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Entscheidungen

StPO

Letztes Wort, Schlussvortrag Verteidiger, Absetzen der Urteilsformel, Befangenheit

Gericht / Entscheidungsdatum: BGH, Beschl. v. 22.11.1957 - 5 StR 477/57

Leitsatz: Ein Amtsrichter, der die Urteilsformel während der Schlußvorträge der Beteiligten niederschreibt, verletzt hierdurch nicht das Gesetz.


In der Strafsache
hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
nach Anhörung des Generalbundesanwalts
in der Sitzung vom 22. November 1957
folgenden Rechtssatz
beschlossen:




Ein Amtsrichter, der die Urteilsformel während der Schlußvorträge der Beteiligten niederschreibt, verletzt hierdurch nicht das Gesetz.

Gründe
Das Amtsgericht in Braunschweig hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Übertretung des § 7 Abs. 3, des § 8 Abs. 2 und des § 1 StVO zu einer Geldstrafe von 25 DM, hilfsweise zu fünf Tagen Haft verurteilt. Die Revision des Angeklagten beanstandet in verfahrensrechtlicher Hinsicht u.a., daß der Amtsrichter die Urteilsformel bereits während der Schlußausführungen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft niedergeschrieben habe. Das Oberlandesgericht Braunschweig, das über die Revision zu entscheiden hat, beabsichtigt, die Verurteilung aus § 7 Abs. 3 StVO zu streichen. Im übrigen will es die Revision verwerfen. Es hält die oben mitgeteilte Verfahrensrüge für unbegründet. Es ist der Auffassung, ein Verfahrensverstoß (Verletzung des § 261 StPO) liege nur vor, wenn der Nachweis geführt werde, daß der Richter nach der Niederschrift des Entwurfs der Urteilsformel den weiteren Ausführungen der Beteiligten keine Beachtung mehr geschenkt hat (ebenso OLG Bremen VRS 5,297; OLG Celle VRS 12, 446 = NJW 1957, 1002 = NdsRpfl 1957, 250). Im vorliegenden Fall ergebe die dienstliche Äußerung des Amtsrichters, daß er sich die Schlußausführungen angehört habe. Das Oberlandesgericht Braunschweig sieht sich an der von ihm beabsichtigten Entscheidung durch das Urteil des Oberlandesgerichts Köln NJW 1955, 1291 gehindert, in dem die Ansicht vertreten wird, der Verfahrensverstoß liege schon darin, daß der Anschein erweckt werde, als komme es auf die Schlußvorträge nicht mehr an (ebenso OLG Hamm DAR 1956, 254; ähnlich anscheinend auch OLG Hamburg VRS 10, 374 = JR 1956, 273). Es hat die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 GVG sind gegeben.

Ein Amtsrichter, der während der Schlußvorträge der Beteiligten die Urteilsformel oder einen Teil von ihr niederschreibt, verstößt allein hierdurch weder gegen § 261 StPO noch gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Nach § 261 StPO hat der Tatrichter seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Verhandlung zu schöpfen. Hierzu gehören auch die Schlußausführungen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers sowie das letzte Wort des Angeklagten. Ein Richter, der diese Schlußvorträge bei der Urteilsfindung unberücksichtigt läßt, verletzt § 261 StPO. Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Das bedeutet für das gerichtliche Strafverfahren u.a., daß der Richter vor der Urteilsfindung die Schlußausführungen des Verteidigers und das letzte Wort des Angeklagten anhören muß. Ein Richter, der dies nicht tut, gewährt dem Angeklagten nicht das ihm zustehende rechtliche Gehör. Das bloße Niederschreiben der Urteilsformel während der Schlußvorträge der Beteiligten ergibt indessen keine solche Gesetzesverletzung.

Die Tätigkeit des Niederschreibens der Urteilsformel macht den Richter nicht unfähig, die Schlußvorträge in sich aufzunehmen. Es kommt nicht selten vor, daß ein Richter sich während der Aussage eines Zeugen oder Sachverständigen oder während der Ausführungen oder sonstigen Erklärungen eines Prozeßbeteiligten Aufzeichnungen über deren Inhalt macht. Wohl kein vernünftiger Mensch wird hieraus ohne weiteres den Schluß ziehen, der Richter habe infolge dieser Tätigkeit den Verhandlungsvorgängen nicht folgen können. Für die Frage nach der Aufnahmefähigkeit des Richters macht es aber keinen Unterschied, ob das, was er schreibt, den Inhalt von Aussagen, Ausführungen oder sonstigen Erklärungen betrifft, oder ob es sich dabei um die Urteilsformel handelt.

