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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Umbeiordnung, Rechtsmittel

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Beschl. v. 21.06.2012 - 1 Ws 54/12

Leitsatz: Ist der Rechtsanwalt vom erkennenden Gericht mit einer gebührenbezogenen Einschränkung zum Pflichtverteidiger bestellt worden, kann der Rechtsanwalt dagegen Beschwerde einlegen. § 305 StPO steht dem nicht entgegen.


1 Ws 54/12
Hanseatisches Oberlandesgericht
1. Strafsenat
In pp.

hier betreffend Bestellung und Entpflichtung von Pflichtverteidigern
hat der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 21. Juni 2012 durch
den Vorsitzenden Richter
am Oberlandesgericht
den Richter
am Oberlandesgericht
den Richter
am Amtsgericht
beschlossen:
I. Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts G. wird der Beschluss des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 10 des Landgerichts Hamburg vom 11. April 2012 dahin geändert, dass der gebühreneinschränkende Zusatz ,,ohne Mehrkosten für die Staatskasse" entfällt.
II. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 10 des Landgerichts Hamburg vom 7. Mai 2012 insoweit aufgehoben, als dadurch die am 11. April 2012 erfolgte Bestellung des Rechtsanwalts G. zum Pflichtverteidiger aufgehoben worden ist. Rechtsanwalt G. ist weiterhin Pflichtverteidiger.
III. Die Kosten beider Beschwerden und die durch sie dem jeweiligen Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:
1. Das gemäß § 300 StPO als Beschwerde zu behandelnde „Rechtsmittel" des Rechtsanwalts G. vom 7. Mai 2012, welches er im eigenen Namen gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer 10 des Landgerichts Hamburg vom 11. April 2012 insoweit eingelegt hat, als die Umbeiordnung mit dem einschränkenden Zusatz "ohne Mehrkosten für die Staatskasse" versehen wurde. ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Durch diesen einschränkenden Zusatz wird in den Gebührenanspruch des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger gegen die Staatskasse eingegriffen (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 09, 348 f.; OLG Braunschweig, E. v, 9.8.2011, Ws 128/11 — aus juris).

a) § 305 S. 1 StPO steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Zwar hat der Vorsitzende des erkennenden Gerichts entschieden. . Dies gilt nach der - auch vom Senat geteilten - herrschenden Meinung schon für die Pflichtverteidigerbestellung als solche, weil sie bei der Urteilsfällung nicht geprüft wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54, Aufl., Rn, 10a zu § 141 m.w.N.). Erst recht gilt dies aber für die gebührenbezogene Einschränkung bei der Verteidigerbestellung. Außerdem handelt es sich insoweit um eine Entscheidung, durch die der Rechtsanwalt i.S.d. § 305 S. 2 StPO als dritte Person betroffen wird.
b) Rechtsanwalt G. ist durch den hier fraglichen gebührenbezogenen Zusatz beschwert Zwar bewirkt die Einschränkung keine unmittelbare Minderung der Pflichtverteidigervergütung, sondern sie kann erst im Festsetzungsverfahren zum Tragen kommen. Aber bereits der Erlass der gerichtlichen Entscheidung begründet die Beschwer, an der es auch nicht deshalb fehlt, weil die Einschränkung möglicherweise keine Wirkung im anschließenden Festsetzungsverfahren entfaltet. Zwar ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht an die Einschränkung des Vergütungsanspruchs aus dem Beiordnungsbeschluss gebunden, weil sie keine Grundlage im Gesetz findet (vgl. etwa OLG Brandenburg StraFo 06, 214 f.; Volpert in Burhoff [Hrsg.) RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Rn. 23 zu § 54). Der Rechtsanwalt muss aber damit rechnen, dass sich der Urkundsbeamte an die gerichtliche Entscheidung hält (zur Beschwer in derartigen Fällen ebenso OLG Düsseldorf a.a.O.; auch Volpert a.a.O.).

