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Entscheidungen

OWi

Geschwindigkeitsüberschreitung, Messung, Beweisverwertungsverbot, Leivtec

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.05.2012 - 1 (3) SsBs 8/12-AK 9/12

Leitsatz: Zur (verneinten) Annahme eines Beweisverwertungsverbotes bei Dauervideoaufzeichnungen im Straßenverkehr.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE
1. Senat für Bußgeldsachen

1 (3) SsBs 8/12-AK 9/12
17 OWi 306 Js 15109/10
Bußgeldsache gegen pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
Beschluss vom 30. Mai 2012
1. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Baden-Baden, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Baden-Baden vom 25. Oktober 2011 zuzulassen, wird als unbegründet verworfen (§§ 80 Abs. 4, 80 a Abs. 1 OWiG).
2. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:
Das Amtsgericht hat die Betroffene, gegen welche die Stadtverwaltung Baden- Baden am 06.10.2010 wegen Überschreitung der zulässigen Höchst-geschwindigkeit um 29 km/h am 22.06.2010 um 11.45 Uhr in 76532 Baden-Baden auf der B 500 Europastraße in Höhe Danziger Straße in Richtung BAB eine Geldbuße von 80 € festgesetzt hatte, mit Urteil vom 25.10.2011 von diesem Vorwurf freigesprochen, weil es die mit der Videokamera Leivtec XV 2 durchgeführte Messung nicht als verwertbar angesehen hat und weitere Beweismittel zum Nachweis der Ordnungswidrigkeit nicht vorlagen. Gegen dieses der Staatsanwaltschaft Baden-Baden am 06.12.2011 zugestellte Urteil hat diese mit am 13.12.2011 beim Amtsgericht Baden-Baden eingegangenen Schreiben vom 09.12.2011 Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, mit welcher sie die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Der Verteidiger der Betroffenen hat wegen Fehlens der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OWiG auf Zurückweisung des Zulassungsantrages angetragen,
Ein Grund, der es geböte, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen, ist nicht gegeben.
Nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 OWiG wird die Rechtsbeschwerde wegen Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von anderen Rechtsnormen zur Fortbildung des Rechts nur dann zugelassen, wenn der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid eine Geldbuße von nicht mehr als einhundertfünfzig Euro festgesetzt oder eine solche Geldbuße von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war. Dabei kann der Senat zunächst offenlassen, ob der Zulassungsantrag bereits deshalb zurückzuweisen wäre, weil die vom Amtsgericht vorgenommene Annahme eines Verwertungsverbots mit der hier nicht zulässigen Verfahrensrüge hätte geltend gemacht werden müssen (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2011, 323; Hanseatisches Oberlandesgericht DAR 2011, 35) oder ob dem Senat aufgrund der zureichenden Feststellungen im angefochtenen Urteil - jedenfalls vorliegend - auch dessen Überprüfung auf die Sachrüge hin möglich ist (so BGHSt 51, 285; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage 2011, § 261 Rn. 38)45 Rn. 17), denn bei dem vom Amtsgericht Baden-Baden angenommenen Vorliegen eines Verwertungsverbots handelt es sich um die Entscheidung eines Einzelfalles, welchem keine grundsätzliche Bedeutung beikommt.

Welche Anforderungen an die Annahme eines Verwertungsverbots bei Dauervideoaufzeichnungen im Straßenverkehr zu stellen sind, ist spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.05.2011 - 2 BvR 2072/10 - (WW 2011, 457) geklärt. Danach ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, demzufolge jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, grundsätzlich fremd, vielmehr ist dies nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Diese allgemeinen strafprozessualen Grundsätze sind über § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren sinngemäß anwendbar. Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung "um jeden Preis" gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbotes eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist, etwa bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers oder zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind oder aber der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl. BVerfG a.a.O.).

Diesen Maßstäben hat das Amtsgericht bei Annahme eines Verwertungsverbots vorliegend nicht hinreichend Rechnung getragen. Zunächst sind die Urteilsgründe bereits in tatsächlicher Hinsicht deshalb lückenhaft, weil sie die Annahme, die Messung sei verdachtsunabhängig erfolgt nicht tragen. Insoweit hat sich das Amtsgericht im Rahmen der durchgeführten Beweiswürdigung nämlich allein auf eine Inaugenscheinnahme des Videobandes gestützt, aus welchem sich ergibt, dass nach Messung eines anderen Verkehrsteilnehmers die Kamera in einem Zug ohne erkennbaren zeitlichen Abstand und mithin auch ohne Unterbrechung der Aufnahme sofort auf das Fahrzeug der Betroffenen schwenke. Insoweit weist die Staatsanwaltschaft zu Recht darauf hin, dass sich das Amtsgericht auch mit der Frage hätte befassen müssen, ob die die Messung durchführende Person den notwendigen konkreten Anfangsverdachts des Vorliegens einer Ordnungswidrigkeit (§ 24 StVG, 46 OWiG, 100 h StPO) auch anderweitig hätte gewinnen können und tatsächlich gewonnen hat, etwa durch persönliche visuelle oder au Wahrnehmung des Fahrzeugs über den Sucher der Kamera hinaus. Selbst wenn aber Feststellungen zum Bestehen eines konkreten Anfangsverdachts im Rahmen einer Vernehmung des Messbeamten nicht hätten gewonnen werden können, hat das Amtsgericht bei Annahme eines Verwertungsverbotes nicht zureichend bedacht, dass die Verwendung der Videoaufzeichnung zum Nachweis des Abstandsverstoßes nicht den absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung der Betroffenen oder deren enger Privatsphäre berührt hat, da sie sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei ausgesetzt hat. Hinzu kommt, dass der aufgezeichnete und festgestellte Lebenssachverhalt auf einen sehr kurzen Zeitraum begrenzt ist. Auch lässt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht schließen, dass der Messbeamte bewusst, vorsätzlich oder willkürlich ohne die erforderliche Ermächtigungsgrundlage eine nicht anlassbezogene Dauerüberwachung des fließenden Verkehrs durchgeführt hat, vielmehr sind auf dem vom Amtsgericht in Augenschein genommenen Videoband lediglich zwei Fahrzeuge zu sehen. Eine versehentlich oder irrtümlich ohne vorherige zureichende Beurteilung des Anfangsverdachts durchgeführte Messung könnte aber ein Verwertungsverbot nicht begründen.

Der Umstand, dass die angefochtene Entscheidung diesen Maßstäben nicht gerecht wird, wirkt sich vorliegend aber nur im Einzelfall aus und kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht begründen (Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 80 Rn. 3 ff.).

Einsender: RA D.Sprafke, Baden-Baden

Anmerkung:


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