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Leitsatz: Der von einem Angeklagten abgegebene Rechtsmittelverzicht in der Hauptverhandlung wird als unwirksam angesehen, wenn er entgegen § 140 StPO nicht ordnungs-gemäß verteidigt war. Die dagegen eingelegte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist entsprechend §§ 44, 45 StPO statthaft.
hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 2. Mai 2012 beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 4. April 2012 auf-gehoben, soweit er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betrifft. Dem Beschwerdeführer wird gegen die Ver-säumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Mai 2010 (425) 6 Ju Js 1809/08 LS (4/10) - auf seine Kosten Wie-dereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
2. Es wird festgestellt, dass die Verwerfung der Beru-fung des Angeklagten durch den vorgenannten Beschluss des Landgerichts Berlin gegenstandslos ist.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Lan-deskasse Berlin zur Last.
G r ü n d e :
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Beschwerdeführer am 5. Mai 2010 wegen Betruges in 28 Fällen zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewäh-rung verurteilt. Nach dem noch in der Hauptverhandlung allseits erklärten Rechtsmittelverzicht ist das Urteil ist seit demselben Tag rechtskräftig. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Berlin den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet, seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten als unzulässig verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten, mit der er rügt, dass ihm entgegen der Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO vor dem Amtsgericht kein Verteidiger zur Seite gestanden und er aus Unkenntnis Rechtsmittelverzicht erklärt und deshalb auch innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 StPO kein Rechtsmittel eingelegt habe, hat Erfolg.
1. Die nach § 322 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
a. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war zulässig. Zur Zulässigkeit eines Wieder-einsetzungsantrages gehört, dass der Antragsteller binnen einer Woche nach dem Wegfall des Hindernisses (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) einen Sachverhalt vorträgt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist ausschließt. Dabei hat er die Gründe für seine angeblich unverschuldete Fristversäumung unter umfassender und genauer Darlegung der Tatsachen, die für die Frage bedeutsam sind, wie und durch welche Umstände es zu der Säumnis gekommen ist, in-nerhalb der einwöchigen Frist darzulegen (vgl. KG NZV 2002, 47, 51). Ausweislich der Akten hat der Verteidiger des Be-schwerdeführers am 25. Januar 2012 Akteneinsicht genommen. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer erst im An-schluss daran Kenntnis von dem Sachverhalt genommen und am 1. Februar 2012 fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Mai 2010 eingelegt hat. Der Antragsschrift und der Beschwerdebegründung kann auch hinreichend deutlich entnommen werden, dass der Beschwerdeführer die Einlegung der Berufung ohne Verschulden (§ 44 StPO) versäumt hat. Der von dem seinerzeit anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht erklärte Rechtsmittelverzicht war unwirksam und er konnte die Unwirk-samkeit des Rechtsmittelverzichts in unerkannt falschem Ver-trauen auf die Wirksamkeit nicht erkennen.
b. Zwar ist ein Rechtsmittelverzicht grundsätzlich als Prozes-serklärung unwiderruflich und unanfechtbar. Vorliegend fehlte es jedoch an der nach § 140 Abs. 2 StPO notwendigen Mitwirkung eines Verteidigers.
Im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO gibt schon die Straferwartung von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers (vgl. Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 140 Rdn. 23 m.w.Nachw.); bei einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ist eine solche zwingend geboten. Damit war der Beschwerdefüh-rer vor Abgabe der Prozesserklärung des Rechtsmittelverzichts ohne den bei der Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht vorgeschriebenen Beistand eines Verteidigers; ihm fehlte folg-lich die rechtstaatlich unverzichtbare Rechtsberatung. Infolge dieser gravierenden, gemessen an den Anforderungen an ein fai-res Verfahren nicht hinnehmbaren Einschränkung der Verteidi-gungsrechte des Beschwerdeführers muss sein Rechtsmittelver-zicht als von Anfang an unwirksam gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 5 StR 617/01 ; OLG Hamm, Be-schluss vom 26. März 2009 5 Ws 91/09 -; KG, Beschluss vom 18. Juli 2007 3 Ws 355/06 -) [alle bei juris]. Die Gegenmeinung (vgl. Hanseatisches OLG Beschluss vom 30. Januar 1996 1 Ws 29/96 -; Beschluss vom 17. Mai 2005 - 1 Ss 61/05 ; OLG Brandenburg Beschluss vom 7. Februar 2000 1 Ss 4/00 [alle bei juris]), die im wesentlichen darauf abstellt, dass der eindeutig ausgesprochene Rechtsmittelverzicht nur in wenigen Ausnahmefällen angefochten werden kann und ein solcher nicht vorliegt, wenn der Angeklagte sich der Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung bewusst war, kann aus vorrangigen rechts-staatlichen Gründen nicht überzeugen. Angesichts der Bedeutung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers ist deshalb auch unerheblich, dass er ausweislich des Protokolls mit dem Urteil zufrieden war und erst, als der Widerruf der Strafaussetzung drohte, an eine Einlegung eines Rechtsmittels gedacht hat (vgl. BGH aaO.)
Nach der Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts war dem Be-schwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewäh-ren und der Beschluss des Landgerichts insoweit aufzuheben. Der Beschwerdeführer wird mit der Zubilligung einer die Wie-dereinsetzung unverschuldeten Verhinderung im Sinne von § 44 Satz 1 StPO sachgerecht entsprechend behandelt wie ein Ange-klagter, der einen Rechtsmittelverzicht erklärt hat, der unzu-lässigerweise im Rahmen einer Verständigung vereinbart worden war (vgl. BGH aaO.). Die Verwerfung der Berufung durch das Landgericht war als gegenstandslos zu erklären.
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