c) Die Beschwerde ist auch entscheidungsreif. Dass diesbezüglich eine Entscheidung über eine Nichtabhilfe nicht vorliegt — der Kammervorsitzende hält, wie sich aus seinem Beschluss vom 7. Mai 2012 ergibt, das hier behandelte Rechtsmittel gegen seine Entscheidung vom 11. April 2012 für erledigt — steht einer Beschwerdeentscheidung des Senats nicht entgegen. Denn diese setzt eine Durchführung des Abhilfeverfahrens bei der Vorinstanz nicht notwendig voraus (vgl. Meyer-Goßner a.a.O., Rn. 10 zu § 306).
d) Die Beschwerde ist entgegen der schon erwähnten Ansicht des Kammervorsitzenden nicht durch die mit seiner Entscheidung vom 7. Mai 2012 erfolgte Aufhebung des Beschlusses vom 11. April 2012, durch den die Beiordnung des Rechtsanwalts W. mit dessen Einverständnis aufgehoben und Rechtsanwalt G. dem Angeklagten „ohne Mehrkosten für die Staatskasse" beige- ordnet worden war, erledigt. Denn die durch diese Entscheidung vom 7. Mai 2012 erfolgte Aufhebung der Beiordnung des Rechtsanwalts G. hat keinen Bestand (s. Ziffer II.),
2. In der Sache hat die Beschwerde Erfolg. Die einseitig durch das Gericht aus- gesprochene gebührenbezogene Einschränkung ist nicht gerechtfertigt.
a) Zwar gilt, dass grundsätzlich eine sog. Umbeiordnung — auch für eine neue Instanz — ohne den sonst für eine Entpflichtung erforderlichen wichtigen Grund nur dann zulässig ist, wenn neben dem Angeklagten beide Verteidiger einverstanden sind, keine Verfahrensverzögerung zu besorgen ist und der Staatskasse durch die Umbeiordnung keine Mehrkosten entstehen (hM, vgl. etwa HansOLG Hamburg StraFo 98, 307; Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 5a zu § 143). Dies bedeutet aber nicht, dass das Gericht bzw. der Vorsitzende die Entstehung von Mehrkosten für die Staatskasse durch eigene Entscheidung ausschließen kann, indem er von sich aus eine Einschränkung des Gebührenanspruchs des neuen (oder des alten) Verteidigers ausspricht. Denn hierfür fehlt eine rechtliche Grundlage (OLG Brandenburg a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; Volpert a.a.O.). Wenn nicht der neue (oder der alte) Verteidiger schon von sich aus eine Erklärung abgibt, wonach er seinen Gebührenanspruch insoweit nicht geltend machen werde, als dadurch eine Mehrbelastung der Staatskasse entstehen würde, ist es Sache des Vorsitzenden, eine entsprechende Frage zu stellen und von deren Beantwortung durch den Verteidiger seine Entscheidung über die Unibeiordnung abhängig zu machen, Ein solcher teilweiser Gebührenverzicht bzw. die Erklärung, einen Gebührenanspruch hinsichtlich des betreffenden Teils nicht geltend machen zu wollen, ist nach — vom Senat geteilter — überwiegender Ansicht zulässig und wirksam (vgl, HansOLG Hamburg a.a.O.; OLG Bamberg NStZ 2006, 467; OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 210-211; OLG Düsseldorf a.a.O.; Volpert a.a.O.). Jedoch ist in vorliegender Sache eine derartige Erklärung nicht abgegeben worden. Es hat auch eine entsprechende Anfrage seitens des Vorsitzenden nicht gegeben. Ebenso gab es keinen ausreichenden Grund für die Annahme, der Rechtsanwalt sei stillschweigend mit der ausgesprochenen Gebührenbegrenzung einverstanden. Denn er hatte einen wichtigen Grund für die Umbeiordnung behauptet, so- dass unabhängig davon, ob ihm die einschlägige Rechtsprechung zu dieser Frage bekannt war, nicht davon ausgegangen werden kann, dass auch er seine Beiordnung an Stelle des bis dahin tätig gewesenen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt W. nur bei einem entsprechendem Einverständnis seinerseits mit der gebührenbezogenen Einschränkung für möglich gehalten habe.

