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Entscheidungen

OWi

Verwerfungsurteil, genügende Entschuldigung, Nachforschungspflicht

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 28.11.2011 - 3 Ss OWi 1514/11

Leitsatz: 1. Die Regelung des § 74 II OWiG birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrich-tigen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 I GG) entzogen wird. Der Begriff der ‚genügenden Entschuldigung’ darf deshalb nicht eng ausgelegt werden.

2. Den Betroffenen trifft hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes grundsätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder zum lückenlosen Nachweis. Das Gericht hat vielmehr, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt oder Zweifel an einer genügenden Entschuldigung bestehen, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht - gegebenenfalls im Wege des Freibeweises - nachzugehen (Anschluss u.a. an BayObLGSt 1998, 79/82; 2001, 14/16; OLG Bam-berg wistra 2007, 79 f.; NZV 2009, 303 f.; NZV 2011, 409 f.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 25.03.2010 - 3 Ss [OWiZ) 37/10 [bei Juris]; KG DAR 2011, 146 f.).

3. Die Nachforschungsverpflichtung des Gerichts ist andererseits nicht grenzen-los. Ihre Auslösung setzt (wenigstens) voraus, dass der Betroffene vor der Hauptverhandlung schlüssig einen Sachverhalt vorträgt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen (Anschluss u.a. an KG VRS 108, 110 ff.; OLG Bamberg OLGSt StPO § 329 Nr. 29 = DAR 2008, 217 [Ls]; BayObLGSt 1997, 145/147 f.; 1998, 79/81 f.).

4. Legt der Betroffene eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, be-steht regelmäßig ein konkreter Hinweis auf die Existenz eines berechtigten Ent-schuldigungsgrunds, sofern nicht Gründe dafür vorliegen, dass das Attest als erwiesen falsch oder sonst als offensichtlich unrichtig oder unzureichend anzu-sehen ist (Anschluss an OLG Hamm NZV 2011, 562 f.).

5. In der Vorlage des ärztlichen Attests durch den Betroffenen liegt regelmäßig zugleich die Entbindung des ausstellenden Arztes von seiner Schweigepflicht.


