochenstunden entspräche dies einem monatlichen Gehalt von 950,06 EUR. Damit würde der Gefangene aber lediglich 50,52 % des einem vergleichbaren Arbeitnehmer zustehenden Gehalts erhalten.

Dies ist unter dem Blickwinkel des Lohndumpings nicht hinnehmbar. Auch kann vorliegend der dem Gefangenen laut Arbeitsvertrag zur Verfügung gestellte Dienstwagen nicht als vermögenswerte Leistung des Arbeitgebers und damit als Lohnbestandteil gewertet werden. Es soll ausschließlich zum Erreichen der Baustellen genutzt werden und darf privaten Zwecken des Gefangenen nicht dienen. Dies verbietet vorliegend die sich anderenfalls ergebende Unkontrollierbarkeit des Gefangenen während seiner Arbeitszeit. Damit wäre das "Dienstauto" aber ausschließlich im Rahmen der zu überwachenden Erreichbarkeit der einzelnen Baustellen verwendbar und damit als Arbeitsgerät, nicht aber als ein dem Gefangenen zu privater Nutzung zur Verfügung gestelltes Fahrzeug anzusehen.

Angesichts dessen ist vorliegend von einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung auszugehen, so dass sogar die Annahme von Lohnwucher naherücken lässt.

Die Nichtgenehmigungsfähigkeit solcher freier Beschäftigungsverhältnisse liegt jedenfalls in den Fällen auf der Hand, in denen schon der Abschluss des Arbeitsvertrages (möglicherweise) geeignet ist, strafbares Verhalten zu begründen. Aus diesem Grunde war das Ermessen der Justizvollzugsanstalt vorliegend auf Null reduziert, mit der Folge, dass sie den Antrag des Gefangenen ablehnen musste.

III. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StVollzG, die Festsetzung des Gegenstandswertes auf §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.

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