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Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.03.2012 - 6 Ss 54/12
Leitsatz: Das im Bußgeldverfahren nach Verkündung eines Urteils im ersten Rechtszug ausgelöste Ruhen der Verfolgungsverjährung bleibt von nachfolgenden Rechtsfehlern unberührt. Das Ruhen der Verfolgungsverjährung ist insbesondere auch dann wirksam, wenn eine ordnungsgemäße Absetzung der getroffenen Entscheidung unterbleibt.
In pp. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 25. Februar 2010 aufgehoben . Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Ludwigsburg zurückverwiesen. Gründe I. Mit Urteil vom 25. Februar 2010 verhängte das Amtsgericht Ludwigsburg gegen die Betroffene wegen "(...) einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Überschreitens der innerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 Km/h um 34 Km/h (...)" eine Geldbuße von 100,--; überdies wurde ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet. Die Betroffene hat hiergegen am 03. März 2010 Rechtsbeschwerde eingelegt; das Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg. II. 1. Die (rechtzeitig eingelegte) Rechtsbeschwerde ist zulässig; insbesondere ist auch die am 05. Januar 2012 eingegangene Begründung des Rechtsmittels fristgerecht (§§ 345 Abs. 1 S. 1 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG) erfolgt. Klarstellend ist hierzu Folgendes zu bemerken: Ausweislich des richterlichen Vermerks vom 19. Oktober 2011 wurde das in Rede stehende, am 25. Februar 2010 verkündete Urteil in der Folge zunächst "(...) aus Gründen, die aus der Akte nicht ersichtlich sind (...) nicht abgesetzt und zugestellt". Mit Verfügung vom 07. November 2011 hat das Amtsgericht daraufhin die Zustellung einer Ausfertigung des (schriftlich) vorliegenden (Urteils-) Tenors veranlasst, verbunden mit dem Hinweis, dass "(...) diese Urkunde die für das weitere Verfahren maßgebliche Entscheidung ist". Die Frist zur Begründung der eingelegten Rechtsbeschwerde wurde mit Zustellung dieses Schriftstücks an den Verteidiger erst am 04. Januar 2012 in Lauf gesetzt (§ 37 Abs. 2 StPO). 2. Das Rechtsmittel, mit dem die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, ist auch begründet. a. Wie ausgeführt, enthält das angefochtene Urteil des Amtsgerichts - ohne dass die Voraussetzungen des § 77b OWiG vorlägen - keine (verschriftete) Begründung. Die fehlende Urteilsabsetzung führt in diesem Fall bereits auf die gegebene Sachrüge zur Aufhebung der beanstandeten Entscheidung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 338 Rdnr. 52 m. w. N.). b. Hinsichtlich der von der Verteidigung erhobenen Einrede der Verjährung verhält es sich wie folgt: Gemäß § 32 Abs. 2 OWiG läuft die (Frist der) Verfolgungsverjährung, die als Verfahrensvoraussetzung/-hindernis vom Senat im Rahmen der Rechtsbeschwerde von Amts wegen eigenständig unter Benutzung aller verfügbaren Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren zu überprüfen ist (vgl. Gürtler, in Göhler, OWiG, 15. Aufl., Vor § 31 Rdnr. 3 sowie Seitz in Göhler, aaO., § 79 Rdnr. 47a), in Bußgeldsachen nicht vor dem Zeitpunkt ab, in dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, sofern vor Ablauf der Verjährungsfrist ein Urteil des ersten Rechtszuges oder ein Beschluss nach § 72 OWiG ergangen ist; eine zeitliche Limitierung gibt es in diesem Zusammenhang nicht (vgl. Bohnert, OWiG, 3. Aufl., § 32 Rdnr. 16), weshalb infolge der Ablaufhemmung auch die Grenze der absoluten Verjährung durchbrochen werden kann. Hiernach ist festzustellen, dass die Tat vom 22. Januar 2009 nicht verjährt ist. Durch das angefochtene Urteil wurde die am 25. Februar 2010 noch nicht abgelaufene Verjährungsfrist gemäß § 32 Abs. 2 OWiG zum Ruhen gebracht. Der Senat verkennt nicht, dass eine gerichtliche Entscheidung im Sinne der genannten Vorschrift, die an einem wesentlichen Formmangel leidet und sich (insofern) als unvollständig erweist, für den Eintritt dieser Hemmungswirkung nicht ausreichen kann (vgl. Gürtler