Zum Sachverhalt:
Die Bußgeldstelle setzte gegen den Betr. mit Bußgeldbescheid vom 24.03.2011 wegen einer am 08.02.2011 begangenen innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 21 km/h eine Geld-buße von 160 Euro fest und ordnete zugleich ein Fahrverbot für die Dauer 1 Monats an. Den Einspruch des Betr. hat das AG in Abwesenheit des Betr. und seines Verteidigers mit Urteil vom 21.07.2011 nach § 74 II OWiG verworfen. Hiergegen wendet sich der Betr. mit seinem als "Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde" bezeichneten Rechtsbehelf vom 02.08.2011, mit dem er - sinngemäß - die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 74 II OWiG beanstandet. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.
Aus den Gründen:
I. Die ohne weiteres nach § 79 I 1 Nr. 2 OWiG statthafte, keiner Zulassung bedürfende sowie frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde erweist sich unbeschadet der knappen Ausführungen zur Rügerechtfertigung mit der den gesetzlichen Begrün-dungsanforderungen des § 344 II 2 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG noch genügenden Verfahrensrüge zumindest vorläufig als erfolgreich, weil das AG - wie die GenStA in ihrer Antragsschrift zutreffend ausführt - den Begriff der ‚genügenden Entschuldigung‘ i.S.v. § 74 II OWiG verkannt und demgemäß das Fernbleiben des Betr. in der Haupt-verhandlung zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen hat.
1. Der Begriff der ‚genügenden Entschuldigung’ darf nicht eng ausgelegt werden. Denn ähnlich wie § 329 I 1 StPO enthält auch § 74 II OWiG eine Ausnahme von dem Grund-satz, dass ohne den Angekl. bzw. Betr. nicht verhandelt werden darf. Die Regelung birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Betr. das ihm nach Art. 103 I GG verfassungsrechtlich verbürgte rechtliche Gehör entzogen wird. Deshalb ist bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Ent-schuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Betr. geboten.
2. Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Be-lange des Betr. einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Betr. unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann. Entscheidend ist dabei nicht, ob sich der Betr. genügend entschuldigt hat, sondern ob er (objektiv) genügend entschuldigt ist. Den Betr. trifft daher hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes grund-sätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder gar zu einem lückenlosen Nachweis; vielmehr muss das Gericht, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungs-grund vorliegt, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen (st.Rspr., z.B. BGHSt 17, 391/396 f.; BGHR StPO § 329 I 1 Ladung 1; BayObLGSt 2001, 14/16; 1998, 79/81; BayObLG, Beschluss vom 19. 10. 2004 - 1 Ob OWi 442/04; OLG Stuttgart DAR 2004, 165/166; OLG Bamberg, Urteil vom 26. 2. 2008 - 3 Ss 118/07 = OLGSt StPO § 329 Nr. 29 = DAR 2008, 217 [Ls] sowie - jeweils zu § 74 II OWiG - OLG Bamberg wistra 2007, 79 f.; OLG Bamberg, Beschluss vom 14.01.2009 - 2 Ss OWi 1623/08 = NStZ-RR 2009, 150 = NZV 2009, 303 f.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 25.03.2010 - 3 Ss [OWiZ) 37/10 [bei Juris]; KG VRS 119, 125 ff. = DAR 2011, 146 f. und OLG Bamberg NZV 2011, 409 f., jeweils m.w.N.). Bescheinigungen, insbesondere ärztliche Atteste haben daher so lange als genügende Entschuldigung zu gelten, als nicht deren Unglaubwürdigkeit oder Unbrauchbarkeit feststeht, es sei denn, das Vor-bringen ist aus der Luft gegriffen oder sonst ganz offensichtlich ungeeignet, das Aus-bleiben zu entschuldigen (BayObLGSt 2001, 14/16). Bloße Zweifel an einer genü-genden Entschuldigung dürfen nicht zu Lasten des Betr. gehen. Das Gericht ist in die-sem Fall vielmehr gehalten, seinen Zweifeln - gegebenenfalls im Wege des Freibewei-ses (BayObLGSt 1998, 79/82) - nachzugehen.
3. Die Nachforschungsverpflichtung des Gerichts ist andererseits nicht grenzenlos. Ihre Auslösung setzt (wenigstens) voraus, dass der Betr. vor der Hauptverhandlung schlüs-sig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen, dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind (KG VRS 108, 110 ff.); nur dann ist er auch nicht verpflichtet, die Richtigkeit seines Vorbringens glaubhaft zu machen und durch Vorlage von geeigneten Unterlagen zu belegen (OLG Bamberg OLGSt StPO § 329 Nr. 29 = DAR 2008, 217 [Ls]; BayObLGSt 1997, 145/147 f.; 1998, 79/81 f.). Eine andere Sicht wäre mit dem Gesetzeszweck, das Verfahren zu beschleunigen und den Betr. daran zu hindern, eine gerichtliche Entscheidung nach Gutdünken zu verzögern, indem er der Verhandlung fernbleibt, unvereinbar. In diesen Fällen muss das mit dem Beschleunigungsgebot konkurrierende Streben nach einer möglichst gerechten Sach-entscheidung mit der Folge zurück treten, dass im Einzelfall auch ein möglicherweise sachlich unrichtiges Urteil in Kauf zu nehmen ist (BGHSt 23, 331/334 f.).
4. Nachdem der Betr. hier über seinen Verteidiger am Vortage der für den 21.07.2011 anberaumten Hauptverhandlung dem Gericht per Telefax-Schreiben eine unter dem 19.07.2011 ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) für den Zeitraum vom 20.07.2011 bis „voraussichtlich [...] einschließlich 22.07.2011“ übermittelte, wobei der Diagnoseschlüssel ‚A09.9‘ handschriftlich mit „Darmvirus“ bzw. „Brechdurchfall“ vom Betr. näher erläutert wurde, war das AG aufgrund der konkreten Hinweise auf einen berechtigten Entschuldigungsgrund gehalten, diesem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen, insbesondere gegebenenfalls fortbestehende Zweifel selbst durch eine Anfrage bei dem behandelnden und aus der Arbeitsunfähig-keitsbescheinigung hervorgehenden Arzt abzuklären. Denn in der Vorlage des Attests durch den Betr. liegt regelmäßig zugleich die Entbindung des ausstellenden Arztes von seiner Schweigepflicht. Gründe dafür, dass das Attest als erwiesen falsch oder sonst als offensichtlich unrichtig oder unzureichend, etwa aufgrund der Art der attestierten Erkrankung (hierzu zuletzt instruktiv OLG Hamm NZV 2011, 562 f.) anzusehen wäre, sind nicht ersichtlich. Bei dieser Sachlage war das AG zur Annahme einer ungenügen-den Entschuldigung schließlich auch nicht deshalb berechtigt, weil der Betr. bzw. seine Verteidigung der Aufforderung vom 20.07.2011, eine gerade ‚Verhandlungsunfähigkeit‘ am Terminstage attestierende Bescheinigung vorzulegen, nicht nachgekommen ist. Nach alledem blieb für das Gericht letztlich offen, ob dem Betr. das Erscheinen unter Berücksichtigung der attestierten Krankheit und der Bedeutung der Sache tatsächlich nicht zumutbar oder nicht möglich war, weshalb das Ausbleiben des Betr. nicht als unentschuldigt hätte angesehen werden dürfen (zur Abgrenzung bei nachträglicher Entschuldigung und Glaubhaftmachung vgl. OLG Braunschweig aaO.).
II. Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers ist das angefochtene Urteil mit den Fest-stellungen aufzuheben (§ 79 III 1 OWiG, § 353 StPO) und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Einsender: RiOLG G. Gieg, Würzburg

Anmerkung:


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