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Leitsatz: 1. Wird aufgrund einer Nachfolgeentscheidung im Vollstreckungsverfahren eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu Unrecht vollstreckt, besteht kein Ent-schädigungsanspruch nach StrEG.
2. In diesem Fall ist die Grundlage für die Vollstreckung weiterhin die Entscheidung, die die Maßregel angeordnet hat und nicht die Nachfolgeentscheidung. Nur wenn die Rechtskraft der Ausgangsentscheidung durchbrochen wird, kann ein Entschä-digungsanspruch nach § 1 Abs. 1 StrEG gegeben sein. Eine Nachfolgeentschei-dung im Vollstreckungsverfahren durchbricht diese Rechtskraft jedoch nicht.
3. Auch die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931) lässt die Rechtskraft von Entscheidungen, die eine Siche-rungsverwahrung angeordnet haben, grundsätzlich unberührt.
4. Eine analoge Anwendung des StrEG auf Sachverhalte, die darin nicht ausdrücklich geregelt sind, ist nicht möglich, weil die Vorschriften dieses Gesetzes Ent-schädigungsansprüche nicht abschließend regeln.
In der Maßregelvollzugssache pp. wegen versuchten Raubes u.a. hier: Antrag auf Entschädigung nach § 1 StrEG wegen verspäteter Entlassung aus der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
erlässt der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg folgenden
Beschluss:
Der Antrag des Verurteilten ihm für den rechtswidrigen Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Zeit vom 12.6.2011 bis 30.6.2011 dem Grunde nach eine Ent-schädigung nach § 1 StrEG zuzuerkennen, wird zurückgewiesen.
Gründe: I. Mit Urteil vom 19.12.1991 hat das Landgericht Ansbach den Verurteilten wegen ver-suchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls in sechs Fällen und des versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und gleichzeitig Sicherungsverwahrung angeordnet. Die ver-hängte Gesamtfreiheitsstrafe hatte der Verurteilte am 12.6.2001 vollständig verbüßt. In der Folgezeit befand er sich in der Justizvollzugsanstalt S in Sicherungsverwah-rung, wobei das Ende des zehnjährigen Vollzugs für den 11.6.2011 vorgemerkt war.
Mit Beschluss vom 3.6.2011 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing die mit Urteil des Landgerichts Ansbach vom 19.12.1991 angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach der Voll-streckung von zehn Jahren ab 1.7.2011 für erledigt erklärt. Erst an diesem Tage wurde der Verurteilte aus der Sicherungsverwahrung entlassen.
Auf die Beschwerde des Verurteilten hat der Senat mit Beschluss vom 22.9.2011 festgestellt, dass der weitere Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Zeit ab 12.6.2011 bis 30.6.2011 rechtswidrig war. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über zehn Jah-re hinaus nach § 67d Abs. 3 StGB seien von der Strafvollstreckungskammer zu Recht verneint worden. Deshalb wäre der Verurteilte mit Ablauf des zehnjährigen Vollzugs, am 11.6.2011 und nicht erst am 1.7.2011 zu entlassen gewesen. Auf die weitere Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.
Mit dem Schriftsatz seines Verteidigers vom 18.10.2011 hat der Verurteilte beantragt, ihm eine Entschädigung gem. § 1 StrEG dem Grunde nach zuzuerkennen. Zur Begründung führte er an, der weitere Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Zeit vom 12.6.2011 bis 30.6.2011 sei rechtswidrig gewesen. Ergänzend brachte er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 1.12.2011 im Wesentlichen vor, der EGMR habe vergleichbar mit dem vorliegenden Fall - in seinem Urteil vom 24.11.2011 (Schönbrod gegen Deutschland) wegen eines verzögerten Prüfungsverfahrens nach § 67c Abs. 1 StGB eine Entschädigung zugesprochen. Zu beachten sei auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4.5.2011. In der Zeit vom 12.6.2011 bis 30.6.2011 habe mangels eines erkennenden Urteils eine Freiheitsentziehung ohne Rechtsgrundlage, wie sie in § 1 Abs. 2 StrEG vorausgesetzt werde, stattgefunden.
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat beantragt, den Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht zurückzuweisen.
II.
1. Über den Antrag des Verurteilten, ihm nach § 1 StrEG dem Grunde nach eine Entschädigung zuzuerkennen, ist im isolierten Beschlussverfahren zu entscheiden.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG ist grundsätzlich gleichzeitig mit dem verfahrensab-schließenden Beschluss über eine Entschädigungspflicht zu befinden. Eine Notwen-digkeit hierzu hat der Senat bei Abfassung des Beschlusses vom 22.9.2011, mit dem er letztinstanzlich über die Erledigung der Unterbringung in der Sicherungsverwah-rung entschieden hat, nicht gesehen. In diesem Fall ist die Entscheidung über die Entschädigungspflicht auf Antrag nachzuholen (Kunz StrEG, 4. Auflage § 8 Rdn. 28 f; Meyer-Goßner StPO, 54. Aufllage § 8 StrEG Rdn. 7; OLG Düsseldorf NJW 1999, 2830; zweifelnd Meyer StrEG, 8. Auflage § 8 Rdn. 18ff).
