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Entscheidungen

Haftfragen

Wiederholungsgefahr; Voraussetzungen, Haftgrund

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 28.02.2012 - 4 Ws 18/12

Leitsatz: Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 StPO) dient nicht der Verfahrenssicherung, sondern soll die Rechtsgemeinschaft vorbeugend vor weiteren Straftaten schützen, so dass an diese präventive Sicherungshaft aus verfassungs-rechtlichen Gründen strenge Anforderungen zu stellen sind. Danach muss der Angeklagte zunächst dringend verdächtig sein, wiederholt Straftaten nach dem enumerati-ven Katalog des § 112 a Abs. 1 StPO begangen und dadurch die Rechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung der Opferperspektive schwerwiegend beeinträchtigt zu haben. Zudem muss eine Freiheitsentziehung von mehr als einem Jahr zu erwarten sein. Zu berücksichtigen sind auch die früheren Taten des Angeklagten.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
4 Ws 18/12

In der Strafsache
gegen pp.

wegen räuberischer Erpressung u. a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 28. Februar 2012 beschlossen:

1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdau-erbeschluss des Landgerichts Berlin vom 7. Februar 2012 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmit-tels zu tragen.

Gründe:
Das Landgericht Berlin hat den Beschwerdeführer am 7. Februar 2012 der schweren räuberischen Erpressung und der versuchten räuberischen Erpressung für schuldig befunden und gegen ihn unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 26. November 2010 - (390) 47 Js 228/10 Ls (45/10) - (Tatvorwurf: Gemeinschaftlicher Raub; Jugendstrafe von einem Jahr, wobei die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstre-ckung der Jugendstrafe zur Bewährung zunächst nach § 57 Abs. 1 JGG für die Dauer von sechs Monaten zurückgestellt worden und sodann endgültig ausgesetzt worden war), eine einheitliche Ju-gendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verhängt. Über seine hiergegen eingelegte Revision ist noch nicht entschieden worden.

Der Angeklagte befindet sich seit dem 21. Oktober 2011 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin - 382 Gs 395/11 - vom selben Tage in Untersuchungshaft, wobei der Haftbefehl auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützt worden ist. Durch Beschluss vom 19. Dezember 2011 hat das Landgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 17. November 2011 unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor der 13. großen Strafkammer - Jugendkammer - zur Hauptverhandlung zugelassen und Haftfortdauer aus den Gründen ihrer Anordnung beschlossen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die Fort-dauer der Untersuchungshaft aus den Gründen ihrer Anordnung und des Urteils vom gleichen Tage angeordnet. Die Voraussetzungen für die angeordnete Haftfortdauer liegen vor.

1. Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 StPO) folgt aus der Verurteilung des Angeklagten und bedarf keiner näheren Er-örterung (vgl. BGH in NStZ 2006, 297 und NStZ 2004, 276, 277). Das Landgericht hat sich aufgrund des Ergebnisses der durchge-führten Hauptverhandlung von der Schuld des Angeklagten über-zeugt und hat - die Urteilsgründe liegen noch nicht vor – in der Nichtabhilfeentscheidung dargelegt, dass die Strafkammer der Einlassung des Angeklagten, der den Tatvorwurf bestritten hat, keinen Glauben geschenkt hat.

2. Es besteht der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Entgegen der Rechtsauffassung des Vertei-digers ist § 112 a StPO auch im Jugendstrafrecht anwendbar (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 2008 in StV 2009, 83; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Oktober 2001 in StV 2002, 432 = NStZ 2004, 80 bei Paeffgen).

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr dient nicht der Verfah-renssicherung, sondern soll die Rechtsgemeinschaft vorbeugend vor weiteren Straftaten schützen, so dass an diese präventive Sicherungshaft aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge An-forderungen zu stellen sind (vgl. KG, NStZ-RR 2010, 291; BVer-fGE 19, 342, 349 ff und 35, 191, 195; Hilger
in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 112 a Rdn. 10, 30).

a. Danach muss der Angeklagte zunächst dringend verdächtig sein, wiederholt, d.h. in mindestens zwei Fällen, Straftaten nach dem enumerativen Katalog des § 112 a Abs. 1 StPO begangen und dadurch die Rechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung der Opferperspektive schwerwiegend beeinträchtigt zu haben, wofür erforderlich ist, dass die in Frage kommenden, bereits abstrakt erheblichen Strafvorschriften auch konkret in überdurchschnittlicher Weise verletzt worden sind (vgl. Senat, Beschluss vom 10. April 2007 -4 Ws 47/07-; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 210, 211; OLG Dresden StV 2006, 534, 535; OLG Frank-furt/M. NStZ 2001, 75, 76). Zudem muss eine Freiheitsentziehung von mehr als einem Jahr zu erwarten sein, wozu auch die Jugendstrafe zählt (vgl. Hilger in Löse-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 112 a Rdn. 46; Meyer-Goßner a.a.O., § 112 a Rdn. 10).
So verhält es sich hier.