Zugegeben werden muß allerdings, daß das Niederschreiben der Urteilsformel während der Schlußvorträge bei den Prozeßbeteiligten, die wissen, was der Richter schreibt, den Eindruck erwecken kann, der Richter habe sich bereits endgültig entschieden und sei daher nicht bereit, die weiteren Schlußvorträge in sich aufzunehmen und sie bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen.

Dies allein kann aber im Gegensatz zur Auffassung des Oberlandesgerichts Köln (a.a.O.) und des Oberlandesgerichts Hamm (a.a.O.) die Annahme eines Verfahrensverstoßes nicht rechtfertigen.

Das vorzeitige Niederschreiben der Urteilsformel durch den Amtsrichter braucht keineswegs immer den Eindruck zu erwecken, daß es dem Richter an der inneren Bereitschaft fehle, die weiteren Schlußvorträge in sich aufzunehmen und sie bei der - endgültigen - Urteilsfindung zu beachten. Es sind sehr wohl Fälle denkbar, in denen das nachfolgende Verhalten des Richters die Beteiligten klar erkennen läßt, daß er den weiteren Verhandlungsvorgängen folgt und sie in seine Erwägungen einbezieht (er unterbricht z.B. die Ausführungen des Verteidigers zu einer Zeugenaussage mit dem Bemerken, daß er die Aussage anders begreife, und erörtert dies mit dem Verteidiger in einer Weise, die zeigt, daß er durchaus bereit ist, sich durch etwaige Argumente des Verteidigers von dem Gegenteil seiner bisherigen Meinung überzeugen zu lassen).

Aber auch wenn jener Anschein erweckt wird, ergibt dies allein noch keinen Verfahrensverstoß.

Es gibt zahlreiche Verhaltensweisen und andere Umstände, durch die ein Richter bei den Beteiligten, insbesondere bei einem Angeklagten, der juristischer Laie ist, den Eindruck erwecken kann, er habe einen Teil der Verhandlungsvorgänge nicht beachtet. Ein solcher Eindruck kann sogar durch Handlungen bewirkt werden, zu denen der Richter gesetzlich verpflichtet ist.

Will z.B. der Richter in einer Sache, in der Schuld oder Unschuld des Angeklagten lediglich von dessen Zurechnungsfähigkeit oder - unfähigkeit zur Tatzeit abhängt, einen Antrag auf Vernehmung eines weiteren Sachverständigen hierüber gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO deshalb ablehnen, weil nach seiner Auffassung die volle Zurechnungsfähigkeit bereits durch das frühere Gutachten bewiesen ist, so muß er dies gemäß § 244 Abs. 6 StPO den Beteiligten durch einen entsprechend begründeten Beschluß mitteilen. Bei einem Angeklagten, der juristischer Laie ist, kann dies durchaus den Eindruck hervorrufen, der Richter habe sich bereits endgültig entschieden, so daß es auf die weiteren Verhandlungsvorgänge im Grunde gar nicht mehr ankomme. Daß hierin trotz eines solchen Eindrucks keine Gesetzesverletzung gefunden werden kann, liegt auf der Hand.

Ein Richter, der während eines Teiles der Hauptverhandlung die Augen schließt, kann hierdurch sehr wohl den Anschein erwecken, daß er schlafe und daher einen Teil der Verhandlungsvorgänge nicht in sich aufnehme. Der bloße Umstand, daß er einen solchen Eindruck hervorruft, ist aber kein Verfahrensverstoß. Eine Gesetzesverletzung liegt nur vor, wenn der Richter tatsächlich während eines nicht unerheblichen Zeitraums geschlafen hat (vgl. BGHSt 2,14).

Ein blinder Richter, der in einem Kollegialgericht als Beisitzer mitwirkt, ist grundsätzlich seinen tatrichterlichen Aufgaben voll gewachsen. Das hat der Senat bereits wiederholt entschieden (vgl. BGHSt 4,191; 5,354) [BGH 26.02.1954 - 5 StR 720/53]. Trotzdem wird es immer eine mehr oder minder große Anzahl von Angeklagten und auch, Verteidigern geben, die in einem solchen Fall den Eindruck haben, es habe bei der Verurteilung des Angeklagten ein Richter mitgewirkt, der wegen seiner Blindheit den Verhandlungsvorgängen nur unvollkommen habe folgen können und daher bei der Urteilsfindung einen Teil der Verhandlungsvorgänge nicht beachtet habe. Auf einen solchen äußeren Anschein kommt es indessen nicht an. Er kann die Annahme einer Gesetzesverletzung nicht rechtfertigen.