2. Zuständig hierfür ist das Oberlandesgericht Nürnberg. Über den Grund einer Ent-schädigungspflicht hat nämlich das Gericht zu entscheiden, das die das Verfahren abschließende Entscheidung getroffen hat, aus der der Entschädigungsanspruch erwächst (OLG Thüringen JurBüro 2010, 101; BayObLGSt 94, 71).
3. Der Verurteilte hat wegen des rechtswidrigen Vollzugs der Sicherungsverwahrung in der Zeit vom 12.6.2011 bis 30.6.2011 keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG).
a) Nach § 1 Abs. 1 StrEG wird aus der Staatskasse entschädigt, wer durch eine strafrechtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortfällt oder gemildert wird.
Die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung ist in dem Urteil des Landgerichts Ans-bach vom 19.12.1991, mit dem u.a. die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, zu sehen. Diese ist weder in einem Wiederaufnahmeverfahren noch sonst entfallen oder gemildert worden.
b) Kein solcher sonstiger Grund des Wegfalls oder der Milderung ist die nachträgli-che Erledigterklärung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 3 StGB.
aa) Der Fortfall einer Verurteilung liegt vor, wenn der Schuldspruch beseitigt ist (Kunz a.a.O. § 1 Rdn. 12; Meyer a.a.O. § 1 Rdn. 22; Meyer-Goßner a.a.O. § 1 Rdn. 2). Eine Verurteilung ist gemildert, wenn im Vergleich zu dem früheren Strafurteil mil-dere strafrechtliche Rechtsfolgen verhängt worden sind (Kunz a.a.O. § 1 Rdn. 13; Meyer a.a.O. § 1 Rdn. 27; Meyer-Goßner a.a.O. § 1 Rdn. 3). Beiden Kriterien ist gemeinsam, dass eine strafverfahrensmäßige Korrektur einer rechtskräftigen Entscheidung im Interesse der materiellen Gerechtigkeit erfolgt (OLG Thüringen a.a.O.). Es muss also zu einer Durchbrechung der Rechtskraft der Ausgangsentscheidung kommen (Kunz a.a.O. § 1 Rdn. 21; Meyer a.a.O. § 1 Rdn. 1,2, 11f.).
Wird eine Maßregel der Sicherung und Besserung nachträglich für erledigt erklärt, besteht aber die Rechtskraft des erkennenden Urteils fort (Kunz a.a.O. § 1 Rdn. 28; Meyer a.a.O. § 1 Rdn. 15)).
bb) Dies belegen die nachfolgenden Überlegungen:
(1) Stellt sich nachträglich heraus, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von Anfang an nicht vorgelegen haben (§ 67d Abs. 6 StGB), kann die Rechtskraft des die Verurteilung anordnenden Urteils nur durch ein Wiederaufnahmeverfahren durchbrochen werden (BVerfG NStZ 1995, 174). Gleiches muss erst recht gelten, wenn sich bei einer Überprüfung nach § 67d Abs. 3 StGB nachträglich herausstellt, dass die in der Ausgangsentscheidung fest-gestellte negative Prognose (vgl. Fischer StGB 59. Aufl. § 67d Rdn. 15) nach zehn Jahren der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht mehr fortbesteht.
(2) In dieselbe Richtung weist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen. Der Bundesgerichtshof ist dabei von der Strafabschlagslösung abgerückt und sieht nun zur Kompensation rechtsstaats-widriger Verzögerungen die Vollstreckungslösung (Anrechnung eines bezifferten Teils der verhängten Strafe) vor. Damit sollen neben dem Schuldspruch auch das Rechtsfolgensystem vor außerhalb des Straf- und Strafprozessrechts liegenden Vor-gaben geschützt werden, also diesen ein Einfluss auf den der Rechtskraft zugängli-chen Schuld- und Rechtsfolgenausspruch genommen werden (BGH Beschluss vom 17.1.2008, GSSt 1/07NJW 2008, 860). Sollen die noch vor Abschluss eines Straf-verfahrens auftretenden Verfahrensverzögerungen die rechtskraftfähigen Teile einer Verurteilung unangetastet lassen, so trifft dies erst recht auf Fehler zu, die im Zuge der Vollstreckung, wie hier durch verspätete Entlassung aus dem Vollzug, auftreten.
c) Keine Durchbrechung der Rechtskraft der Ausgangsentscheidung des Landge-richts Ansbach vom 19.12.1991 ist aufgrund der Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts vom 4.5.2011 (NJW, 2011, 1931) eingetreten.