in Göhler, aaO., § 32 Rdnr. 7; OLG Frankfurt, DAR 2007, 38 f.; OLG Hamm ZfS 2004, 92 f.). Ein entsprechendes, dem Ruhen der Verfolgungsverjährung entgegen stehendes Defizit lässt sich vorliegend indes nicht feststellen: Für den Fall eines erstinstanzlichen Urteils ist die Verkündung der betreffenden Entscheidung für das Ruhen der Verfolgungsverjährung gemäß § 32 Abs. 2 OWiG notwendig aber auch ausreichend. Auf die inhaltliche Richtigkeit des Urteils kommt es nicht an (vgl. Bohnert, aaO., § 32 Rdnr. 11); demzufolge sind auch rechtlich fehlerhafte Entscheidungen geeignet, den Ablauf der Verjährungsfrist zu hemmen, sofern kein nichtiges Urteil anzunehmen ist, was (ausnahmsweise) dann in Betracht kommen kann, wenn besonders gravierende Mängel vorliegen, die der Strafprozessordnung und wesentlichen Rechtsstaatsprinzipien so evident widersprechen, dass es für die Rechtsgemeinschaft unerträglich wäre, sie als verbindlich hinzunehmen (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2002, 341; OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.01.2008 - Az. 4 Ws 412/07 -, jeweils m. w. N.). Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist in vorliegender Sache ein Ruhen der Verfolgungsverjährung seit dem 25. Februar 2010 gegeben. Auch wenn - wie hier - lediglich eine schriftlich fixierte Urteilsformel vorliegt und die Fertigstellung eines Urteils im Sinne von §§ 275 StPO, 46 Abs. 1 OWiG wegen Fehlens der hiernach vorgeschriebenen weiteren notwendigen Bestandteile (Rubrum, schriftliche Entscheidungsgründe, Unterschrift/en der/des an der Entscheidung beteiligten Berufsrichter/s) nicht gegeben ist, führt dies zu keiner Nichtigkeit der getroffenen Entscheidung. Die aus dem beschriebenen Versäumnis resultierende (Rechts-) Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils steht dem Eintritt der Ablaufhemmung im Sinne von § 32 Abs. 2 OWiG mithin nicht entgegen. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage des Eintritts der Hemmungswirkung im Sinne der genannten Vorschrift ist bei den vorliegenden Gegebenheiten (allein) die Urteilsverkündung (Gürtler in Göhler, aaO., § 32 Rdnr. 11; KK-Weller, OWiG, 3. Aufl., § 32 Rdnr. 25). Diese war auch wirksam; entgegen stehende Anhaltspunkte ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Betroffenen noch in sonstiger Hinsicht. Die fehlende Benennung der angewandten Bußgeldvorschrift/en (vgl. §§ 260 Abs. 5 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG) führt nicht zur Unwirksamkeit der getroffenen Entscheidung, da sich der entsprechende (Ordnungswidrigkeiten-) Tatbestand bereits aus dem Wortlaut der Urteilsformel eindeutig ergibt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 19.04.1999 - Az. 2 Ss OWi 37/99 - zitiert nach juris). Eine Einstellung des (Bußgeld-) Verfahrens gemäß §§ 206a StPO, 46 Abs. 1 OWiG scheidet daher aus. III. Im Hinblick auf die Ausführungen der Verteidigung im Schriftsatz vom 12. März 2012 weist der Senat darauf hin, dass eine eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts (§ 79 Abs. 6 OWiG) nicht in Betracht kommt, da Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht nicht vorliegen und noch getroffen werden müssen. Für das weitere Verfahren bleibt anzumerken, dass für den Fall einer (erneuten) Verurteilung der Betroffenen vor dem Hintergrund des bisherigen Verfahrensgangs in entsprechender Anwendung der vom Bundesgerichtshof in Strafsachen entwickelten Grundsätze bei rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen eine Kompensation im Rechtsfolgenausspruch zu erwägen ist (vgl. OLG Hamm DAR 2011, 409 ff.). Bei Berücksichtigung des mittlerweile gegebenen (längeren) zeitlichen Abstands zur Tat (-begehung) und der (bisherigen) - außerhalb des Einflussbereichs der Betroffenen liegenden - Dauer des Verfahrens, kann insofern auch eine Erhöhung der Geldbuße unter Wegfall der Fahrverbotsanordnung in den Blick zu nehmen sein (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 323).
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