Entsprechendes muß auch hier gelten. Die gegenteilige Auffassung wird der Eigenart des Richters, seiner Denkungsart und seiner Arbeitsweise nicht gerecht. Die richterliche Überzeugungsbildung in der Hauptverhandlung beginnt nicht erst nach dem letzten Wort des Angeklagten. Sie setzt bereits bei der Vernehmung des Angeklagten zur Sache ein. Sie geschieht nicht selten in der Weise, daß der Richter schon auf Grund der Einlassung des Angeklagten oder der Aussage eines Zeugen eine Meinung von der Schuld des Angeklagten gewinnt. Dies ist aber nur eine vorläufige Meinung, die der Richter auf Grund der weiteren Verhandlungsvorgänge bis zuletzt ständig überprüft und, falls die Überprüfung dazu Anlaß bietet, wieder aufgibt. Das weiß nicht nur jeder Richter; er verfährt grundsätzlich auch so. Das bloße vorzeitige Niederschreiben der Urteilsformel ergibt nicht, daß der Richter anders verfahren ist. Urteilsformeln werden nicht selten vor der endgültigen Entscheidung zu Papier gebracht, zuweilen sogar schon vor der Verhandlung. Solche Urteilsformeln sind in Wahrheit keine Urteile, sondern nur Entwürfe hierzu, die unter dem Vorbehalt gefertigt werden, daß die Verhandlung oder weitere Verhandlung keine Gesichtspunkte ergibt, die zu einer abweichenden Entscheidung zwingen. Wenn sie zu Urteilen werden, so beruht dies grundsätzlich nicht darauf, daß der Richter die Verhandlungsvorgänge oder weiteren Verhandlungsvorgänge nicht beachtet hätte, sondern allein darauf, daß ihm diese keinen Anlaß zu einer abweichenden Entscheidung gegeben haben. Das gilt auch für die Urteilsformel, die der Amtsrichter während der Schlußvorträge der Beteiligten niederschreibt. Der Umstand allein, daß ein Richter den äußeren Anschein einer Gesetzesverletzung erweckt, ist aber noch keine Gesetzesverletzung.

Aus der Entscheidung RGSt 42,85 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Sie besagt nur, daß bei einem Kollegialgericht, das vorberaten hat, zwischen den Schlußvorträgen und der Urteilsverkündung eine äußerlich erkennbare Verständigung der Gerichtsmitglieder stattfinden müsse, weil dies zum Begriff der Beratung gehöre. Das ist etwas ganz anderes. Das Reichsgericht hat den Verfahrensverstoß nicht darin erblickt, daß § 261 StPO verletzt oder dem Angeklagten nicht das rechtliche Gehör gewährt worden wäre, sondern allein darin, daß keine äußerlich erkennbare Beratung stattgefunden habe.

Der Einzelrichter berät nur mit sich selbst. Bei ihm ist im Gegensatz zum Kollegialgericht die Beratung ein Vorgang, der sich im Innern eines einzelnen Menschen abspielt. Er bedeutet im Gegensatz zur Beratung des Kollegialgerichts, daß der Richter nicht mit anderen berät, sondern bei sich überlegt, wie zu entscheiden ist. Mit vorbereitenden Überlegungen hierzu beginnt ein Richter in aller Regel nicht erst nach dem Schlußwort des Angeklagten, sondern schon vorher. Die Beratung des Einzelrichters ist im Grunde genommen nur eine unmittelbare Fortsetzung dieser Überlegungen. Sie endet in dem Augenblick, in dem der Richter seine Überlegungen abschließt, d.h. sich endgültig entscheidet, Hierzu kann es nach dem Schlußwort des Angeklagten längerer Überlegungen bedürfen. Es gibt aber auch Fälle, die so klar liegen, daß Sekunden genügen. Die so geartete Beratung des Einzelrichters kann zwar äußerlich in die Erscheinung treten, braucht dies aber nicht unbedingt zu tun. Es gibt weder ein Gesetz noch einen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß der Einzelrichter nach dem Schlußwort des Angeklagten Vorkehrungen treffen muß, die äußerlich erkennbar machen, daß er noch überlegt.

Die Entscheidung entspricht im wesentlichen dem Antrage den Generalbundesanwalts.

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