Es liegen zwei schwerwiegende, wiederholt und fortgesetzt be-gangene Anlasstaten vor, wobei der Schwerpunkt im Fall zu Las-ten des Zeugen A. auf der ihm angedrohten Körperverlet-zungshandlung und seiner psychischen Beeinträchtigung beruht, weil der durch die Erpressung erstrebte Vermögensvorteil nur vergleichsweise niedrig ausfallen konnte (vgl. Senat, aaO.; OLG Frankfurt/M. NStZ 2001, 75, 76; Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 112a Rdn. 9; Hilger in Löwe/Rosenberg a.a.O., § 112a Rdn. 32, 34). Hinsichtlich der Tat zu Lasten des Zeugen
D. ist die Kammer ausweislich der Nichtabhilfeentschei-dung vom 10. Februar 2012 davon ausgegangen, dass der Ange-klagte dem Zeugen unter Androhung von Verletzungen mit einem Messer nicht nur Bargeld in Höhe von ca. 60 Euro, sondern auch einen Pittbull im Wert von ca. 250 Euro weggenommen hat. Das Landgericht hat eine Jugendstrafe von mehr als einem Jahr ver-hängt.

b. Bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr sind auch die früheren Taten des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 7. September 2004 -2 Ws 410/04-; Meyer-Goßner a.a.O., § 112a Rdn. 8 m.w.N.).

Der Angeklagte ist bereits mehrfach auch wegen vergleichbarer schwerer Straftaten strafrechtlich in Erscheinung getreten. Am 2. November 2006 ist er vom Amtsgericht Tiergarten – (391 Ds) 1 Ju Js 2012/06 (226/06) – wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einem Jugend-arrest von zwei Wochen verurteilt worden. Am 25. Oktober 2007 – (423) 2 Ju Js 1130/07 Ls (32/07) – verurteilte ihn dasselbe Gericht wegen schwerer räuberischer Erpressung, vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen und versuchten Wohnungsein-bruchsdiebstahls zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die er bis zum 22. April 2009 auch verbüßte. Am 26. November 2010 - (390) 47 Js 228/10 Ls (45/10) - ist er wegen eines am 25. April 2010 gemeinschaftlich begangenen Raubes zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt worden, wobei die Bewährungszeit bis zum 13. Juli 2013 andauert.

Im vorliegenden Verfahren ist der Angeklagte von der Jugend-kammer wegen einschlägiger Delikte während des Laufs einer Be-währungszeit unter Einbeziehung der Verurteilung vom 26. No-vember 2010 – einer Katalogtat - zu einer einheitlichen Ju-gendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Er hat erneut Gewaltdelikte - wie bereits in der Vergangenheit - begangen und ist auf öffentlichem Straßenland auf aggressive Art und Weise gegen seine ihm unbekannten Opfer vorgegangen; er hat sie derart bedroht, dass – ausweislich der Nichtabhil-feentscheidung der Kammer vom 10. Februar 2012 - der Zeuge A. (Tat vom 5. Oktober 2011) in einen Spätkauf geflüchtet und das Geschäft erst verlassen hat, als der Angeklagte nicht mehr in Sichtweite war. Anschließend soll er sich aus Angst etwa zwei Wochen nicht mehr aus dem Haus gewagt haben. Die Taten liegen in ihrem Unrechtsgehalt und Schweregrad mindestens im Bereich der überdurchschnittlichen Kriminalität, wodurch die Voraus-setzungen des § 112 a StPO erfüllt sind (vgl. Meyer-Goßner, StPO 54. Aufl., § 112 a Rdn. 12).

2. Mildere Maßnahmen nach § 116 Abs. 3 StPO kommen schon auf-grund des Vorlebens des Angeklagten nicht in Betracht. Diese sind nur in besonderen Ausnahmefällen, die hier nicht vorlie-gen, zu verantworten. Der Angeklagte ist immer wieder in kurzen Zeitabständen, auch nach Verbüßung von Jugendstrafe und selbst in der Haftanstalt - am 25. Juni 2008 und am 28. Februar 2009 - straffällig geworden und musste auch wegen erheblicher Gewaltdelikte verurteilt werden. Die vorliegenden Taten hat er wenige Monate nach einer ihm gewährten Bewährung während der Bewährungszeit begangen.

3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet auch nicht die Aufhebung des Haftbefehls oder dessen Außervollzugsetzung. Die Aufrechterhaltung des Haftbefehls steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe von weit über einem Jahr nicht außer Verhältnis (§ 120 StPO). Der Angeklagte be-findet sich seit vier Monaten in Untersuchungshaft.

4. Die Kostentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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