Das Fehlen einer Einverständnis- bzw. (Teil-)Verzichtserklärung hätte zwar dazu führen können, die Beiordnung abzulehnen — es sei denn, der Kammervorsitzen- de hätte einen wichtigen Grund für den Verteidigerwechsel aus Gründen der besonderen Verfahrenskonstellation bejaht —, nicht aber dazu, die Beiordnung mit der genannten Einschränkung von Gerichtsseite aus vorzunehmen.

b) Wegen der somit gegebenen Fehlerhaftigkeit der Entscheidung vom 11. April 2012 ändert sie der Senat dahin ab, dass die gebührenbezogene Einschränkung entfällt. Sie ist nicht auch hinsichtlich der Beiordnung des Rechtsanwalts G. als solcher (und der gleichzeitigen Entpflichtung des Rechtsanwalts W.l) aufzuheben. Letzteres folgt allerdings nicht aus einem — im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht geltenden — Verschlechterungsverbot (so aber OLG Braun- schweig, B. v. 9.6.2011, Ws 126 /11 — aus juris — unter Hinweis auf Entscheidungen von Zivilsenaten des OLG Schleswig, B. v. 18.2.2009, 8 VVF 27109, und des OLG Hamm, B. v. 26_6,2006, 1 VVF 157/06), sondern aus der hier von vornherein