Das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19.12.1991 war nicht Gegenstand der zur Entscheidung vom 4.5.2011 führenden Verfassungsbeschwerde. Es wurde daher nicht nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil vom 4.5.2011 die Vorschriften über die Anordnung und den Vollzug der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt, aber zugleich angeordnet, dass diese, wenn auch unter verschärften Voraussetzungen, bis 31.5.2013 fortgelten. Es hat ausdrücklich davon abgesehen, die nicht mit dem Grundgesetz in Einklang ste-henden Normen nach § 95 Abs. 3 BVerfGG für nichtig zu erklären (BVerfG a.a.O. Rdn. 167f). Das Ausgangsurteil und die dort angeordnete Sicherungsverwahrung finden daher ihre rechtliche Grundlage nach wie vor in den noch anwendbaren Vor-schriften zur Sicherungsverwahrung (OLG Celle NStZ 2011, 703). Im Übrigen hätte auch eine rückwirkende Erklärung der Nichtigkeit dieser Vorschriften durch das Bun-desverfassungsgericht dem Urteil des Landgerichts Augsburg die Rechtskraft nicht entzogen. Dazu hätte es nach der für Strafurteile speziell geltenden Norm des § 79 Abs. 1 BVerfGG der Aufhebung der Entscheidung nach Wiederaufnahme des Ver-fahrens beduft (OLG Stuttgart NJW 1997, 206), was allerdings nicht erfolgte. § 79 Abs. 2 BVerfGG findet auf rechtskräftige Strafurteile keine Anwendung und bedarf daher keiner Erörterung.
d) Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit Sitz in Straubing vom 3.6.2011, mit dem die Entlassung des Untergebrachten rechtswidrig bis 1.7.2011 hinausgezögert wurde, ist keine für eine Entschädigung nach § 1 Abs. 1 StrEG vorauszusetzende Verurteilung, da dieser Beschluss hinsicht-lich des Entlassungszeitpunktes nicht rechtskräftig wurde.
e) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist § 1 Abs. 2 StrEG nicht an-wendbar. Diese Vorschrift trägt den Fällen Rechnung, in denen das Gericht keine Verurteilung ausgesprochen, aber eine Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine Nebenfolge angeordnet hat (Kunz a.a.O. § 1 Rdn. 41; Meyer a.a.O. § 1 Rdn. 39). Die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wurde aus-schließlich durch das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19.12.1991 angeordnet. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer der 3.6.2011 hat lediglich diese Un-terbringung in der Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt und die Entlassung hie-raus erst zum 1.7.2011 angeordnet. Damit liegt keine eigenständige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zu einer Anordnung der Unterbringung in der Siche-rungsverwahrung vor.
f) Eine Entschädigungspflicht nach § 2 StrEG scheidet von vorne herein aus. Bei der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung handelt es sich nicht, wie diese Vorschrift voraussetzt (Kunz a.a.O. § 2 Rdn. 2; Meyer a.a.O. § 2 Rdn. 1), um eine vorläufige Strafverfolgungsmaßnahme.
g) Eine entsprechende Anwendung der Entschädigungsregelungen des StrEG kommt nicht in Betracht. Hierfür besteht kein Bedürfnis, da das StrEG Entschädi-gungsansprüche nicht abschließend regelt (Kunz a.a.O. Einleitung 62f; Meyer a.a.O. Einleitung 53; OLG Köln StraFo 1998, 286; OLG Thüringen JurBüro 2010, 101). Eine anderweitige Regelung eines Ersatzanspruches ergibt sich insbesondere aus Art. 5 Abs. 5 EMRK. Deshalb ist der Hinweis des Verurteilten auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 24.11.2011 (Schön-brod gegen Deutschland, Beschwerde-Nr.: 48038/06) unbehelflich. In diesem Urteil hat der EGMR eine Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK zugesprochen, weil die Strafvollstreckungskammer eine nach § 67c StGB erforderliche Entscheidung vor-werfbar verzögert getroffen hatte. In diesem Fall bestand nach obigen Ausführungen kein Entschädigungsanspruch aus § 1 Abs. 1 StrEG (Kunz a.a.O. § 1 Rdn. 28; Meyer a.a.O. § 1 Rdn. 15; OLG Thüringen, Beschluss vom 24.2.2009, Az. 1 Ws 559/08, zitiert nach Juris). Wegen der anderweitigen Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK musste für eine Entschädigung nicht auf eine entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 StrEG zurückgegriffen werden. Dies zeigt, dass wegen des abschließenden Charakters der Bestimmungen des StrEG deren analoge Anwendung auf darin nicht geregelte Sachverhalte ausscheidet (BGH NStZ 2008, 234).
4. Eine Entscheidung über Entschädigungsansprüche außerhalb des StrEG war nicht zu treffen, da eine solche nicht beantragt war und im Übrigen dafür nach § 8 Abs. 1 StrEG keine Zuständigkeit des Senats begründet ist.
III.
Eine Kostenentscheidung ergeht nicht, denn die nachgeholte Entscheidung über eine Entschädigungspflicht dem Grunde nach ist Teil des vorausgehenden Verfahrens, das mit dem Senatsbeschluss vom 22.9.2011 abgeschlossen wurde.
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