5
auf den gebührenbezogenen Zusatz beschränkten Anfechtung irr Rechtsmittelschriftsatz vorn 7. Mai 2012 („. insoweit Rechtsmittel eingelegt, als dass unter der Einschränkung ... ‚ohne Mehrkosten für die Staatskasse beschlossen wurde"). Eine derart beschränkte Anfechtung durch Rechtsanwalt G. im eigenen Namen ist zulässig. Die angefochtene gebührenbezogene Einschränkung ist von der Beiordnung als solcher trennbar. Letztere hätte der Rechtsanwalt aus eigenem Recht auch nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO, also bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gegen seine Bestellung anfechten können.
Die zutreffend namens und in Vollmacht des Angeklagten erhobene, gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde gegen den Beschluss vom 7. Mai 2012, mit dem der Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 10 des Landgerichts Hamburg die am 11. April 2012 erfolgte Bestellung des Rechtsanwalts G. zum Pflichtverteidiger des Angeklagten aufgehoben (und Rechtsanwalt Westphal erneut zum Pflichtverteidiger bestellt) hat, ist ebenfalls begründet und führt zu der aus dem Tenor (unter Ziffer II.) ersichtlichen Teilaufhebung.
Die Aufhebung der Bestellung des Rechtsanwalts G. zum Pflichtverteidiger des Angeklagten war nicht gerechtfertigt.
Zwar kann grundsätzlich ein Richter eine Entscheidung, die mit einem nicht befristeten Rechtsmittel angefochten werden kann, unabhängig von der Einlegung eines solchen Rechtsmittels wieder aufheben oder abändern, wenn sich nachträglich die Rechtsfehlerhaftigkeit der Entscheidung herausstellt (vgl. Matt in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Rn. 60 vor § 304; Engelhardt in KK-StP0,
Aufl., Rn. 12 zu § 306). Jedoch gelten gemäß dem Sinn und Zweck der Pflichtverteidigerbestellung für deren Aufhebung einschränkende Voraussetzungen. Die Beiordnung ist nicht frei widerruf- bzw. rücknehmbar, sondern nur aus den ausdrücklich im Gesetz (§§ 138a-b, 143 StPO) genannten — hier nicht gegebenen — Gründen oder (so die ganz herrschende Meinung) aus einem wichtigen Grund, welcher bei Vorliegen eines Umstandes gegeben ist, welcher den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. etwa BGH NJW 90, 1373 f. und NStZ 88, 510: KG Berlin JR 82, 349 f. und StV 081 68 ff.; OLG Düsseldorf StraFo 98, 228; HansOLG Hamburg NStZ 98, 586 f.; Kett-Straub NStZ 06, 361, 363 f.; Meyer-Goßner a.a.O., Rn. 3 zu § 143; Laufhütte in KK-StPO, 6, Aufl., Rn. 4 f. zu § 143; auch BVerfGE 39, 238, 244 f. mit dem Hinweis auf die Vergleichbarkeit mit dem Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes). Als solche wichtigen Gründe werden etwa angesehen eine nachhaltige schwere Vertrauenskrise zwischen dem Verteidiger und dem Ange- klagten, die Gefahr eines Interessenkonflikts, eine langwierige Erkrankung des Verteidigers oder seine sonstige längere Verhinderung, ein mangelnder Wille des Verteidigers zu einer Verteidigung des Angeklagten und seine entsprechende Weigerung oder eine sich nachträglich herausstellende Unfähigkeit des Rechtsanwalts zur Verteidigung (die sehr sorgfältiger Prüfung bedarf, damit nicht der Vorsitzende zum Wächter darüber wird, was als Verteidigungsstrategie im Interesse des Angeklagten liegt und was nicht). Auch ein gravierender Missbrauch prozessualer Befugnisse kann, wenn ein Fehlverhalten von besonderem Gewicht vorliegt, die Abberufung des Pflichtverteidigers rechtfertigen (vgl. KG Berlin StV 08, 68 ff,; HansOLG Hamburg a.0.). Als ein im vorgenannten Sinne wichtiger Grund, der den Zweck der Pflichtverteidigung oder den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf gefährdet, ist aber jedenfalls nicht der hier gegebene Umstand an- zusehen, dass entgegen der Erwartung des Vorsitzenden sich nachträglich her- ausstellt, dass der Verteidiger nicht zum teilweisen Gebührenverzicht bereit ist, wenn der Vorsitzende selbst — rechtsfehlerhaft — von dem Rechtsanwalt einen solchen Verzicht bzw. ein solches Einverständnis nicht eingeholt hatte.

Ein die Aufhebung der durch Beschluss vom 11. April 2012 erfolgten Beiordnung des Rechtsanwalts G. rechtfertigender Grund hat nicht bestanden. Die aufhebende Entscheidung durch Beschluss vom 7. Mai 2012 war deshalb aufzuheben und rückgängig zu machen.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass gleichzeitig auch die durch den Beschluss vom 7. Mai 2012 ebenfalls erfolgte neue Beiordnung des Rechtsanwalts W. aufzuheben wäre. Denn auch hierfür fehlt ein wichtiger Grund und außerdem wäre eine solche Aufhebung mit seiner Rolle als in der Berufungshauptverhandlung tatsächlich für den Angeklagten tätig gewordener Verteidiger nicht in Einklang zu bringen.
Dass der Angeklagte auf diese Weise im Berufungsverfahren zwei Pflichtverteidiger hat (von denen allerdings nach dem Kenntnisstand des Senats nur Rechtsanwalt W. an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, während Rechtsanwalt G. verhindert war, jedoch vor der Hauptverhandlung tätig war), ist hinzunehmen, da die Behandlung der Sache beim Landgericht insgesamt weder dem Angeklagten noch den Verteidigern zum Nachteil gereichen darf. Sofern durch diese Sachbehandlung zusätzliche Kosten entstehen sollten, erschiene dem Senat eine Nichterhebung derselben gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG angezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich beider Beschwerden auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Einsender: RA O.Georgieff, Hamburg

Anmerkung:


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